Alter Hafen, Marseille, Provence, Frankreich
E r fror. Wie gerne hätte er jetzt einen Pastis zum Aufwärmen getrunken. Verdammter Wind vom Meer.
Navarro kratzte sich am Kopf und betrachtete die kleine Armee am Quai, all seine Männer und Frauen in voller Kampfmontur, die eher unschlüssig herumstanden, aufgereiht, als wollten sie wer weiß was beschützen. Die Jacht des Scheichs lag als einziges Schiff ganz nah an der Hafenmauer. Es war geplant, dass sie in dem Moment näher herantreiben sollte, wenn der Lkw um die Ecke bog. Er sah auf die Uhr. Sie waren zwei Minuten über der Zeit.
Er hasste es, von allen Informationen abgeschnitten zu sein. Zu einem bloßen Befehlsempfänger degradiert zu werden. So war es stets, wenn die Pariser Polizei und die Regierung irgendeine Rolle spielten. Dann lief alles über deren Kommunikationsstränge, über eine Funkfrequenz, zu der die örtliche Polizei keinen Zugang hatte. Es war alles Chefsache – und er konnte am Ende nur wieder die Kohlen aus dem Feuer holen. Deshalb war das Misstrauen auch derart riesig, wenn die Hauptstädter sich mal wieder in irgendetwas einmischten.
Drei Minuten.
Er wünschte sich ins Bett zu Isabel, er wünschte sich an den Frühstückstisch zu Sophie, er wünschte sich bloß weg von hier, von diesem kalten Beton und dem Wasser, das nach Schiffsdiesel roch.
Er hörte die Motoren, bevor er sie sah. Erst kam die Limousine um die Ecke geschossen, dann der VW -Bus. Kein Lkw.
»Achtung«, rief Navarro, und seine Kollegen nahmen ihre Waffen hoch. Gleichzeitig gingen Scheinwerfer auf der Jacht an, und er hörte, dass der Schiffsmotor leise zu rasseln begann.
Die Autos holperten über die Bordsteinkante und kamen auf der Freifläche zu stehen, direkt neben Navarro. Isaakson und de Trappier sprangen zeitgleich aus den Fahrzeugen.
»Sind Sie hier verantwortlich?«, fragte der Sicherheitschef.
»Commissaire Navarro, Police nationale de Marseille«, sagte Navarro nickend, dann sah er den Schweden.
»Sie …«, begann er.
»Keine Zeit für das Aufwärmen alter Feindschaften«, unterbrach ihn Isaakson, »kam der Lkw hier entlang?«
»Was soll das heißen?«, fragte Navarro und spürte, wie ihm trotz der Kälte der Schweiß ausbrach.
»Er ist weg«, sagte de Trappier, nahm seine kleine Brille ab und rieb sich die Augen, als suche er immer noch nach dem Truck. »Er wurde gestoppt, dann gab es eine Schießerei, und nun ist der Lkw verschwunden.«
»Wo?«
»Mit kurzen Worten setzte Isaakson Navarro in Kenntnis, dem vor Schreck der Mund offen stehen blieb. »Das ist eine Katastrophe«, stieß er mühsam hervor. »Und Ihre Kollegin?«
»Auf dem Weg ins Krankenhaus.«
»Ist es Madame von …«
»Ja, es ist Zara, die Sie von damals kennen.«
Navarro kannte sie besser, als der Schwede glauben mochte, dachte er. Er wusste sogar, dass sie nicht allein war. Aber das würde er niemals zugeben. Wer von beiden war hier wohl angeschossen worden?
»Warum haben Sie mich nicht früher informiert?«
»Meinen Sie, ich lasse in der Provence über Funk herumtönen, dass uns ein Lkw mit Gold im Wert von einer halben Milliarde abhandengekommen ist? Damit Ihnen die Kollegen reihenweise von der Flagge gehen?«, blaffte de Trappier.
»Ach, weil wir in Marseille ja alle viel korrupter sind als ihr in Paris?«
De Trappier antwortete nicht, vielmehr schaute er Hilfe suchend zu Isaakson.
Mittlerweile war das Boot beinahe unbemerkt an den Quai getrieben, ein Mann in Uniform und mit dunklem Bart trat über einen Steg an Land, er hatte ein Maschinengewehr an einem Riemen um den Hals, hinter ihm folgte ein Mann in einem weißen Gewand, der auf die Polizisten zuging.
»Guten Morgen, meine Herren«, sagte der Mann, der offensichtlich der Scheich war, sein Französisch war wohlklingend, der Akzent nur ganz leicht hörbar, er hatte zweifelsohne eine hohe Bildung genossen. »Darf ich fragen, wann der Ladeprozess beginnen kann? Wir hängen ein wenig in der Zeit.«
»Entschuldigen Sie, Scheich, mein Name ist Monsieur de Trappier, ich bin der Sicherheitschef der Banque de France. Ich muss Sie um Entschuldigung bitten, wir hatten auf der Anfahrt ein kleines Problem.«
Der Mann im weißen Gewand räusperte sich und trat einen Schritt zurück.
»Was heißt das, Monsieur?«
»Es gab einen Versuch, das Gold zu stehlen, und wir sind uns nicht ganz sicher, wo …«
»Sie meinen, die Lieferung ist weg?«
»Wir sind sicher, dass wir sie in den nächsten Stunden finden werden, wir bitten Sie nur …«
Doch der Scheich riss seine Hände hoch, der Kapitän trat ganz dicht neben ihn, was Navarro dazu veranlasste, sich vor den Sicherheitschef zu stellen.
»Sie sind nicht befugt, auf französischem Boden eine Waffe zu tragen, Sie müssen wieder an Bord gehen, verstanden?«, fuhr er den Kapitän an.
»Ein Hinweis, den nicht nur der Führer meiner Jacht beherzigen wird. Auch ich werde mit an Bord gehen«, sagte der Scheich laut und deutlich, »das ist doch alles unglaublich. Wir haben eine minutengenaue Verabredung, und Sie schaffen es nicht, die Sicherheit der Lieferung zu gewährleisten? Wie wollen Sie dann unsere Sicherheit gewährleisten?«
»Scheich, ich bitte Sie, beruhigen Sie sich doch, wir werden …«
»Vergessen Sie unser Geschäft, vergessen Sie es. Und schöne Grüße an den Herrn Finanzminister.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und schritt vor dem Kapitän über den Steg hinauf auf seine Jacht. Navarro betrachtete das Gesicht des verdutzten Sicherheitschefs. Er musste sich bemühen, nicht zu lächeln. Es dauerte nur eine Minute, dann wurden die Leinen gelöst, und das riesige Schiff wendete in dem engen Hafen, warf die Schrauben an und nahm Fahrt auf. Die Bugwelle schlug in leisem Klatschen gegen die Mauer.
»C’est une catastrophe«, schluchzte de Trappier, und Isaakson fügte leise hinzu: »Ich hasse diese Stadt.«