Carlos Zuffa

Cagnes-sur-Mer, Côte d’Azur, Frankreich

A ls er eintrat, traute er seinen Augen nicht. Da saßen sie. An dem großen Tisch im Salon des Katarers, der früher sicher für die gewaltigen Gelage im Schloss genutzt worden war. Ein ausladender Saal mit hölzernen Balken an der Decke, schweren Lüstern und dieser langen Tafel, an der sie sich gegenübersaßen.

Dieser merkwürdige Butler, den er schon am Mittag kennengelernt hatte, stand stumm in der Ecke und lauerte geradezu darauf, dass er irgendetwas abdecken oder servieren konnte. Die Tafel war mit silbernem Geschirr gedeckt, Zuffa sah tiefe Teller mit einer dampfenden Suppe darin, daneben stand eine Schüssel, aus der Salatblätter ragten und ein frischer Brotkorb mit Baguette. Beide tranken Rotwein aus dickbauchigen Gläsern, die Flasche stand in der Mitte des Tisches. Er meinte, das Etikett zu erkennen: Château Margaux. Unverkennbar.

Chiara hatte kurz zu ihm aufgesehen und sich dann wieder ihrem Teller zugewandt, er meinte, ein kurzes Lächeln gesehen zu haben, als mache sie sich über ihn lustig.

»Oh, Monsieur …«, sagte Al-Hamsi, »wollen Sie mit uns zu Abend essen? Es gibt eine Hummer-Velouté. Kommen Sie.«

Carlos Zuffa blieb stehen, unentschlossen, was er mit dieser absonderlichen Situation anfangen sollte. Er spürte, wie er sauer wurde.

»Nein, ich habe keinen Hunger. Können wir kurz reden?«

»Ich werde ungern beim dîner gestört«, begann der Katarer, aber er schien Zuffas Blick zu spüren, deshalb schob er seinen Stuhl zurück und stand auf, »aber gut, gehen wir nach nebenan.«

Sein Blick ruhte auf dem Mädchen, doch dann löste er sich, ging voran auf den Flur, hörte, wie Al-Hamsi die Tür zuzog, und wandte sich dann erst um.

»Was soll das? Sind Sie irre? Jetzt weiß sie alles …«

Der Araber legte ihm seinen Zeigefinger an die Brust, Zuffa wich zurück.

»Sie waren es, die sie hierhergebracht haben. Also ist sie mein Gast. Entführung hin oder her. Ich will mit ihr sprechen, mal sehen, was sie so zu sagen hat. Und ich gehe ohnehin davon aus, dass sie keine gute Zeugin sein wird, wenn die ganze Sache hier vorüber ist. Wenn Sie verstehen …«

Zuffa schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich habe einen Fehler gemacht, hierherzukommen. Ich werde sie nachher mitnehmen und an einem anderen Ort unterbringen.«

»Wie Sie wollen. Es war Ihre Entscheidung, nicht meine. Wie steht es mit den Vorbereitungen?«

»Ich habe die Waffen gecheckt und die anderen Utensilien. Logistisch gibt es kein Problem.«

Al-Hamsi schien aufzuhorchen. »Gibt es denn anderweitig ein Problem?«

Zuffa räusperte sich. »Ich möchte nicht mit den Kids aus der Banlieue arbeiten. Es ist mir zu heiß. Ich habe keine Lust darauf, dass mir Amateure in die Parade fahren.«

»Was heißt das?«

»Ich habe es genau durchdacht. Wenn es so ist, wie Sie es geplant haben, dann schaffe ich es allein, mit der Hilfe Ihrer größten Feindin.«

Shokran Al-Hamsi begann, auf den Holzdielen auf und ab zu laufen. Er schien tief in sich versunken zu sein, doch nach einer Weile hob er den Kopf.

»Wenn es schiefgeht, sind Sie tot. So oder so.«

»Es wird nicht schiefgehen.«

»Sie muss sterben.«

»Das wird sie.«

»Okay. Dann machen wir es so.«

»Das Mädchen muss hierbleiben. Ich muss noch etwas vorbereiten.«

»Abgemacht.«

»Ach, Monsieur Al-Hamsi?«

»Ja?«

»Sind Sie dafür verantwortlich, dass der Transport vorgezogen wurde?«

Der Katarer sah ihn wütend an.

»Ich habe keine Ahnung, was da vor sich geht. Aber wir müssen das Gold kriegen. Je früher, desto besser.«

Zuffa wandte sich ab und ging die Treppe hinunter. Eins stand für ihn fest: Wenn das hier vorbei war, wollte er nur noch zurück auf seine Karibikinsel – und diesem Land für immer den Rücken kehren.