Ahmed Shalid Al-Haroun

Mittelmeer vor Kreta

E r tauchte auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht, dann zog er sich am Rande des Beckens in die Höhe und kletterte behände an Deck. »Ist das herrlich …«, murmelte er und sah über den Rand der Jacht auf den Bug, der das Wasser des Meeres teilte.

Der türkisfarbene Infinitypool ging nahtlos in das Dunkelblau des Meeres über, er hatte den Boden des Beckens mit Fliesen im Fischgrätmuster auslegen lassen – er liebte den europäischen Stil.

Sie hatten eine schnelle Fahrt drauf, der Wind ließ ihn frösteln. Er ging zu der Liege, griff nach dem schwarzen Bademantel und schlüpfte in seine Schlappen. Kreta lag im Dunst des frühen Vormittags zu ihrer Linken, hundert Kilometer zur Rechten befand sich Festland-Griechenland.

Er blickte an seiner Jacht entlang. Hundertzweiunddreißig Meter purer Luxus. Er zog eine Augenbraue hoch. Wer brauchte so etwas? Ernsthaft … Er hatte es nie gewollt, dieses schwimmende Schloss. Andererseits gehörte es eben dazu, wenn man in seinen Kreisen lebte. Es war seit zehn Jahren ein regelrechter Wettbewerb geworden, die längste Jacht zu haben. Irgendwann hatten sich die Russen geschlagen geben müssen, weil bei denen das Geld nicht mehr so sprudelte wie in den wilden Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges. Und weil der Präsident allzu mächtige Oligarchen gerne »einhegte«. Nun also die Scheichs und Emire der Golfstaaten. Immer größer, immer höher, immer teurer. Hätte man eine Jacht aus Elfenbein bauen können – irgendjemand in den Emiraten hätte sich gefunden, der selbst die bestellt hätte. Die längste Jacht derzeit lag irgendwo bei hundertneunzig Metern. Er hatte sich im guten Mittelfeld eingerichtet. Hinten hatte es sich seine Frau gemütlich gemacht, jene, die er für die Reise ausgewählt hatte. Erst vor zwölf Stunden waren sie in Alexandria gestartet. Er hatte den Suezkanal vor ein paar Jahren sattgehabt, all diese sinnlosen Tage in der Hitze. Deshalb flog er jetzt immer aus den Emiraten nach Nordägypten, wo die Megajacht lag. So dauerte es nicht mehr lang, bis er in Europa war. Diesmal hatte es besonders schnell gehen müssen. Er war wütend auf die Franzosen, weil sie das Datum des Transports einfach vorverlegt hatten, doch sie hatten es mit Sicherheitsgründen erklärt. Deshalb hatte sich alles vorgezogen, der Flug nach Ägypten, die Abfahrt des Bootes. Hoffentlich hatte die Zeit für seine Garde gereicht, um alles vorzubereiten.

Ahmed Shalid Al-Haroun, der Großneffe des Scheichs von Dubai, stieg die Treppe hinauf zur großen Brücke, auf der ein ganzes Heer von uniformierten Männern stand, sie sahen aus wie Klone, mit ihren schwarzen Schnauzbärten und den Pilotenbrillen. Aber er wusste, dass er ihnen nicht nur sein Boot anvertraute, sie konnten auch mit ganz anderen Situationen gut umgehen.

Sie senkten die Köpfe, als er eintrat, alle bis auf den Kapitän des Schiffes, der nie Anzeichen von Unterwürfigkeit zeigte. Nicht nur deshalb mochte Al-Haroun ihn am liebsten. Das Gewirr von Monitoren, Radargeräten und Knöpfen sah am Tag ganz und gar harmlos aus, nachts aber, wenn er schlaflos war, stand er manchmal stundenlang im hinteren Teil der Brücke und beobachtete das Flackern der Lichter auf den Bildschirmen und das routinierte Arbeiten der wortkargen Seeleute. Sie wussten, was sie taten – und dort, wo er herkam, war das nicht selbstverständlich.

»Captain«, sagte er leise in die Stille hinein.

»Ja, Sir?«

»Können wir kurz sprechen?«

»Natürlich.« Der Kapitän wandte sich um. »Sergio? Übernimmst du?«

»Kommen Sie.«

Al-Haroun ging voraus, und der Italiener folgte ihm. Er hatte ihn vor acht Jahren von einem Kriegsschiff der italienischen Marine abgeworben. Sie stiegen die Treppe wieder hinab, dann gingen sie durch die große Glastür ins Innere der Jacht, vorbei an der Küche, die aus Marmor und spiegelglatten Edelstahlflächen bestand, vorbei an dem riesigen Salon, den er mied, wegen all der Spiegel, den Kronleuchtern und den ausladenden Designersofas. Sein Lieblingsraum war die holzgetäfelte Bibliothek, der einzige Raum auf dem Schiff, der wirklich maritim aussah. Es gab Steuerräder aus Holz, Globen und zwei riesige Bücherwände mit alten Klassikern. Jeden Tag auf See las er einen davon. Heute hatte er Heinrich Heines Briefe aus Berlin auf Englisch gelesen.

Er ging zu der Bar und öffnete den Eisbehälter, nahm einen Tumbler und fragte: »Möchten Sie …?«

»Sehr gern.«

Er gab einen Eiswürfel hinein und füllte das Glas mit Whiskey. Für sich füllte er das geeiste Glas mit Minztee. Er nahm in seinem abgeschabten Ledersessel Platz, und auch der Kapitän ließ sich nieder.

»Sie wissen, Captain, dass das keine einfache Vergnügungsreise wird?«

»Ich war mir sicher, weil ich selten zuvor so viel besonderes Gepäck eingeladen habe wie dieses Mal. Beim letzten Mal vielleicht bei einem Kriegseinsatz am Horn von Afrika.«

»Ich vertraue Ihnen bedingungslos, Captain. Ich konnte es Ihnen dennoch nicht vorher sagen, weil ich erst sicher sein wollte, dass nichts mehr dazwischenkommt.«

»Sagen Sie es mir bitte, Scheich Al-Haroun, dann kann ich Vorkehrungen treffen.«

»Wir werden wann in Marseille eintreffen?«

»Wir laufen mit voller Kraft, wie Sie es angeordnet haben. Ich rechne mit der Ankunft in der morgigen Nacht.«

»Das passt. Hören Sie: Wir werden im Hafen von Marseille so viel Edelmetall aufnehmen, dass diese Jacht mit einem Schlag zum wertvollsten Schiff auf diesem Planeten wird.«

Er meinte, einen leichten Schatten im Gesicht des Captains zu sehen, eine Veränderung der Miene, aber die war so marginal, dass er es nicht beschwören konnte. Der Italiener blieb ruhig in seinem braunen Ledersessel sitzen.

»Sind es die Teile der Goldreserve, die Frankreich verkaufen will? Ich habe in La Repubblica darüber gelesen.«

»So ist es.«

»Und wir werden dieses Gold an Bord nehmen? Wie viel der fünfzehn Tonnen, die in dem Artikel erwähnt wurden?«

»Alles. Mit einem Mal.«

Er wusste: Es wirkte wie der neue Größenwahn eines Scheichs. Eine neue Art, so viel Geld loszuwerden wie nur möglich. So wie jener, der vor Jahren einfach den berühmtesten Fußballverein Frankreichs gekauft hatte, ohne damit in absehbarer Zeit Geld verdienen zu können. Wie jene, die an dem Jachtenwettkampf teilnahmen. Oder die, die sich mit Diamanten besetzte Ferraris bestellten. Ein Blödsinn sondergleichen. Doch auch seine Idee würden Menschen verurteilen, er wusste das. Doch er hatte keine andere Wahl. Ahmed Shalid Al-Haroun hatte in Genf und in London studiert, er dachte weiter als nur bis zum nächsten Sportwagen. Und er hatte früh begriffen, dass die Ware, die ihnen allen überwältigenden Reichtum beschert hatte, nur scheinbar endlos vorhanden war. Gerade war der Ölpreis mal wieder auf ein neues Tief gefallen, es waren sogar schon Negativpreise bezahlt worden. Weil die Amerikaner frackten, was das Zeug hielt. Doch eines nicht so fernen Tages würde es enden, das Öl. Und dann würde die ganze Blase, auf der sie ihre Emirate aufgebaut hatten, platzen. So wie sie vor hundert Jahren noch in Zelten gewohnt hatten, würden sie in hundert Jahren vielleicht wieder in Zelten im Wüstensand wohnen.

Er aber hatte keine Lust darauf. Er wollte mitspielen, im Konzert der Großen. Und das würde möglich sein, wenn er etwas besaß, das bisher noch nie seinen Wert verloren hatte – so viel Gold, dass ganze Staaten danach trachteten.

Der Captain riss ihn aus seinen Gedanken.

»Die Republik Frankreich wird doch für die Unversehrtheit der Ware garantieren, bis sie an Bord ist, nehme ich an?«

»So ist es vertraglich vereinbart«, erklärte Scheich Al-Haroun.

»Ich sollte Sie sicherlich nicht danach fragen, aber ich tue es doch: Warum habe ich dann um alles in der Welt so viele Waffen in den Bauch dieses Schiffes geladen, als wollten wir die Bank von England überfallen?«

»Es ist Marseille, Captain. Der gefährlichste Hafen Europas. Und ich glaube, es ist besser, wenn wir den Konvoi mit Ihren Leuten auf seinen letzten Kilometern etwas – nun ja, sagen wir begleiten

Die Finger des Italieners klopften zweimal auf die Lehnen des Sessels, so, als lasse er seine Nervosität an dieser einen kleinen Stelle aus seinem Körper.

»Glauben Sie, Scheich, dass dem Gold – und damit uns – eine Gefahr droht?« Er sah ihn aufmerksam an. »Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe keine Angst vor Komplikationen. Wir sind dafür da, alle Komplikationen aus dem Weg zu räumen. Allerdings muss ich es wissen, damit ich meine Männer bestmöglich vorbereiten kann.«

»Ich weiß in jeder Minute meines Lebens, warum ich Sie auf mein Schiff geholt habe, Captain«, antwortete er, »deshalb werde ich ehrlich mit Ihnen sein: Wenn es Probleme gibt, dann weiß ich, wer sie verursachen wird. Es ist eine sehr alte Geschichte, ein schwarzes Schaf sozusagen, aus unserem inneren Kreis.«

»Und Sie glauben, dieses schwarze Schaf wird uns angreifen?«

»Sagen wir so: Es ist möglich. Und es wäre eine gute Möglichkeit, eine sehr alte Rechnung zu begleichen – und die Dinge wieder in ihre natürliche Ordnung zu bringen.«