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Der Lada fegte über den engen Fahrweg, gefolgt vom zweiten Wagen der Einheit. »Achtung, Bereitschaft! Wir nähern uns dem Einsatzraum«, blaffte Zacharias in sein Funkgerät, um auch Babeck und Ferchow zu informieren. Dann schlug er die Ledermappe auf seinen Knien zusammen und ließ sie in einem Fach der Armatur verschwinden. Seine Hand wanderte zum Türgriff.
Hollands Muskeln spannten sich.
Es dauerte nicht lange, da schälte sich vor ihnen eine Fahrzeuggruppe aus dem Dunst. Zwei Funkstreifenwagen standen um einige Meter versetzt mitten auf dem Weg. Die weiß-grünen Limousinen wirkten, als hätte man sie in aller Eile verlassen. Die Türen des vorderen Fahrzeugs waren weit geöffnet. Die beiden Blaulichter auf dem Dach liefen noch. Die ganze Szenerie hatte etwas Gespenstisches. Erst beim Näherkommen entdeckte Holland die drei Gestalten, die sich links neben den hinteren Wagen duckten. Alle trugen Polizeiuniformen. Zwei von ihnen hielten Pistolen in den Händen. Ein Stück weiter in der Ferne war ein dunkelgrüner Lkw mit Planenverdeck auszumachen, der schräg in einem Entwässerungsgraben steckte.
Silvio bremste und hielt ein Stück hinter dem letzten Streifenwagen an. Der zweite Lada mit Ferchow und Babeck stoppte ebenfalls. Holland öffnete die linke Autotür und ließ sich aus dem Wagen rutschen, wobei er darauf achtete, den Kopf immer eingezogen zu halten. Vor ihm glitt Silvio mit einer katzenhaften Bewegung aus dem Auto. Im selben Moment kam der Major gebückt um das Heck des Ladas gelaufen und kauerte sich ebenfalls hin. »Wo sind sie?«, brüllte er nach vorn in Richtung der Polizisten, die nur wenige Meter entfernt neben ihrem Streifenwagen in Deckung verharrten. Jeder wusste, dass die beiden geflohenen Soldaten gemeint waren.
»Da rübergerannt!«, rief ein etwa dreißigjähriger Blondschopf in der Uniform eines Hauptwachtmeisters. Dabei deutete er mit dem ausgestreckten Arm über den Kofferraum zu dem Feld, das sich rechts neben der Fahrzeuggruppe erstreckte.
»Alle beide?«
»Ja. Wir haben sie noch verschwinden sehen. Die sind da hinüber zu den Bäumen.«
Wie alle anderen spähte auch Holland in die Richtung, die der Uniformierte anzeigte. Vor ihnen lag eine weite, grasbewachsene Fläche. Dahinter, etwa zweihundertfünfzig Meter entfernt, zog sich parallel zu ihrem Plattenweg ein Windschutzstreifen aus Weiden und hohen Hecken entlang. Der feuchte Dunst hing schwebend zwischen den Gehölzen und ließ ihr dichtes Astgewirr zu einem undurchsichtigen Vorhang verschmelzen.
Die beiden Soldaten waren nirgends auszumachen.
»Wie ist Ihr Name?«, wandte sich Zacharias wieder an den blonden Polizisten.
»Goltz … Hauptwachtmeister Goltz.« Dem Schutzpolizisten war anzusehen, dass ihn der Anblick der Neuankömmlinge in ihren Kampfanzügen in Erstaunen versetzte, obwohl er sich bemühte, seine Verblüffung zu überspielen.
»Goltz. Gut. Wir sind die Verstärkung aus Potsdam. Wir übernehmen ab jetzt«, bestimmte der Major, ohne sich weiter mit Formalitäten aufzuhalten oder ihre Gruppe vorzustellen. »Erst mal müssen wir aber wissen, was genau hier passiert ist. Wer von Ihnen war zuerst vor Ort?«
Ein Moment verging, ohne dass jemand antwortete. Dann meinte Goltz: »Die Genossen Zabel und Dressler. Der Genosse Dressler ist verletzt und wurde schon weggebracht.«
Wieder entstand eine Pause.
»Und wer ist Zabel?«, brauste Zacharias ungeduldig auf.
»Er hier. Er ist Zabel.« Goltz deutete mit einem Kopfnicken zu einem Polizisten, der hinter ihm auf dem Boden saß, den Oberkörper gegen die Autotür gelehnt. Holland folgte dem Blick, und sein Magen krampfte sich zusammen. Der Benannte wirkte erschöpft, fast apathisch. Und auf seiner Uniformjacke befanden sich überall Blutflecken.
»Er ist nicht verletzt. Das ist das Blut von seinem Streifenführer«, beeilte sich Goltz zu erklären. »Aber der Mann ist vollkommen fertig. Die Schießerei vorhin … Wir haben noch nicht viel aus ihm herausgebracht.«
»Hmmm.« Der Major nickte. »Ich komme zu Ihnen rüber und spreche mal mit ihm.« Er sah sich zu seinem Trupp um. »Holland kommt mit mir und sichert nach vorn! Ferchow und Fröhlich, ihr lasst die Bäume da drüben nicht aus den Augen. Wenn es da eine Bewegung gibt, sofort melden! Babeck sichert nach hinten!«
»Verstanden!«, kam es aus mehreren Mündern militärisch knapp zurück.
Holland griff ins Innere ihres Ladas und zog seine Kalaschnikow aus der Halterung. Auch die anderen machten ihre Sturmgewehre bereit. Sein Freund Silvio und Hannes Ferchow angelten sich Feldstecher aus den Seitenfächern der Wagentüren und richteten die Ferngläser auf die entfernte Baumreihe. Wenn ihnen Gefahr drohte, dann vermutlich von dort. Die Waffen der Flüchtigen reichten problemlos bis hier herüber, weswegen die Männer es tunlichst unterließen, die Deckung der Autos leichtfertig zu verlassen. Auch wenn die Fahrzeuge keine absolute Sicherheit vor heranrauschenden Kugeln boten.
Jetzt jedoch musste Holland seinen Standort wechseln.
»Und los!«, befahl Zacharias.
Holland sprintete gebückt bis hinüber zu dem Funkstreifenwagen, hinter dem sich Goltz, Zabel und ein weiterer uniformierter Kollege verkrochen hatten. Drei bis vier Meter war er ungedeckt, konnte den feuchten Wind spüren, der unentwegt über die Ebene strich, dann tauchte er in den Schutz der weiß-grünen Polizeilimousine. Er passierte die drei Schutzpolizisten und bezog ganz vorn hinter der Motorhaube Position.
Holland atmete tief aus. Alles war still geblieben. Niemand hatte auf ihn geschossen. Und die Unruhe, die ihn noch während der Anfahrt durchdrungen hatte, war nun jener Zielstrebigkeit gewichen, die man ihnen in unzähligen Ausbildungsstunden eingeimpft hatte. Konzentriert ließ er seinen Blick über das vor ihm liegende Gelände schweifen. Einige Meter entfernt stand der andere Streifenwagen. Holland registrierte, dass die Frontscheibe des verwaisten Fahrzeugs in unzählige Teile zerplatzt war. Die offenen Türen standen zur Seite ab wie aufgestellte Flügel. Der rechte Vorderreifen enthielt keine Luft mehr. Auf den Betonplatten daneben waren überall Glassplitter verteilt, und eine Mischung aus Blutflecken und Schleifspuren erzählte die stumme Geschichte eines Dramas. Eines Dramas, das sich erst vor einer halben Stunde hier abgespielt hatte.
Ein paar Dutzend Meter weiter vorn steckte der verunglückte Militär-Lkw schräg im Graben. Die olivgrüne Verdeckplane hing lose von ihrem Haltegestänge und wehte im Wind hin und her wie das Segel eines gestrandeten Schiffes. Dabei schlugen die Planenschnallen immer wieder monoton scheppernd gegen das Gestänge.
Kurz nachdem Holland seinen Posten eingenommen hatte, folgte ihm Zacharias nach. Er kam mit eingezogenem Kopf herübergerannt und ging vor Zabel, dem apathisch dasitzenden Mitglied der ersten Funkwagenbesatzung, in die Knie. Zabels teigiges Gesicht war bleich und verschwitzt, und der Mann zitterte am ganzen Körper.
Der Major sah den Polizisten an. »Genosse Zabel? Ich bin Major Zacharias«, begann er mit ruhiger Stimme. »Verstehen Sie mich?«
Zabel musterte Zacharias, blieb aber stumm.
»Genosse Zabel, wir müssen uns ein Bild machen, was hier vorgefallen ist«, sprach Zacharias weiter, und er fügte seine Worte betont langsam aneinander. »Deshalb ist es wichtig, dass Sie mit mir sprechen. Sie sind ein wichtiger Zeuge, und wir brauchen Ihre Hilfe. Das ist jetzt von sehr großer Bedeutung. Erzählen Sie mir, was passiert ist!«
Wieder antwortete Zabel nicht, aber der Streifenpolizist bemühte sich sichtlich, sein Zittern zu unterdrücken.
Zacharias wandte sich an Goltz, der das Geschehen mit besorgter Miene verfolgte. »Wie heißt er? Ich meine, mit Vornamen.«
»Gerald«, antwortete Goltz.
»Gerald«, sagte Zacharias, nun wieder an den vor ihm sitzenden Zabel gerichtet. »Gerald, du bist in Sicherheit.«
»Was ist mit Harry?«, fuhr es plötzlich aus Zabel heraus, während sich seine Augen flehend in die des Majors bohrten. »Wie geht es Harry?«
»Gut«, antwortete Zacharias, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Harry geht es gut.«
Bestimmt ist Harry der Name von Zabels Streifenpartner, dachte Holland, der das Gespräch von seinem Posten aus mithörte. Der Name des Kollegen, der bei dem Schusswechsel getroffen worden war. Er wiegte unmerklich den Kopf. Zacharias konnte nicht wissen, wie es dem Verletzten ging und ob er überhaupt noch lebte.
»Harry geht es gut«, wiederholte der Major noch einmal.
»Wirklich?« Zabel richtete sich ein wenig auf, und ein flatternder Ton mischte sich in seine Stimme. »Die haben einfach geschossen …«
»Er kommt wieder in Ordnung.« Der Major deutete über seine Schulter. »Die fahren schon mit ihm in die Klinik.«
»In die Klinik«, flüsterte Zabel, und sein Körper sank wieder zurück. »Zum Glück.«
»Aber wir, wir sind noch hier. Wir müssen weitermachen, Gerald. Verstehst du? Damit wir die kriegen, die das gemacht haben. Das ist auch wichtig für Harry. Er verlässt sich darauf, dass du uns hilfst. Schaffst du das, Gerald?«
»Ja.« Zabel nickte heftig und kämpfte sichtlich gegen das Beben an, das seinen Körper erneut durchschüttelte. »Ich schaff das.«
»Erzähl mir einfach, wie das passiert ist mit Harry. Ihr habt den Lkw verfolgt. Das stimmt doch?«
»Ja. Die sind durch unsere Sperre gebrochen. Kurz hinter Liebenwalde. An der Landkreuzung. Einfach durchgefahren. Wir waren noch nicht so weit mit der Nagelkette. Wir mussten improvisieren.« Zabel holte tief Luft. »Wir sind dann gleich mit dem Wartburg hinterher. Harry und ich. Ich bin gefahren, Harry war am Funk.«
»Und hier? Was ist hier passiert?«, fragte Zacharias, hörbar bemüht, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
»Sie sind auf den Plattenweg abgebogen«, sprach Zabel weiter, und jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. »Die dachten wohl, abseits von der Hauptstraße wären sie im Vorteil mit ihren schweren Reifen. Aber sie hatten eine ziemliche Geschwindigkeit drauf. Sind plötzlich ins Schleudern gekommen und abgerutscht, in den Graben. Fünfzig Meter vor uns. Ich bin sofort auf die Bremse gestiegen. Harry hat über Funk Meldung gemacht. Ich bin raus und hinter der Tür in Deckung gegangen. Ich wollte gerade die Waffe ziehen, da hat es vorn plötzlich ein paarmal geknallt. Die Scheibe ist uns um die Ohren geflogen. Ich hab mich zu Harry umgedreht, aber der hing nur so komisch auf dem Sitz und hat mich angestarrt, als wäre ich ein Geist …« Zabels Stimme geriet ins Stocken.
»Und die beiden Soldaten?«, insistierte Zacharias. »Hast du sie gesehen? Ich meine, genauer?«
»Nicht so genau.« Zabel schüttelte den Kopf. »Ich hab ein paar Schüsse in Richtung Lkw abgegeben, aber ich glaube, niemanden getroffen. Bin gleich wieder abgetaucht. Als kein Feuer zurückkam, habe ich noch mal vorsichtig geguckt. Da sind sie über das Feld gelaufen. Die waren schon ein ganzes Stück weit weg. Müssen gleich losgerannt sein.«
»Hast du noch mal geschossen?«
»Nein. Ich wollte erst mal nachschauen, was mit Harry los ist.« Zabel fuhr sich mit den Händen über die Schläfen. »Der war voller Blut. Und dann kamen von hinten schon die anderen. Unser zweiter Wartburg.«
»Die beiden Täter … Als sie über das Feld geflohen sind, da hast du sie doch gesehen. Kannst du sie beschreiben?«
»Puhhh. Ich weiß nicht …« Zabel kniff angestrengt die Augen zusammen. Es war deutlich zu sehen, dass ihm die Kondition ausging. »Die waren beide ziemlich kräftig. Einer war sehr groß, vielleicht eins neunzig. Der andere einen Kopf kleiner. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Ihre Kleidung?«, half der Major nach.
»Russen halt. Normale Soldaten. Braungrüne Felduniformen und Stiefel.«
»Ist dir sonst noch was aufgefallen? Etwas Außergewöhnliches?«
»Der Kleine hat beim Rennen gehinkt. So, als hätte er was am Fuß. Wahrscheinlich vom Unfall.«
»Bist du dir sicher?
»Ziemlich.«
»Hatten beide noch ihre Waffe?«
»Ja. Jeder eine Kalaschnikow.«
»Wo genau in der Baumreihe sind sie verschwunden? Kannst du mir das zeigen?«
»Nein. Ich musste mich um Harry kümmern. Goltz hat ihn dann zurück zur Landstraße gefahren, da sollte ein Rettungswagen hinkommen. Und kurz danach sind auch schon Sie angerückt.«
»Gut. Das hast du prima gemacht, Gerald«, sagte Zacharias und drückte Zabel behutsam die Schulter.
»Kurze Beratung!«, rief der Major laut. »An unseren Kfz.«
Im Schutz ihrer beiden Ladas fand sich die Gruppe zusammen. Während Ferchow und Silvio die entfernte Baumreihe weiter durch ihre Ferngläser absuchten, fasste Zacharias den Stand der Dinge noch einmal für alle zusammen.
»Hannes, was Neues von den Kollegen?«, erkundigte er sich dann.
»Vorhin sind zusätzliche Kräfte vom Kreis und von der Bereitschaftspolizei eingetroffen«, antwortete Ferchow, der am Lada den örtlichen Einsatzfunk verfolgt hatte. »Es gibt jetzt Posten rechts von uns entlang der Landstraße, und Klein Merserow auf der linken Seite ist inzwischen auch komplett dicht.«
»Dann können sich die Soldaten nur in südwestlicher Richtung von hier entfernen. Hinter dem Windschutzstreifen weiter geradeaus. Dazu müssen sie aber freie Felder überqueren. Das werden sie sich dreimal überlegen.« Zacharias schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte wetten, die stecken noch da drüben im Gebüsch und warten ab.«
»Das heißt, wenn wir sie erwischen wollen, müssen wir da rüber«, stellte Holland fest.
»Richtig.«
»Sobald wir über die Wiese gehen, knallen sie uns ab wie die Hasen«, wandte Silvio ein.
»Genau so sieht es aus.« Der Major nickte.
»Vielleicht kriegen wir den GAS wieder flott.« Holland deutete auf den sowjetischen Armee-Lkw, der in einiger Entfernung schräg im Graben stand. »Der ist geländegängig und ziemlich robust. Damit kämen wir schnell und relativ geschützt über den Acker.«
»Das wäre eine Möglichkeit.« Der Major nickte erneut. »Einen Versuch ist es wert. Macht euch fertig!«
Ohne ihre Deckung aufzugeben, holten sie eine Reihe Ausrüstungsgegenstände aus den Autos. Wie die vier anderen befestigte Holland ein Paar Handfesseln und eine Tasche mit Reservemagazinen an seinem Koppel und setzte seinen grünen Schutzhelm auf. Dann schob er sein Funkgerät in die dafür vorgesehene Tasche seiner Tarnweste und testete die Verbindung. Für die Kommunikation innerhalb ihrer Gruppe nutzten sie einen eigenen, auf ihre unmittelbare Umgebung begrenzten Kanal, während sie auf einer anderen Frequenz die Einsatzleitung erreichen konnten. Somit hatten sie jederzeit Zugriff auf alle nötigen Informationen, konnten aber untereinander verdeckt sprechen.
»Bereit!«, meldete einer nach dem anderen.
Holland spannte sich. Es konnte losgehen.
»Vorrücken!«, befahl Zacharias.
Nacheinander stürmten sie in Richtung des Lastkraftwagens. Mit kurzen Handzeichen teilten sie sich auf und untersuchten den Lkw.
Holland besah sich den Führerstand genauer. »Zündschlüssel steckt«, rief er.
»Aber das hier sieht nicht gut aus!«, stieß Silvio aus, nachdem er einen Blick auf das rechte Vorderrad geworfen hatte, mit dem der Wagen in den Graben gerutscht war. Das Rad hatte sich nicht nur tief in den Schlamm gegraben, sondern klemmte auch in einem unnatürlich spitzen Winkel unter der Achse fest.
»Scheiße!«, entfuhr es Zacharias, der neben Silvio vorbeilugte. »Der ist breit. Den kriegen wir nicht mehr flott.«
»Und nun? Wie kommen wir jetzt über den Acker?«, fragte Ferchow von hinten.
»Keine Ahnung.« Silvio zuckte mit den Schultern.
»Warte mal!«, rief Holland aus, der mit seinen Augen gerade den Straßengraben absuchte. »Seht ihr das dahinten?« Ein Stück entfernt von ihrem Standort traf ein fast anderthalb Meter tiefer Kanal vom Feld her auf den Graben. »Sieht aus wie ein Abzweig.«
»Stimmt«, bestätigte Silvio. »Da geht’s rüber.«
»Das schauen wir uns an«, entschied Zacharias. »In dem Kanal haben wir Deckung. Holland, du übernimmst die Spitze.«
Sie stiegen in den Straßengraben und liefen gebückt bis zu der Abzweigung. Holland spähte vorsichtig um die Ecke.
Der Kanal, der im rechten Winkel vom Graben abging, führte tatsächlich schnurgerade bis hinüber zu dem Windschutzstreifen. Mit einer Tiefe von knapp einem Meter fünfzig bot er genügend Schutz, um die Bäume unbemerkt zu erreichen. Zum Glück führte er kein Wasser, bis auf einige dünne Rinnsale, die sein schlammiges Bett durchzogen.
»Vorwärts!«, befahl der Major.
Mit tief gebeugten Rücken bewegten sich Holland und seine vier Kollegen durch den Kanal voran, die Waffen ständig auf das Ziel ihres Weges gerichtet. Holland versuchte, das kribbelnde Gefühl, das ihn immer stärker in Besitz nahm, zu beherrschen, während er das vor ihm liegende Areal nicht aus dem Blick ließ. Was würde sie dort drüben erwarten? Waren die fliehenden Soldaten schon längst weitergezogen? Oder lagen sie in diesem Augenblick in einem Hinterhalt und lauerten auf ihre Verfolger? Die zweihundertfünfzig Meter lange Strecke mutete Holland an wie eine Ewigkeit. Doch dann, endlich, hatten sie den Gehölzstreifen erreicht und drangen durch die äußere Buschreihe. Nach wenigen Schritten stoppten sie. Während Holland seine Waffe weiter geradeaus hielt und die vor ihm liegende Kanalrinne beobachtete, die hier mit verrottendem Astwerk gefüllt war, richteten sich seine Partner vorsichtig auf und zielten mit ihren Sturmgewehren auf beiden Seiten zwischen die Sträucher und Weidenstämme.
»Links sicher«, kam es flüsternd von Silvio.
»Rechts sicher«, vermeldete Ferchow ebenso leise.
Der Schutzstreifen war dicht bewachsen, aber nicht sehr breit; etwa dreißig Meter voraus ging es schon wieder hinaus auf das nächste Feld.
Eine Weile verharrten sie unbeweglich und beobachteten weiterhin ihre Umgebung, jeder in einer anderen Richtung.
Schließlich blies der Major die Luft aus und flüsterte: »Wir müssen uns entscheiden, in welcher Richtung wir –«
»Achtung! Da ist was!«, stieß Silvio plötzlich gepresst hervor. »Ich habe eine Person!«