Zara

Banque de France, Paris, Frankreich

U nd Rui weiß Bescheid, dass du hier bist?«

»Natürlich«, log sie.

Sie wusste, dass er sich nicht trauen würde, sie auszuschließen. Die Frage nach ihrem gemeinsamen Chef war das höchste der Gefühle.

»Dann – wollen wir?«

Noch immer sah sie das Zögern in seinem Blick, aber schließlich gab er sich einen Ruck und ließ sie vorgehen in Richtung des großen Sandsteinbaus, dieser Trutzburg mitten in der Stadt, einen Katzensprung entfernt vom Louvre in einer kleinen Straße gelegen, vier Etagen, vergitterte Fenster, Überwachungskameras an jeder Wand. Zwei Polizisten in voller Kampfausrüstung und mit Maschinenpistolen standen davor, das war kein Standard, erinnerte sich Zara, bestimmt liefen schon die Vorbereitungen für den Transport und damit die höchsten Sicherheitsvorkehrungen.

Sie holte ihren Dienstausweis in der Tasche und zeigte ihn dem misstrauischen Beamten auf der linken Seite des Portals.

»Zara von Hardenberg, Europol, mein Kollege Isaakson.«

»Gehen Sie rein«, sagte der Polizist.

Sie durchschritten das Tor, die goldenen Lettern Banque de France prangten an der Wand. Am Empfang stellte sie sich erneut vor und erklärte: »Wir sind mit dem Sicherheitschef verabredet.«

»Oui, Madame, Monsieur de Trappier ist auf dem Weg.«

Sie stellten sich an den Rand des Eingangs und mussten kaum eine Minute warten, dann kam ein kleiner Mann im Anzug, er trug eine runde Brille und sah erfreulicherweise weniger nach einem Sicherheitsmann aus als nach einem Professor. Seine kleinen listigen Augen sahen von unten zu ihnen herauf.

»Mir waren nur Sie angekündigt, Monsieur Isaakson. Madame?«

»Ja, das stimmt«, sagte Zara schnell, »aber wir haben uns aufgrund der Dringlichkeit der Anfrage entschieden, dem Transport eine höhere Priorität beizumessen, deshalb haben wir unsere Unterstützung aufgestockt. Ich bin Monsieur Isaaksons Partnerin, zudem habe ich in Südfrankreich einen Heimvorteil.«

»Ich nehme an, dass Monsieur Vicentes in der Zentrale in Den Haag all das bestätigen kann?«

»Natürlich, Monsieur de Trappier. Auch wenn die Zeit drängt.«

»Dafür ist immer Zeit.«

Er führte sie zu einer Sitzecke, die in einem abgeteilten Raum lag. Dann holte er sein tragbares Festnetztelefon aus der Hosentasche. Zara erkannte das Modell, das sie auch bei Europol nutzten. Abhörsicher.

Er tippte eine Nummer ein, Zara sah die Zeilen aus der Ferne, als tippe sie selbst. Monsieur de Trappier konnte sie auswendig. Sie hätte sich vorher besser mit ihm beschäftigen sollen. Er war augenscheinlich ein bemerkenswerter Mann.

»Rui«, sagte er ohne Umschweife nach wenigen Sekunden, »hier ist Casimir von der Banque de France … oui, natürlich mein Lieber, wie geht es dir im kalten Norden? … Ja, alle wohlauf. Du weißt schon, natürlich sind wir lieber im Süden bei meinen Eltern, da ist die Luft besser als hier, aber nun ja, die Arbeit … Ja, der Transport, genau, eine große Sache, hör zu, darum rufe ich an … Wir hatten ja einen Beamten bei euch angefordert … Nein, alles gut, der junge schwedische Kollege ist da, aber nun steht hier auch noch eine junge Frau, die zu euch gehört. Und da frage ich mich … Nein, lieber Rui, sicher ist alles in Ordnung, sie heißt Zara von Hardenberg …« Wieder machte er eine Pause, weil der Gesprächspartner auf der anderen Seite dazwischenredete, sie kannten sich gut, so schien es, sehr gut sogar, Zara musste gute Miene zum bösen Spiel machen – sie verfluchte sich, weil sie zu wenig Zeit gehabt hatte, um sich vorzubereiten, das war ihr noch nie passiert –, und – bei Gott – es würde ihr nie wieder passieren. Diesmal hörte de Trappier länger zu, dann sagte er viel freundlicher: »Mein Lieber, wunderbar, ja, du hast recht, es wird uns sehr helfen. Du möchtest mit ihr sprechen? Gut, ich gebe sie dir. Eine gute Zeit für dich – und bleib gesund, wir sehen uns bald wieder.«

Dann reichte er Zara mit einem wissenden Lächeln das Telefon. »Er möchte mit Ihnen sprechen.«

»Danke«, sagte sie zu de Trappier und dann in den Hörer: »Rui?«

»Es ist eine sichere Leitung«, sagte er streng, »ich habe sie eben durchmessen lassen. Sag mal, Zara, was soll das? Was machst du da?«

Sie drehte sich mit dem Körper etwas weg, sie hoffte, sowohl de Trappier als auch der Schwede würden sie nicht richtig hören können.

»Mir war langweilig in Berlin, ich habe in Den Haag angerufen, und dann haben sie mir von dem Transport erzählt – und ich bin nach Paris geflogen, um Isaakson zu helfen. Ich dachte, er könnte mich brauchen.«

»Zara, ich weiß, dass du nicht lügen kannst. Und ich betrachte das als deine größte Stärke – erst recht, seitdem ich jetzt weiß, wie schlecht du lügst. Hör mal, ich gebe dir noch eine Chance, mir die Wahrheit zu sagen, ansonsten löse ich per Fernsteuerung den Alarm für die Banque de France aus, und dann vernehme ich dich persönlich hier in Den Haag.«

»Ich will Zuffa.«

»Was heißt das?«

»Carlos Zuffa will den Transport überfallen.«

»Er will was? «

»Du hast richtig gehört.«

»Und du willst ihn stoppen?«

»Das will ich.«

»Zara, ehrlich. Wir müssen die Banque de France informieren. Die müssen den Transport absagen. Es ist zu gefährlich.«

»Nein, Rui, das geht nicht. Ein Leben hängt davon ab!«

»Zara, was heißt das denn nun schon wieder?«

»Du weißt, ich bitte dich nie um etwas. Aber ich frage dich ganz ernsthaft, Rui: Vertraust du mir?«

»Bis zu dieser Lüge eben hätte meine Antwort gelautet: uneingeschränkt.«

»Und nun?«

»… denke ich, dass du entweder sehr verzweifelt sein musst – oder auf einer gefährlichen Spur. Oder du bist schlicht verrückt geworden.«

»Das ist es nicht, Rui, das verspreche ich dir. Es ist, wie ich gesagt habe: Ein Leben hängt davon ab, dass der Transport stattfindet, mindestens ein Leben. Ich verspreche dir, wir werden Carlos Zuffa schnappen und den Transport retten. Wir sind jetzt schon dabei, ihn aufzuspüren.«

»Wer ist wir? «

»Bitte, Rui, vertrau mir.«

Sie hörte ihn am anderen Ende schwer atmen.

»Du bringst mich um den Verstand«, sagte er nach einer Weile stöhnend. »Wenn das schiefgeht, sind wir alle geliefert.«

»Ich weiß. Also drück mir die Daumen.«

»Ich werde jetzt ein sehr großes Glas Wein zum Mittag trinken – und dann für dich beten.«

»Danke, Rui.«

»Zara? Pass auf dich auf. Du bist mir wichtig.«

Dann legte er auf, und sie war gerührt. Das hatte er noch nie zu ihr gesagt.

Sie gab dem kleinen Mann im Anzug und mit der Goldbrille das Telefon zurück.

»Danke. Kommen Sie bitte.« Er war nun viel freundlicher als vorhin. Er presste seine Finger auf ein Bord an der Wand, es piepte zweimal, als sein Fingerabdruck bestätigt wurde, dann öffnete sich die Tür zum Allerheiligsten.