17.
Larissas Zimmer war sehr geschmackvoll eingerichtet. Tapeten und Vorhänge waren mit dem gleichen floralen Muster versehen, was sehr harmonisch wirkte. Ein breites französisches Bett, ein Kleiderschrank, eine Kommode und eine winzige Teeküche komplettierten den Raum. Und teuer war es auch nicht. Doch wenn sie bis zum Ende der Semesterferien hierbleiben wollte, musste sie dennoch einen Job annehmen.
Nachdem sie das Zimmer gebucht hatte, fuhr Moira sie zu Dean’s Autowerkstatt.
Eine halbe Stunde später parkte ihr Leihwagen vor der kleinen Pension, und ihr Gepäck befand sich auf dem Zimmer.
»Mein Vater kocht heute Lobster. Vielleicht magst du auch etwas davon und uns Gesellschaft leisten?«, bot Moira ihr an.
»Das ist wirklich sehr nett von euch, aber ich bin Vegetarierin und außerdem sehr müde von der Reise. Ich möchte lieber auf dem Zimmer bleiben.« Larissa war alles andere als müde, aber sie wollte in Großmutters Tagebuch weiterlesen und vielleicht noch nach Morham Manor spazieren.
Moira winkte ab. »Kein Problem. Bestimmt macht er dir ein Käsesandwich. Ich bringe es dir dann rauf, bevor ich zur Arbeit fahre.«
»Das wäre toll. Danke. Wo arbeitest du denn?«
»Im Hotel in Morham Manor an der Rezeption. Ich habe heute Nachtschicht.«
Da habe ich wirklich einen Glücksgriff getan! Bestimmt kann ich von Moira mehr über das Herrenhaus und seine Geschichte erfahren.
»Würdest du mich vielleicht nach dem Essen dahin mitnehmen? Es ist ja noch lange hell draußen, sodass ich zurücklaufen kann.« Sie konnte es kaum erwarten, das Herrenhaus aus der Nähe zu sehen. Moira schien einen Augenblick lang zu überlegen.
»Ich muss pünktlich gegen sechs Uhr los. Schaffst du das?«
»Ja, klar. Klopf einfach an meine Tür«, schlug Larissa vor.
»Bin gespannt, was du sagen wirst. Für mich ist Morham Manor ein Traum. Ich arbeite gern dort, auch weil die Kollegen alle nett sind. Das heißt … bis auf eine Person …« Einen flüchtigen Moment lang verfinsterte sich Moiras Miene, bis sie wieder lächelte. »Also, wir sehen uns dann später.«
Als die Tür hinter Moira zufiel, ließ Larissa sich seufzend aufs Bett gleiten. Sie konnte es immer noch nicht fassen, hier zu sein. Nachdem sie sich frisch gemacht hatte, schrieb sie ihrer Mutter eine Nachricht, dass sie gut angekommen war.
Kurz darauf brachte Moira ihr wie versprochen das Käsesandwich, das sie heißhungrig verschlang. Mit der Tasse Früchtetee, die sie sich in ihrer winzigen Teeküche zubereitet hatte, setzte Larissa sich in den Sessel ans Fenster, nahm Großmutters Tagebuch in die Hand und tauchte wieder ein in die Welt der wilden Fünfzigerjahre.
9. September 1955
Er hat mich angesehen. Mich! Ich kann es noch gar nicht glauben. Ich bin so aufgeregt. Ich muß einfach schreiben, was mir in den letzten Tagen passiert ist. Neulich bin ich Captain Hamilton auf dem Flur der Kommandantur begegnet, als ich die getippten Briefe dem Kommandeur zur Unterschrift gebracht habe. Er hat mich angesehen und gelächelt. Oh, dieses Lächeln. Es läßt mich dahinschmelzen. Er hat mich gemeint. Keine andere. Prompt bin ich rot geworden und habe schnell weggesehen.
Ich kam mir so lächerlich vor in meiner Nylonstrumpfhose mit der Laufmasche. Ausgerechnet heute mußte ich am Stuhl hängenbleiben. In der Mittagspause dürfen wir die Kommandantur nicht verlassen. Also habe ich auf der Toilette selbst versucht, die Maschen aufzunehmen. Aber es ist mir nicht ganz gelungen. Ich hätte vor Scham im Boden
versinken können, als er geschmunzelt hat, weil er bestimmt die blöde Laufmasche gesehen hat.
Am Nachmittag bin ich ihm noch in der Stadt begegnet, als ich die Stoffe für Silkes und mein Sonntagskleid zur Schneiderin gebracht habe. Ich war so überrascht, daß ich keinen Ton über die Lippen gebracht habe. Als er mir zugenickt hat, bin ich wieder knallrot geworden. Er sieht so klasse aus in der Uniform. Mir ist nicht entgangen, wie ihn die anderen Frauen ansehen. Doch dann habe ich mich an Vatis Worte erinnert, der mich und Silke davor gewarnt hat, sich mit einem der Alliierten einzulassen. »Dann seid ihr nicht mehr meine Töchter!«, hat er gerufen.
Ich kenne ein paar Frauen, die sich in einen britischen Soldaten verliebt haben und dann sitzengelassen worden sind. Manche haben ein Kind bekommen. Auf die ledigen Mütter schauen alle herab. Ich möchte nicht, daß Silke oder mir so etwas widerfährt.
Aber Captain Hamilton ist anders als die anderen Soldaten, das spüre ich. Er ist sehr zurückhaltend.
Am Abend hat Silke mir einen Zettel zugesteckt. Von ihm. Nicht auszudenken, wenn meinen Eltern der Zettel in die Hände gefallen wäre. Dann hätte ich sicher nicht mehr in der Kommandantur arbeiten dürfen.
Erst später unter der Bettdecke habe ich seine Zeilen lesen können.
Er findet mich hübsch und hat mich um eine Verabredung gebeten. Zum Tanzen, in diesen angesagten Rock-’n′-Roll-Club, gegen acht. Mich hat er eingeladen! Ich kann es noch immer nicht glauben. Aber was sage ich meinen Eltern, wo sie erst neulich über unsere Nachbarstochter gelästert haben, die dort Stammgast ist? Ich muß Silke und Hugo mitnehmen, auch wenn ich das nicht will. Anders würden meine Eltern Verdacht schöpfen.
21. August 1955
Die Bürovorsteherin Frau Mahler hat Elvira und mich für unsere Arbeit sehr gelobt und gefragt, ob wir Englisch lernen wollen. Dafür würden wir fünf Mark mehr Lohn im Monat bekommen.
Ich wünsche es mir. Dann kann ich mich mit Gordon noch besser unterhalten.
Meine Freundin Elvira hält das für unsere Chance, das öde Oldenburg verlassen zu können. Sie träumt davon, mit James nach England zu gehen und in London zu leben.
Die Entscheidung fällt mir schwer. Ich bin hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, die Sprache zu erlernen, und der Furcht vor meinem Vater.
Doch dann hatte Elvira den genialen Einfall, daß wir einfach sagen, wir müßten mehr Schreibaufträge erledigen und deshalb länger in der Kommandantur bleiben.
Ilse Mahler hat uns ein Ultimatum gestellt, daß wir ihr bis morgen unsere Entscheidung mitteilen sollen.
Elvira hat schon zugesagt. »Englisch ist die Sprache der Sieger und öffnet dir Türen, die dir sonst verschlossen bleiben würden«, hat sie zu mir gesagt.
Beim Abendessen habe ich dann meinen Eltern gesagt, daß ich mehr Schreibaufträge erledigen müsse und mehr Geld dafür bekommen würde. Großer Gott, ich habe sie angelogen. Und es ging so leicht. Für Vati zählt nur, wenn ich mehr Geld nach Hause bringe. Mutti gefiel das gar nicht, weil ich dann nicht mehr so häufig in der Bäckerei aushelfen könnte. Wie lange werde ich alle anlügen können? Ich schäme mich so. Ich fürchte, Hugo hat es mir nicht geglaubt, denn er sieht mich oft so komisch an.
10. September 1955
Ich habe lange nichts eingetragen, obwohl so viel geschehen ist. Seit einiger Zeit treffe ich mich regelmäßig mit Gordon. Gestern haben wir einen Spaziergang gemacht und sind danach in den Tanzkeller gegangen, den viele seiner Kameraden besuchen. Wir haben den ganzen Nachmittag miteinander getanzt. Er ist ein so toller Tänzer, daß ich die Zeit vergessen habe. Überstürzt bin ich aufgebrochen, denn Vati verlangt, daß wir gegen neun zu Hause sind. Gordon wollte mich nach Hause begleiten. Aber ich wollte das nicht. Die Leute sollen nicht über mich tuscheln. Vor dem Eingang zum Tanzkeller hat Gordon lange meine Hand gehalten und mich im dunklen Hauseingang geküßt. Ganz sanft, daß ich Schmetterlinge im Bauch gespürt habe. So hat mich noch kein Mann geküßt.
Er hat mir gestanden, sich in mich verliebt zu haben. Ich bin auch über beide Ohren in ihn verliebt. Leider können wir uns nicht jeden Tag treffen, meine Eltern würden Verdacht schöpfen. Ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, sie und auch Hugo anzulügen. Hugo ist immer so nett. Ich habe ihm gesagt, ich fühle mich noch zu jung zum Heiraten, und er hat gesagt, er würde auf mich warten. Wenn er auch nur ahnen würde, daß ich in einen anderen verliebt bin, wäre er sicher fürchterlich wütend.
Gordon erzählt mir viel von seiner Heimat Schottland. Dort hat fast jeder Ort sein Castle. Er kommt aus East Morham, einem kleinen Ort an der Küste in East Lothian in den Lowlands. Bis Edinburgh dauert es nur eine halbe Stunde mit dem Auto. Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich die sanften Hügel, die silbrig schimmernden Lochs und dazwischen die dichten Wälder. Fast glaube ich, den würzigen Geruch der Heide zu riechen. Gordon liebt die goldgelben Sandstrände und atemberaubenden Klippen. Er besucht sie oft am Morgen bei Sonnenaufgang. Das möchte ich gern mit ihm zusammen sehen. Er hat mir einen Bildband geschenkt, damit ich mir alles besser vorstellen kann. Eines Tages werde ich mit ihm gehen.
Dann verlor sich ihre Großmutter in weiteren Beschreibungen über East Morham und das Herrenhaus. Detailliert schilderte sie die Gegend, als hätte Gordon es ihr nicht erzählt, sondern Wort für Wort diktiert. Auch Larissa ließ sich so von den bildhaften Erzählungen mitreißen, dass sie die Gegend um Morham Manor vor sich sah. Beginnend von den Klippen mit der rollenden Brandung bis hin zum gelb blühenden Ginster.
12. September 1955
Wir haben uns schon wieder geküßt. Noch intensiver, noch leidenschaftlicher. Als unsere Lippen sich berührt haben, schien es, als würde mein Herz zerspringen. Ich bin so glücklich wie noch nie und könnte die ganze Welt umarmen. Oh, mein Gott, ich bin so verliebt in Gordon.
Doch immer, wenn ich nach Hause zurückkehre, habe ich Angst, daß jemand von unseren heimlichen Treffen erfahren könnte. Meine Eltern würden mich aus dem Haus werfen. Daß es noch nicht so weit gekommen ist, habe ich meiner Schwester Silke zu verdanken, die mich immer deckt.
15. September 1955
Elvira hat Gordon und mir ihr Zimmer in der kleinen Pension Margarete für unsere Treffen zur Verfügung gestellt. Die Unterkunft ist spartanisch eingerichtet, aber abgelegen in einem Hinterhof. Sofa und Bett sind bequem. Zum Glück schweigt Elviras Wirtin.
Gordon und ich treffen uns regelmäßig. Silke ist besorgt, fürchtet, Vati könnte von unseren Treffen erfahren. Aber ich habe ihr versprochen, vorsichtig zu sein.
Gordon hat von Morham Manor geschwärmt, von dem Granatapfelbaum, den seine Eltern einst geschenkt bekommen hatten.
19. September 1955
Meine Eltern sind zu einer Beerdigung gefahren, so daß ich den ganzen Nachmittag mit Gordon allein sein konnte. In Elviras Zimmer. Nichts wünsche ich mir mehr, als immer mit ihm zusammen zu sein.
»I love you, Angelika«, hat er zu mir gesagt. Für diese Worte brauche ich keine Übersetzung.
Wir haben uns eine Ewigkeit lang geküßt und danach geliebt. Ich wußte nicht, wie es sich anfühlt, auf Wolken zu schweben. Jetzt weiß ich es. Zärtlich und einfühlsam hat Gordon mich an meinen intimsten Stellen berührt und in mir Sehnsüchte geweckt, von denen ich nie gewußt habe, daß ich sie besitze. Danach war ich eingedöst. Als ich aufgewacht bin, hat Gordon mit einem Zeichenblock auf dem Bett gesessen und mich gezeichnet. Nackt in die Bettdecke gewickelt.
»Hast du niemand anderen, der dir Modell sitzen kann?«, habe ich ihn aufgebracht vor Scham gefragt.
»Ich möchte für immer festhalten, wie wunderschön du bist. Damit ich mich immer daran erinnere«, beantwortete er meine Frage. Gordon mußte mir versprechen, die Zeichnungen niemand anders zu zeigen. Weil ich mich doch so geschämt habe.
Ich habe Silke gestanden, daß Gordon und ich uns geliebt haben. Sie war außer sich, hat mich geschüttelt und mich angebrüllt. Aus Angst, daß ich schwanger geworden sein könnte. In meiner Not habe ich mich Elvira anvertraut, die mit solchen Dingen Erfahrung hat. Schließlich ist sie ein paar Jahre älter als ich und hatte schon einen festen Freund. Sie ist Krankenschwester und hat gemeint, daß man von einem Mal nicht gleich schwanger wird. Ich bin froh, daß ich sie gefragt habe.
23. September 1955
Ich kann nicht schlafen und habe nur geweint. Ich muß heute ausführlicher berichten, was geschehen ist. Eigentlich hatte ich heute frei wegen des Besuchs des britischen Hauptkommandos aus London. Ich wollte ausschlafen und danach zu Elvira fahren. Aber Mutti hat mich schon um vier Uhr in der Früh geweckt, damit ich in der Bäckerei aushelfe. Wegen der Hochzeit unserer Nachbarn, zu der Vati Bleche voller Zuckerkuchen backen muß. Ich hasse das frühe Aufstehen und diesen Mehlstaub. Muß immer davon niesen, und jucken tut es mich danach überall. Mutti meint immer, ich solle mich nicht so anstellen.
Während ich den Teig geknetet und ausgerollt habe, mußte ich immerzu an Gordon denken. Hugo hat mich dauernd angesehen. Das war mir unangenehm. Die anderen haben ihn meinetwegen gehänselt. Daß er in mich verliebt wäre. Er ist nett, aber grobschlächtig und nimmt mich oft nicht ernst.
Am Abend sind wir zum Polterabend des Brautpaares gegangen. Vati hat darauf bestanden, daß Hugo mitkommt, obwohl ich ihm das auszureden versucht habe. Kurz vor Mitternacht war mein Vater sturzbetrunken, und Mutti mußte ihn nach Hause bringen. Sie hat mir erlaubt zu bleiben, wenn Hugo bei mir bliebe. Mir ist es jedoch gelungen, unbemerkt die Feier zu verlassen. Dann bin ich zur Unterkunft der Offiziere gelaufen.
In Gordons Zimmer im Parterre hat noch Licht gebrannt. Ich habe leise gegen die Scheibe geklopft. Obwohl es untersagt ist, die Unterkunft zu verlassen, ist er dennoch aus dem Fenster gestiegen und mit mir zum Schloßpark gelaufen. Im Park haben wir uns geküßt. Aber es ist nicht wie immer gewesen. Ich habe gleich gemerkt, daß Gordon etwas bedrückt.
»Wir müssen Lebewohl sagen, denn ich muß in meine Heimat zurück«, hat er gesagt.
Ich bin in Tränen ausgebrochen, denn ohne ihn will und kann ich nicht mehr sein.
Ich habe ihn angefleht, bei mir zu bleiben.
»Wir haben doch immer gewußt, daß irgendwann der Tag kommen wird …«, hat er mir geantwortet.
Ich habe es die ganze Zeit verdrängt, weil ich es nicht wahrhaben wollte. Weil ich nicht will, daß unser Glück so endet. Ich klammerte mich an ihn.
Aber er blieb ganz ruhig, und bei dem, was nun kam, wußte ich, warum.
»Geh mit mir, Angel.«
Das würde ich ja, aber meine Familie … Mir sind die Tränen gekommen.
»Heirate mich.« Er hat sich vor mich hingekniet und aus seiner Hosentasche ein Kästchen gezogen. Darin war ein wunderschöner Ring. Gordons Frau! Jetzt wurden aus meinen Verzweiflungstränen Glückstränen.
»Ja«, flüsterte ich, und Gordon hat mir einen Ring über den Finger gestreift.
»Wirst du zu mir nach Schottland kommen, Angel?«
»Ja«, habe ich geantwortet. Da hat er mich in seine Arme gerissen und ungestüm geküßt.
Doch jetzt habe ich Zweifel.
Oldenburg verlassen für ein Leben an Gordons Seite … ohne die Familie, ohne die Bäckerei … Kann ich das wirklich? Wird Vati mich gehen lassen? Ja, ich habe Zweifel. Aber ich glaube fest an mein Glück und daran, daß alles gut wird. Ich werde Gordon nach Schottland folgen.
Larissas Finger schlugen Seite für Seite um. Sie konnte nicht mehr aufhören zu lesen. Gordon hatte ihrer Großmutter einen Heiratsantrag gemacht, und sie hatte angenommen. Darüber hinaus
hatte sie ihm versprochen, mit ihm zu gehen. Was war geschehen, dass sie für immer getrennt worden waren? Voller Ungeduld blätterte Larissa weiter.
24. September 1955
Heute Nachmittag bin ich Hugo zufällig im Eiscafé begegnet. Dort hat er mich an den Tisch in der hintersten Ecke gezogen.
»Ich muß dir unbedingt etwas sagen, Angelika. Allein. Bitte.«
Es hat so schrecklich ernst geklungen, daß mir ganz flau geworden ist. Er hat meine Hand genommen und mich angeschaut. Eine leichte Röte hat auf seinen Wangen gelegen.
Kein Ton ist über meine Lippen gekommen, alles in mir hat sich vor diesem Moment gefürchtet. Hugo hat mich gefragt, ob ich seine Frau werden will. Innerhalb weniger Tage habe ich zwei Heiratsanträge bekommen.
»Ich möchte nicht mehr warten. Ich habe bereits mit deinem Vater gesprochen. Er ist damit einverstanden«, hat er mir erklärt.
Wieso mit meinem Vater und nicht mit mir? Ich bin wütend auf ihn, weil er zuerst Vati gefragt hat. Aufgebracht, wie ich gewesen bin, war ich geneigt, ihm die Wahrheit zu gestehen, daß ich einen anderen liebe und dessen Antrag bereits angenommen hatte. Aber ich habe geschwiegen.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, habe ich begonnen und nicht gewagt, Hugo anzusehen. »Ich fühle mich geehrt. Wirklich …«
»Sag einfach Ja, Angelika und mach mich zum glücklichsten Mann auf der Welt.«
»Hugo, du suchst eine Frau, die mit dir die Bäckerei führt. Aber ich … ich bin keine Bäckerin. Ich kann nicht einmal den Teig richtig anrühren.« Dann habe ich ihm gestanden, daß
ich mir meine Zukunft anders vorstelle, als in der Bäckerei zu arbeiten. Er hat nicht einmal überrascht gewirkt.
»Ich werde dich nicht zwingen, Bäckerin zu werden«, hat er mit fester Stimme erklärt.
Silke hat mir später vorgeworfen, in Hugo Hoffnungen zu schüren, die sich nicht erfüllen würden. Ich habe ihr gestanden, daß nach Gordon nun auch Hugo um meine Hand angehalten hat. Meine Schwester ist entsetzt gewesen, hat geweint und gebrüllt, daß ich ihr das nicht antun könnte.
In der Nacht habe ich wieder kein Auge zugetan, sondern nachgegrübelt, ob es richtig wäre, Gordon nach Schottland zu folgen.
Larissa blätterte gerade um, als es an der Tür klopfte.
»Bleibt es dabei?«, hörte sie Moiras Stimme hinter der Tür und erinnerte sich daran, dass sie die junge Frau nach Morham Manor begleiten wollte. Das wollte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. Sie war neugierig auf Gordons Zuhause.
»Bin schon fertig!«, rief sie, legte das Tagebuch in die Schublade des Nachttisches und lief zur Tür.
Moira stand vor ihr in einem dunkelblauen Business-Kostüm. Ihr dichtes, lockiges Haar war streng zurückgekämmt und mit einer Spange fixiert. Das dezente Make-up betonte die weichen Linien ihrer Züge. Sie taxierte Larissa mit kritischem Blick, aber schwieg.
»Keine Sorge, ich habe nicht vor, im Nobelrestaurant zu dinieren«, beruhigte Larissa sie, und Moiras Züge entspannten sich.
»Der Earl legt großen Wert auf eine gediegene Atmosphäre und adäquate Kleidung, beim Personal und bei den Gästen«, erläuterte Moira.
»Verstehe.« Auch wenn der Earl ein sehr gut aussehender Mann war, schien er ein Snob zu sein.
»Ich möchte es nur einmal sehen und spaziere dann in aller Ruhe zurück. Nach der langen Reise tut es gut, sich die Beine zu vertreten.«