19
Es war, als hätte man sie mit einem Schlag in den Dschungel versetzt. Um sie herum herrschte ein grüngelblicher Schummer. Die Bäume standen dicht, und die Stämme umgebrochener Erlen bildeten wirr angeordnete Barrieren. Der Boden war bucklig und von bizarren Gewächsstauden durchzogen, die wie Gespenster aus dem Untergrund wuchsen. Rechts von ihnen zog sich ein etwa vier Meter breiter schwärzlicher Wasserarm durch das Unterholz.
Schweigend arbeitete sich der kleine Trupp durch den Wald. Das Vorankommen in dem urwüchsigen Terrain erwies sich als extrem mühselig und kräftezehrend. Trotzdem war Holland von einem ungestümen Gefühl der Euphorie erfasst, von einer Art Jagdfieber, das er nicht mehr auszublenden vermochte. Seit der Fährtenhund die Spur des Geflüchteten so prompt und zielstrebig aufgenommen hatte, schien die Glückssträhne des »Wiesels« endlich abgerissen zu sein. Holland war überzeugt: Jetzt würden sie sich den Kerl schnappen, der nun schon eine halbe Woche lang Hunderte von Polizisten und Militärs an der Nase herumführte.
Dabei war Hollands Eifer nicht nur seiner tief verinnerlichten Dienstpflicht und seinem Ehrgeiz geschuldet. Es war auch eine sorgenvolle Unrast, die ihn vorwärtstrieb. Nach dem Einsatz auf Linda Bergers Anwesen hatte er einen Anruf von Generalleutnant Herbert Möbius erhalten. Der für seinen Jähzorn gefürchtete oberste Polizeichef des Bezirkes Potsdam hatte auf unmissverständliche Weise seine Unzufriedenheit mit dem bisherigen Verlauf der Fahndung zum Ausdruck gebracht und Holland regelrecht abgekanzelt, obwohl dessen Einheit nicht die Schuld daran trug, dass Niroskin auf dem Bauernhof von Linda Berger entwischt war. Seitdem plagte Holland die Frage, ob Möbius nur den Druck nach unten weitergegeben hatte, unter dem er selbst stand, oder ob der General bereits ein Bauernopfer für den Fall eines Misserfolgs suchte. Holland wusste, dass die Sache für ihn äußerst unangenehm enden konnte, sollten sie diesmal wieder keine Resultate bringen. Und das einzig akzeptable Resultat war die Verhaftung von Alexej Niroskin.
Er schreckte auf, als der Fährtenhund plötzlich laut japste und stehen blieb. Das Tier schnüffelte intensiv am Boden, und Holland fürchtete schon, Nando hätte die Witterung verloren. Doch dann zog der Schäferhund nach links und stürmte noch forscher voran als zuvor. Ehlert hatte sichtlich Mühe, mit seinem Hund Schritt zu halten, und auch die anderen Männer schnauften vernehmlich und wischten sich in immer kürzeren Abständen den Schweiß aus den Gesichtern. Die Sommerhitze, die sich mit der feuchten Atmosphäre der Niederung zu einem schwülen Dunst vermischt hatte, machte das Atmen schwer.
Dieser Marsch entwickelt sich zu einer verdammten Tortur, fluchte Holland innerlich und schlug nach den Mücken, die seinen Kopf wie eine bösartige Wolke umtanzten. Wenigstens war der Soldat, dessen Spur sie folgten, bislang offenbar nicht auf die Idee gekommen, eines der Fließe zu durchwaten, die immer mal wieder in der Ferne durch die Bäume blitzten. In dem Fall hätten sie mit dem Fährtenhund schlechte Karten.
Nando indes zeigte keinerlei Müdigkeit. Holland hoffte, dass die Kondition des Hundes noch eine Weile anhalten würde, denn Niroskin konnte sich wer weiß wie tief in den Wald zurückgezogen haben. Möglicherweise mussten sie sich für Stunden durch diese unselige Wildnis kämpfen.
Einfach weitermarschieren.
Der Schuss fiel so unvermittelt, dass im ersten Moment niemand von ihnen nachvollziehen konnte, von wo genau er gekommen war. Ein peitschender Knall, irgendwo ein Stück vor ihnen. Im selben Moment jaulte der Fährtenhund laut auf. Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, flog er rückwärts, überschlug sich und blieb in einem Wasserpfuhl zwischen zwei wulstigen Grasstauden liegen.
Ehlert verharrte wie versteinert am Rand der Lache, das Ende der Führungsleine immer noch in der Hand. »Nando!«, rief er und starrte entgeistert auf den verrenkten Körper seines Hundes.
»Runter, verdammt!«, schrie Ferchow, der dem Hundeführer am nächsten stand, packte ihn am Kragen und riss ihn mit einer energischen Bewegung zu Boden. Gleichzeitig sprangen die anderen Männer in Deckung, schwenkten ihre Waffen in den vorausliegenden Geländeabschnitt und drückten ab. Wie trockene Schläge tackerten die Salven aus ihren Sturmgewehren durch den Wald.
»Feuer einstellen!«, befahl Holland, während er mit seinen Augen hektisch das Unterholz absuchte. Dieses elende Gestrüpp! Außer einem flimmernden Durcheinander aus Blättern und Geäst konnte er nichts erkennen.
»Jemand verletzt?«, fragte er.
»Nein«, antworteten alle kurz nacheinander.
»Der Mistkerl kann nicht sehr weit weg sein.« Holland atmete tief aus und schielte zu dem Fährtenhund, der drei Meter entfernt von seinem Herrchen regungslos in der Wasserkuhle lag. Verfluchte Scheiße! Sie hatten gerade ihren besten Trumpf verloren.
»Achtung, da vorn! Bewaffneter Soldat, siebzig Meter, leicht rechts«, rief Babeck auf einmal und riss seine Waffe in die besagte Richtung. »Stoi!«, brüllte er aus voller Kehle die russische Aufforderung, stehen zu bleiben. Aus der Ferne drang das jähe Geräusch brechender Äste herüber. »Das juckt den gar nicht!«, presste Babeck hervor und visierte neu. Drei Sekunden verstrichen, dann schnaufte er wütend. »Ich krieg ihn nicht. Zu viele Bäume. Der haut ab!«
»Hinterher!«, schrie Holland. Auch er hatte nach Babecks Ruf den sowjetischen Soldaten für einen Moment zwischen den Stämmen davonhuschen sehen, mit einer Kalaschnikow in der Hand und, so glaubte Holland gewahrt zu haben, mit einem Rucksack auf dem Rücken. Er wusste, dass sie sich jetzt kein Zögern leisten konnten. »Meinhardt, du bleibst hier bei Ehlert!«, stieß er hervor. »Die anderen – vorwärts!«
Während sie die Deckung verließen, streifte Hollands Blick die zusammengesunkene Gestalt des Hundeführers. Der Polizist hockte mit aschfahlem Gesicht am Rand der Wassermulde und zog seinen toten Hund zu sich heran. Die Szene hatte etwas zutiefst Trostloses, und Holland hätte dem Mann gern ein paar aufmunternde Worte gesagt, aber dazu blieb ihm keine Gelegenheit. Sie durften den Anschluss an den Soldaten nicht verlieren, dessen Vorsprung mit jeder Sekunde wuchs.
Hastig drängten Holland, Silvio, Ferchow und Babeck durch das Gewirr aus Bäumen und Sträuchern. In den schweißüberströmten Gesichtern der vier spiegelte sich eine verbissene Entschlossenheit. Sie waren Laska dicht auf den Fersen. Regelmäßig registrierten sie jetzt frische Stiefelabdrücke im Erdreich, und zweimal konnten sie einen kurzen Blick auf den Flüchtigen selbst erhaschen.
Unterdessen veränderte sich das Wesen des Waldes. Zwischen die Erlen mischten sich mehr und mehr Birken, deren leuchtend weiße Stämme einen entrückten Schein erzeugten, und der Boden wurde deutlich morastiger. Holland stieß eine stumme Verwünschung aus, als seine Stiefel immer öfter vom wassergetränkten Grund angesaugt wurden, gerade so, als wolle der Wald ihn mit aller Kraft festhalten.
Als sie den Stamm eines alten Baumes erreichten, der quer vor ihnen auf dem Boden lag, hielt er inne, gab den Männern ein wortloses Zeichen anzuhalten und lauschte. Sanftes Blätterrauschen erfüllte die Luft, und ab und zu drang ein entferntes Wasserblubbern an seine Ohren. Aber kein Laut deutete auf die Anwesenheit eines anderen Menschen hin.
Während sie den wuchtigen Baumstamm als Deckung nutzten, spähten sie in den Birkenwald, der sich dahinter ausbreitete. Der Bewuchs dort wirkte viel lichter als das sperrige Dickicht, das sie bisher durchquert hatten. Die Bäume bildeten einzelne Grüppchen, und ein Teil von ihnen bestand nur noch aus abgestorbenen Stümpfen, zwischen denen man weit in die Tiefe blicken konnte.
Irgendwo da drüben musste Niroskin stecken.
Konzentriert ließ Holland seine Blicke von links nach rechts streifen und dann wieder zurück. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden entdecken. »Das gibt’s doch nicht!«, zischte er und stierte noch angestrengter in das vor ihm liegende Gelände. Aber es half nichts. Der Soldat war verschwunden.
Er zuckte zusammen, als ihm Silvio unversehens auf die Schulter tippte und schräg nach vorn zwischen zwei Baumgruppen deutete. »Was ist das da? Siehst du das?«, flüsterte sein Freund. »Dort drüben. Der Buckel.«
»Ja. Jetzt sehe ich es auch«, antwortete Holland leise, als er erkannt hatte, was Silvio meinte. Etwa vierzig Meter vor ihnen lugte zwischen den Grasbüscheln ein dunkles Etwas hervor, eine olivgrüne geschlossene Form, die eindeutig nicht dorthin gehörte. Worum es sich dabei handelte, war von ihrer Position aus nicht festzustellen.
Lag da etwa jemand?
»Wir gehen dichter ran«, sagte Holland halblaut. »Aber seid auf der Hut!«
Nacheinander stiegen sie auf den Baumstamm und sprangen auf der anderen Seite wieder hinunter in das verfilzte Gras. Dann fächerten sie sich zu einer Reihe auf und gingen, hoch konzentriert und jeden Moment feuerbereit, auf die flache Erhebung zu. Je näher sie kamen, desto deutlicher hob sich die Form vom Grund ab. Sie erkannten eine Wölbung aus leinenartigem Stoff, die zunächst wie der Rücken eines Menschen anmutete. Doch schon bald war klar, dass das Objekt für einen kompletten Körper nicht groß genug war. Und nach ein paar weiteren Metern hatten sie das Geheimnis gelüftet. »Ein Rucksack«, sprach Babeck aus, was sie nun alle erkannten.
»Sieht nicht so aus, als würde der hier schon lange liegen«, meinte Ferchow. »Den hat wohl jemand in ziemlicher Eile verloren.« Er deutete auf einen durchgerissenen Trageriemen und das wilde Muster aus frischen Schlammspritzern, das den gesamten Stoff überzog.
»Der könnte von unserem Freund sein«, mutmaßte Silvio.
»Ja. Ich glaube, Niroskin hatte einen Rucksack dabei«, meinte Holland.
»Hatte er. Ich habe ihn vorhin deutlich gesehen«, bestätigte Babeck. »Lass uns mal reingucken.« Er hockte sich hin, öffnete zwei Schnallen und schlug den derben Leinendeckel zurück.
Als Erstes sprang ihnen ein kompaktes grün-weißes Kofferradio ins Auge, dessen Gehäuse verblasst und fleckig war. »Das gute alte Stern 4. So ein Ding hat mein Vater auch noch«, kommentierte Babeck den Fund und zog die Öffnung des Rucksacks noch mehr auseinander. Nacheinander kamen weitere Gegenstände ans Licht: ein zerkratzter Emailletopf, eine Blechschachtel mit Angelhaken und Schnur und eine durchsichtige Plastetüte, in der sich Streichhölzer und ein Taschenmesser befanden.
»Siehe da«, murmelte Babeck und zog von ganz unten ein braungrünes Soldatenkäppi hervor, an dessen Vorderseite ein roter Stern glänzte. Er drehte das Käppi herum und hielt es Holland entgegen. In den Saum des Innenfutters waren zwei kyrillische Buchstaben eingestickt. »Ich denke, damit ist endgültig klar, wem die Sachen gehören.«
»A und N.« Holland nickte. »Alexej Niroskin.«
Babeck besah sich die Gegenstände im Rucksack noch einmal genauer. »Die Beute aus der Angelhütte?«
»Vermutlich«, entgegnete Holland.
»Gut. Jetzt haben wir also Niroskins Gepäck.« Ferchow stellte den Kopf schräg. »Aber wo ist er selbst?«
Holland untersuchte den Boden um den Rucksack herum. Er entdeckte zahlreiche tiefe Stiefelabdrücke, und etwas weiter hinten war der Boden regelrecht aufgewühlt. Er hob den Blick und sagte: »Niroskin war die ganze Zeit direkt vor uns. Irgendetwas muss hier passiert sein, wobei er seine Sachen verloren hat. Vielleicht ist er im Matsch ins Straucheln geraten, hat sich dabei verletzt und konnte seine Habseligkeiten nicht mehr rechtzeitig aufsammeln.« Holland deutete mit dem Finger in die Birkenkolonie hinter der Fundstelle. »Ich denke, er ist einfach weitergelaufen. Genau dort drüben hinein.«
Ferchow zuckte mit den Schultern. »Dann sollten wir keine Zeit verlieren.« Entschlossen wandte er sich in die angezeigte Richtung, doch als seine Schnürstiefel immer tiefer in einem schwankenden Schlammsud versanken, wich er schnell wieder zurück. »Das gibt’s doch nicht!«, rief er aus. »Da geht’s total steil nach unten. Das ist eine verdammt heimtückische Suppe!« Er warf Holland einen erschrockenen Blick zu. »Hier beginnt ein richtiger Sumpf. Wer da reingerät, ist erledigt.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Scheiße, wisst ihr, was das heißt? Der Russe ist uns abgesoffen!«
»Quatsch, erzähl keinen Unsinn! Der ist ja nicht blöde. Der wäre doch nicht sehenden Auges in sein Unglück marschiert«, blaffte Holland, aber es fiel ihm schwer, überzeugend zu klingen.
»Weiß ich nicht«, gab Babeck zu bedenken. »Niroskin war in Panik. In so einer Situation überlegst du nicht lange.«
»Schaut mal nach links. Dort drüben.« Silvio wies auf eine ebene erdfarbene Bahn, die sich wie ein Pfad durch die Gewächsstauden schlängelte. »Da sieht es etwas fester aus. Vielleicht ist er da entlang. Lasst uns das mal probieren.«
»Sicher?« Ferchow angelte sich ein verrottetes Aststück vom Boden und warf es auf die beschriebene Stelle. Gerade dort, wo der Grund am unbedenklichsten erschienen war, schwappte nun eine dunkelbraune Brühe zwischen den Grasbüscheln hin und her, und aus der Tiefe drang ein unheilvolles Glucksen nach oben. »Also wenn ihr mich fragt – ich würde es lieber nicht versuchen.«
»Verdammt, Leute! Das ist doch alles nicht wahr«, presste Holland hervor. In seinem Kopf vermengte sich ein starkes Gefühl der Frustration mit der aufkeimenden Furcht vor den Konsequenzen dessen, was auch er inzwischen insgeheim befürchtete.
Der Russe ist uns abgesoffen.
»Nein. Niroskin ist nicht untergegangen. Nicht so schnell«, sagte er fast trotzig und schüttelte den Kopf. »Außerdem hätte er garantiert geschrien. Um sich geschlagen. Irgendwelchen Radau gemacht. Das hätten wir gehört. So leicht verschwindet niemand im Moor.«
Es entstand ein Moment beklommenen Schweigens. Die anderen wechselten unauffällige Blicke.
»Wenn er verunglückt ist, dann tragen wir jedenfalls nicht die Schuld dafür«, unterbrach Babeck schließlich die Stille. »Der Mann hätte sich jederzeit ergeben können.«
»Wer weiß, vielleicht hat er es ja doch irgendwie durch den Sumpf geschafft«, setzte Silvio schnell hinzu. »Und wenn er nun geschwommen ist?«
»Geschwommen? Durch diesen Modder?« Ferchow winkte ab.
»Lasst es gut sein! Spekulationen bringen uns jetzt nicht voran«, antwortete Holland etwas barscher als beabsichtigt. »Wir gehen jedenfalls nicht weiter. Für uns ist hier Schluss.«
Auf den Gesichtern der Polizisten spiegelte sich eine gedrückte Stimmung wider. Während die anderen auf die vor ihnen liegende Sumpffläche schauten, ging Ferchow vor dem Rucksack in die Hocke und griff nach dem Kofferradio. »Die Kurzwellentaste ist gedrückt«, stellte er fest und drehte den Einschaltknopf des Empfangsgeräts herum. Zunächst war nur ein leises Rauschen zu vernehmen, aber als er die Stabantenne ein Stück aus dem Gehäuse zog, drangen mit einem Mal russische Wortfetzen aus dem vergilbten Lautsprechergrill, und wenig später ertönte der süßliche Klang eines sowjetischen Schlagers. »Grüße aus der Heimat«, grummelte Ferchow und hob den Kopf. »Ein bisschen sentimental, unser Freund.«
Holland sah sich unbehaglich um. In dieser Umgebung erschien ihm die Musik auf eine merkwürdige Weise verstörend. »Mach das aus!«, verlangte er. Ferchow zuckte mit den Schultern und drehte den Schaltknopf in die Ausgangsposition zurück. Das Radio verstummte.
Holland fuhr sich mit den Fingern über die Schläfen. Dann straffte er den Rücken und sagte: »Es ist Zeit, dass ich die Leitung über den Stand der Dinge informiere. Ihr behaltet den Sumpf im Auge. Nur für den Fall.«
»Verstanden«, kam es gedämpft aus mehreren Mündern.
Entschlossen drehte sich Holland um und lief zurück zu dem Baumstamm, über den sie gestiegen waren, als sie den Rucksack entdeckt hatten. Dort würde er sich hinsetzen und die Nachricht an seine Vorgesetzten verschlüsseln, bevor er die Kunde ihres Scheiterns dann per Funk an die Leitstelle durchgab. Auch wenn diese Tätigkeit wenig Angenehmes versprach, konnte er es doch kaum erwarten, ein paar Minuten für sich allein zu haben. Er brauchte dringend Ruhe, um seine Wunden zu lecken. Du hast versagt, flüsterte ihm seine innere Stimme immer wieder zu. Du hattest eine Riesenchance, und du hast sie nicht genutzt. Holland schnaufte vernehmlich. Das Bittere war, dass die Stimme recht hatte. Da half kein Beschönigen. Auch wenn eine Verfolgung in diesem Gelände ohne jeden Zweifel schwierig war – sie hatten den Flüchtigen verloren, und das war das Einzige, was am Ende zählte.
Der umgestürzte Baum mit seiner schorfigen und durchfeuchteten Rinde bot auf den ersten Blick keinen wirklich einladenden Sitzplatz, aber Holland entdeckte trotzdem einen Abschnitt, der halbwegs trocken aussah, und ließ sich darauf nieder. Gedankenverloren langte er in die linke Tasche seiner Einsatzkombi und tastete nach dem kleinen Kunstlederetui, in dem er die aktuellen Chiffrierungstabellen und einen Bleistiftstummel aufbewahrte. Gerade als er das Mäppchen zu fassen bekam, signalisierte ihm sein Unterbewusstsein, dass etwas nicht stimmte. Aber sein Geist benötigte einen Moment länger, um zu erfassen, was ihn alarmiert hatte: die ungewöhnlich weiche Masse, gegen die er gerade mit seinem Hacken gestoßen war, und die schwarze Spitze eines Stiefels, die fast gleichzeitig im Gras unter seinem Sitzplatz zurückzuckte. So reagierte er genau um diesen Moment zu spät. Als er aufsprang und herumwirbelte, war der Mann in der braungrünen Felduniform schon aus seinem Versteck hervorgeschnellt und auf die Beine gekommen. Und der Lauf seiner Kalaschnikow zielte Holland genau zwischen die Augen.