Hafen von Marseille, Frankreich
Zwei Minuten später
E r schlürfte die letzte Auster und schmeckte genüsslich dem Salzwasser und dem Jod nach, die innere Aufregung steigerte sich immer mehr. Gleich würde der Lkw um die Ecke kommen, und dann würden sie das Gold verladen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge. Er spürte die Gänsehaut auf seinen Armen, die Kühle des Windes – und obwohl es tiefe Nacht war, hatte er dieses ungewöhnliche Mahl so sehr genossen und fühlte sich wach wie niemals zuvor.
Das war besser als Kokain, besser als Champagner, besser als jede seiner Ehefrauen.
»Entschuldigung, Scheich«, sagte die Stimme hinter ihm, »darf ich Sie stören? Es ist wirklich dringend.«
Er wandte sich schnell um.
»Jetzt machen Sie mir aber Angst, Kapitän. Sie haben mir noch nie gesagt, dass etwas dringend ist.«
»Hier«, er hielt ihm ein Telefon entgegen, »es ist ein Mann, für den ich lange gearbeitet habe. Er hat ein Angebot für Sie. Und, Scheich, wenn ich das hinzufügen darf: Ich bürge für ihn. Sein Name ist …«
Als er dem Scheich den Namen ins Ohr flüsterte, wurden dessen Augen immer größer. Sofort nahm er den Hörer entgegen.
»Monsieur? Ich habe nicht erwartet, in meinem Leben je mit Ihnen zu telefonieren.«
»Ja, die Dinge kommen manchmal anders als erwartet, verehrter Scheich. So auch heute. Ich muss Ihnen sagen, dass das Gold nicht auf herkömmlichem Wege zu Ihnen kommen wird.«
»Was soll das heißen?«
»Wir waren es nicht. Es waren … nun ja, unsere ärgsten Feinde. Sie haben den Transporter überfallen. Er ist aber nunmehr in meinem Besitz.«
»Wie haben Sie das gemacht?«
»Das sollte Ihnen egal sein, Scheich. Darf ich fragen: Der Kaufpreis ist doch noch nicht bezahlt, nicht wahr?«
»Nein. Wir weisen das Geld per Blitzüberweisung an, sobald der erste Barren auf dem Schiff verladen ist.«
»Gut. Sagen Sie, wie wäre es, einen großen Teil des Goldes zu bekommen, ohne einen Cent dafür zu bezahlen?«
Ahmed Shalid Al-Haroun spürte das Rumoren in seinem Bauch und wusste nicht, ob es von den Austern kam oder von seiner Aufregung.
»Ich bin ganz Ohr.«
»Gehen Sie von Bord, Scheich. Tun Sie so, als wüssten Sie von nichts. Die müssen Ihnen gleich sagen, dass der Lkw nicht kommt und wieso. Dann müssen Sie gut schauspielern, Scheich. Machen Sie ein riesiges Fass auf, und dann sehen Sie zu, dass Sie aus dem Hafen wegkommen. Die werden es nicht wagen, Ihnen Fragen zu stellen oder gar Ihnen zu folgen, nicht nach der größten Peinlichkeit, die Frankreichs Sicherheitsbehörden in den letzten fünfzig Jahren passiert ist.«
»Und dann? Wie komme ich an mein Gold?«
»Sie fahren in Richtung Nizza. In den Hafen von Saint-Laurent-du-Var. Der Kapitän kennt den Ort. Dort wird der Transporter sein. Sie nehmen alles an Bord. Das ganze Gold. Und Sie nehmen auch den Mann an Bord, der dort auf Sie wartet. Den Fahrer des Lkw. Er steht unter meinem Schutz. Und dann fahren Sie von dannen. In Sicherheit. Dorthin, wo Sie niemand belangen kann.«
»Und dann, Monsieur?«
»Sie bekommen fünfzig Prozent von allem. Ich bekomme die anderen fünfzig Prozent. Wenn sich die Lage beruhigt hat.«
»Und Sie vertrauen mir, dass ich Ihnen die zweihundertfünfzig Millionen Euro zukommen lasse?«
»Wissen Sie, Scheich, wenn mein alter Freund, der jetzt Ihr Kapitän ist, für jemanden arbeitet, dann schenke ich diesem Mann mein Vertrauen. Also, haben wir einen Deal?«
»Es ist mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Monsieur Bolatelli.«
Gerade wollte er dem Kapitän das Handy wiedergeben, als es erneut klingelte. Eine deutsche Handynummer. Der Scheich hob ab und sagte leise: »Ja?«