Es gibt Dinge, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie jemandem erzählen würde, und wenn ich sie hier doch niederschreibe, so nur, um die voranstehende Geschichte, die vielleicht eine Biografie ersetzen kann, wahrhaftiger zu machen. Jeder muss damit umgehen, wie er es am besten vermag, aber ich habe die Krankheitsberichte selbst von geschätzten Kollegen meistens nur beklemmend gefunden. Da ist einer ein wirklich großer Schauspieler, da gehört er jahre- oder sogar jahrzehntelang zum Ensemble eines der renommiertesten Häuser, da hat er ein Dutzend Rollen in geliebten Filmen gespielt, und auf einmal vertraut er sich der Boulevardpresse an, oder er hat viel zu lange schon ein Verhältnis mit ihr gepflegt, so dass sie so tun kann, als hätte er sich ihr anvertraut und dürfte jetzt hineingepackt zwischen Werbung für Staubsauger, Billigfleisch, Intimwäsche und vielleicht sogar Dildos oder irgendwelchen Stöpseln für den Hintern mit einem Foto, das ihn tatterig und mit schütterem Haar zeigt, vor aller Welt seinen gerade diagnostizierten Krebs, den erlittenen Schlaganfall oder Herzinfarkt beklagen. Dann wird ihm bescheinigt, dass er ein Titan auf seinem Gebiet sei, ein Kämpfer und selbstverständlich auf dem Weg der Besserung, und wenn seine Prominenz dafür ausreicht, bekommt er später noch einen oder zwei kleine Berichte, manchmal schon ein bisschen ungeduldig, dass er überhaupt noch am Leben ist, und irgendwann stirbt er und bleibt bis dahin nur mehr der Fall, zu dem er sich selbst gemacht hat. Manche schreiben ein ganzes Buch darüber, und nicht, dass das nicht jedem unbenommen sei, wenn es ihm hilft, nicht, dass die Verlage damit nicht vielleicht sogar Kasse machen, wie man so sagt, aber es ist doch fast immer ein Trauerspiel, und man würde den Leuten am liebsten noch im nachhinein raten, es seinzulassen und nicht den Fehler zu begehen, das Sterben oder gar den Tod zum wichtigsten Teil ihres Lebens zu machen, nur weil sie sonst nichts erlebt haben.
Ich muss vorausschicken, mit welchem Unbehagen es mich erfüllt, wenn ich erzählen will, dass ich seit über zweieinhalb Jahren alle drei Monate zu einer Ärztin ging und niemandem etwas davon verriet, nicht einmal Luzie. Die Termine hatte ich mir mit rotem Stift im Kalender eingetragen und sie dann, weil mir das zu alarmistisch erschien, grün überschrieben. Sie hatte ihre Praxis in einer Altbauwohnung am Ostrand der Stadt, und ich legte Wert darauf, mich wie für ein Rendezvous zu kleiden, wenn ich zu ihr musste, will sagen, wie für ein regelrechtes Stelldichein in einer Zeit vor meiner Geburt, Anzug, Krawatte, Manschettenknöpfe, geradeso, als könnte ich dem Tod damit ein Schnippchen schlagen, und natürlich auch ihr. Ich war schon davor jährlich einmal zu ihr oder einer ihrer Kolleginnen gegangen, und der Befund war stets der gleiche gewesen: »Dass Ihre Zahl immer schlechter wird, muss ich Ihnen nicht sagen, aber angesichts Ihrer Zahl sind die Werte gut«, bis das eines Tages nicht mehr galt. Als Zahl bezeichnete sie mein Alter, und die Werte waren die Werte, aber sie schlugen plötzlich nach oben aus und mussten fortan in kürzerem Abstand überprüft werden.
Die Nachricht oder eigentlich auch nur die Erinnerung daran, dass ich sterben würde, hätte mir niemand besser überbringen können als sie. Denn noch während die Ärztin sagte, es sei etwas mit den Werten, sah sie mich auf eine Weise an, dass mir sofort klar war, sie hatte alle nur möglichen Reaktionen, die es darauf gab, schon hundertmal gesehen, und ich musste mich erst gar nicht bemühen, mit einer unmöglichen originell zu sein. Dass etwas nicht stimmen konnte, war mir schon klar gewesen, weil sie diesmal die Untersuchungsergebnisse nicht am Telefon durchgeben wollte, sondern mich bat, noch einmal in die Praxis zu kommen. Ungläubigkeit, Tränen in den Augen, ein Zusammenbruch, Flucht ins Sentimentale, Wut, aber Wut auf wen, trotzige Stärke, und selbst wenn das eine bloß gespielt wäre, um das andere zu überdecken, es würde ihr ohne Zweifel nicht entgehen.
»Machen Sie nicht so ein Gesicht«, sagte sie, als ich nichts erwiderte, und ich wusste nur, dass ich ein Gesicht gemacht hatte, aber ich wusste nicht, welches. »Es könnte Sie viel schlimmer treffen.«
Dann kam der Spruch, von dem ich mich seither fragte, ob sie ihn nur zu mir gesagt hatte oder ob sie auf ihre etwas ruppige Art alle damit aufzuheitern versuchte, denen sie die Mitteilung machen musste, dass eine andere Uhr in Gang gesetzt worden war.
»Sie könnten eine um dreißig Jahre jüngere Geliebte haben. Das wäre eine Katastrophe, von der Sie sich wirklich nicht mehr erholen würden. Sie würde Sie früher ins Grab bringen als jede Krankheit.«
Damit erhob sie sich hinter ihrem Schreibtisch und nahm mich genauer in den Blick, ein Blick, vor dem ich unter keinen Umständen bestehen konnte.
»Sie brauchen nicht zu lachen«, sagte sie, obwohl ich gar nicht gelacht hatte. »So etwas gibt es alle Tage. Wenn ich die Orang-Utans mit ihren Püppchen nur sehe, könnte ich im Strahl kotzen. Sie haben keine Ahnung, wie sehr mir das zuwider ist. Ich könnte zur Mörderin werden. Manchmal muss ich nur ihre Nasenspitzen anschauen, um ihre Werte zu kennen, aber dann ist es doch jedesmal die gleiche Erfahrung, dass sich selbst die Todgeweihten für unsterblich halten.«
Sie sah mich an, als hätte ich ihr widersprochen.
»Glauben Sie mir etwa nicht? Kahlköpfige Kerle mit Sackärschen und Bäuchen, die ihnen bis zu den Knien hängen. Denken Sie, das stört die?«
Ich konnte gar nicht anders, als meinen Bauch einzuziehen und schuldbewusst an mir hinunterzuschielen, während sie sich in Rage redete.
»Ich meine nicht Sie«, sagte sie und schien erst jetzt mein lichtes Haar wahrzunehmen. »Oder bin ich da in ein Fettnäpfchen getreten?«
Einen Moment wurde ihr Blick eisig und starr.
»Natürlich nicht. Sie sind ein feiner Herr! Sie sind alte Schule! Sie haben so etwas nicht nötig! Entschuldigen Sie.«
Den Nachnamen hatte sie von ihrem Mann, Frau Dr. Maier, und so, wie sie sich weiter erregte, gab es vielleicht eine Geschichte dahinter. Sie kam aus Novi Sad und hatte ihren Akzent fast verloren, pflegte die Relikte aber und vertauschte gern absichtlich ein paar Wörter in einem Satz: »Bin gar keine Russin, stamm’ aus der Vojvodina, echt deutsch, wo die Frauen sind am schönsten.« Wie immer ganz in Weiß, weiße Jeans, weißes Polohemd, weiße Segelschuhe, hatte sie ihr Haar im Nacken zusammengebunden, blondes Haar, nicht gefärbt, und ihr Alter kam mir unbestimmbarer denn je vor. Konnte man auf diese zähe Art ausgemergelt und muskulös zugleich sein, wie sie es war? Sie spielte Tennis und war eine starke Raucherin, auf ihrem Schreibtisch, und das war ungewöhnlich für die Zeit, stand manchmal ein Aschenbecher mit ausgedrückten Kippen, den sie wegzuräumen vergessen hatte und eher geschäftsmäßig als verschämt in einer Schublade verschwinden ließ, und dem Gesicht nach, mit den tiefen Furchen um Nase und Kinn, hätte man ihr auch ein paar Jahre harte Drogen zugetraut. Sie hatte ein Haus am Gardasee, wo sie fast jeden Freitag hinfuhr, und ich stellte mir zwanghaft vor, dass dort ein Liebhaber auf sie wartete, der mit ihr umging wie mit einem Mädchen vor dem ersten Mal und sie als einziger bei ihrem Vornamen nennen und Adriana zu ihr sagen durfte, was allein schon ein Glück für ihn sein musste. Ich hatte sie einmal in einer meiner Aufführungen gesehen, in einem eng geschnittenen Hosenanzug, in einer der vorderen Reihen, und seither hatte ich das Gefühl, ich wüsste etwas von ihr, das nichts mit der Ärztin in der Praxis zu tun hatte, und empfand eine um so größere Zärtlichkeit für sie, je wuchtiger sie sich ausdrückte. Sie hatte sich auch sonst immer eine halbe Stunde zum Plaudern genommen, und als sie jetzt noch einmal von den Werten sprach, war jedes Wort halb schon von der Schwere befreit.
»Sie können ganz gelassen bleiben«, sagte sie. »Wir unternehmen zunächst einmal nichts. Am besten warten wir und beobachten, wie sich alles entwickelt, bevor wir Sie aufschneiden. Schließlich sind die Werte auch nur Zahlen und können sich wieder ändern.«
Ich hatte noch keine Silbe gesagt, aber ich hatte sofort an Stephen gedacht und daran, wie er bei meinem letzten Aufenthalt in Montana seinen Wallach erschossen hatte. Der Tierarzt hatte entschieden, es sei allmählich an der Zeit, ihn abzutun, aber statt ihn einschläfern zu lassen, hatte mein Freund ihn auf die Weide hinausgeführt und mit einem Schuss aus seiner Winchester niedergestreckt. Die Frage, ob das legal war, hatte sich ihm nicht gestellt, es war ein Dienst, den er für Clouds tun musste, sonst nichts. Ich war mit ihm gekommen, ein paar Schritte zurückgeblieben und hatte beobachtet, wie zwei gegenläufige Bewegungen durch den Körper des Pferdes gegangen waren und wie es einen Augenblick so ausgesehen hatte, als würde es sich ein allerletztes Mal aufbäumen oder als würde es nach links und rechts gleichzeitig ausbrechen, während es schon in den Knien einknickte, und seither wusste ich, wie ich sterben wollte. Es war ein windiger Tag gewesen, mit schnell wechselnden Wolken am Himmel und wild über die Graslandschaft fliegenden Schatten, und während ich mich daran erinnerte, wie Stephen sich neben den Kopf des Tieres gekniet hatte, versuchte ich in Worte zu fassen, was mich jetzt bewegte.
»Muss ich mir eine Pistole besorgen?« sagte ich schließlich. »Ich will nicht wie ein Mensch sterben, ich will wie ein Tier …«
Dann schaffte ich gerade noch einen Satz, der es nicht besser machte und von dem ich selbst gar nicht gewusst hatte, dass er in mir steckte und offenbar bei erster Gelegenheit heraus musste.
»Ich will ungetröstet sterben.«
Die Korrektur flüsterte ich nur mehr.
»Untröstlich, Frau Doktor!«
»Ach, kommen Sie!« sagte sie. »Seien Sie nicht so förmlich. ›Frau Doktor!‹ Sie tun ja so, als hätten Sie Angst, mir zu nahe zu treten.«
Sie gab sich ein wenig angeekelt.
»Wenn Sie sich nur einen Augenblick selbst zuhörten! Sie sind mir ein Pathetiker. Als würde Sie jemand danach fragen, ob Sie getröstet oder ungetröstet sterben wollen. Sie wissen ganz genau, dass Sie alles von mir haben können, nur nicht mein Mitleid. Außerdem kann es nicht so schlecht um Sie stehen, wenn Sie sich darüber Gedanken machen.«
Jetzt schüttelte sie den Kopf.
»Und eine Pistole?« sagte sie dann. »Was wollen Sie mit einer Pistole? Damit hinterlassen Sie doch nur eine Riesensauerei. Es gibt andere Wege.«
Seither war eine neue Vertrautheit zwischen uns, und ich hatte sie längst gefragt, wie sie es machen würde, und sie hatte mir geantwortet, und ich kannte jetzt einen Weg, der keine Riesensauerei war, und meine Gänge zu der Ärztin waren unbelastet, ja, ich freute mich darauf. Die Termine waren immer um elf Uhr am Vormittag, und ich hatte Zeit zu bummeln, bevor ich auf das Haus mit dem einschüchternden, zu beiden Seiten von Säulenfiguren flankierten Treppenaufgang zuging und die Praxis betrat, in der es vielleicht ein paar Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge zuviel an den Wänden gab, aber eine angenehm wattierte Ruhe herrschte. Im Empfangsraum hätte auch ein etwas esoterisch angehauchtes Reisebüro beginnen können, und im Wartezimmer saß immer ein Leidgeplagter, der mir zunickte, als würde er, je nachdem, Hoffnung daraus schöpfen, dass es um mich schlimmer oder ähnlich schlimm oder weniger schlimm stand als um ihn, es müsse ihn nur jemand darüber informieren. Ich gab meinen Urin und mein Blut ab und legte mich im Behandlungsraum auf die Pritsche, zerrte mein Hemd hoch, meine Hose hinunter und sah zu, wie die Ärztin mit dem Ultraschallkopf über meine Bauchdecke fuhr und auf dem Computer die Bilder betrachtete. Danach bat sie mich, mich zur Seite zu drehen, die Knie anzuziehen, zwängte und schob mir zuerst den behandschuhten und eingegelten Finger und dann die Sonde in den Anus, und ob es stimmte oder nicht, ich hatte den Eindruck, wir führten in dieser Situation alle drei Monate genau das gleiche Gespräch. Ich hatte ihr von meinen langen Fahrten im amerikanischen Westen vorgeschwärmt, und sie fand jedesmal einen Weg, darauf zurückzukommen, und wenn ihr kein anderer Übergang einfiel, sagte sie einfach: »Erzählen Sie mir von der Prärie«, und sie hätte genausogut eine Therapeutin oder eine Domina sein können, und vielleicht war das ja auch der Sinn der Übung.
Ich fragte mich dann immer, ob sie etwas in ihrem Computer stehen hatte, ob neben meinem Namen ein Vermerk war, der sie von Mal zu Mal darauf aufmerksam machte, wie neben anderen Namen vielleicht stand: »Schwadroniert gern von seiner Kindheit«, »Erinnert sich am liebsten an seine Jahre als Baggerfahrer«, »Keine Fragen stellen, verbissener Schweiger«, und es war mir peinlich, mit so einfachen Mitteln durchschaut zu sein, ich erzählte aber trotzdem. Sie saß dann auf ihrem Hocker neben der Pritsche, reichte mir ein Stück Papier zum Abwischen des Gels und beugte sich schon wieder über die Tastatur, hackte mit spitzen Zeigefingern auf sie ein. Dabei blickte ich auf ihren Rücken, unsicher, ob sie mir richtig zuhörte, und wenn ich mich später zu erinnern versuchte, was ich gesagt hatte, zerfiel das Gesagte in der Erinnerung, und übrig blieb nur ein Dialog, den ich so nie mit ihr geführt haben konnte, der aber in meiner Phantasie immer mehr Platz einnahm.
»Soll ich Ihnen erzählen, wie der Himmel dort ist?«
Die Ärztin nickte.
»Soll ich Ihnen das Licht beschreiben?«
Wieder nickte sie nur, und ich sagte, es sei ein Licht, in dem alles kräftiger und vergänglicher zugleich erscheine, ein dickes, sämiges Licht, das einen umhülle und am Abend Schatten werfe bis in die Unendlichkeit.
»Stellen Sie sich vor, Sie kommen auf eine Anhöhe und sehen am Horizont weit unter sich blau schimmernd die Berge«, sagte ich. »Sie fahren darauf zu, und die längste Zeit scheint sich nichts an der Perspektive zu ändern.«
»Sie meinen, oben ist unten, und unten ist oben?«
»Ja« sagte ich. »Es kann den Anschein erwecken. Soll ich Ihnen vom Wind erzählen, der das Gras in langen Wellen bewegt? Sie müssen ihn sich warm vorstellen, ein unaufhörliches Wehen.«
»Das heißt, Sie reden vom Sommer?«
»Nein«, sagte ich. »Es muss Herbst sein, nicht mehr früh, Ende Oktober, Anfang November. Sie müssen das Auto irgendwo auf offener Strecke stehenlassen, ein Stück in die Landschaft hineingehen und sich dort auf den Boden legen. Dann streicht der Wind über Sie hinweg, und Sie spüren die Wärme.«
»Sagen Sie mir, wo?«
»Es gibt in Minnesota eine Stelle …«
»In Minnesota?«
»Ja«, sagte ich. »Es gibt dort eine Stelle, nicht weit von der Grenze zu North Dakota, wo ich einmal spät im Jahr viele Stunden lang so im Gras gelegen bin. Drei Tage danach war sie unter dem ersten Schnee begraben, mindestens einen halben Meter. Ich bin eigens noch einmal hingefahren und habe nur mehr ungefähr sagen können, wo es gewesen sein muss.«
Meine Vorstellungen waren eindeutig, und was auch immer ich ihr sonst sagte, sie erklärten sich von allein. Zum Abschied schüttelte sie mir die Hand, und wenn das Wort einmal richtig verwendet war, dann bei ihr, denn sie schüttelte wirklich, ein kräftiges Auf und Ab, und sah mir dabei in die Augen. Manchmal blieb ich draußen eine Weile auf der Treppe stehen, und jedesmal flammte kurz der Wunsch in mir auf, zu ihr zurückzugehen und sie um eine Zigarette zu bitten, aber ich tat es kein einziges Mal. Ich hatte mich immer über die Wahrnehmung von Schriftstellern gewundert, die ihren Blick einfach nach außen richteten, wenn ihnen gar nichts mehr einfiel, die Kamera auf Weitwinkel stellten und ihrer inneren Leere mit einer Beschreibungswut begegneten, die mir stets beliebig erschienen war, aber an allen Tagen, an denen ich meine Termine hatte, kurz vor Mittag, auf den Stufen vor der Praxis von Frau Dr. Maier, war ich auf genau diesen Modus zurückgeworfen, und ich hätte endlos aufzählen können, was vor meinen Augen geschah. Bei den paar Hörbüchern, die ich eingelesen hatte, hatte ich diese Stellen immer mit routinierter Gelangweiltheit abgetan, aber jetzt erschienen mir die Dinge so wenig selbstverständlich, dass es schon eine aufregende Aussage war, ihre Existenz zu behaupten oder ihnen Namen zu geben, wie für ein Kind, das sich erst in der Welt zu bewegen lernt.
Solange Luzie noch in der Schule gewesen war, hatte ich gewartet, bis ihr Unterricht zu Ende war, aber seither brauchte ich nicht mehr zu warten und rief sie direkt an. Ich fragte sie, wie es ihr ging, und sie wollte jedesmal wissen, warum ich mich bei ihr meldete, und meine Antwort war stets: »Einfach so«, oder dass ich Sehnsucht gehabt hätte, sie zu hören. Danach erkundigte sie sich, wo ich sei und was ich mit dem Tag noch vorhätte, und ich wusste es nicht, konnte das aber vor ihr nicht eingestehen und erfand etwas, und das war dann das, was ich vorhatte. Ich sagte, dass ich noch auf einen Sprung im Theater vorbeischauen oder dass ich einen Freund treffen würde, und obwohl ich ohne sie gar nicht auf die Idee gekommen wäre, das zu tun, tat ich es, weil ich es zu ihr gesagt hatte und weil ich ihr Vater war und vorausgehen musste, und wusste so wieder, wie man einen Fuß vor den anderen setzt.