Stefan von Hardenberg

Hôpital de la Timone, Marseille,
Provence, Frankreich

D as leise Piepen kam in den ruhigen, gleichmäßigen Abständen, die jeden Arzt in eine Feierabendstimmung versetzen konnten. Es war geschafft.

»Können Sie die Naht machen?« Die junge Ärztin sah ihn an, als habe sie ihn nicht richtig verstanden. »Meinen Sie das ernst?«, fragte sie.

»Ja, das meine ich. Sie kriegen das hin, besser als ich. Ich bin sehr erschöpft.«

»Natürlich«, sagte sie und lächelte ihn von unten herauf an. »Haben Sie vielen Dank.«

»Ich danke Ihnen. Sie verdankt Ihnen ihr Leben.«

Er ging noch einmal um den Tisch herum und blickte in das Gesicht der jungen Frau. Es war unglaublich. Das alles hier war unglaublich.

Er spürte die Blicke der Ärzte im Rücken, als er den Operationssaal verließ. Streifte den grünen Anzug ab, die Haube, wusch sich wieder die Hände. Lange und ausdauernd, mit geschlossenen Augen.

Dann drückte er den Knopf, um nach draußen zu kommen, die Tür öffnete sich, und er betrat den Flur, an dessen Kopfseite schon etwas Licht des frühen Morgens hereinfiel.

»Ich wusste, dass du es schaffst.«

Ihre Stimme, in seinem Rücken. Er drehte sich um, und da stand sie, als hätte sie die Wunden innerhalb von Minuten ausheilen lassen, sich von der Operationsliege aufgerappelt, sich angekleidet und sei hinausgeflogen – oder als sei er in eine Zeitmaschine geraten. Doch so war es nicht.

Sie gingen aufeinander zu, er lief schneller als sie, dann fiel er ihr in die Arme und legte seinen Kopf an ihren, sodass er ihr Flüstern hörte.

»Ich danke dir, dass du mich trotzdem umarmst und mich trotzdem liebst. Ich danke dir. Ich wusste, dass nur du es schaffen kannst«, sagte sie in langsam gesprochenen Worten. »Verzeih mir, Liebster, ich musste es tun, damit du kommst, damit du alles gibst. Verzeih mir.«

Er hielt sie fest, ganz fest, weil sie recht hatte: Er hatte so viele Fragen, aber dennoch wollte er in diesem Augenblick nur das: sie halten und sie spüren – so froh darüber, dass sie es nicht war, die in Lebensgefahr geschwebt hatte, obwohl sie es vielleicht ja doch getan hatte. Was wusste er schon? Heute merkte er so deutlich wie niemals vorher: Er wusste immer noch nichts über sie. Er wusste nur, dass er sie liebte.

»Ich habe alles gegeben, obwohl ich bereits wusste, dass du es nicht warst«, sagte er, als sie sich von ihm löste.

»Woher wusstest du es?«

»Sie hat eine Blinddarmnarbe. Am unteren Bauch. Und du weißt, wie gerne ich dich auf deinen Bauch küsse.«

»Oh ja, Liebster, das weiß ich.«

»Also, Zara, sag es mir, wer ist die Frau?«

Sie nahm seine Hände in ihre, hielt sie fest.

»Ich weiß, es ist der schlimmstmögliche Zeitpunkt. Aber ich wollte warten, bis du da rauskommst. Ich kann es dir jetzt trotzdem nicht erklären. Ich habe den wichtigsten Einsatz meines Lebens. Und er beginnt genau jetzt. Ich muss los.«

Sie wollte ihre Hände wegziehen, doch er ließ sie nicht.

»Du musst mir versprechen, dass du dich nicht in Gefahr begibst, verstanden? Noch einmal schaffe ich so etwas wie heute nicht.«

Sie nickte. »Ich verspreche es dir.«