»Los schon! Den Durchgang freihalten! Macht Platz!«
Mit dem Griff seines Amtsstabs schubst der Wächter einen alten Mann fort von dem großen Tor. Der Alte sitzt hier schon seit zwei Tagen und hält den Vorübergehenden erfolglos seine schmutzige Mütze entgegen. Sein kahl rasierter Kopf ist von Kratz- und Schnittwunden verunstaltet. Über einem Auge prangt ein fürchterlich fleckiger Verband. Und dann verbreitet er einen starken Geruch nach Fisch, als würde er in den Nächten auf den Stufen zum Fischmarkt von Billingsgate schlafen.
Resolut räumt der Wächter den Weg für Master Walsingham, Master Beale und sechs Mitglieder von Elizabeths Garde in ihrem Gefolge frei. Walsingham wirkt ernst und steif, doch zumindest Beale begrüßt den Wächter mit einem Nicken, als sie in den Burghof reiten.
Als das Tor geschlossen wird, ist der alte Bettler verschwunden. Zurück bleibt lediglich seine Mütze mit einem verwesenden Fisch darin.
Mühselig steigt Walsingham von seinem Pferd. Schmach, Enttäuschungen und das Alter haben seinen Körper steif werden lassen, und nach dem langen Ritt kann er sich kaum noch rühren.
Dennoch freut er sich, wieder daheim zu sein. Schon kommt ihm seine Tochter entgegengerannt und wirft beide Arme um ihn. Sie weiß von nichts, nicht das Geringste. Gleich darauf sind auch seine Frau und die Hebamme bei ihm und erzählen ihm aufgeregt von dem Neugeborenen. Er weiß, dass er nichts dazu getan hat, um solches Aufhebens zu verdienen. Nach einer Weile scheint seine Frau zu spüren, wie sehr er sich selbst verabscheut.
»Ist nicht alles nach Plan verlaufen, Francis?«
»Ich glaube, sie hat mich zum Narren gehalten«, knurrt er.
Ihr Lächeln erlischt. »Aber Quesada? Seine Flotte ist doch gar nicht gesichtet worden.«
»Das nicht. Richtig. Eine List hat England gerettet, bloß um welchen Preis? Und für wie lange?«
Diese Fragen kann er beim besten Willen nicht beantworten. Mit wem stand Königin Mary in Verbindung, während er in die Irre geführt wurde und abgelenkt war? Mit König Philipp? Dem Papst? James Hamilton? Oder mit einem der vielen Hitzköpfe? Mit jungen Männern, die es als edles Märtyrertum betrachten, wenn man das eigene Leben für seine katholische Königin opfert? Mit der Sorte von Männern, die Bilder von ihr auf Karten zeichnen und sich dann auf die Haut stechen lassen?
Er lässt seine Frau im Haus zurück und geht in sein Amt. Zerstreut sperrt er die drei Schlösser auf. Tausend Gedanken wirbeln ihm durch den Kopf.
Erst als er eingetreten ist und die Tür hinter sich zuzieht, bemerkt er den Geruch einer brennenden Zündschnur.
Doch da ist es schon zu spät.
Er erstarrt.
Auf seinem Stuhl sitzt ein Mann. Zwei Zündschnüre glühen, und zwei Pistolenläufe zeigen mitten auf Walsinghams Gesicht. Sein Herz setzt einen Schlag aus.
»Dee!«, ruft er entgeistert.
»Keine Bewegung, Walsingham«, faucht Dee. »Ich habe feststellen müssen, dass ich als Schütze nicht viel tauge, aber von hier aus kann nicht einmal ich Euch verfehlen. Wenn Ihr auch nur mit einem Muskel zuckt, werde ich Euch mit dem größten Vergnügen Euren erbärmlichen Schädel von Euren verfluchten Scheißschultern schießen.«
Walsingham rührt sich nicht.
»Dee?«, fragt er. »Wie …? Wie habt Ihr …?«
»… überlebt?«, beendet Dee an seiner Stelle die Frage. »Ja, es muss Euch einigermaßen überraschen, mich lebend zu sehen.«
»Ich … ich gebe zu, dass ich die Hoffnung zeitweise schon aufgegeben hatte.«
»Hoffnung? Ihr habt die Hoffnung zeitweise aufgegeben?«
»Ja.«
»Beim Blut des Heilands, Walsingham, Ihr habt wirklich Nerven!«
Nun, da seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt haben, mustert Walsingham den anderen aufmerksamer. »Meine Güte, Dee, Ihr seht ja entsetzlich aus! Warum tragt Ihr Kleider wie ein Bettler?«
»Mund halten, Walsingham! Kein Wort mehr, oder ich jage Euch eine Kugel in Euer dämliches, verfettetes Gehirn, bevor Ihr ausgesprochen habt. Ihr stellt mir keine Fragen, ist das klar? Nicht, solange ich diese zwei Eisen habe.« Er wedelt mit den Pistolen. »Verstanden?«
Walsingham sieht, dass er es ernst meint. »Verstanden.«
Wird es ihm gelingen, nach der Schnur zu greifen, die er unter dem Pult angebracht hat, um die Alarmglocke zu betätigen?
Als könnte er seine Gedanken lesen, schüttelt Dee den Kopf und deutet mit einer der beiden Pistolen auf die Schnur: Sie ist durchtrennt worden.
Schweigen breitet sich zwischen ihnen aus. Fast könnte man meinen, Dee wüsste nicht, wie er beginnen soll.
Schließlich fängt er doch an, wenn auch mit abgehackter, krächzender Stimme.
»Bess wusste also Bescheid?«, fragt er.
»Bess?«
»Ihre Majestät, die Königin.«
»Worüber?«
Dee seufzt. Walsingham sieht, wie sich sein Finger um den Abzug krümmt.
»Die Dokumente«, souffliert Dee. »Admiral da Silvas Dokumente. Wusste sie, dass sie gefälscht waren?«
Walsingham rauscht das Blut in den Ohren. »Woher wusstet Ihr das?«
Dee kann der Verlockung nicht widerstehen. »Weil ich sie einen ganzen Tag lang studiert habe, und das in einem abscheulichen Gasthaus bei einem Fischer, der so fürchterlich stank wie ein zu meinen Füßen schlafender Seehund. Alle Aspekte habe ich geprüft, alle Zahlen, sämtliche Permutationen jedes Verschlüsselungsverfahrens, das mir bekannt ist; und dann bin ich alles in allen möglichen Sprachen und Dialekten durchgegangen: Hebräisch, Lateinisch, Griechisch, Englisch, Schottisch, Spanisch und Französisch. Sogar mit Holländisch und Angelsächsisch habe ich es probiert. Und mit dem Genueser Dialekt. Eine Zeit lang habe ich vermutet – gehofft! –, der Admiral hätte eine Sprache entdeckt, die nur dem alten Adam bekannt war, weil einfach nichts irgendwohin führte. Nichts hat einen Sinn ergeben. All meine Berechnungen haben die Straße von Anian in Gegenden verlegt, wo sie unmöglich sein kann oder von denen ich wusste, dass sie gar nicht existieren, oder in solche, in denen ein Normalsterblicher sie nie hätte entdecken können. Ich war schon fast am Verzweifeln, als ich auf eine vergrabene Spur stieß. Ein Zeichen. Ein winziger Schnörkel, den man nie bemerken würde, es sei denn, man erwartet insgeheim, ihn zu finden, weil man schon den Verdacht hat, dass man das Werk eines alten Freundes vor Augen hat, der Dingen dieser Art nie widerstehen konnte: Gerolamo Cardano.«
Walsingham fährt unwillkürlich zusammen, als dieser Name fällt.
»Ja«, bestätigt Dee. »Es war sein Zeichen, das mir alles verraten hat: Euren Plan. Hätte ich es nicht gesehen, wäre ich erschossen worden, wie es Euer Plan vorgesehen hat.«
Walsingham nimmt sich vor, falls er hier lebend herauskommt, Gerolamo Cardano einen Besuch abzustatten, selbst wenn das eine neuerliche Reise ins katholische Paris bedeutet. In welcher Kaschemme auch immer dieser kleine Dreckskerl seinen ganzen Lohn vertrinkt, Walsingham wird ihn herausholen, doch jetzt sagt er kein Wort.
»Da ist mir Isobel Cochet eingefallen …«, fährt Dee fort.
»Ihr habt sie gefunden? Ihr habt Isobel gefunden? Wie geht es ihr?«
Dee starrt ihn voll blanker Verachtung an. »O ja, ich habe sie gefunden.« Er spuckt die Worte geradezu heraus. »Ich habe sie gefunden – und verloren. Sie ist tot.«
Walsingham schafft es nicht, einen entsetzten Aufschrei zu unterdrücken.
»Ja«, zischt Dee. »Ganz recht. Das habt Ihr zu verantworten, Walsingham. Ihren Tod. Ihr habt sie in den Tod geschickt.«
»Nein!«, schreit Walsingham voller Leidenschaft.
Dee hebt beide Pistolen. Walsingham versucht, sich wieder zu beruhigen.
»So wahr Gott mein Zeuge ist, das habe ich nicht getan«, erklärt er. »Ich wusste nicht, dass sie ihr Kind verschleppen würden! Ich nahm an, Oliver Fellowes sei derjenige, den der Kardinal auf seine Seite gezogen hat. Ich nahm an, Oliver sei Katholik! Sein Vater war einer, und darum habe ich geglaubt, er könne es ebenfalls sein. Deshalb bin ich ein Risiko eingegangen – eines, das uns beide fast das Leben gekostet hätte – und habe mich bemüht, ihm vorzumachen, dass die gefälschten Da-Silva-Papiere echt seien. Ich habe ihm die Möglichkeit gegeben, sie dem Kardinal vorzulegen … Aber das hat er nicht getan. Ich gebe zu: Ich habe einen Fehler gemacht. Einen Fehler. Ich wusste nicht, dass sie Isobels Kind verschleppt hatten. Ich wusste nicht, dass sie diejenige sein würde, die der Kardinal auf seine Seite ziehen würde. Aber ich habe sie nicht in den Tod geschickt.«
»Und Ihr habt alles Euch Mögliche getan, um das Mädchen zurückzubekommen?«, fragt Dee. »Isobels Tochter?«
Das lässt Walsingham stocken. Die Schuld fühlt sich an wie ein kalter, nasser Aal, der sich durch die Innereien windet und den Geruch von Tod und Verfall verbreitet.
»Ich hatte viel zu tun«, rechtfertigt er sich.
Dee starrt ihn bloß wortlos an, und er – Walsingham – teilt seine Abscheu.
»Verratet mir nur noch eines, Walsingham, damit ich, wenn Ihr tot seid, allen sagen kann, was in Eurem Kopf vorgegangen ist: Als Ihr den Kardinal von Lothringen habt wissen lassen, dass Ihr im Besitz von Dokumenten über die Lage der Straße von Anian wart … woher wusstet Ihr da, dass er versuchen würde, sie zu stehlen? Und nachdem er sie an sich gebracht hatte, wie konntet Ihr ahnen, dass er sie den Spaniern vorlegen würde?«
Walsingham hasst es, anderen etwas zu verraten, egal wem, egal was. Doch genau das glaubt er, Dr. Dee schuldig zu sein. Oder genauer gesagt: Wenn er schweigt, wird Dee ihm eine Kugel durch den Schädel jagen. Darüber hinaus hofft er, die Wahrscheinlichkeit, dass Dee ihn erschießt, könnte geringer werden, je länger er mit ihm spricht.
»Es war ein Risiko«, gibt er zu. »Aber ich wusste, dass der Kardinal und König Charles von Frankreich zerstritten waren – die Familien de Guise und Valois sind bis heute Todfeinde – und dass er die Fühler nach Spanien und zu König Philipp ausstreckte. Darum habe ich vermutet, dass er – vorausgesetzt, ihm fielen Erkenntnisse über die Straße von Anian in die Hände – dieses Wissen garantiert dazu benutzen würde, sich König Philipps Gunst zu erkaufen. Hätte der Kardinal gewusst, dass Quesada zu dem Zeitpunkt schon übers Meer segelte in der Absicht, uns zu überfallen, dann hätte er vielleicht abgewartet und sich angeschaut, wie die Dinge sich entwickeln. Aber das hat er Gott sei Dank nicht getan. Ich wiederum war mir sicher, dass Philipp, sobald er erführe, wo diese sagenumwobene Passage liegt, Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um sich eine viel größere Trophäe zu sichern und uns – oder den Franzosen – zuvorzukommen.«
»Also habt Ihr dafür gesorgt, dass er geglaubt hat, Ihr hättet diese Kenntnisse?«
Walsingham nickt. »Es war leicht genug. In Paris wimmelt es seit jeher von Spionen. Und ich hatte den Verdacht, dass selbst Gerolamo Cardano im Sold des Kardinals stand.«
»Aber wie kann man ihm solche Dokumente zukommen lassen, hm?«, fragt Dee, obwohl er die Antwort bereits weiß. »Auf gewisse Weise sah es ja so aus, als hättet Ihr sie verloren.«
Walsingham blickt zu Boden. Ihm fällt auf, dass einer von Dees Füßen unbekleidet ist.
»Ich habe es Euch doch gesagt«, erwidert er. »Ich hatte mich getäuscht. Ich dachte, Oliver Fellowes würde sie dem Kardinal bringen, aber … er war nicht das, wofür ich ihn hielt. Er war loyal. Und der Kardinal hat sich ein Druckmittel ausgedacht, mit dem er Isobel dazu zwingen konnte, die Dokumente an sich zu reißen: Rose, ihre Tochter. Ja …«
Alle Luft scheint aus dem Raum gewichen zu sein, und die Zündschnüre der zwei Pistolen glimmen nur noch matt. Dee bläst darüber und entfacht so die Glut aufs Neue.
»Aber«, setzt er nach, »das war nicht genug, nicht wahr? Ihr musstet beweisen, dass die Da-Silva-Dokumente echt waren und Ihr sie zurückbekommen wolltet, weil der Kardinal oder König Philipp sonst womöglich den Braten gerochen und gemerkt hätten, dass sie allzu leicht in ihren Besitz gelangt waren. Folglich habt Ihr mich entsandt – in der Hoffnung, ja Gewissheit, dass ich scheitern würde. Tatsächlich wart Ihr sogar darauf angewiesen, dass ich scheitere, nicht wahr? Das war ja auch der Grund dafür, dass Ihr diese holländischen Seeleute losgeschickt habt, damit sie mich erschießen …«
»Wartet … Nein!«
»Doch! Damit dafür gesorgt war, dass ich, falls es mir gegen alle Wahrscheinlichkeit gelänge, die Papiere zurückzustehlen, jenen Strand niemals lebend verlassen, sondern mit den Dokumenten in meinem Gepäck von den Männern des Kardinals aufgefunden werden würde.«
»Nein!«, ruft Walsingham. »So weit ging das nicht. Das habe ich nicht getan!«
Himmelherrgott, denkt er, warum habe ich das nicht bedacht? Das hätte ich tatsächlich tun sollen!
Doch dann begreift er es auf einmal.
»Aber … wenn es Euch tatsächlich gelungen ist, die Dokumente zu stehlen und zu dechiffrieren, was hat Quesada dann dazu veranlasst, den Kurs zu ändern und auf Neu-Spanien zuzuhalten?«
Dee stößt einen langen, betrübten Seufzer aus. »Damals nahm ich von Euch an, Ihr würdet trotz all Eurer bösen Absichten ausnahmsweise nicht zu Eurem eigenen Vorteil handeln, sondern im Sinne einer Person, die ich liebe und von der ich glaubte, dass sie mich liebt.«
Diesmal ist es Dee, der ins Stocken gerät, und für einen kurzen Moment bricht ihm die Stimme, so wie zuvor seinem Gegenüber. Danach breitet sich Schweigen aus.
»Was habt Ihr dann also getan?«, fragt Walsingham schließlich. »Mit den Dokumenten?«
»Ich habe sie in meinem Gasthaus auf dem Tisch liegen lassen, als ob ich von den Männern des Kardinals überrascht worden wäre. Allerdings habe ich sie so zurückgelassen, wie sie waren: verschlüsselt. Der Kardinal sollte nur das sehen, was er sehen wollte. König Philipp ebenso. Und was sie sehen wollten, war Grund genug, Quesada über das weite Meer zu schicken, und zwar bis hinauf zu den Eisfeldern, von wo er, so Gott will, nie wieder zurückkehren wird.«
»Dee«, beginnt Walsingham und streckt dem anderen die Hände entgegen. »Ihr habt England gerettet, und ich kann Euch nicht genug …«
Dee wedelt mit den Pistolen.
»Spart Euch das, Walsingham. Ich brauche Euren Dank nicht. Und jetzt tretet Ihr wieder dorthin zurück, wo Ihr vorhin wart. Am Schluss werde ich Euch trotzdem erschießen, das ist Euch doch klar, oder?«
Walsingham gehorcht und weicht einen Schritt zurück.
»Hört zu, Dee«, beginnt er. »Das Ganze war … ein verdammt schäbiges Geschäft, da gebe ich Euch recht. Aber ich war verzweifelt, und ich habe es weiß Gott nicht leichten Herzens getan. Sowohl Isobel als auch Oliver Fellowes waren mir teuer, und ihr Tod wird schwer auf meinem Gewissen lasten, solange ich lebe …«
»Also nicht mehr allzu lang.«
»… aber es war das Einzige, was uns gegen Quesada geblieben war. Es war ein Glücksspiel: ihr Leben gegen das Leben unzähliger anderer; ihr Leben für unser Land, unsere Königin, unsere Religion. Das könnt Ihr doch sicher verstehen?«
Dee bleckt die Zähne, dann bläst er wieder über eine der Zündschnüre, um sie weiter am Glühen zu halten.
»Es muss doch auch andere Möglichkeiten gegeben haben«, knurrt er. »Und jemanden auszusenden, damit er mich tötet …«
»Das habe ich nicht getan, Dee, so wahr mir Gott helfe! Ich habe niemanden ausgesandt, damit er Euch tötet.«
»Wer dann? Jemand hat es getan. Diese holländischen Hurenböcke haben nicht einfach zum Vergnügen geschossen. Sie waren aus einem bestimmten Grund dort.«
»Woher wisst Ihr das?«
»Weil sie einen Mann erschossen haben, den sie mit mir verwechselt haben.«
Walsingham zupft an seinem Bart. Er überlegt.
»Kennt Ihr einen Mann namens van Treslong?«, fragt er. »Willem van Treslong. Ein holländischer Seebettler.«
»Der geholfen hat, den Spaniern Den Brill abzujagen? Ich habe von ihm gehört. Warum? War er das? Waren das seine Männer?«
»Wer weiß? Vielleicht. Ich habe ihn damals angeworben, damit er Quesadas Flotte im Auge behält, und später, damit er Euch vor Nez Bayard aufliest. Außer Euch und mir – natürlich auch Beale und der Königin – war er der Einzige, der wusste, dass Ihr in jener Nacht dort sein würdet.«
»Ihr drei also, ich verstehe. Und was hat er getan? Euch missverstanden? Als Ihr sagtet: ›Holt John Dee dort raus‹, hat er da vielleicht ›Schießt John Dee in den Kopf‹ verstanden?«
Bis zu einem gewissen Grad gewinnt Walsingham seine Fassung zurück. Jetzt glaubt er nicht mehr, dass Dee ihn töten wird. Er lässt die Hände sinken.
»Ich habe immer noch vor, Euch zu erschießen, Walsingham.«
Walsingham hebt die Hände wieder. »Wenn es zu Verwirrungen gekommen sein sollte, dann kann es nicht so vonstattengegangen sein, wie Ihr meint, Dee, denn ich habe damals gar nicht mit ihm gesprochen. Er war bereits von La Rochelle aus in See gestochen. Darum habe ich ihm über die bewährten Kanäle eine Botschaft geschickt. Er wird die Codes vernichtet haben, aber Ihr könnt ihn selbst fragen.«
»Er wird irgendwo im Golf von Biskaya sein, wie ich annehme, und Ausschau nach Männern halten, auf die er schießen kann, nach neuer Beute.«
»Nein«, entgegnet Walsingham. »Unmittelbar bevor er ausziehen wollte, um Euch aufzuspüren, wurde sein Schiff von Quesadas Flotte übel zugerichtet. Ihre Majestät hat ihm gestattet, für die Reparatur des Ruders das Trockendock in Limehouse zu benutzen. Er ist immer noch dort.«
Lange mustert Dee Walsingham mit einem ruhigen und unerschütterlichen Blick aus seinen braunen Augen, wie Walsingham zu erkennen glaubt. Tatsächlich aber spricht mehr daraus: Güte, Klugheit und Vergebung. Zu guter Letzt lässt Dee eine von seinen Pistolen sinken – eine.
»Na gut«, murmelt er. »Dann sollten wir uns am besten auf die Suche nach ihm machen, nicht wahr?«
Walsingham stimmt ihm zu. Auch er würde gerne ein Wörtchen mit van Treslong reden.