Erst am späten Nachmittag erwachte ich. Ausgiebig streckte ich mich. Noch war ich viel zu benebelt in der Birne, um überhaupt zu schnallen, was ich in der letzten Woche alles angestellt hatte. Als ich mich dann aber erinnerte, verzog ich grüblerisch die Mundwinkel. Mit irgendjemandem musste ich darüber reden. Aber mit wem? Dann fiel mir ein, dass Tristan in wenigen Stunden zu mir kommen wollte. So schnell hatte ich ja noch nie die Bude aufgeräumt und mich schick gemacht. Die ganze Zeit über fragte ich mich jedoch, ob ich mit Tristan darüber reden könnte. Schließlich war es ein Date. Andererseits war er Arzt und könnte mich aufklären. Noch schwankte ich zwischen einen auf unbekümmert zu machen und ehrlich zu sein. Wenn ich aber ehrlich wäre, würde er wahrscheinlich das Weite suchen. Was sollte ich nur tun?
Es schellte an der Tür. Angespannt drückte ich auf den Summer. Ich hörte, wie die Haustür geöffnet wurde, vernahm Tristans Schritte. Rasch entschied ich mich dazu, die Wahrheit für mich zu behalten und mich unbekümmert zu geben. „Tristan!“, sagte ich erfreut, als er die Treppe herauf kam. Mann, sah Tristan vielleicht sexy aus! Er trug eine sehr enge, graue Hose, dazu einen schwarzen Pullover mit Karomustern. Seine Schuhe waren der Burner! Richtig edle Teile!
„Hallo, Chris“, grüßte er in seiner charmanten Art. Er streichelte kurz über meine Wange. „Na, wie geht es dir?“
„Jetzt geht es mir sehr gut“, erwiderte ich.
„Das freut mich.“
„Komm doch rein.“
„Gerne.“ Tristan ging mit einem Lächeln an mir vorbei.
Ganz warm war mir geworden. Lüstern biss ich mir auf die Unterlippe und schloss die Tür.
„Soll ich die Schuhe ausziehen?“, fragte er.
„Ach, nicht nötig“, gab ich zurück.
„Okay.“ Er zeigte zum Wohnraum. „Da hinein?“
„Ja, ich bitte drum.“
Tristan setzte sich auf die Couch und sah sich ein wenig um.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass er mir beim Vorbeigehen auf den Hintern äugte. „Freut mich“, sagte ich, als ich mich setzte, „dass du gekommen bist.“
„Ich halte meine Versprechen immer“, antwortete er. Sein Lächeln war einfach nur bezaubernd.
„Möchtest du was trinken?“
„Was kannst du mir denn anbieten?“ Er winkelte das Bein auf die Couch an.
„Wasser, Cola, Limonade …“
„Eine Cola sollte fürs Erste genügen.“
„Ist gut.“ Ich erhob mich und bemerkte erneut, wie er mir auf den Hintern blinzelte. „Hier“, sagte ich und überreichte ihm eine Dose.
„Danke dir.“
Kaum saß ich, da hatte er die Dose geöffnet und einen kräftigen Schluck genommen.
„Und?“, fragte ich.
„Hm?“
„Alles im Lot?“
„Wie schon erwähnt, geht es mir sehr gut.“
„Das freut mich“, erwiderte ich mit dem Blick auf den Tisch. Eine kurze Pause entstand.
„Aber dich scheint etwas zu bedrücken“, erkannte er.
„Nein, nein“, schwindelte ich. „Mir geht es bestens.“
Tristan sah mich eindringlich an. „Irgendwie glaube ich dir das nicht so ganz.“
„Nicht?“, fragte ich. Mann, ich traute mich gar nicht mehr, ihn anzugucken. Irgendwie kämpfte ich plötzlich mit den Tränen.
„Chris?“, fragte er und rückte ein wenig näher. „Ist alles okay?“
Was auch immer mich dazu verleitete, ich brach ungewollt in Tränen aus.
„Hey, hey“, sagte Tristan und nahm mich in den Arm. „Was ist denn los, Chris?“
Ich konnte ihm doch nicht die Wahrheit sagen! Er würde doch auf der Stelle gehen, und das nur, weil ich mich gern wie ein Flittchen verhielt.
„Du kannst mit mir über alles reden, Chris“, versprach er.
„Nein“, widersprach ich und riss mich wieder zusammen. „Ich will dich nicht mit meinen Problemen nerven.“
„Aber vielleicht kann ich dir ja helfen“, meinte er so liebevoll, dass mir erneut die Tränen kamen. „Was auch immer dich beschäftigt, Chris – ich bin für dich da.“
„Wieso?“, wollte ich allen Ernstes von ihm wissen.
„Wieso?“, wiederholte er verwirrt. „Weil ich dich gern hab.“
„Das sagst du doch nur, weil du mich flachlegen willst.“ Diese Worte waren mir so peinlich, dass ich mich auf der Stelle dafür entschuldigte.
„Ist schon okay. Ich kann dich verstehen. Die meisten Kerle wollen nur einen wegstecken.“
„Ach, und du bist da anders, ja?“
„Ich denke schon“, antwortete er nach kurzer Bedenkzeit.
„Und deshalb musstest du jetzt auch drüber nachdenken?“
Tristan sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Was ist denn los? Du bist so völlig anders als sonst.“
„Entschuldige. Ich habe einfach nur eine sehr verrückte Woche hinter mir.“
Tristan machte es sich gemütlich. „Erzähl mir davon.“
„Ich kann nicht.“
„Du kannst oder willst nicht?“
„Ich will dich nicht vergraulen“, gestand ich.
„Glaub mir, so schnell kann man mich nicht vergraulen.“
Tief atmete ich durch und zündete mir eine Zigarette an.
„Hattest du Sex?“, fragte er unerwartet.
„Wie kommst du darauf?“
„War nur so ein Gedanke.“
„Ja“, gestand ich nach wenigen Sekunden. „Ich hatte Sex. Um ehrlich zu sein, hatte ich sogar mehr als nur einmal Sex. Grandiosen Sex, um ganz ehrlich zu sein.“
„Aber?“
„Ich glaube, dass ich es übertrieben habe.“
„Inwiefern? Hast du dir wieder eine Verletzung zugezogen?“
„Nein, das nicht.“
„Aber?“
Mann, wieso ließ er nicht einfach locker? „Ich …“ Als ich ihm ins makellose Gesicht schaute, brachte ich es einfach nicht über die Lippen. „Ach, nichts.“
„Waren es viele Männer?“, erkundigte er sich.
Bei der Menge an Sperma, die ich in mir aufgenommen hatte, waren es mit Sicherheit Hunderte gewesen. „Kann schon sein.“
„Ich glaub, ich weiß, was dich beschäftigt.“
„Glaube ich weniger.“
„Doch, ich bin mir sogar ziemlich sicher.“
„Ach, bist du das, ja?“ Gespannt wartete ich auf seine Erklärung.
„Ja, ich weiß es.“
„Ich warte.“
Tristan sah mich bedeutsam an und meinte dann: „Du hast nicht verhütet.“
Überrascht von seinen Worten fehlten mir erst einmal meine eigenen. Er hatte es nicht mal vorwurfsvoll gesagt, was mich ein wenig irritierte.
„Jetzt fragst du dich, woher ich das weiß.“
Mein Zögern sagte wohl alles.
Er lächelte kurz. „Zum einen sehe ich da zig Bareback-Filme in deinem Regal und zum anderen weiß ich es, weil ich dich untersucht habe.“
„Du verarscht mich.“
„Würde ich niemals tun“, versicherte er.
„Aber wie …?“
„Dein Loch roch danach.“
„Mein Loch roch nach Sperma?“
„Wenn Sperma zu lange in einem ist und sich mit den Gasen vermischt, dann entsteht ein gewisser Geruch. Vor allem dann, wenn man eine Verletzung hatte.“
„Ach, und der da wäre?“
„Fisch.“
„Fisch?“, wiederholte ich stutzend.
„Der Geruch haftet noch immer an dir – nur nicht mehr so stark.“
„Was?!“ Erschüttert roch ich an mir, konnte aber nichts feststellen.
„Du selbst wirst es weniger wahrnehmen.“
Fuck, war mir das unangenehm.
„Du brauchst dich diesbezüglich nicht zu schämen. Aufklären muss ich dich ja wohl nicht mehr, oder?“
„Ich habe es eindeutig übertrieben“, gestand ich.
„Und nun hast du Angst, dass du dich mit etwas angesteckt haben könntest.“ Er sagte es voller Überzeugung.
„Ja“, gestand ich schweren Herzens.
„Dir ist bewusst, dass ich mit dir nicht intim werden kann, wenn du so durchs Leben gehst.“
Genau das hatte ich nicht hören wollen. „Und jetzt?“
„Jetzt erzählst du mir erst einmal haargenau, was geschehen ist, und dann schauen wir weiter.“
Ich nickte und begann schweren Herzens von all meinen Aktionen der Vergangenheit zu erzählen.
Ich lag in Tristans Armen, während wir einen Film schauten.
„Alles in Ordnung?“, fragte er leise.
„Danke“, erwiderte ich.
„Wofür?“
„Dafür, dass du dich nicht von mir abwendest.“
„Wir kriegen das schon hin. Und wenn alle Tests in den nächsten Wochen durch sind, leben wir die Kicks gemeinsam aus. Nur wir beide.“
„Ich hatte echt die Befürchtung, dass ich dich mit all meinen Vorlieben und meinem wilden Leben in den letzten Wochen vergraulen würde.“
„Du kennst mich halt noch nicht genug. Ich ticke da nicht wirklich anders. Allerdings verlange ich, sobald alles abgeklärt ist, dass dritte Personen ausgeschlossen sind.“
„Wer braucht einen weiteren Mann, wenn man dich haben kann?“, fragte ich und blickte lächelnd über die Schulter.
„Du bist mir einer“, meinte er und küsste mich.