Kapitel 7

Michaela

»Komm, wir gehen tanzen.«

Ich war völlig in Gedanken vertieft und stocherte noch immer in meinem kaum angerührten Essen herum, als Shania plötzlich nach meiner Hand griff und mich aus dem Stuhl zog. Ich wollte protestieren, denn ich war absolut nicht in der Stimmung für Tanzen, aber ein Blick in ihr Gesicht ließ mich verstummen. Sie sah so glücklich aus, mit geröteten Wangen und strahlenden Augen, dass sich automatisch auch auf meinen Lippen ein Lächeln bildete. Außerdem waren sie und ihre Freundinnen so nett zu mir gewesen. Ich hatte vermutet, sie würden mich nur mit zum Stylisten nehmen, um mich auszuquetschen, ob ich es auch wirklich ernst mit Marc meinte. Aber sie hatten kein Wort über unsere Beziehung verloren, sondern mich behandelt, als würde ich schon immer dazugehören. Sie hatten meinen Vormittag zu etwas Besonderem gemacht, weshalb ich Shania ihren Wunsch nicht abschlagen konnte.

Ich ließ mich von ihr auf die Tanzfläche ziehen, wo deutlich mehr los war als vorhin, als ich mein Essen geholt hatte. Auch das Licht war dunkler und die Musik lauter, was ich gar nicht mitbekommen hatte. Wie viel Zeit war vergangen? Es kam mir nur wie wenige Minuten vor, musste aber deutlich länger gewesen sein.

Ich schüttelte diese Gedanken ab, als wir bei Shanias Brautjungfern ankamen. Sie alle hüpften zum Takt der Musik, wild und ausgelassen, wie es sich für eine Hochzeit gehörte. Ihre hohen Pumps hatten sie mittlerweile gegen Ballerinas getauscht, was das Hüpfen durchaus erleichterte. Gerade lief It’s My Life von Bon Jovi, und wir brüllten uns gegenseitig den Refrain entgegen. Wir hielten uns an den Händen, tanzten extra schräg und drehten uns im Kreis, bis uns schwindelig wurde. Ich ließ mich von der guten Laune anstecken, und es dauerte nicht lange, bis mir die Wangen vom Lachen schmerzten. Es tat gut, einfach mal ausgelassen zu sein und sich keine Sorgen zu machen.

Nach vier schnellen Liedern kam eine Ballade. Ehe ich mich versah, lag Shania in Bens Armen, und auch die anderen Mädels verschwanden zu ihren Freunden. Plötzlich fühlte ich mich fehl am Platz, alleine auf der Tanzfläche unter lauter glücklichen Paaren. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, was es hieß, sich in einer Menschenmenge einsam zu fühlen, und ich fragte mich, ob ich wohl jemals diese eine Person finden würde, die die Einsamkeit aus meinem Herzen vertreiben konnte.

Ich drehte mich um, um zu meinem Platz zurückzugehen, als jemand nach meiner Hand griff. Es war Marc, das spürte ich sofort an dem Kribbeln, das durch meinen Arm raste, und mein Herz setzte für einen Schlag aus.

Langsam drehte ich mich zu ihm um und wurde direkt in seine Arme gezogen. Marcs Hände legte sich auf meinen Rücken, und wie von selbst schlang ich meine um seinen Nacken. Er zog mich so eng an sich, dass ich sein wild pochendes Herz, das mit meinem um die Wette zu schlagen schien, an meiner Brust spüren konnte. Warum raste seins genauso schnell wie meins, wenn er doch gar nichts für mich empfand? Diese unterschiedlichen Signale, die er aussendete, würden mich noch mal um den Verstand bringen.

Doch daran wollte ich aktuell nicht denken. Ich wollte diesen Tanz genießen. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter, atmete tief seinen Duft ein und hieß die Schmetterlinge willkommen, die meinen Bauch bevölkert hatten. Marcs Hände streichelten sanft über meinen Rücken, und als sie meine nackte Haut berührten, lief ein wohliger Schauer durch meinen Körper.

Ich schloss meine Augen und gab mich ganz der Musik hin. Die anderen Paare um uns herum nahm ich gar nicht mehr wahr, als würden nur noch wir beide und dieses Lied existieren.

Leider war es viel zu bald vorbei, und danach folgte ein schneller Popsong. Widerwillig löste ich mich von Marc, er dankte mir mit einem Lächeln für den Tanz und drückte mir einen Kuss auf den Handrücken. Mit Bedauern sah ich ihm hinterher, wie er zum Tisch zurückging. Warum hatte der DJ nicht noch ein weiteres langsames Lied spielen können? Oder auch zwei oder drei?

Jemand hakte sich bei mir unter, und als ich nach rechts blickte, entdeckte ich Shania, die ihren Cousin verträumt ansah. »Ihr seid so ein schönes Paar.«

Sie hatte ja keine Ahnung, und nur mit Mühe konnte ich ein Augenrollen verhindern.

»Du kannst dir übrigens was auf diesen Tanz einbilden, Marc tanzt sonst nie«, sagte sie und ließ mich stehen.

Ich öffnete meinen Mund, um ihr zu widersprechen, denn ich war mit Marc bereits auf unzähligen Partys gewesen. Doch als ich an sie dachte, fiel mir auf, dass ich ihn tatsächlich noch nie hatte tanzen sehen. Ich hatte immer mit Jaxon getanzt, immerhin hatten wir im Entzug den Salsakurs zusammen belegt. Doch nie mit Marc. Er hatte immer an der Bar gesessen oder mit unseren Freunden zusammengestanden, war aber nie auf der Tanzfläche gewesen. Auch mit anderen Frauen nicht, was mich beim bloßen Gedanken schon mit Eifersucht erfüllte, also hätte ich mich daran auf jeden Fall erinnert.

Ich wusste noch immer nicht, was das alles bedeutete, trotzdem war ich beschwingt, als ich mich umdrehte und weiter mit den Mädels tanzte.

Es war nach zwei Uhr, als ich mit Marc, seiner Mom und Décio mit dem Taxi zurück zum Haus seiner Tante fuhr. Es war eine schöne Feier gewesen, aber ich war völlig fertig. Die Füße taten mir weh, weil ich normalerweise keine Pumps trug, und obwohl ich es gewohnt war, auch mal länger wach zu bleiben, hatte der lange Tag mich ausgelaugt. Marc schien es ähnlich zu gehen, ihm fielen auf der Rückfahrt bereits die Augen zu.

In unserem Zimmer kickte ich zuallererst meine Schuhe von den Füßen. Es war eine Wohltat, von den hohen Hacken befreit zu sein. Im Augenwinkel sah ich, wie Marc seine Krawatte löste, sie achtlos zu Boden warf und den obersten Knopf seines Hemdes öffnete. Ein Stück seiner bronzefarbenen Brust kam zum Vorschein, und ich wünschte mir so sehr, mehr davon zu sehen. Gleichzeitig wusste ich, dass es besser wäre, nicht noch mehr in Versuchung zu geraten, weshalb ich mich abwandte.

»Michaela«, sagte Marc mit rauer Stimme. Ich schmiss meine Jacke auf einen Stuhl und drehte mich langsam zu ihm um. Er stand einfach da, ohne etwas zu sagen, und ließ seinen Blick langsam über meinen Körper gleiten. Es fühlte sich wie eine Liebkosung an, ein Versprechen auf mehr, und die feinen Härchen an meinen Armen richteten sich auf.

Meine Beine setzten sich in Bewegung und brachten mich zu ihm. Ich griff nach seiner Hand, verflocht unsere Finger miteinander und legte die andere an seinen Hals. Mit dem Daumen fuhr ich über sein Kinn, wobei mich die kurzen Stoppeln seiner Barthaare kitzelten.

Marc strich meine Haare über die Schulter und küsste mich hinters Ohr. Ich biss mir auf die Unterlippe, um keinen Ton von mir zu geben, denn das war meine sensible Stelle, das wusste er ganz genau. Er leckte mit der Zunge darüber und blies kalte Luft dazu, was meine Knie weich werden ließ.

»Was wird das?«, fragte ich etwas atemlos.

»Ich will dich.«

Ich hätte ihn fragen sollen, warum oder für wie lange, oder ihn am besten gleich von mir stoßen sollen, aber in diesem Augenblick saugte er sanft an meinem Hals und machte Denken oder Sprechen unmöglich. Ich bestand nur noch aus Gefühlen, die in meinem Inneren explodierten und alles andere überschatteten. Das war es, was ich in den letzten Wochen schmerzlich vermisst hatte. Nicht nur Marcs Nähe, sondern vor allem das, was er in mir auslöste. Ich hatte meine Gefühle für ihn zu unterdrücken versucht, und obwohl ich trotzdem gelitten hatte, musste es mir wenigstens zum Teil gelungen sein. Denn jetzt, wo sie einmal freigelegt waren, durchfluteten die Emotionen meinen Körper, drangen in jede Zelle vor und schienen darin zu vibrieren. Ich fühlte mich wie ein Blinder, der nach langer Dunkelheit endlich wieder sehen konnte.

Marcs Küsse hinterließen eine heiße Spur auf meiner Schulter, aber es war nicht mehr genug. An meiner Hand, die noch immer mit seiner verflochten war, zog ich ihn zum Bett. »Zeig mir, wie sehr du mich willst.«

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er drehte mich mit dem Rücken zu ihm und öffnete den Reißverschluss meines Kleides, ehe er die Träger von meinen Schultern schob. Das Kleid landete zu meinen Füßen, und nur in Unterwäsche drehte ich mich zu ihm um.

Sofort umfasste er mein Gesicht und überfiel mich mit einem Kuss. Ich hatte einen stürmischen Kuss erwartet, aber er war unfassbar sanft. Beinahe andächtig presste er seine Lippen auf meine, saugte an meiner Unterlippe und fuhr die Konturen mit seiner Zunge nach. Ein erleichtertes Seufzen, das tief aus meiner Seele zu stammen schien, verließ mich, als ich meine Lippen öffnete und ihn willkommen hieß.

Marc schob seine Hände in meine Haare und vertiefte unseren Kuss, während er mich langsam rückwärts lotste. Als ich mit den Waden gegen das Bett stieß, ließ ich mich auf die Matratze fallen und zog ihn auf mich. Marc stützte sich auf den Ellbogen ab und seine Nase schwebte nur Millimeter über meiner. Die Luft zwischen uns schien zu flirren, und sein süßer Atem streifte mein Gesicht.

Marc sah mich an, wie er es nie zuvor getan hatte. Normalerweise war er immer kontrolliert und ließ sich nicht von seinen Gefühlen leiten, sodass es schwer war, ihn einzuschätzen. Doch jetzt gerade kam es mir vor, als hätte er seine Barrieren abgelegt und gäbe ungehindert den Blick auf sein Innerstes frei. Bewunderung lag in seinen Augen, aber auch Zuneigung und etwas anderes, Tieferes, das ich nicht zu benennen vermochte.

Sämtliche Nerven in mir waren zum Zerreißen gespannt. Ich wollte, dass er endlich weiter ging, als mich bloß zu küssen. Ich wollte ihn überall spüren und mich ihm hingeben. Gleichzeitig wollte ich diesen Moment zwischen uns auch nicht zerstören.

»Du hast mich heute um den Verstand gebracht, weißt du das?«, murmelte Marc.

»Tatsächlich?« Er hatte gar nicht den Anschein erweckt.

»Du hast umwerfend in deinem Kleid ausgesehen, ich konnte kaum den Blick von dir abwenden.«

»Hast du deswegen mit mir getanzt? Shania meinte, dass du das normalerweise nie machst.«

Marc lachte, ein tiefer, sexy Laut, der durch meinen ganzen Körper vibrierte. »Shania hat nur halb recht. Ich tanze selten, habe das aber schon mal gemacht.«

Interessiert horchte ich auf. »Also gab es mal jemanden, mit dem du getanzt hast?«

Marc beugte sich näher zu mir und strich mit seiner Nasenspitze über meine. »Die gab es mal, aber das ist schon lange her, und sie hat keine Bedeutung mehr.« Dann küsste er mich, und sämtliche Gedanken flogen aus meinem Kopf. Nur noch seine Lippen zählten, die sich im Einklang mit meinen bewegten und ein Feuerwerk der Gefühle in mir entfachten.

Fast schon andächtig strichen Marcs Hände über meinen Körper. Er ließ keine Stelle aus und bedachte alle Zonen mit einer intensiven Aufmerksamkeit, die mich besonders erregten. Er kannte mich mittlerweile so gut, dass er jede einzelne auf Anhieb fand. Im Bett hatten wir schon immer gut funktioniert, doch heute war etwas anders.

Er war zärtlicher und ließ sich mehr Zeit als gewöhnlich. Seine Küsse ließen mich atemlos zurück, und seine Finger brachten mich um den Verstand. Mehrere Male brachte er mich an den Rand des Orgasmus, ehe er kurz von mir abließ, bis ich mich etwas abgekühlt hatte. Dabei bedachte er mich mit diesem intensiven Blick, der mein Blut zum Kochen brachte.

Meine Hände krallten sich an seinen Schultern fest, und ich gab mich ihm völlig hin. Mein Herz raste bereits und eine Schweißperle rann über meine Schläfe, aber es war nicht genug. Ich bog Marc meinen Körper entgegen, um mehr von seinen Liebkosungen zu spüren.

Mit der Zunge umkreiste er meine Brustwarze, bis mein Nippel sich erregt aufrichtete. Dann knabberte er sanft daran, bis ich vor Verlangen kaum noch klar denken konnte. Seine Hand schickte er dabei an meinem Körper auf Wanderschaft. Sie fuhr an meiner Seite hinab, massierte meinen Po und streichelte über meine Beine. Als sie schließlich den Punkt erreichten, an der ich sie am meisten spüren wollte, war ich bereits feucht. Marc küsste mich hingebungsvoll, während er seinen Finger um meine empfindlichste Stelle kreisen ließ. Nicht schnell, wie er es sonst immer getan hatte, sondern langsam und nur auf mein Vergnügen bedacht.

Bisher hatte Sex bei uns aus einem kurzen Vorspiel und dem Akt an sich bestanden. Dabei war Marc zwar immer zärtlich und darauf bedacht gewesen, dass auch ich meinen Spaß hatte, aber das? Es fühlte sich wie Gottesverehrung an und erweckte Emotionen in mir, an denen ich zu ertrinken drohte.

Als Marc endlich in mich eindrang, konnte ich vor Verlangen kaum noch klar denken. Marc hatte mich so oft an den Rand der Erlösung gebracht und dann aufgehört, dass ich am ganzen Körper zitterte und ein leichter Schweißfilm meine Haut bedeckte. Es dauerte nicht lange, bis wir gemeinsam den Höhepunkt erreichten und danach schwer atmend im Bett lagen.

Marc rollte sich neben mich, um mich mit seinem Gewicht nicht zu erdrücken, und legte einen Arm über seine Augen. »Was du mit mir anstellst«, brachte er keuchend hervor.

Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich ihn nur gedämpft verstehen konnte. »Du meinst wohl, was du mit mir anstellst«, berichtigte ich ihn.

Marc hob seinen Arm ein wenig, bis er mich aus einem Auge ansehen konnte. Sein Blick durchfuhr mich wie ein Blitzschlag und versetzte mein gerade zur Ruhe gekommenes Herz wieder in einen schnellen Trab. »Nein, ich habe das genauso gemeint, wie ich es sagte«, raunte er mir zu.

Anstelle einer Antwort zog ich ihn in meine Arme und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Sein frischer, erdiger Duft hüllte mich ein und beruhigte meine aufgewühlten Emotionen.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, lag ich nicht mehr in Marcs Armen. Er war von mir abgewandt, und sein Rücken war wenige Zentimeter von meinen Fingern entfernt. Ich wollte ihn berühren, mit den Fingerspitzen sanft über seine Haut gleiten, aber ich traute mich nicht. Zu groß war die Angst vor einer erneuten Abweisung, denn was heute Nacht passiert war, zählte jetzt sicher nicht mehr. Dass Marc sich bereits im Schlaf von mir abgewandt hatte, war ein eindeutiges Zeichen dafür.

Ein schwindendes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, und ich zog meine Hand an meine Brust, die sich plötzlich kalt anfühlte. Einsamkeit breitete sich in mir aus, obwohl mir Marc so nah war, dass ich die Wärme spüren konnte, die sein Körper verströmte. Aber auch sie konnte mein erkaltetes Herz nicht auftauen.

»Du bist schon lange wach, oder?«, murmelte Marc und riss mich aus meinen Gedanken. Er drehte sich zu mir um und sah mich schläfrig aus nur halb geöffneten Augen an. Sein Blick war sanft, aber ich konnte darin auch die Mauern sehen, die er erneut um sich errichtet hatte.

»Hmpf.« Ich schluckte meine Enttäuschung runter und verdrehte gespielt die Augen. »Was hat mich verraten?«

Sein rechter Mundwinkel zog sich zu einem Lächeln hoch. »Dein verändertes Atmen.«

»Verdammt, ich muss wohl noch an meinen Spionagefähigkeiten arbeiten, was?«

»Sieht ganz so aus. Hast du gut geschlafen?«

»Wie ein Baby. Und du?«

»Ich auch, aber wir sollten uns so langsam mal fertig machen. Ich möchte auf dem Highway sein, bevor der angekündigte Schneesturm losgeht.« Marc rollte sich aus dem Bett, ohne mich anzusehen, und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sollte es das jetzt schon gewesen sein? Letzte Nacht war er noch einfühlsam und zärtlich gewesen, und jetzt ging er zum Tagesgeschäft über? Hatte er seine Gefühle einfach so abgeschaltet? Oder war er nur deswegen so liebevoll zu mir gewesen, um mich rumzukriegen? Ein sinkendes Gefühl breitete sich in mir aus, und ich legte die Arme schützend um mich, während Marc bereits seine Sachen aus seiner Tasche kramte.

»Klar, du bist der Fahrer«, sagte ich möglichst neutral, auch wenn es mich innerlich zerriss. Mit wachsender Verzweiflung beobachtete ich Marc dabei, wie er mit den Sachen unter dem Arm in Richtung Badezimmer verschwand. Alles in mir schrie danach, ihn aufzuhalten und eine Erklärung für seinen erneuten Sinneswandel zu verlangen, aber ich gab keinen Mucks von mir, als sich die Tür hinter ihm schloss.

Warum machte er das? Wie konnte er letzte Nacht so einfühlsam gewesen sein und jetzt so tun, als wäre nichts gewesen? Ich hatte wirklich gedacht, es hätte sich etwas zwischen uns verändert. Marc war anders gewesen, als sei es nicht nur Sex für ihn gewesen, sondern hätte ihm wirklich etwas bedeutet. Nie zuvor hatte ich diese Hingabe von ihm gespürt, aber es schien, als hätte ich es mir bloß eingebildet. Vielleicht hatte ich mir einfach zu sehr gewünscht, dass er seine Meinung über uns änderte, dass ich Dinge sah, die gar nicht da waren. Ich wusste es nicht, und dank Marcs ständigem Hin und Her konnte ich meine eigene Wahrnehmungsfähigkeit überhaupt nicht mehr einschätzen.

Ich ging nach Marc duschen, und als ich das Bad wieder verließ, war er bereits nach unten gegangen. Er hatte sogar das Bett gemacht, sodass nichts mehr daraufhindeutete, was zwischen uns geschehen war. Nur noch mein Kleid lag auf dem Boden, wo Marc es mir gestern ausgezogen hatte, und schien mich mit seiner Anwesenheit verhöhnen zu wollen. Schnell stopfte ich es zu meinen anderen Klamotten in die Tasche und zog den Reißverschluss zu, um es nicht mehr sehen zu müssen. Ob ich dieses Kleid jemals wieder tragen könnte, ohne an Marc und diesen Abend erinnert zu werden?

Ich schulterte meine Tasche und ging nach unten ins Wohnzimmer, wo Marc, seine Mom, Décio und Rosita bereits zusammensaßen. Eine dampfende Tasse Kaffee stand für mich bereit, und ich machte mich mit Hingabe darüber her.

Nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns direkt. Marcs Mom zog mich in eine Umarmung und sagte mir, ich solle sie doch mal mit Marc besuchen kommen. Ich nickte, auch wenn ich mir sicher war, dass es nie geschehen würde, und bedankte mich bei allen für die Gastfreundschaft.

Kaum hatten wir New York und die Stadt Elizabeth hinter uns gelassen, begann es auch schon wie verrückt zu schneien. Ich erinnerte mich daran, dass für heute ein Schneesturm angekündigt gewesen war, aber irgendwie hatte ich diesen völlig ausgeblendet. Es segelten so viele dicke Flocken vom Himmel, dass man die Straße kaum noch erkennen konnte. Marc drosselte die Geschwindigkeit des Wagens auf unter 30 Meilen pro Stunde, obwohl wir bereits auf dem Highway waren, aber selbst dabei war es nahezu unmöglich, die Fahrbahn auszumachen.

Innerhalb von zehn Minuten hatte sich eine rutschige Schneedecke auf der Fahrbahn ausgebreitet. Kaum noch ein Auto fuhr schneller als 20 und die Lastwagen schlitterten bereits bedrohlich hin und her. Marc begann zu fluchen, was ich von ihm gar nicht gewöhnt war, und wich auf die ganz linke Spur aus, um überhaupt noch voranzukommen. Aber es brachte nichts. Kurz vor Edison ging gar nichts mehr. Einige Lastwagen waren liegen geblieben, weil sie einen Hügel nicht mehr erklimmen konnten, andere standen quer über drei Spuren verteilt. Die komplette Fahrbahn war blockiert und wir kamen weder vor noch zurück.

Es war ätzend, keine Frage, aber auch nicht zu ändern. Marc wurde allerdings immer angespannter, je länger wir in der Vollsperrung standen. Er fluchte und schimpfte lautstark. Über das Wetter, die Unfähigkeit der Räumdienste, die Straße wieder befahrbar zu machen, und irgendwann über sein Pech im Allgemeinen. Ich hatte ihn noch nie so erlebt und wusste auch überhaupt nicht, woher seine Wut kam. Natürlich wäre ich auch lieber zu Hause auf meiner Couch, anstatt den halben Nachmittag auf einer zugeschneiten Autobahn zu verbringen, aber so schlimm war es jetzt auch nicht. Marc führte sich auf, als hätte man ihn um die Chance seines Lebens gebracht, und ich verstand es einfach nicht. Er ließ sich auch gar nicht mehr beruhigen oder mit sich reden, sodass ich am Ende einfach nur froh war, als er mich am frühen Abend zu Hause absetzte.