13.
Als Rowan ins Hotel zurückkehrte, wurde er von Fiona bereits erwartet. Sie kam auf ihn zugeeilt, soweit es ihre High Heels zuließen. Ihre gertenschlanke Figur wurde durch das dunkelblaue Kleid mit dem Schalkragen, das wie eine zweite Haut saß, betont.
»Wichtige Neuigkeiten, Mylord«, verkündete sie lächelnd.
Aber Rowan stand nicht der Sinn nach Neuigkeiten. Er war in Gedanken noch ganz bei Col und seinen Werken. Das Schicksal seines alten Freundes lag ihm sehr am Herzen. Er mochte und bewunderte ihn, und seine Freundschaft bedeutete ihm viel. Col hörte ihm zu, wenn ihn etwas bewegte, stand ihm mit Rat und Tat zur Seite. Doch dass er ihm auf Morham Manor keinen Besuch abstatten wollte, verletzte Rowan. Weshalb weigerte er sich, sein Hotel zu betreten?
Jedes Mal, wenn Rowan im Gespräch die Vergangenheit anschnitt, verfinsterte sich der Blick des Freundes. Er wurde barsch und zog sich immer mehr in sich zurück. Das war ihm heute besonders schmerzlich bewusst geworden, als er die lebensbejahenden Werke seiner Anfangszeit entdeckt hatte. Der Kontrast zu den zwar mitreißenden, aber zornigen Werken der Gegenwart, die von der Schwere des Seins erzählten, konnte größer nicht sein. Er musste wirklich herausfinden, was Col seit Langem quälte – so etwas waren sich Freunde einander schuldig, fand er.
»Später«, antwortete er Fiona und hob die Hand, bevor er zu seinem Büro eilte.
»Mylord, bitte warten Sie. Es wäre wichtig, bevor …« Fiona war außer Atem, denn sie hatte Mühe, auf ihren hohen Absätzen mit ihm mitzuhalten. Rowan wollte nur eines: die Bürotür hinter sich zu- und alle Welt ausschließen. Er riss die Bürotür auf und erstarrte in der Bewegung. Inzwischen hatte Fiona ihn eingeholt.
»Warum haben Sie mich nicht erinnert, dass Besuch auf mich wartet?«, raunte er ihr verärgert zu. Nur schwach dämmerte ihm, dass er vor längerer Zeit eine E-Mail erhalten hatte, die offenbar im Trubel der Hauptsaison untergegangen war.
»Das wollte ich Ihnen doch gerade mitteilen, Mylord«, verteidigte sie sich.
Rowan ärgerte sich, seiner Hotelmanagerin kein Gehör geschenkt zu haben.
In seinem Büro saßen zwei Schweizer Kommissionsmitglieder der Tourismusbranche, die sein Hotel einer Prüfung hinsichtlich der Aufnahme in die Liste exklusiver Unterkünfte unterziehen wollten. Wenn ihm das gelänge, könnte Morham Manor zu einem der gefragtesten Hotels in Europa avancieren. Nicht auszudenken, wenn er diese Chance verpatzen würde. Dem professionellen Rowan gelang es sofort, sich auf das Geschäftsgespräch zu konzentrieren und alle anderen Gedanken beiseitezuschieben.
»Guten Tag, meine Herren, ich hoffe, Sie warten nicht allzu lange auf mich. Ich freue mich sehr, Sie auf Morham Manor begrüßen zu dürfen.«
Er reichte den beiden Männern in den Nadelstreifenanzügen die Hand. Sie antworteten ihm in gebrochenem Englisch. Das kann ja heiter werden! Um einen Dolmetscher zu rufen, war es leider viel zu spät. Dabei waren diese Verhandlungen enorm wichtig für die Zukunft seines Hotels. Rowan hätte sich für das Versäumnis ohrfeigen können.
Fiona folgte ihm und schloss hinter sich die Tür. Seine Hotelmanagerin sprach ein wenig Deutsch. Aber ob es für detaillierte Verhandlungen reichte, bezweifelte er.
Leider gestaltete sich die Kommunikation sehr anstrengend, denn Rowan sprach kein Wort Deutsch, und seine Gesprächspartner nur wenig Englisch. Fiona verstand recht gut, was die beiden Herren sagten, aber beim Formulieren der Antworten tat sie sich schwer. Zu seiner Erleichterung zeigten sich die Kommissionsgesandten verständnisvoll und vereinbarten einen zweiten Termin.
Rowan war erschöpft. Jeden Satz hatte er hinterfragen müssen. Er beschloss, für das Folgegespräch einen Dolmetscher zu engagieren.
»Darf ich Ihnen vielleicht auch einen Whiskey einschenken, Miss Baillie?«, fragte er seine Hotelmanagerin und lief zur Bar. »Ich möchte mich noch bei Ihnen für heute bedanken. Dank Ihrer Sprachkenntnisse ist das Gespräch kein Fiasko geworden.«
Fiona Baillie errötete und lächelte.
»Oh, vielen Dank, Mylord, aber ich denke, es ist eher Ihrem Verhandlungsgeschick zu verdanken.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Da ich gleich Feierabend habe, trinke ich gern ein Glas mit.«
Mit aufreizendem Hüftschwung begab sich Fiona zu einem der Ledersessel und sank langsam, aber elegant auf das Polster.
Er kehrte mit einer Flasche seines besten Whiskeys und zwei Gläsern zurück, die er auf den Besprechungstisch stellte.
»Ich habe ein paar Ideen fürs nächste Gespräch, Mylord.« Fiona schürzte ihre pinkfarbenen Lippen.
»Neue Ideen?«, fragte Rowan, während er den Whiskey eingoss.
»Ich habe mich nebenbei eine Weile mit der Historie dieses Herrenhauses beschäftigt. Es gibt viele Touristen, die geschichtlich und kulturell sehr interessiert sind und es zu schätzen wissen, das Flair vergangener Zeiten zu genießen.«
Rowan reichte Fiona das gefüllte Glas. Dann prostete er ihr zu.
Der goldschimmernde Whiskey war recht mild und traf mit seiner rauchigen Note genau Rowans Geschmack. Col hatte ihn empfohlen und seine Vorliebe für das Besondere mal wieder bestätigt. Der Alkohol rann seine Kehle hinunter und wärmte ihn. Nach mehreren Schlucken entspannte Rowan. Fionas Wangen glühten, obwohl sie nur kurz am Whiskey genippt hatte. Sie lehnte sich im Ledersessel zurück und schlug ihre langen Beine übereinander. Ihr dunkelblondes Haar glänzte im Licht silbrig. Mit einer anmutigen Geste strich sie es zurück und lächelte ihn an.
Sie ist wirklich eine sehr attraktive Frau.
»Möchten Sie mir vielleicht von Ihren Ideen erzählen, Miss Baillie?«
Fiona wippte mit dem Fuß. Ein Arm ruhte auf der Sessellehne. Rowan bemerkte den Glanz in ihren Augen. Er wusste um seine Wirkung auf Frauen und hatte das stets genossen, bis Brenda in sein Leben getreten war. Er musterte Fiona Baillie über den Rand des Glases hinweg. Sie war intelligent, clever und sexy, und ihre Botschaft war klar: Sie wollte ihn.
Doch genau diese Offensichtlichkeit ihrer Absichten war es, die ihn auf Distanz gehen ließ. Nicht dass er selbstbewusste Frauen nicht mochte, aber die meisten von ihnen sahen in ihm ein begehrtes Heiratsobjekt wegen seines Titels und Vermögens. Ein schnelles Abenteuer, eine flüchtige Affäre konnte er jederzeit haben, aber ihn verlangte es nach mehr. Manche würden seinen Wunsch vielleicht als antiquiert betrachten, aber er sehnte sich nach einer Frau, die ihn um seiner selbst willen liebte.
»Um diese Mauern ranken sich so einige Legenden. Ein schottisches Herrenhaus besitzt für die meisten Touristen eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Wussten Sie eigentlich, Mylord, wie viele Dramen sich zwischen diesen Mauern abgespielt haben?«
Die meisten kannte er, wahrscheinlich besser als sie. Aber er war gespannt, was sie zu berichten hatte.
»Eine besonders tragische Geschichte rankt sich um den letzten Besitzer Morham Manors.«
Jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit geweckt. Er wusste nur wenig über die Nebenlinie seiner Familie, die das Herrenhaus gebaut hatte. Im neunzehnten Jahrhundert hatte sich seine Familie einst zerstritten. Ein Erbschaftskrieg zwischen zwei Halbbrüdern. Während sein Vorfahre die spätere Ruglen-Burg eroberte, behielt der Bruder den einstigen Familienbesitz Morham Manor und änderte seinen Nachnamen. In den nächsten Jahrzehnten unterhielten die beiden verfeindeten Familienzweige keinen Kontakt. Nachdem der letzte Besitzer verschollen war, wurde das Anwesen versteigert, und Rowan hatte es erworben, um es wieder in den Familienbesitz zurückzuholen.
»Der letzte Eigentümer des Manors hat sich mit seinem Vater überworfen und ist enterbt worden. Er soll sich ins Meer gestürzt haben und spukt seitdem als Geist auf den Klippen. Das hat mir einer der Chronisten des Ortes berichtet. Ist das nicht gruselig? Das ist genau der Stoff, der Touristen magisch anzieht. Und es gibt noch mehr davon …«
Fionas Worte zogen ungehört an Rowan vorbei. Hat sich mit seinem Vater überworfen … Unwillkürlich musste er dabei an Col denken.
Nur mit Mühe unterdrückte er ein Schmunzeln bei der Vorstellung, sein alter Freund könne als Geist an den Klippen sein Unwesen treiben. Irgendwie wirkte er in seiner Skurrilität fast wie ein Geist.
Auch Rowan hatte in den alten Chroniken gelesen. Die Geschichtsschreibung endete jedoch mit dem Zweiten Weltkrieg. Ein Großteil der älteren Niederschriften war während des Krieges bei einem Bombenangriff verloren gegangen, und was danach geschehen war, war nicht archiviert worden. Es existierten nur spärliche Informationen über den letzten Erben.
Col wusste viel über Morham Manor, weil er aus der Gegend stammte. Jedenfalls hatte er Rowan sein Wissen über das Anwesen und East Morham so begründet. Aber sein erlesener Geschmack und seine Kenntnisse über die Gegend und Historie hatten Rowan manchmal ins Grübeln gebracht. Gab es vielleicht eine Verbindung zu den einstigen Besitzern des Herrenhauses? War er dort ein und aus gegangen, dass er so viel wusste? Irgendwie musste es ja auch zu der Regelung mit seiner Hütte gekommen sein. Was die Vergangenheit anbetraf, war Col sehr verschlossen. Schämte der Freund sich vielleicht und vertraute sich ihm deshalb nicht an?
»Wie finden Sie nun meine Ideen?«, unterbrach Fiona seine Gedanken. Rowan, der ihr nicht zugehört hatte, versuchte das zu verbergen.
»Es wäre einen Versuch wert«, antwortete er und erntete ein Lächeln Fionas.
»Danke dafür, dass Sie mir zugehört haben, und es freut mich sehr, dass Ihnen meine Ideen gefallen, Mylord. Aber ich glaube, ich sollte mich jetzt auf den Nachhauseweg begeben. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich die Vorschläge sammeln und Ihnen in den nächsten Tagen zur Entscheidung vorlegen, welche der historischen Stoffe wir bewerben sollten.« Geschmeidig erhob sich Fiona von ihrem Platz, gleichzeitig mit Rowan, dass sie eng beieinanderstanden und ihm ihr blumiges Parfüm in die Nase stieg. Zu eng. Rowan räusperte sich.
»Einverstanden, Miss Baillie.«
»Fiona. Sie dürfen mich gern Fiona nennen«, schlug sie vor und schenkte ihm einen glühenden Blick.
Sicher erwartet sie jetzt von mir, dass ich ihr im Gegenzug erlaube, mich zu duzen.
Doch Rowan wahrte stets Distanz zu seinen Mitarbeitern, um Komplikationen und Missverständnisse zu vermeiden. Fionas Absichten waren mehr als deutlich, weshalb er ihr Angebot, sie zu duzen, plump fand.
»Wir sollten es besser so belassen wie es ist, Miss Baillie«, entgegnete er, und einen Moment lang trübte sich ihr Blick vor Enttäuschung.
»Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Wir sehen uns dann morgen.«
»Ja, sicher«, antwortete sie und schaute hastig nach unten. »Bitte stellen Sie mir Ihre Ideen bis Anfang nächste Woche vor, damit wir sie noch vor dem Termin mit den Schweizern besprechen können.«
Sie nickte und verließ fast fluchtartig sein Büro.
Rowan atmete auf, als sie gegangen war. Dennoch hatten ihn Fionas Worte über die Vorbesitzer Morham Manors nachdenklich gestimmt. Er war gespannt, wie Col reagieren würde, wenn er ihn auf diese Geschichte über den letzten Erben und seine Werbepläne ansprach. Rowan leerte sein Glas und widmete sich wieder seiner Arbeit.