26.
»Wir gehen die Agenda am besten von vorn bis hinten durch.« Rowan konnte sich einfach nicht konzentrieren, denn Larissa brachte seine Sinne in Aufruhr. Ein Blick, ein Lachen genügte, und in ihm begann es zu kribbeln.
Heute duftete sie wieder frisch nach Rosenseife. Er konnte nicht genug davon bekommen.
»Mylord, ich glaube, Sie würden die Schweizer für sich einnehmen, wenn Sie ein paar Worte auf Deutsch sprechen würden. Die Begrüßung zum Beispiel. Was meinen Sie?«
Es dauerte einen Moment, bis er den Inhalt ihrer Worte begriff. Mensch, Rowan, reiß dich zusammen! Sie wird Schottland bald wieder verlassen.
Larissas Augen waren so klar wie Gebirgsseen. Ihre langen Wimpern schimmerten im Licht wie Kupfer.
»Ich … ich weiß nicht recht. Ich bin nicht sehr sprachbegabt«, antwortete er ausweichend und schämte sich ein wenig dieses mangelnden Talentes.
»Auf die Begabung kommt es auch nicht an, sondern auf die Geste. Man vermittelt den Gästen das Gefühl, wertgeschätzt zu werden. Es reicht ein einziger Satz, wie zum Beispiel ›Ich begrüße Sie aufs Herzlichste auf Morham Manor‹ oder ›Herzlich Willkommen auf Morham Manor‹. Das wird sicher gut ankommen und zeigt, wie sehr Sie bemüht sind, Ihrem Hotel ein internationales Flair zu geben. Denn es ist doch das Ziel, europaweit als exklusives Hotel bekannt zu werden.«
Ihre Idee war überzeugend. Aus Larissa sprach so viel Euphorie, die auch auf ihn überging. Dennoch befürchtete er, sich vor den Gästen lächerlich zu machen. In der Schule schon hatte er sich mit Fremdsprachen schwergetan. Deutsch war für ihn wie ein Buch mit sieben Siegeln. Seinem Geschmack nach klang die Sprache gegenüber dem Englischen hart, und Grammatik und Rechtschreibung waren
extrem kompliziert. Ein paar Wörter hatte er von Col gehört, der sie im Krieg gegen die Deutschen aufgeschnappt hatte.
»Meine Aussprache ist eine Katastrophe«, gab er zu.
Larissa lächelte ihn aufmunternd an. Ihr sanftes Lächeln war bezaubernd.
»Lassen Sie es uns doch bitte erst einmal versuchen. Ich helfe Ihnen. Versprochen«, schlug sie vor und sprach ihm einen Satz auf Deutsch vor. Sie wiederholte ihn im Ganzen, dann in Teilen und forderte ihn auf, ihr nachzusprechen.
Rowan gab sein Bestes, denn er wollte sich nicht blamieren. Aber bei der Buchstabenfolge Schw
hatte er das Gefühl, einen Knoten in die Zunge zu bekommen. Der erste Versuch ging vollends schief. Ihm entging natürlich nicht, dass Larissa krampfhaft bemüht war, ein Grinsen zu unterdrücken. Sie hat gut lachen!
»Sie amüsieren sich auf meine Kosten«, warf er ihr mit belustigtem Unterton vor. Selbst in seinen Ohren hörte es sich albern an.
Eine Träne quoll aus Larissas Auge. Ihr Gesicht war rot angelaufen, und sie starrte auf ihre Fußspitzen.
»Nun geben Sie schon zu, dass ich … komisch geklungen habe.«
»Komisch … das stimmt.« Jetzt lachte sie, während sie mit dem Handrücken die Träne wegwischte. Schnell wurde sie wieder ernst.
»Bitte entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht auslachen. Aber wie Sie das Wort ›Herzlichen‹ ausgesprochen haben … das war zu komisch. Es klang eher nach ›hässlichen‹ als herzlichen.«
Jetzt grinste auch Rowan. »Sag ich doch, ich habe kein Sprachtalent.«
»Wir versuchen es trotzdem noch einmal. Je öfter Sie das wiederholen, desto leichter wird es Ihnen fallen. Ich finde übrigens, Ihre Stimme klingt sehr warm, und Ihr Akzent charmant.«
Ihr Kompliment bewirkte, dass ihm mit einem Mal ganz heiß wurde. Eigentlich wollte Rowan die Sprachübungen nicht weiter fortsetzen, weil er sich sicher nicht viel verbessern würde. Aber ihr Lächeln und ihre Bemühungen ließen seinen Widerstand schmelzen.
Wider Erwarten liefen seine weiteren Versuche besser. Seine Ausdrucksweise brachte beide immer wieder zum Lachen. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so viel Spaß gehabt zu haben wie
heute. Nachdem er mindestens ein Dutzend Mal den Satz aufgesagt hatte, nickte Larissa zufrieden.
»Fein. Ich denke, das reicht. Ich bin davon überzeugt, dass das sehr gut ankommt. Sie haben das wirklich fast perfekt gesagt«, lobte sie ihn.
Noch ein Kompliment. Das war er nicht mehr gewöhnt. Rowan fühlte sich gut.
Im Anschluss besprachen sie die Agenda. Gemeinsam skizzierten sie den Ablauf auf Papier, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Durch ihre Erfahrung und ihr Fachwissen hatte er sich unnötige Erklärungen gespart. Er warf einen Seitenblick auf Larissa, die die Arbeitsutensilien zusammenpackte. Sie sah nicht nur gut aus, sondern war intelligent, kreativ und beflügelte ihn. Ihre Vorschläge für die Gestaltung eines neuen Hotelprojektes anlässlich des Besuches aus der Schweiz verdienten Anerkennung. Während sie ihm ihre Ideen erläuterte, konnte er nicht die Augen von ihr lassen. Er mochte ihre gerade, schmale Nase und ihren Mund. Immer wenn sie nachdachte, schürzte sie ihre Lippen. Dann musste er an sich halten, um sie nicht zu küssen.
Die Zeit war wie im Flug vergangen, obwohl sie jeden Punkt des Ablaufes besprochen hatten. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sie um ihre Unterstützung zu bitten. Mit ihr hatte es ihm Spaß bereitet. Mit Fiona Baillie wäre es sicher steifer verlaufen, und er hätte sich in deren Gegenwart unwohl gefühlt.
Zu seinem Bedauern endete ihre Besprechung viel zu schnell.
»Oh, so spät schon?«, rief Larissa plötzlich aus, schaute auf die Uhr und sprang vom Stuhl auf. »Moira hat heute gegen sechs Uhr Schluss. Wir haben uns verabredet, gemeinsam nach Hause zu fahren. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich mich jetzt gleich verabschiede.«
»Nein, nein, natürlich, gehen Sie ruhig. Wir sind ja jetzt auch fertig.« Wie gern hätte er sie anstelle von Moira zu ihrer Pension begleitet. Aber es war besser, wenn er es nicht tat. Sie war seine Angestellte, das durfte er nicht vergessen. Auch wenn Larissa ganz anders war als Brenda und die anderen Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, konnte er nicht ausschließen, ob sie es nicht doch bloß auf seinen Titel abgesehen hatte. Immerhin kannte er sie
erst seit kurzer Zeit und wusste nicht, ob er seinem Bauchgefühl vertrauen konnte, das ihn schon bei Brenda im Stich gelassen hatte.
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.« Er reichte ihr zum Abschied die Hand und hielt sie länger fest. Sein Daumen strich dabei spielerisch über ihren Handrücken.
»Danke, ich Ihnen auch.« Sie entzog ihm die Hand und stürmte aus seinem Büro. Auch hier unterschied sie sich von den anderen Frauen, die um seine Gunst gebuhlt hatten.
Nachdenklich sah Rowan zum Fenster hinaus. Bald würde die Sonne glutrot am Horizont versinken. Es war noch Zeit für einen Spaziergang mit Holly, die sicher schon voller Ungeduld in der Wohnung auf ihn wartete.
Auf seinem Spaziergang machte er auch einen Abstecher zu Col. Bald würde sein Freund das Haus auf den Klippen verlassen, um die Wintermonate an einem anderen Ort zu verbringen. Deshalb wollte Rowan ihn noch so oft wie möglich besuchen. In den Wintermonaten vermisste er den Maler und seine Sticheleien. »Wir sind verwandte Seelen«, erklärt er jedem, die kein Verständnis für ihre Freundschaft besaßen. So wie seine Eltern. Es war die Liebe zur Kunst und zur Schönheit der Natur, die sie verband und den Altersunterschied bedeutungslos werden ließ.
Diesmal hatte er Glück, durch die geöffnete Tür des Ateliers ertönte ein Hämmern. In Erwartung dessen, dass der Freund an seiner Skulptur arbeitete, die er beauftragt hatte, trat Rowan ein.
»Hast es vor Neugier wohl nicht ausgehalten?«, rief Col ihm zu und grinste, bevor er Hammer und Meißel an anderer Stelle der Skulptur ansetzte. Nur selten betätigte sein Freund sich auch als Bildhauer. Es war die Arthrose in seinen Händen, die solche Arbeiten kaum zuließ. Die Skulptur sollte der Blickfang im Rosengarten werden. Eine badende Venus hatte Rowan sich gewünscht und den Marmor extra aus Italien liefern lassen.
»Hallo, Col.« Rowan ging nicht auf die Anspielung ein. Holly lief im Atelier schnüffelnd umher.
»Dass Tommy nur nicht das Bein hebt an einem meiner Bilder! Klar?«
Col sah ihn warnend an.
»Hast du schon vergessen, dass ich Tommy im Frühjahr letzten Jahres habe einschläfern lassen? Das hier ist Holly, und sie ist eine Hündin«, erklärte er ihm nachsichtig, rief das Tier dennoch zu sich, um den alten Freund nicht zu verärgern. Col wirkte heute noch mürrischer als sonst. Was mochte vorgefallen sein? Immer wenn Col sich so besonders ruppig verhielt, ging es um seine Werke. Entweder um Kritik oder um die Bitte, sie ausstellen zu dürfen.
»Ist diese Galeristin etwa wieder bei dir gewesen?«, fragte er.
»Ja, verdammt!«, brach es aus Col heraus. »Habe sie gleich weggejagt. Ich will nicht, dass andere meine Bilder begaffen, um mit mir dann über einen Preis zu feilschen.«
»Aber eine Ausstellung bringt dir Geld ein. Du könntest dir davon eine neue Staffelei leisten oder endlich mal das Dach vom zweiten Atelier reparieren lassen.« Rowan deutete nach nebenan. Doch alles, was er von Col erhielt, war ein unverständliches Brummen.
»Überleg es dir, mein Freund. Niemand zwingt dich, alle deine Bilder auszustellen.«
Col sah ihn strafend an und schwieg. Rowan spürte, dass sein Freund nicht mehr darüber reden wollte, und ließ das Thema fallen. Was geht es mich an. Es ist allein Cols Entscheidung.
Er umrundete die Skulptur und betrachtete kritisch jedes Detail. Vorsichtig strich er über die glatte Oberfläche. Cols außergewöhnliches künstlerisches Talent bestätigte sich auch in der Bildhauerei.
»Mein Kopf will manchmal nicht mehr so, wie ich es möchte«, gab Col zu. »Diese verfluchte Vergesslichkeit …«, sprach er zu sich selbst und schüttelte den Kopf. Mit über achtzig Jahren war Col dennoch erstaunlich fit, auch wenn er manchmal etwas vergaß.
»Du bist wirklich gottbegnadet«, sagte Rowan und pfiff anerkennend durch die Zähne. Die Venus saß nackt auf einem muschelbesetzten Felsen und ähnelte in der Haltung ein wenig der Kopenhagener Meerjungfrau. Nur besaß sie keine Schwanzflosse, und die Details waren expliziter herausgearbeitet. Um den Hals trug sie eine Kette mit einem seltsam geformten Blatt als Anhänger. Auch schaute sie nicht hinab, sondern in die Ferne mit einem sehnsuchtsvollen Blick, der Rowan an jemanden erinnerte. Während er darüber nachgrübelte, an wen, stieß Col ihn an und holte ihn aus
der Gedankenwelt zurück.
»Lass das Gerede. Erzähl mir lieber, wie es dir seit unserem letzten Treffen ergangen ist.«
»Viel Arbeit und Stress. Und ich habe zwei Sätze in Deutsch gelernt.«
Der Freund verharrte in der Bewegung, sein Lächeln gefror. »Deutsch? Ich mag diese Sprache nicht. Sie klingt so hart«, sagte er und formte mit Hammer und Meißel den nackten Busen der Venus.
»Genau das habe ich auch gedacht, aber Larissas Vorschlag, eine Begrüßung und noch die eine oder andere Formulierung auf Deutsch zu lernen, fand ich gut.«
Rowan berichtete ihm von dem bevorstehenden Treffen mit der Schweizer Kommission und erzählte ihm auch von Larissa, die ihm die Willkommensgrüße auf Deutsch beigebracht hatte. Rowan entging nicht der plötzlich wachsame Ausdruck in den Augen seines Freundes.
»Wie ist sie denn so, diese Larissa? Scheinst ja von ihr ganz angetan zu sein.«
Rowan antwortete nicht, sondern starrte das Gesicht der Skulptur an. Er schüttelte den Kopf und schloss für einen Moment die Augen, weil er zu halluzinieren glaubte.
»Das Gesicht …«, stammelte er und deutete auf die Venus, »ist das etwa Larissa?«
»Quatsch!«, rief Col.
Beim genauen Hinsehen gab es tatsächlich Abweichungen. Das Nasenbein von Cols geschaffener Venus war etwas breiter, die Lippen voller. Doch die hohen Wangenknochen und das Lächeln erinnerten ihn an sie. Plötzlich dämmerte es Rowan, und er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Sie ist hier gewesen, nicht wahr?«, wandte er sich an Col. »Du hast Larissa kennengelernt.«
»Ja, sie ist hier gewesen, um mit mir über meine Arbeit zu reden. Aber mir schien das nur ein Vorwand zu sein. Sie wollte mich aushorchen, und da habe ich sie fortgeschickt«, antwortete Col und legte seine Gerätschaften beiseite.
»Wollte sie von dir Auskunft über einen ehemaligen britischen Soldaten?«
Col schüttelte den Kopf. »Nein, danach hat sie mich nicht gefragt.«
Da lag immer noch diese Wachsamkeit im Blick des Freundes, die Rowan nachdenklich stimmte.
»Hat Larissa dich so inspiriert, dass du der Venus ihre Züge verliehen hast?«, fragte er augenzwinkernd. »Weiß sie davon?«
»Nein. Außerdem ist es nicht ihr Gesicht«, stritt Col ab.
»Aber eine gewisse Ähnlichkeit besteht schon, findest du nicht?«, beharrte Rowan. Zweifelnd forschte er in der Miene des Freundes, der viel zu hastig wegsah. Irgendetwas stimmte nicht.
»Sie hat mich vielleicht in gewisser Weise doch inspiriert«, gab Col zu.
Rowan konnte es rational nicht begründen, aber er war sich sicher, dass sein Freund ihn anlog. Es hatte keinen Zweck, Col länger mit Fragen zu bedrängen.
»Ich freue mich darauf, wenn die Venus in meinem Garten steht. Wann, meinst du, bist du damit fertig?«
»In ein paar Tagen. Am besten lässt du sie dir über eine Spedition liefern.«
»Gute Idee. Sag mir Bescheid, wenn sie fertig ist«, begrüßte Rowan Cols Vorschlag.
Lange noch, nachdem er von seinem Spaziergang zurückgekehrt war, beschäftigten ihn die Worte des Freundes.
Selbst wenn Larissa seinen Freund inspiriert hatte, war es ihm unmöglich gewesen, ihr Gesicht in der Kürze der Zeit in Stein zu meißeln. Wer aber war dann die Frau?