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Wenn man bedenkt, wie klug sie am Zeitinstitut angeblich alle waren, hätte eigentlich doch jemand – irgendjemand! – herausfinden müssen, dass ich die Anomalie war. Nein, das ist unfair. Die Anomalie wurde durch mich ausgelöst . Wieso hat keiner gemerkt, dass ich mich selbst interviewt habe? Den Ausweispapieren zufolge, die Zoey für mich besorgt hatte, lautete mein Name Alan Sami, und ich war außerhalb von Oklahoma City auf einer Farm geboren worden, auf der ich einen Großteil meines Lebens verbracht hatte.

Ich sah die Anomalie im Luftschiffterminal. An einem Tag im Oktober des Jahres 2195 spielte ich Geige, der Hund an meiner Seite, und mir fielen zeitgleich zwei Leute auf.

Olive Llewellyn lief über den Flur und zog ihren silbernen Koffer hinter sich her. Den Mann, der wenige Meter vor ihr auf mich zulief, bemerkte sie nicht, ich schon. Er war gerade aus der Herrentoilette gekommen.

Als der Mann auf mich zukam und dabei Olive Llewellyns Weg querte, schien hinter ihm die Luft zu flimmern. Er merkte das nicht, weil sich seine ganze Aufmerksamkeit auf mich richtete und weil er ein wenig nervös war; schließlich sollte dies sein erstes Interview für das Zeitinstitut sein.

Ich spielte weiter, schwitzend jetzt, klammerte mich an mein Wiegenlied für Talia. Das Flimmern wurde stärker; die Software, falls es denn das richtige Wort dafür war, für diese jegliches Verständnis übersteigende Maschine, die unsere Welt in Gang hielt, hatte Mühe, die Unmöglichkeit unserer beider Anwesenheit zu verarbeiten. Das Problem war nicht allein, dass sich dieselbe Person zweimal am selben Ort aufhielt; die Maschine, die Intelligenz, die Software, was auch immer, hatte einen dritten Gaspery ausgemacht, zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort, im Wald von Caiette, und nun drifteten die Dinge wirklich auseinander: Dieser Moment war verfälscht, ebenso aber der Ort , die Stelle im Wald, an der Edwin St. Andrew 1912 ins Laub aufblickte, an der ich mich 1994 im Farn versteckte und Vincent Smith beobachtete. Hinter dem sich nähernden Mann wogte eine seltsame Dunkelheit heran, das Licht flackerte. Wie vom Schlag getroffen, blieb Olive Llewellyn stehen. Ich sah mich im Jahr 1994 auf dem Boden knien, Edwin St. Andrew an genau derselben Stelle – wir beide überblendet –, und in der Nähe war Vincent Smith, dreizehn Jahre alt, eine Kamera in der Hand.

Von einem nahen Flugsteig stieg ein Luftschiff auf, das unverkennbare Wuuusch , dann hatte der Spuk ein Ende. Die Dateiverfälschung reparierte sich selbst, die Fäden der Simulation verknüpften sich aufs Neue, und Gaspery-Jacques, mein jüngeres Selbst, der frisch rekrutierte und erbärmlich unfähige Rechercheur fürs Zeitinstitut, hatte nichts davon mitbekommen. Es war alles hinter seinem Rücken abgelaufen. Einmal sah er sich um – ich erinnere mich an den Augenblick –, aber das überwältigende Gefühl, etwas sei falsch, schob er auf seine Nervosität.

Ich schloss die Augen. Die ganze Zeit über war ich es gewesen. Vincent und Edwin hatten die Anomalie gesehen, weil ich mit ihnen im Wald gewesen war. Nur war ich Edwin nicht so nah, dass ich es mit eigenen Augen sehen konnte, jenes erste Mal im Jahre 1912. Ich beendete das Wiegenlied und hörte Gasperys Applaus.

Er stand vor mir, klatschte verlegen. Ich fand ihn so peinlich – mich? uns? –, dass es mir schwerfiel, ihn anzusehen, doch es gelang mir. Ich war froh über meinen Hund, der die Inkompetenz meines jüngeren Selbst verschlafen hatte.

»Hallo«, sagte er mit ebenso holprigem wie falschem Akzent und strahlte mich an. »Ich heiße Gaspery-Jacques Roberts und ermittle im Auftrag eines Musikhistorikers. Ich habe mich gefragt, ob ich Sie zum Mittagessen einladen darf.«