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Es war kalt auf dem Dachboden. Trotzdem brach Beate der Schweiß aus. Sie stand starr und steif da, bis aufs Äußerste angespannt – mit der Taschenlampe in den Händen.

Ihr war bewusst, wie unzulänglich ihre »Waffe« war. Sie würde einmal kurz zuschlagen und dann flüchten. War das ein guter Plan oder eher eine idiotische Idee? Was, wenn sie nicht richtig traf?

Sie wusste nicht, mit wem sie es zu tun hatte. Wenn der Dieb Geld oder das bisschen Schmuck, das sie besaß, gestohlen hätte, wäre ihr das beinahe egal gewesen. Aber ihr das Persönlichste zu nehmen, lebendige Wesen zu stehlen, war schon eine andere Hausnummer. Vielleicht sollte sie doch nicht weglaufen. Sondern diesem Wer-auch-immer-das-war einen ordentlichen Hieb verpassen, ihn überwältigen und ihn dann zur Rede stellen.

Die Gestalt kam langsam weiter auf sie zu. Im nächsten Moment blendete sie ein greller Strahl. Beate wich ein Stück zurück. Ihr fiel nichts Besseres ein, als ihre Taschenlampe ebenfalls einzuschalten.

Im ersten Moment sah sie nur das Licht, aber dann … glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen.

»Verdammt noch mal, Steffen!«, schrie sie. »Das ist nun wirklich total unprofessionell!«

»Beate?«, fragte er. »Ich dachte, du bist … na ja, der Einbrecher.«

»Und ich dachte das Gleiche von dir!« Fast kamen ihr die Tränen. »Wieso bist du hier? Du wolltest doch nicht kommen?«

»Ich hab’s mir eben anders überlegt«, antwortete er zerknirscht. »Es klang ja doch irgendwie so, als wärest du womöglich …« Er holte tief Luft. » … tatsächlich in Gefahr.«

»Aber warum bist du auf meinem Dachboden?«

Er zuckte mit den Schultern. »In deiner Wohnung warst du ja nicht. Und ich dachte …«

Beate fing plötzlich an zu schluchzen. »Ich habe immer noch keine Ahnung, mit wem wir es zu tun haben! Es ist alles so … so verrückt!«

Steffen kam zu ihr und nahm sie in den Arm. »Schon gut«, sagte er. »Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken.«

»Verstehe«, sagte sie, obwohl sie immer noch verwirrt war. Sie wollte von ihm abrücken, stattdessen schmiegte sie sich an ihn.

»Hey, was ist jetzt los?«, fragte er verlegen.

»Ich weiß nicht. Kannst du vielleicht hierbleiben?«, hörte sie sich selbst. Sagte sie das wirklich? »Ich kann gerade nicht … nicht allein sein«, stammelte sie.

Er zögerte eine lange Sekunde. Dann küsste er sie auf den Mund. Es war nur ein kurzer Kuss, nichts, was sich nach Verlangen anfühlte. »Gehen wir in deine Wohnung, oder willst du auf dem Dachboden bleiben?«

»In meine Wohnung?«, fragte sie verwundert, als wäre das völlig abwegig.

»Ich könnte in dem Meerschwein-Zimmer nach Spuren suchen.« Er lachte. »Oder auch …« Er zuckte mit den Achseln. »Anderswo?« Er klang unschuldig, als machte er nur eine harmlose Bemerkung, aber sie hörte den Unterton deutlich.

»Okay«, sagte sie einfach. »Gehen wir zu mir.«

Wie eine Seiltänzerin bewegte sie sich die Treppe hinunter – vorsichtig, als würde sie auf schwankendem Untergrund balancieren.

Steffen warf die Tür zu und nahm sie gleich in die Arme. »Du«, sagte er. »Bea. Darf ich Bea zu dir sagen?« Es klang ein wenig albern.

Sie lächelte nur. Ihr schwirrte der Kopf. Sie machte sich von ihm los, und sie gingen in das Zimmer, in dem ihr Bett stand. Sie zog die Gardinen zu. Sie war sich nicht sicher, ob sie nicht beobachtet wurden.

Sie kehrte in seine Arme zurück, in seinen Geruch, in seine Wärme. Sie küssten sich. Wieder nannte er sie Bea. Es kam ihr seltsam vor, dass er ihren Namen auf diese Weise in den Mund nahm. Dass er ihr einen Kosenamen gab und ihn wiederholte, als wäre er etwas Wertvolles. Als wäre er etwas anderes als nur ein Name. Sie ließ seine Zunge zwischen ihre Lippen stoßen. Sie tastete nach seinen Wangen, ihre Hände berührten seine Haut, die ihr weich und trocken vorkam, beinahe sandig. Sie dachte an den Ostseestrand, von der Abendsonne beschienen. Die Wärme sammelte sich unter ihren Fingern.

Sie sagten ein paar Augenblicke kein Wort. Steffen begann, sie auszuziehen. Er zog sich das Hemd vom Leib. Die Art, wie er ihr den BH aufhakte, erschien ihr routiniert. Einen Moment kam ihr in den Sinn, dass er vielleicht verheiratet war. Was wusste sie denn von ihm? Sie trat einen Schritt zurück.

»Es geht zu schnell, was?« Seine Stimme klang heiser. »Entschuldige. Wollen wir erst etwas trinken? Hast du Wein da oder Bier?«

Sie verschränkte die Arme vor den Brüsten. »Ich weiß nicht«, sagte sie verwirrt. Sollte sie so mit ihm trinken, so halb nackt? Sie fror plötzlich.

»Du weißt nicht?« Er schien es lustig zu finden. »Was weißt du nicht?« Er wusste wohl auch nicht so genau, was er sagte.

»Ich geh nachschauen.« Sie lief in die Küche, holte eine Flasche Rotwein aus dem Schrank, zwei Gläser. Irgendwie mechanisch kehrte sie zu ihm zurück.

Steffen lächelte, öffnete die Weinflasche, rasch, mit Kraft. Sie konnte sehen, wie sein Muskel anschwoll. Sie stellte die Gläser bereit.

Während er einschenkte, ging sie zu ihm, umarmte ihn von hinten, berührte seine Brust, seinen Bauch. Fuhr mit dem Finger über die Grenze zwischen Haut und Gürtel. Er drehte seinen Kopf zu ihr. Der Wein floss über den Rand des Glases. Sie küsste seinen Hals. Ihre Zunge drängte gegen seine warme Ostseesandhaut. Sie wusste, was sie wollte. Sie wollte, dass er das mit ihr machte, was er jetzt tat.