Am nächsten Morgen stand Richard Mauler früh in der Küche des Bungalows und summte, düddellüddeldüddelü, die heiter vor sich hin perlenden Läufe von Cannonball Adderley und Milt Jackson mit, so leise wie die Musik selbst, denn er wollte niemanden wecken. Aber er für seinen Teil wollte diese Zeit des Tages, wenn die Morgensonne schon warm durch die Jalousien gesiebt kam, auf keinen Fall missen.
Stefanie schlief noch, Scott lag nach einer unruhigen Nacht an sie geklammert wie ein Rucksack hinter ihrem Rücken. Gelegentlich ging Richard vorsichtig nach ihnen sehen. Er fand seine Frau immer noch bedrückend schön. Bilder von glücklichen Tagen aus ihrer ersten Zeit blendeten sich kurz darüber, Bilder, die Stefanie ruhend in italienischen Hotelzimmern zeigten, während von draußen leichte Brisen die Vorhänge vorm offenen Fenster bauschten und das helle Surren der Vespas unten im Nachmittagsverkehr hereinwehten. Dann Bilder, die sie lachend an Stränden zeigten oder in Restaurants, in Südfrankreich, Spanien, in Marokko sogar, und er wärmte sich an dem Gedanken, wie verknallt sie damals waren, er in sie und sie doch wohl auch in ihn. In diesen ersten anderthalb, zwei Jahren war ihm ihr Dasein vorgekommen wie frisch entkorkter Champagner. Seitdem hatte er das Gefühl, dass er unentwegt am Schütteln war, damit es wieder moussierte: Reisen, Umzüge, Häuser, Kleider, Bungalows in den Hamptons … Die Arme taten ihm weh, wenn er daran dachte. Aber er konnte sich, selbst an diesem Morgen, überzeugen, dass er immer noch hingerissen war, wenn er Stefanie in ihr schlafendes Gesicht schaute. Er konnte das ursprüngliche Versprechen in ihr noch sehen, und er hielt sich daran so fest, wie er das bei keinem seiner geschäftlichen Projekte je getan hätte.
Daraufhin ließ er den Blick vom Türrahmen aus kurz über alles andere schweifen, was er sich sozusagen erarbeitet hatte und daher nun sein Eigen nennen konnte. Hatte das denn damals bei seinen Eltern auch immer so ausgesehen? Hatte da auch der ganze Kleinkram alles zugewuchert, das ganze … Gerassel? Die Schlüssel, die geöffneten Briefe, die Rechnungen, die Kugelschreiber, das Spielzeug, die Ringelsocken von Scott, die Ringelsocken von Stefanie, gefundene Stöcke, die nicht weggeworfen werden durften, Steine, die Zauberkräfte hatten, Muscheln, Visitenkarten von Restaurants und Visitenkarten von Leuten. Hätte die Generation seiner Eltern eine Decke am Abend wieder zusammengefaltet oder auch einfach so auf das Sofa geworfen? Andererseits, sagte er sich, hatten es seine Eltern so auch nur zu einer Ferienwohnung in Timmendorf gebracht, zwischenzeitlich, und er stand hier in einem Bungalow in Southampton, New York, zwar ziemlich weit north of highway, aber doch immerhin. Und ein Richard Mauler neigte nicht zu Depressionen, ein Richard Mauler neigte zur Tat.
Das gab ihm immerhin genug Schwung, die Decke selbst zusammenzulegen, das Gerassel ein wenig aufzuräumen.
Er freute sich währenddessen, gleich im Anschluss mit einem schönen Pott Kaffee belohnt zu werden. Richard hielt seine Nase schnuppernd über die schwarz gelackten Kaffeebohnen, die er in die Mühle geschüttet hatte, dann machte er sie vorsichtig zu und schob einen dicken Kochhandschuh darüber. Ziel der Aktion: das Rasseln der elektrischen Kaffeemühle so weit wie möglich zu dämpfen.
Scott kam trotzdem angewackelt. Mit seinem Teddy in der einen Hand und mit der anderen Hand seine Augen reibend, stand er plötzlich im Zimmer und klagte, die Mama wolle partout nicht aufwachen.
»Vielleicht musst du ihr mal eine Erbse unter die Matratze schieben«, schlug Richard vor und gab ihm eine aus dem Vorratsschrank.
»Klappt nicht«, sagte Scott, als er nach einer Weile wiederkam, enttäuscht.
»Die Mama ist trotzdem eine Prinzessin«, erklärte Richard und testete vorsichtig, ob es bereits an der Zeit war, den Stempel der Kaffeepresse herunterzudrücken, ohne dass passiert … was dann eben doch passierte: Ein Schwall krümeliger Kaffeesatzpampe kam herausgeschossen. Richard fluchte kurz, putzte das Malheur weg, verordnete sich inneren Frieden und ein wenig Geduld, dann hatte er seinen Kaffee und schloss beim ersten Schlückchen vor Wonne sogar kurz die Augen. Scott wollte helfen, und Richard war ganz gerührt von dem Vergnügen, mit seinem Sohn in der Küche zu stehen im Morgenlicht, in dem vergnügt die Staubkörnchen tanzten. Sie hatten beide Schürzen um und pfiffen eine duftige Melodie von Cole Porter mit, während sie Eier zerschlugen. Scott wollte Eier zerschlagen, also durfte er. Es würde ungeheure Mengen Omelett geben, Eier machten stark, und der zarte Scott konnte es gebrauchen. Langsam begann der Tag schön zu werden, und eine Welle von Zufriedenheit — beinahe hätte Richard gesagt: Glück — rollte von unten her durch seine breite Brust.
Stefanie war weniger glücklich, als sie später dazukam. Richard nahm zuerst an, dass Stefanie nicht glücklich war, weil das Gepfeife von Richard, Scott und letztlich auch Cole Porter sie aufgeweckt hatte. Aber Stefanie war nicht glücklich, weil sie nicht früher geweckt worden war. Sie beklagte, dass sie ausgeschlossen werde von seinen schönen morgendlichen Aktivitäten mit Scott. Nachdem das in der nötigen Strenge zu Richard hin gesagt war, setzte sie einen mütterlichen und liebevollen Gesichtsausdruck auf, beugte sich zu Scott herunter, streichelte seinen Kopf und erkundigte sich, bei welcher Sache er dem Papa denn da eben geholfen habe. Als sie allerdings die Menge an Eiern sah, wurde sie wieder sehr traurig.
»Eins pro Woche«, sagte sie zu Richard, »höchstens«, und nahm Scott die Schüssel weg. Der rannte weinend aus dem Haus. Stefanie seufzte. Es war nicht einfach, mit Freude und Achtsamkeit den Tag zu umarmen, wenn sich andere dermaßen unverantwortlich benahmen. Von draußen war immer noch Weinen zu hören, Scott schien sich hineinzusteigern. Seine Eltern versuchten es mit gutem Zureden. Sie verstanden nicht, dass es gar nicht mehr um die Eier ging. Er wies auf seinen Po. Unter verzweifeltem Schluchzen brachte er schließlich das Wort »Wepsen« hervor.
»Wespen!«, rief Richard und stürzte sich auf den Jungen, als müsse er ihn nun mit seinem eigenen Körper verteidigen. Die Biester würden immer aggressiver im August. Mit fachmännischer Miene begutachtete er die Rötung, die unter Scotts heruntergelassener Schlafanzughose nun sichtbar wurde. Stefanie war sofort über ihrem Beutel mit den heilenden Fläschchen. Diesmal schienen die kleinen Kugeln in Scotts Mund nicht so rasch zu wirken wie sonst. Was den kleinen Jungen zur Ruhe brachte, war eher die Verwirrung darüber, dass seine Mutter beinahe mehr noch als ihn das Insekt bedauerte, das auf dem Gartenstuhl liegen geblieben war. Mit Anteilnahme nahm Stefanie es in die Hand.
»Das ist keine Wespe«, sagte sie feierlich. »Das ist eine Biene.«
»Ganz schöner Brummer«, bestätigte Richard.
»Das ist eine Wildbiene«, sagte Stefanie. Beinahe jubelte sie. Gestern war es nur eine Hoffnung, heute eine Gewissheit: Das Bienenhotel, das sie aufgestellt hatte, hatte erste Gäste …
»Das was?«, fragte Richard.
»Bienenhotel. Ich habe ein Bienenhotel eingerichtet.«
»Was ist ein Bienenhotel?«
»Ein Ast, in den mir Ramón im Frühjahr ein paar tiefe Löcher gebohrt hat. As simple as that. Der liegt seitdem in den Gebüschen, hinten bei den Alraunen, und wartet auf Bewohner. Jetzt hat er welche gefunden.«
»Du hast einen Bienenstaat in meinem Garten angesiedelt?«
»Ich habe in unserem Garten ein Bienenhotel aufgestellt. Ein Bienenstaat wäre schön, aber dafür sind wir zu selten hier.« Wenn sie ein paar Wildbienen angelockt hätten, sei das immerhin schon mal etwas.
»Wir haben jetzt Bienen im Garten.«
»Ja. Und das ist wundervoll. Bienen sind vom Aussterben bedroht. Und zwei Drittel aller Nahrungsmittel hängen von Bienen ab. Es liegt also auch in deinem Interesse«, sagte Stefanie und klopfte dabei sanft auf Richards Körpermitte. Der zog seinen Bauch ein, stand in dieser Haltung einige Zeit da und schaute in seinen Garten. Gegen Bienen war wenig zu sagen. Gegen Bienen war er machtlos. Aber so glücklich wie Stefanie machten sie ihn nicht.