Dann ist es nicht das Ende der Welt.
Skylar
Tate eilt mit mir zur Tür und das freundliche Lächeln auf seinen Lippen steht im Widerspruch zu der Art und Weise, wie er mich fast aus dem Raum schubst. Ich muss kämpfen, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, und es ist unmöglich, mit ihm Schritt zu halten, ohne fast loszurennen.
„Ich … wir treffen uns im Restaurant“, sage ich, als er neben seinem Auto stehen bleibt, aber er fixiert mich mit seinem Blick. Ich kann mich nicht bewegen, kann nicht reagieren, kann nichts anderes tun als starren, denn die Angst umklammert mich wie ein Schraubstock.
„Steig ins Auto, Skylar.“ Tate muss seine Stimme nicht erheben, um die Worte unheilvoll klingen zu lassen. Ich zucke zusammen und kämpfe damit, die Tür zu öffnen. Er schließt sie hinter mir, sobald ich drinnen bin, und ich habe den plötzlichen Drang, hinaus und zurück ins Hotel zu rennen, während Tate auf die andere Seite des Wagens geht.
Er weiß nicht genau, was passiert ist, aber er ist nicht dumm. Er weiß, dass
etwas passiert ist, und es nicht zu wissen, könnte es noch schlimmer machen. Aber wenn ich ihm sage, dass ich Dexter geküsst habe …
Tate gleitet auf den Fahrersitz, und die Türschlösser rasten mit einem ohrenbetäubenden Geräusch ein, das die Endgültigkeit besiegelt. Er startet den Wagen und ist so ruhig, dass es mir Angst macht. Er legt seine Hand auf mein Knie, aber er sagt nichts – und schlimmer noch, er nimmt nicht die Abzweigung zum Restaurant.
Seine Finger graben sich in mein Knie, aber ich traue mich nicht, ihn zu bitten, es nicht zu tun. Sie spannen sich immer weiter an, während er die Abbiegung nach Hause nimmt, und ich gebe ein Geräusch von mir, auch wenn ich das nicht will. Meine Hand legt sich auf seine, und er schaut mich nicht einmal an, als er sagt: „Leg deine Hand wieder auf die Seite, Skylar.“
Ich zittere.
Gehorche.
„Verstehst du unsere Vereinbarung?“, fragt er und reibt mit den Fingern über die Stelle, wo sie Druck auf meine Haut ausüben.
Vereinbarung. Welche Vereinbarung?
Er muss sehen, wie sich die Verwirrung mit dem Schmerz in meinem Gesicht vermischt, denn er sieht mich an und stellt klar: „Wir haben vereinbart, dass ich für dich und deine Schwester sorge, und im Gegenzug gehörst du mir und tust, was ich will.“
Diese Worte tun mehr weh als seine Hand auf meinem Bein. Etwas packt mich in der Brust, der emotionale Schmerz ist so stark, dass er sich als etwas Körperliches manifestiert, und es ist unausweichlich. Warum denke ich immer wieder, ich sei mehr
für ihn? Ich muss dumm sein, wenn ich denke, dass ich ihm etwas bedeute, wenn er mich doch ständig daran erinnert, was ich bin.
„Ich gehöre
dir“, flüstere ich. Ich bekomme die Worte um den Kloß in meiner Kehle kaum heraus.
„Tust du das?“ Tates Worte durchbohren mich.
Furcht läuft mir über den Rücken. Er weiß es. Er muss es wissen.
„Ja.“ Es tut weh. Ich weiß nicht einmal, wie es so wehtun kann, aber zwischen seinen Worten und dem Druck seiner Fingerspitzen muss ich kämpfen, um nicht zu weinen.
„Wir werden sehen.“
Nach diesen ominösen Worten, die zwischen uns in der Luft hängen, ignoriert er mich.
Als wir nach Hause kommen, macht mich dieses Schweigen genauso fertig wie die Art und Weise, wie er seine Finger in mein Bein und Knie bohrt und dafür sorgt, dass ich jede Sekunde davon spüre. Er steigt aus dem Auto aus, und für einen Moment kann ich nur betäubt dasitzen. Er öffnet meine Tür für mich, und es fühlt sich bizarr, surreal an, wie er mir seine Hand reicht.
Ich starre ihn an.
Tate packt mich am Handgelenk und zerrt daran, und ich falle fast hin, als ich hinter ihm aus dem Auto steige. Er lässt mir kaum genug Zeit, um die Tür zu schließen, bevor er sich auf den Weg zur Haustür macht. Er zieht mich nach drinnen, als ich anfange, mich gegen ihn zu wehren, wie ein Hund, der weiß, dass er bestraft werden wird.
Die Analogie scheint gar nicht so weit hergeholt.
Ich traue mich nicht, einen Laut von mir zu geben. Evies Tür ist geschlossen, und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie nachforschen könnte, wenn sie das hört … was auch immer passiert. Ich schäme mich gleichermaßen, wie ich mich fürchte, und da die Tränen meine Sicht wieder zu trüben drohen, habe ich Mühe, sie in Schach zu halten.
Ich werde nicht zulassen, dass er mich weinen sieht.
Er zerrt mich in das Schlafzimmer – sein Schlafzimmer – und schubst mich. Ich stolpere und halte mich am Bettpfosten fest, um nicht auf den Boden zu fallen.
„Wie lange fickst du ihn schon?“, fragt Tate.
Ich glaube, ich habe seine Stimme noch nie zuvor so kalt gehört. Ich habe Angst, aber gleichzeitig bin ich auch fassungslos. Er kam rein und … Was genau? Dexter und ich im selben Raum, als ich weinte. Warum sollte er sofort annehmen, dass wir ficken? Dexter könnte mit mir über Evie geredet haben.
Tate weiß, dass ich nicht weine, aber er weiß auch, wie viel mir meine Schwester bedeutet.
Deshalb bin ich hier, in seinem Zimmer, und bereite mich auf die Schläge vor, von denen ich weiß, dass sie kommen werden.
„Tue ich nicht.“ Die Worte kommen überraschend kräftig heraus. Die Tatsache, dass es die Wahrheit ist, hilft.
Tate starrt mich an, seine Augen durchsuchen mein Gesicht, als würde er erwarten, mich bei einer Lüge zu erwischen. Seine Zähne knirschen und er schweigt einen Moment lang, zusammengerollt wie eine Schlange, die nur darauf wartet, anzugreifen.
Ich halte den Atem an und habe Angst, mich zu bewegen.
„Und in was genau bin ich dann hineingeplatzt?“, fragt er. Jedes Wort wird abgeschnitten.
„Tate …“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er wird nicht glauben, dass die Wahrheit viel besser ist als seine eigenen Annahmen, und ich werde das nicht Dexter in die Schuhe schieben. Ich bin nicht bereit, ihn da mit hineinzuziehen.
Ich habe mich so daran gewöhnt, das, was ich denke und fühle, hinter Witzen und Lächeln zu verstecken, aber das hilft mir jetzt nicht weiter. Im Moment habe ich nichts. Ich bin so erschöpft, dass ich nicht einmal denken kann.
Er packt meine Arme und zieht mich näher zu sich heran. „Ich habe dich etwas gefragt, Skylar.“ Seine Stimme ist immer noch todernst, und ich winde mich; es spielt keine Rolle. Ich kann mich nicht befreien, und er wird mich nicht loslassen, bis ich ihm gebe, was er will.
Aber das ist das Problem: Ich kann ihm nicht geben, was er will. Er will hören, dass ich nichts getan habe, aber gleichzeitig weiß ich nicht einmal, ob er mir das glauben würde. Ich kann nicht gewinnen.
Ich sage nichts.
Tates Finger graben sich fester in meine Arme, und ich schreie trotz allem.
„Es war gar nichts!“ Schließlich protestiere ich und sage, was ich von Anfang an hätte sagen sollen. Ich trete mich selbst gedanklich in den Hintern, weil ich so langsam, so dumm bin. Normalerweise bin ich ein besserer Lügner als jetzt. Aber etwas an der Art, wie er sich verhält, hat mich mehr als sonst erschreckt, und zwischen dem und dem Kuss weiß ich nicht, was ich tue.
„Warum hast du geweint, Skylar?“ Der ruhige Ton seiner Stimme ist schlimmer als seine Wut.
Deinetwegen
, möchte ich sagen. Ich habe deinetwegen geweint. Ich weine die ganze Zeit deinetwegen. Ich lasse es dich nur nicht sehen, weil meine Tränen mir gehören und du schon zu viel Macht über mich hast.
Die Sekunden vergehen, aber diesmal habe ich keine Ausrede parat. Ich komme mir so verdammt blöd vor. Ich muss mir eine Lüge ausdenken, die er glauben wird, aber ich finde nichts.
Er lässt mich los, und ich verspüre ein furchtbares Gefühl in der Magengrube. Bevor ich mich abstützen kann, fliegt mir seine Faust ins Gesicht, und der Aufprall wirft mich zurück. Ich
schlage mit dem Rücken gegen das Bettgestell, aber ich bin zu betäubt, um ein Geräusch zu machen.
Tate hat mir schon oft wehgetan, so oft, aber das?
Ich weiß nicht einmal, wie ich anfangen
soll, zu reagieren.
Er kommt einen Schritt näher zu mir, und ich zucke zurück. Ich bereue es sofort. Mein Auge beginnt anzuschwellen, aber bevor ich anfangen kann, das Geschehene zu verarbeiten, rinnt mir etwas Warmes über mein Gesicht. Ich greife nach oben, ohne nachzudenken, um es zu berühren.
Blut.
Ich würge ein Schluchzen zurück, breche auf den Boden zusammen und schlage mir auf dem Weg nach unten mit einem lauten Aufschlag den Kopf am Bettpfosten an.
Es ist mir egal.
„Skylar!“ Panik löscht die Kälte in seiner Stimme aus. Er kauert sich vor mir hin, aber er zögert. Einen Moment lang hört man nur das Geräusch unseres Atems. „Skylar …“, sagt er wieder.
Ich will diesen Ton in seiner Stimme nicht hören, denn der bedeutet, dass er weiß, wie viel Mist er gebaut hat. Nein, das geht über Mist bauen hinaus.
Er hat Scheiße gebaut.
Er hat mich noch nie dort geschlagen, wo andere es sehen konnten, und jetzt müssen wir dieses
Spiel spielen.
Es ist gut, dass ich ein guter Lügner bin.
Bin.
War.
Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.
Als er nach mir greift, krabble ich zurück, obwohl mein Kopf dabei pocht, und ducke mich, während ich versuche, mein Gesicht vor ihm zu schützen.
Tate packt mich trotzdem, und seine Arme schlingen sich um mich, während er Kuss um Kuss in mein Haar drückt. „Skylar“, haucht er, und seine Stimme stockt. „Skylar, es …“
Halt den Mund. Sag nicht mehr meinen Namen. Sag nicht, dass es dir leidtut. Diesmal nicht. Nicht dieses Mal …
„Ich wollte nicht …“
Doch, wolltest du. Du wolltest genau das.
„Ich …“
Das ist das Problem, Tate!
Ich möchte die Worte schreien, aber ich traue mich nicht. Genau das ist das Problem. Ich.
Es geht immer um ihn, immer. Das ist der Unterschied zwischen uns. Alles, was ich tue, tue ich für Evie. Alles, was Tate tut, ist für Tate.
Und das Schlimmste ist, dass er mir trotz allem wichtig ist.
Ich liebe ihn vielleicht nicht so, wie er es will, aber ich liebe ihn. Er hat mich davor bewahrt, etwas zu werden, was ich gehasst hätte. Er hielt mich über Wasser, als ich darum kämpfte. Er half mir, die Vormundschaft für Evie zu bekommen. Seit über eineinhalb Jahren ist er für mich da, aber der Preis für seine Hilfe …
Er ist so hoch. Er ist so verdammt hoch, und ich weiß nicht, wie lange ich ihn noch bezahlen kann. Vor Dexter war es schlimm, aber jetzt? Jetzt habe ich das Gefühl, ich schreie und schreie, und niemand kann mich hören.
Tate wiegt mich in seinen Armen und hält mich genauso behutsam wie ein Neugeborenes. Er versucht nicht mehr zu sprechen, und ich bin froh darüber. Es gibt keine Worte, die er sagen kann, um das wieder in Ordnung zu bringen.
Das hier nicht.
Ich wollte noch nie so sehr gehen, aber ich denke an Evie. Ich denke an die Tatsache, dass ich nichts habe, was ich mein Eigen nennen kann, dass wir nirgendwo hingehen können.
Die Erkenntnis droht etwas in mir zu zerbrechen. Ich möchte weinen, schreien, kämpfen, für mich selbst einstehen.
Stattdessen ermorde ich etwas Kostbares in mir, während ich alles zum Schweigen bringe.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, bis er anfängt, sich zu entschuldigen und leere Versprechungen zu machen. Alles, woran ich denken kann, ist sein Geständnis, dass er nicht anders kann. Was bedeutet das für mich?
Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.
Er hilft mir ins Bett, und obwohl der Gedanke, neben ihm zu schlafen, fast mehr ist, als ich ertragen kann, kann ich nicht die Energie aufbringen, um zu protestieren. Er verschwindet im Badezimmer und kommt mit einem Erste-Hilfe-Kasten zurück. Sein Gesicht ist blass, als er mich in dem hellen Licht, das durch die Tür fällt, ansieht, aber er kommt zu mir und stellt den Kasten ab. Behutsam reinigt er die Stelle, an der die Haut aufgeplatzt ist, und für einen langen Moment sind seine Augen auf den Schaden gerichtet, den er verursacht hat.
Tate streckt die Hand aus, als wolle er mich berühren, aber ich schrecke zurück. Schmerz flimmert über seine Miene, und ich muss kämpfen, um meine Ungläubigkeit nicht zu zeigen.
Diesmal tröste ich ihn nicht. Ich werde es nicht tun.
Ich kann nicht.
Diesmal nicht.
Er packt schweigend die Ausrüstung zusammen und bringt sie ins Badezimmer zurück. Als er diesmal zurückkommt, fasst er mich nicht an. Ich rolle mich an der Bettkante zusammen, und er geht auf der anderen Seite ins Bett. Ausnahmsweise lässt er mich in Ruhe, und ich weine leise in mein Kissen, bis ich einschlafe.