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Jusuf hält in der Töölönkatu vor Jessicas Treppenaufgang.

Jessica steigt nicht gleich aus, sondern legt den Kopf an die Kopfstütze. Es ist eine Art Tradition, dass sie einen Moment gemeinsam schweigen, bevor sie sich trennen. Zu diesem Moment gehören das knackende Geräusch, das entsteht, wenn Jusuf die Handbremse anzieht, der im Leerlauf brummende Motor, die Scheibenwischer, die den Schnee beiseiteschieben, und die leise laufende Spotify-Liste, die Jessica nicht ausstehen kann. Der Stadtteil Töölö lag eigentlich nie auf Jusufs Heimweg, aber er besteht trotzdem regelmäßig darauf, Jessica nach Hause zu bringen.

Manchmal, wenn auch selten, hat Jessica ein schlechtes Gewissen, weil sie begonnen hat, das Arrangement als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Bei Jusuf im Auto zu sitzen ist Teil eines Schauspiels geworden, das Jusuf signalisieren soll, dass Jessica so ist wie alle anderen: angewiesen auf kleine alltägliche Handreichungen. Kannst du mir einen Hunderter leihen? Hast du Zeit, mich nach Hause zu fahren?

Gelegentlich, vielleicht nur ein oder zwei Mal, hat Jessica überlegt, ob Jusuf vielleicht gern den Motor abstellen, den Wagen stehen lassen und mit ihr ins Haus gehen würde.

Würde sie selbst es wollen? Eher nicht. Jusuf ist schon seit Langem ein guter Freund, und sie möchte diese Freundschaft nicht für Sex aufs Spiel setzen. Außerdem haben sie sich immer gerade deshalb so gut verstanden, weil es zwischen ihnen keinerlei sexuelle Spannung gibt. Auf dem Papier würden sie zusammen gut aussehen. Aber Jessica hat gemerkt, dass sie Jusuf in Gedanken mit Toffe verbindet, dem kleinen Bruder, den sie vor langer Zeit verloren hat. Außerdem hatte Jusuf bis zum Frühjahr Anna. Das jahrelange Glück der beiden, die sich im Gymnasium ineinander verliebt hatten, hat allen Hoffnung gemacht, dass beileibe nicht jede Beziehung scheitert. Und jetzt ist auch dieses Wolkenschloss zerfallen.

»Danke fürs Mitnehmen«, sagt Jessica.

Sie weiß, dass sie diese Worte zu selten ausspricht.

»Nichts zu danken«, sagt Jusuf und lächelt müde. »Morgen machen wir weiter.«

Bevor Jessica die Tür zuschlägt, hört sie noch, wie er den Song der Band Gasellit mitsingt. Nee, mit Malaga hab ich nichts am Hut. Mir geht’s zu Hause verdammt gut.