Rasmus klopft an die Tür zu Helena Lappis Dienstzimmer. Als keine Antwort kommt, drückt er probeweise die Klinke herunter, und die Tür geht auf. Hellu sitzt auf ihrem Bürostuhl, mit dem Gesicht zum Fenster. Sie macht keine Anstalten, sich zu Rasmus umzudrehen.
»Störe ich?«, fragt er schüchtern.
Hellu seufzt und schließt die Augen.
»Hellu?«
»Nein, du störst nicht«, antwortet sie schließlich, starrt aber immer noch nach draußen in die Dunkelheit. »Was tust du um diese Zeit im Präsidium, Susikoski? Geh nach Hause.«
»Die Zentralkripo hat die Gruppen umgestaltet, ich wollte dir nur mitteilen, dass ich bei dem Fall der Manga-Liga nicht mehr dabei bin. Aber das weißt du sicher schon.« Rasmus tritt näher und schließt die Tür hinter sich.
Hellu verzieht das Gesicht. Sie schüttelt den Kopf und senkt den Blick auf ihre Smartwatch. »Die erzählen mir nichts«, sagt sie leise und bedrückt.
»Aber als Ermittlungsleiterin bist du …«
»Hast du gehört, Susikoski? Die lassen mich im Dunkeln. Die ganze Sache ist in der Sekunde in die Binsen gegangen, als die verdammten Aasgeier nach Pasila gekommen sind«, sagt Hellu. Rasmus hat die Hauptkommissarin noch nie in einer solchen Verfassung erlebt. Auf dem Tisch stehen drei leere Kaffeetassen und der gestrige Kuchenteller, was für die sonst so pedantische Hellu äußerst ungewöhnlich ist.
»Jedenfalls habe ich etwas entdeckt, auf das sofort reagiert werden muss«, erklärt Rasmus und tritt näher an Hellus Schreibtisch heran. »Aber ich weiß nicht, wem ich das melden soll. Zumal es schon so spät ist.«
»Was melden?« Hellu dreht widerstrebend ihren Stuhl zu Rasmus hin.
»Erinnerst du dich, wie ich vor gut einer Woche die Metadaten zu Lisa Yamamotos Leuchtturmfoto abgeklärt habe?«
»Ja«, sagt Hellu und reibt sich die Stirn. »OnePlus 4 oder so ähnlich.«
»OnePlus 5. Und ich habe damals berichtet, dass wir nur die technischen Daten des Handys herausfinden können, aber nicht seinen Besitzer.«
»Genau. Und das hat die ganze Meta-Analyse ziemlich nutzlos gemacht …«
»… es sei denn, es würde uns wie durch ein Wunder gelingen, das betreffende Handy auf anderen Wegen zu lokalisieren und seine Metadaten mit den bereits vorliegenden zu vergleichen.«
Hellu wirkt plötzlich interessiert. Rasmus spürt, dass seine Handflächen feucht werden. Er weiß nicht, wie man seine Entdeckung einstufen soll und ob sie überhaupt korrekt ist. Sie ist so irrsinnig.
»Sprich Klartext, Susikoski«, sagt Hellu ohne boshaften Unterton.
»Ich habe eine Meta-Analyse von Lisa Yamamotos Fotos gemacht. Die meisten wurden mit ihrem eigenen Handy aufgenommen, aber ein Teil mit einem anderen. Es ist wohl ganz natürlich, dass jemand für eine Bloggerin fotografiert und ihr die Bilder dann zur Bearbeitung und Veröffentlichung schickt.«
»Und?«
»Ich habe mich auf die Fotos konzentriert, die in St. Petersburg, Amsterdam und Lwiw entstanden sind. Yamamoto hat von jeder dieser Reisen massenhaft Instagram-Posts gemacht. Und alle Bilder, auf denen Lisa zu sehen ist – natürlich mit Ausnahme der Selfies –, wurden mit demselben OnePlus 5-Gerät aufgenommen wie das letzte Foto auf ihrem Instagram-Account«, erklärt Rasmus. »Das Leuchtturmbild.«
»Moment mal«, fällt Hellu ihm ins Wort. »Willst du damit sagen, dass derjenige, der den Leuchtturm fotografiert hat, auch bei Lisas Reisen dabei war und Urlaubsfotos von Lisa und den anderen geknipst hat?«
»Ja«, antwortet Rasmus. »Zum Beispiel das Gruppenbild vom Polterabend in Lwiw. Es wurde mit dem fraglichen Handy gemacht. Auf dem Bild sind zwölf Frauen zu sehen, einschließlich Lisa. Aber #ocean’s13 deutet darauf hin, dass es insgesamt dreizehn waren.«
»Eine fehlt auf dem Bild«, sagt Hellu leise. »Weil sie es gemacht hat.«
»Genau. Ich habe bei der Fluggesellschaft nachgefragt, bei der die Gruppe gebucht hatte.«
»Und? Wer ist es?«
»Das ist ja das Allerverrückteste, Hellu. Es ist eine Person, die wir aus irgendeinem Grund total übersehen haben.«