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Die Gäste, die rauchend vor dem Restaurant stehen, beobachten aufmerksam, wie die Polizisten die Straße überqueren. Jessica geht in Zivilkleidung voran und ignoriert das verächtliche Getuschel von zwei Männern mittleren Alters, die auf der Terrasse stehen. An diesem Ort und zu dieser Tageszeit schätzt niemand ihre Anstrengungen für die öffentliche Sicherheit.

Jessica und die Streifenpolizisten bleiben an der Tür des Geschäfts stehen. An den großen Schaufenstern zu beiden Seiten der Glastür hängen weiße Rollos.

Sie rüttelt an der Tür, die jedoch erwartungsgemäß abgeschlossen ist. Die Metallklinke fühlt sich an ihrer bloßen Hand eiskalt an. Sie hat vergessen, Handschuhe mitzunehmen.

»Hier«, sagt der kahlköpfige, bärtige Polizeimeister und reicht ihr eine Taschenlampe mit langem Griff.

Jessica ergreift sie, richtet das Licht durch die Glastür und sieht einen Raum, der ungefähr so groß ist wie ihre Einzimmerwohnung in Töölö. Zimmerpflanzen, ein paar Sitzsäcke, zum Thema passende Froschbilder und ein hoher Tisch mit einem Laptop. Auf dem Fußboden zusammengerollte Yogamatten, Kerzen, Bücher und einige Eimer. An der Wand hängt eine gelbe Regenjacke.

Und dann ist da noch etwas, das Jessicas Aufmerksamkeit fesselt. Es liegt auf dem Boden, halb hinter einem Sitzsack.

»Kommt mal gucken«, sagt sie. »Ist das ein Handy?«

Der eine der beiden Streifenbeamten greift nach der Taschenlampe und kneift die Augen zusammen.

»Könnte sein«, sagt er, die Stirn an die Glastür gepresst.

»Mach die Taschenlampe mal kurz aus«, befiehlt Jessica und holt ihr Handy hervor. Sie wählt die Nummer, die sie vor einer halben Stunde Jusuf gegeben hat. Einige Sekunden vergehen. Dann beginnt das schwarze Ding auf dem Fußboden zu blinken.

Jessica spürt, wie ihr Puls sich beschleunigt. Sie weiß, dass es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, dass das Handy um elf Uhr abends auf dem Boden des Studios liegt. Schon gar nicht an einer so sichtbaren Stelle: Wenn der Besitzer zurückgekommen wäre, um es zu suchen, hätte er es sofort gefunden.

Sie klopft an die Glasscheibe, doch niemand kommt an die Tür. Sie wartet einen Moment, dann klopft sie erneut, diesmal noch heftiger.

Nichts rührt sich.

Die Möglichkeit, dass Jose Rodriguez, der Kambo-Behandlungen anbietet, am Ende des Arbeitstages in seinem Geschäft eingeschlafen wäre, wird zusehends unwahrscheinlicher.

»Wir müssen rein«, sagt Jessica. »Hol das Werkzeug.«

Der ältere Streifenpolizist starrt sie an, blickt zu den Restaurantbesuchern hinüber, die aus zehn Metern Entfernung die Situation beobachten, und mustert schließlich das Schloss der Glastür. Dann hebt er den Griff der Taschenlampe. Jessica sieht ihn fragend an.

»Ich würde es damit versuchen«, schlägt er vor.

»Okay, ich übernehme die Verantwortung«, sagt Jessica und tritt zur Seite. »Leg los.«

Der Polizist zögert nicht lange, sondern zerschlägt die Glasscheibe mit dem Ende der Taschenlampe. Die beiden Männer, die immer noch auf der Terrasse herumlungern, feuern sie spöttisch an.

Der Polizist schlägt mit der Taschenlampe die spitzen Glassplitter vom Rahmen, schiebt seine durch den Handschuh geschützte Hand durch das Loch und öffnet die Tür. Kein Alarm ertönt. Nur das unter den Schuhen knirschende Glas zerbricht die Stille.

Jessica greift nach ihrer Waffe, der Polizist ebenfalls. Der zweite Uniformierte bleibt an der Tür.

Sie schaltet das Licht ein. In der Luft hängt ein seltsamer Geruch nach Räucherstäbchen und verbranntem Fleisch.

An der Rückwand stehen Regale mit Tontöpfen, Einmachgläsern und Geräten, über deren Zweck Jessica nur Vermutungen anstellen kann. Auf den ersten Blick ist in dem Raum nichts, was sie nicht schon durch die Glastür gesehen hätten.

Mit der freien Hand hebt sie das Handy von Jose Rodriguez auf und drückt auf die Home-Taste. 12 llamadas perdidas.

12 verpasste Anrufe. Das Handy hat schon eine ganze Weile auf dem Fußboden gelegen.

Jessica nickt zu der schwarzen Tür an der Rückwand.

»Jose Rodriguez?«, ruft sie, obwohl es ihr überflüssig erscheint. »Hier ist die Polizei.«

Der Polizist greift nach der Klinke. In der anderen Hand hält er immer noch die Pistole.

»Hello, anyone?«

Als keine Antwort kommt, nickt Jessica, und der Kollege öffnet die Tür.

Es scheint eine Weile zu dauern, bevor das Licht in die Dunkelheit der Toilette vordringt. Die Augen des rastalockigen jungen Mannes, der mit heruntergelassener Hose auf dem Klo sitzt, sind leuchtend blau. Sie sind weit aufgerissen, obwohl die zwischen die Augen geschossene Kugel ihn schon vor einiger Zeit in ewigen Schlaf versetzt und einen Teil seines Schädelinhalts an die hellblauen Wandkacheln geschleudert hat.