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Jusuf betrachtet den stämmigen Mann, der vor ihm sitzt.

»Zigaretten?«, fragt er. Sahib Alem, der einen roten Trainingsanzug mit zwei Streifen trägt, nickt. Jusuf gibt ihm Feuer und zündet sich dann seine eigene Zigarette an.

»Du nimmst es mir sicher nicht übel, wenn ich dich nach deinen Wurzeln frage?«, meint Jusuf, obwohl er weiß, dass der Mann neben der finnischen die iranische Staatsbürgerschaft hat. Es ist nicht das erste Mal, dass er seinen eigenen ethnischen Hintergrund nutzt, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Befragten zu schaffen.

»Ich bin in Helsinki geboren«, antwortet Sahib trocken und lehnt sich entspannt zurück.

Jusuf lächelt und schiebt den Aschenbecher in die Tischmitte. Bei Befragungen darf man heute eigentlich nicht mehr rauchen, aber wer sollte sich schon darüber beschweren. Zumal es die Atmosphäre lockert und hilft, schneller zu Ergebnissen zu kommen.

»Okay, cool. Ich bin aus Söderkulla«, gibt Jusuf zurück, die Zigarette zwischen den Fingern. »Das gehört zu Sipoo.«

»Ich weiß, wo Söderkulla liegt«, sagt Sahib ausdruckslos, als würde er dem tausendsten Nachtclubbesucher einen schönen Abend wüschen.

Jusuf lacht gutmütig auf. »Okay, okay. Mein Alter ist aus Äthiopien.«

»Sicher eine schöne Gegend«, erwidert Sahib abweisend und zieht an seiner Zigarette.

Eine Weile sitzen sie stumm da und betrachten sich gegenseitig.

»Na dann, das war ja ein netter Small Talk«, sagt Jusuf und blickt auf den Papierstapel, der auf dem Tisch liegt. »Wenn du jetzt alles erzählst, kann es sein, dass du ziemlich glimpflich davonkommst. Aber tu mir und vor allem dir selbst einen Riesengefallen: Denk dir keine Märchen aus.«

Sahib Alem legt die Zigarette an den Rand des Aschenbechers und verschränkt die Arme. Jetzt beginnt ein hartes Pokerspiel, denn die Indizien verbinden ihn nur indirekt mit dem Prepaid-Anschluss. Das Handy, von dem der Anschluss angerufen wurde, läuft nicht auf Sahibs Namen, sondern gehört dem Mann seiner Schwester. Die Verbindung ist zu offensichtlich, um als Zufall durchzugehen, andererseits aber zu dünn, um eine Verhaftung zu rechtfertigen.

»Ich will wissen, warum und in welchem Zusammenhang du diese Nummer angerufen hast«, sagt Jusuf und schiebt ein Blatt Papier über den Tisch. Die vermutlich von Sahib getätigten Anrufe sind gelb markiert, während die anderen Nummern mit schwarzer Tusche unleserlich gemacht wurden. »Es sind mehr als zehn Anrufe, alle während der Öffnungszeiten des Fenix, als du als Türsteher dort warst. Das haben wir überprüft.«

Sahib betrachtet das Papier, und Jusuf weiß nicht so recht, was die Augen des großen Mannes sagen. Sie wirken vielleicht ein wenig traurig, sogar verbittert.

»Wenn du nichts von diesen Anrufen weißt, Sahib, müssen wir deinen Schwager holen. Oder es könnte ja auch sein, dass jemand anders aus demselben Haushalt …«

»Hör auf«, sagt Sahib und blickt Jusuf starr in die Augen. »Zieh meine Schwester nicht da rein.«

Jusuf lehnt sich zurück und setzt eine überraschte Miene auf. Der Befragte darf nicht auf den Gedanken kommen, dass es sich um einen gelungenen Bluff handelt.

»Dann sprich mit mir, Sahib.«

Der Mann nimmt die Zigarette vom Aschenbecher. Da sie inzwischen ausgegangen ist, gibt Jusuf ihm Feuer. Sahib ist ganz offensichtlich hartgesotten und bedrohlich stark, aber in seinen Augen liegt Wärme. Jusuf ist sicher, dass Sahib nicht durch und durch schlecht ist, aber das sind andererseits die wenigsten. Außerdem ist es ein Kardinalfehler, bei einer Vernehmung eigene, auf Küchenpsychologie gestützte Interpretationen zu machen. In Wahrheit weiß Jusuf über Sahib Alem nur das, was dieser während der Befragung preisgibt.

»Das Dilemma des Gefangenen«, sagt Jusuf und zieht an seiner Zigarette.

Nach seinem Blick zu schließen weiß Sahib, was Jusuf meint.

»Ihr seid ziemlich viele, und einer redet garantiert. Und wenn das passiert, ist dein Schweigen für dich nur von Nachteil«, fährt Jusuf fort. »Im Ernst, wenn man das Ganze als Spiel betrachtet, hast du die besseren Chancen, wenn du jetzt alles erzählst.«

Sahib sieht Jusuf von unten herauf an, nimmt noch einen Zug und drückt die Kippe im Aschenbecher aus.

»Aus Söderkulla also?«

»Ja«, antwortet Jusuf und spürt ein warmes Gefühl im Bauch. Satzsieg.

Sahib seufzt schwer. »Aus Teheran. Meine Eltern, meine ich«, sagt er. »Aber ich bin von hier. Mir stinkt’s, dass manche das nicht kapieren.«

Jusuf hört geradezu, wie das Eis bricht.

»Ich weiß, was du meinst«, nickt er und gießt sich aus der Kanne Wasser ein. Jetzt hat er keine Eile mehr.

»Okay«, sagt Sahib schließlich. Seine Gesichtsmuskeln entspannen sich: Er hat seine Deckung verlassen. »Viel hab ich eigentlich nicht zu erzählen. Ich hatte von nichts eine Ahnung. Ich hab Anweisungen bekommen, die ich befolgt hab. Und dafür hab ich ein bisschen was extra gekriegt.«

»Was für Anweisungen?«

»Man hat mir eine SIM-Karte gegeben. Ich sollte irgendein altes Handy benutzen, aber nicht das eigene. Und ich hab eine Nummer bekommen, die ich anrufen musste. Dreimal läuten lassen und dann auflegen. That’s it

»Wann solltest du anrufen?«

»Wenn jemand an die Tür zur Bar kommt und fragt: Ist James unterwegs?«

»Wer ist James?«

»Das ist der, der mir die Sache vorgeschlagen hat. Anfangs wusste ich nicht, was für ein Typ das ist, aber dann hab ich gesehen, wie er einen, der gefragt hatte, aufgelesen hat, in einem schwarzen Mercedes-Jeep. Er war der Chauffeur.«

»Dieser James hat also den Frager im Fenix abgeholt«, sagt Jusuf mit einem Blick auf das Aufnahmegerät, an dem ein rotes Lämpchen leuchtet.

Sahib nickt langsam.

»Und du weißt nicht, wohin der Frager gebracht wurde?«

»Nein. Das ist die Wahrheit. Ich hab für jede Tour zweihundert gekriegt.«

»Und du hattest nur die Aufgabe, diese Nummer anzurufen, und dann kam nach einer Weile James mit dem Auto.«

Sahib nickt wieder und wischt sich über die Stirn.

»Und wie hast du das Geld bekommen?«

»Ab und zu ist James an die Tür gekommen und hat Hallo zu mir gesagt. Vielleicht zwei Mal im Monat. Und dabei hat er mir die Scheine zugesteckt.«

»Laufen im Fenix viele käufliche Frauen rum?«, fragt Jusuf und schiebt den Stuhl etwas näher an den Tisch.

Sahib wirkt verwundert.

»Da wird kein Hurengeschäft gefördert, wenn du das meinst«, sagt er. »Wenn eine Frau ordentlich angezogen ist, lassen wir sie rein, man kann ja wohl nicht an der Tür erraten, welche eine Hure ist und welche nicht.«

Jusuf weiß, dass Sahib lügt: Die Kreise sind klein, die Mädchen, die in Nachtclubs Kunden suchen, sind den Türstehern bestens bekannt. Für die Ermittlung hat das aber keine Bedeutung.

»Hatte James Frauen bei sich?«

»Nie. Er kam immer allein und hat nur den Kunden abgeholt.«

»Den Kunden? Du weißt also doch, wohin …«

Sahib wird nervös. »Scheiße, das hab ich bloß so gesagt. Klar waren das Kunden: Und die sind bestimmt nicht zur Konditorei gefahren. Ich hab keine Ahnung, ob am Ziel ein Haufen Speed, ein Hahnenkampf, ein illegales Pokerspiel oder ein Bordell wartet. Das geht mich nichts an, okay?«

»Hast du dieselben Kunden mehrmals gesehen?«, fragt Jusuf schnell, ohne Sahib eine Atempause zu lassen. Schnell Holz nachlegen, der Bursche wird allmählich warm.

»Ein paar Gesichter sind mir schon bekannt geworden.«

»Männer?«

»Ja.« Sahib wirft einen fragenden Blick auf die Zigarettenschachtel. Als Jusuf nickt, greift er zu. Jusuf gibt ihm Feuer, während draußen auf dem Flur Schritte vorbeigehen.

»Wie sieht dieser James aus?«

»Dunkelhaarig. Sehnig. Meiner Meinung nach ist er Russe.«

»Können wir ihn auf einer der Kameras sehen?«, fragt Jusuf. »Draußen vor dem Fenix?«

»Ihr könnt’s probieren. Er war letzten Samstag unten am Eingang. Hat mir einen Umschlag gebracht.«

»Am Samstag? An dem Tag, an dem das Album veröffentlicht wurde?«

»Genau. Mittags zwischen zwölf und eins. Ich war da, um bei den Vorbereitungen zu helfen«, sagt Sahib und sieht dem Rauch nach, der zum Lüftungskanal aufsteigt.

Jusuf stülpt die Unterlippe vor und betrachtet den Mann, dessen roten Trainingsanzug und die riesigen Bizepse. Und dabei überlegt er unwillkürlich, ob ein durch Bodybuilding perfektioniertes Äußeres wirklich erstrebenswert ist. Vor allem dann, wenn es als Rüstung dienen soll und wenn die darin gefangene Seele trotz allem zur selben Unsicherheit verdammt ist wie alle anderen auch. Sahib Alem wirkt wie ein Mann, der zuerst seine furchterregende äußere Gestalt geschaffen und dann begonnen hat, entsprechend zu leben, nicht umgekehrt.

»Sahib, ich frag dich noch nach zwei Dingen, und du musst hundertprozentig ehrlich bleiben«, sagt Jusuf. Sahib überlegt ein paar Sekunden, dann nickt er.

»Du hast bestimmt darüber nachgedacht, was das Handy und James’ Ankunft zu bedeuten hatten. Aber hast du darüber mehr gewusst, als du mir gerade erzählt hast?«

»Nein«, antwortet Sahib ohne Zögern und völlig überzeugend.

»Und wusste im Fenix oder anderswo noch jemand davon?«

Sahib schüttelt den Kopf und blickt auf seine große Armbanduhr, als könnte er jetzt noch Eile vorschützen und gehen. Doch diese Wahl hat er nicht mehr.

»Es gab nur mich und James. Ich wollte bloß was dazuverdienen. Das ist alles.«