Hôtel de Police, Marseille, Provence, Frankreich
S ie standen gemeinsam vor den Schränken mit der Ausrüstung, die sich im Keller des Polizeipräsidiums befanden. Es roch modrig hier unten, weil der Raum so selten benutzt wurde, die meisten Kollegen nahmen ihre Waffen mit nach Hause. Wer in den Keller ging, sah zu, dass es nicht so lange dauerte.
Doch der Schein der baufälligen Anlage trügte: In den metallenen Schränken gab es alles, was das Herz eines Waffennarren begehrte: Einfache Pistolen, Maschinenpistolen, Maschinengewehre, Elektroschocker, Plastikgeschosse, sogar Sprengstoff und einige Handgranaten lagerten hier, deren Herkunft aber unklar war. Dazu kugelsichere Westen in allen Größen, Helme, Ganzkörperausrüstungen, Schilde. Es war das am besten ausgestattete Lager der französischen Polizei, ohne Zweifel, vielleicht mit Ausnahme des Fundus der RAID , der Antiterroreinheit, die zwanzig Kilometer südlich von Paris in Bièvres residierte.
Und doch, auch das wusste Navarro, war das hier ein Witz gegen die Waffenstärke, die ihre Gegner hatten. Wenn man alle Knarren und alle Munition zusammenkehren würde, die in La Castellane, La Cayolle, Frais Vallon oder all den anderen heißen Banlieues versteckt wurde, dann könnte man die komplette Polizei Frankreichs ausrüsten – und die einiger kleiner Nachbarstaaten dazu. Die Clans, die Banden, die Islamisten, sie hatten alles: Schnellfeuergewehre, Handfeuerwaffen, Sprengstoff, versteckt in den Wohnungen, den Lagerhallen oder einfach in den Hosen der Späher, die überall herumstanden.
Er machte sich keine Illusionen: Sie würden nie alle Waffen zusammenkehren können, sie kamen mit ihren Truppen ja zumeist nicht mal an den Spähern vorbei.
Genau deshalb war der Auftrag des heutigen Tages ein Wahnsinn: Falls die Bosse der Vororte von dem Transport Wind bekommen hatten, dann würden sie feuern – und zwar aus allen Rohren. Dann wäre das Gold verloren.
Ihm war das Gold sogar herzlich egal – er wollte nur sein Leben nicht verlieren und keinen seiner Kollegen.
»Hier, Commissaire«, sagte der Leiter der Festnahmeeinheit, »hier haben Sie Ihre Weste. Nehmen Sie Ihre eigene Waffe?«
»Die einzige, mit der ich umgehen kann«, sagte Navarro und zog eine Augenbraue hoch.
»Ich weiß, wie Sie schießen können.«
Er wandte sich zu seinen Kollegen um, die allesamt schon ihre Westen über der Uniform trugen, den Helm mit Visier hielten sie unter den Armen.
»Auf geht’s, Kollegen. Zu den Autos.« Und dann wieder zu Navarro gewandt: »Also, wie gehen wir vor?«
Sie gingen die Treppen hinauf, die schweren Stiefel hallten in ihrem Rücken.
»Der Transport wird um sechs Uhr im Hafen erwartet. Wir übernehmen ihn an der Mautstelle von Lançon. Mit der Hälfte der Kräfte. Die andere Hälfte wartet am Hafen. Das Schiff ist vor einer halben Stunde eingetroffen.«
»Das Schiff der Abholer?«
»Genau. Unter der Flagge der Vereinigten Arabischen Emirate. Wir haben unsere Truppen in Reichweite, sichern es aber noch nicht direkt ab, damit wir niemanden nervös machen.«
Nun standen sie im Innenhof des Präsidiums, dort standen Mannschaftswagen und mehrere Zivilfahrzeuge, es war eine richtige kleine Armee, die nun synchron alle Türen öffnete und Platz in den Fahrzeugen nahm. Navarro und der Vorgesetzte der Uniformierten stiegen in die Limousine des Commissaire, der sofort den Motor anließ und die Kolonne hinaussteuerte auf die abendlich beleuchtete Straße der Altstadt, dann nach rechts und vorbei am futuristisch beleuchteten MuCEM, dem Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeeres, diesem Glaskubus mit seiner aufsehenerregenden Betonnetzkonstruktion, der in jedem Reiseführer stand und wegen dem die Preise fürs Mittagessen rund um das Polizeipräsidium gleich um einen Euro erhöht worden waren.
»Gibt es Erkenntnisse über eine Gefahrenlage?«
»Nicht offiziell.«
»Was heißt das?«
»Ich habe einfach ein beschissenes Gefühl.«
Es durfte nichts schiefgehen, nicht jetzt, wo sein Leben endlich wieder einen Sinn hatte.