Isaakson

Banque de France, Paris, Frankreich

E r pfiff »Aux Champs-Élysées« und kam sich dabei nicht mal merkwürdig vor, als er ebenjene Straße entlangging. Sie hatten ihm ein Hotel in der Rue de Marignan gebucht, und er hatte geschlafen wie ein Stein, nun aber, als der Morgen gerade gegraut hatte und die Sonne Stück für Stück über den Pariser Dächern höher stieg, war er schon auf dem Weg, noch war es frisch, aber er liebte diese Kühle, sie erinnerte ihn an Stockholm. Und er liebte die Leere dieser Stadt, die nun wirklich kein Ort für Frühaufsteher war, selbst die riesige zehnspurige Avenue, die gestern Nacht nach seiner Ankunft ein Laufsteg gewesen war, lag nun gänzlich ruhig da, nur eine einsame Straßenkehrmaschine drehte ihre Runden, ein paar Reinigungskräfte kamen aus einem Bürogebäude und zogen lachend und schwatzend ihrer Wege.

Er hätte gar nicht zu sagen vermocht, was für eine Empfindung das war, aber er fühlte sich ganz leicht in diesem Moment, als er vorbeiging an all den teuren Boutiquen und sich dann entlang der Jardins des Champs-Élysées bewegte. Vor ihm lag die Place de la Concorde mit dem Obelisken, vielleicht würde er noch zwanzig Minuten brauchen bis zur Bank. Er freute sich regelrecht auf diesen Auftrag, der so ganz anders war als das schreckliche Zeug, das sie sonst immer zu tun bekamen. All der Terror und die Islamisten und die Vorstädte und die menschlichen Abgründe, es war kaum noch auszuhalten. Und nun, endlich, einmal eine Reise in sein geliebtes Frankreich, ohne eine echte Gefahr – ohne eine echte Bedrohung. Nur dieser Transport, Gold, so viel Gold, eine coole Aufgabe war das, und eine saubere, schnelle Sache: Rein in den Transporter, runter in den Süden, ab auf das Schiff und dann gleich wieder runter, um noch zwei Tage auf Spesen in Marseille dranzuhängen. Herrlich!

Dabei war gestern noch ein ätzender, normaler Tag am Schreibtisch gewesen: Er hatte Akten gewälzt und im Europol-Netz die Bewegungsdaten von zwei IS -Anhängern nachverfolgt, die vor drei Wochen als Flüchtlinge auf Lesbos angelandet waren. Mittlerweile steckten sie irgendwo hinter Mazedonien, und er hatte die lokalen Kollegen auf ihre Spur gesetzt. Doch am späten Nachmittag war Vasilis zu ihm an den Tisch getreten, der stille, kleine, merkwürdige Vasilis. »Schönen Gruß von Rui«, hatte er gesagt, »dein Flug geht in drei Stunden. Nach Paris.« Dann hatte er ihm wortlos eine dünne Akte gereicht. Die zwei Seiten hatten die Hotelbuchung enthalten und einen Hinweis, dass er sich zur Begleitung des Goldtransports am Morgen um acht Uhr bei der Zentrale der Nationalbank einfinden sollte.

Er überquerte die Place de la Concorde, was um diese Zeit noch kein Problem war, später am Tag wäre es unmöglich bis lebensgefährlich, und schritt durch ein Tor, das in den Tuilerien-Garten führte. Die Treppe hinunter und dann über den breiten Sandweg, links und rechts waren die gepflegten Wiesen und die Blumenrabatten. Am ersten Brunnen standen die grünen Stühle in scheinbar loser Anordnung, und doch bildeten sie ein Muster, als hätte sie ein Künstler dorthin gestellt. Er umrundete den grauen Stein des Brunnens, und da war nur das Plätschern, als hinter ihm eine altvertraute Stimme sagte: »Isaakson.«