D amian Rule saß im Empfangsbereich des auf das Thema Sport ausgerichteten Friseursalons und fragte sich zum hundertsten Mal, warum zur Hölle er schon wieder hierhergekommen war. Der Salon lag auf der anderen Seite der Stadt, weit entfernt von seiner Wohnung und seinem Büro im Stadtzentrum. Zudem empfand er das Ambiente auch nicht als sonderlich ansprechend. Die Beleuchtung war viel zu grell, und eine ständige Flut an Kommentaren über Sportveranstaltungen – die ihn wohlgemerkt einen Scheiß interessierten – hallte durchgehend aus den überall verteilten Flachbildfernsehern.
Als er sich im Salon etwas genauer umschaute, stellte er außerdem fest, dass weder die Angestellten noch die Kundschaft dieses Salons die Art von Mensch war, mit der er sich für gewöhnlich umgab. Das erste Mal war er aus Verzweiflung in diesen Friseursalon gekommen, als er dringend einen ordentlichen Haarschnitt brauchte und dies der nächstgelegene Salon gewesen war, den er finden konnte. Seitdem kam er immer wieder hierher. Zugegebenermaßen leistete seine Friseurin wirklich gute Arbeit, allerdings auch nicht so gut, als dass sie für ihn unersetzlich wäre.
Als sie ihn für seinen Termin holte, direkt anfing zu plappern und begann, in der obersten Schublade ihres Arbeitswagens zu wühlen, blendete Damian sie einfach aus und ließ seinen Blick durch den Teil des Salons gleiten, den er durch den Spiegel sehen konnte.
Er fand nicht sofort, wonach er suchte, also schaute er sich weiter um. Der Salon war gut besucht, wie eigentlich immer. Es waren mehrere Friseure bei der Arbeit. Entweder schnitten sie ihren Kunden gerade die Haare an ihren Bedienplätzen oder sie wuschen sie ihnen an den Haarwaschplätzen. Nachdem weitere Minuten geduldiger Beobachtung verstrichen waren, wurde sein Eifer durch eine leichte Bewegung im hinteren Teil des Ladens belohnt. Aaaaah … da war sie .
Sie war über eine kleine Schüssel gebeugt, in der sie gerade eine Haarfarbe mischte. Ihre weiblichen Körperformen und ihr niedergeschlagener Blick verursachten bei Damian jedes Mal, wenn er sie sah, die gleiche Anspannung in seiner Leistengegend. Während er sie weiter beobachtete, wurde ihm klar, wieso er immer und immer wieder in diesen Salon zurückkam. Es lag nicht an der Örtlichkeit des Salons oder an der Friseurin, die seine Haare schnitt; auch nicht an den Sportveranstaltungen, die hier während der Geschäftszeiten übertragen wurden. Das alles war nicht der Grund dafür.
Er kam allein wegen dieser Frau, die er gerade beobachtete . Die Friseurin, die seine volle Aufmerksamkeit hatte, die, die die anderen alle Angie nannten.
Damian ließ diese Silben durch seinen Kopf kreisen und die Bedeutung dieses Namens ein Bild in seinen Gedanken formen. Angie. Angela. Engel .
Sein Mund formte sich zu einem Grinsen. Engel. Ja, das passt.
Das Mädchen ähnelte in keinster Weise einem Engel, weder was ihre Körperform noch ihr Aussehen anging. Es sei denn, die Tatsache, dass ihre vollen Lippen ihm zweifellos den Himmel auf Erden bescheren könnten, zählte auch.
Verdammt .
Er musste sie aus seinem Kopf bekommen, das war ihm bewusst. Aber wie zum Teufel sollte er das schaffen, wenn er jedes Mal, wenn er einen einfachen Haarschnitt brauchte, sich wie ein hirnloser Idiot von seinem Schwanz hierher zurückführen ließ? Schon seit Monaten kam er hierher, um sie zu beobachten. Es war zweifellos ein absolut erstaunliches Wunder, dass Damian in der Lage gewesen war, so lange stillzusitzen und sie einfach nur zu beobachten. Innerlich löste sie bei ihm Prozesse aus, die … verdammt. Er holte tief Luft und sammelte sich wieder. Er wollte nicht daran denken, was sie in seiner Vorstellung schon alles mit ihm angestellt hatte.
Damian konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. Unfähig, gegen diesen starken Drang anzukommen, beobachtete er sie weiter, als wären seine Augen Magnete, die von Metall angezogen wurden. Er war so sehr von ihr angetan, dass sein Penis gegen seine Jeans anschwoll, während er sie musterte. Ja, ein Engel war sie mit Sicherheit nicht, sondern eher das genaue Gegenteil. Auch wenn sie sich mit einer unbewussten Eleganz bewegte, war das Mädchen sicherlich kein braves Prinzesschen. Nein, sie hatte diese finster-berauschende Ausstrahlung der Verruchtheit. Wie ein femininer, verführerischer kleiner Teufel, der darum bettelte, gefickt zu werden .
Sie war ein sexy, schlankes und schwarzes Chaos.
Er schätzte sie auf Durchschnittsgröße, vielleicht auch etwas kleiner. Er konnte es nicht genau sagen, weil sie immer schwarze Plateauschuhe trug, die sie größer machten, als sie war, und ihre Beine unter der schwarzen Netzstrumpfhose atemberaubend aussehen ließen. Er hatte keine Ahnung, ob sie immer kurze Röcke trug oder ob es nur sein Glück war, dass sie bisher jedes Mal, wenn er sie sah, einen anhatte. Ihre Röcke waren so kurz, dass er schon allein bei diesem Anblick immer einem Orgasmus nahe war. Sie war so umwerfend, so sexy … auf jeden Fall sexy genug, um ihn immer wieder hierher zurückkommen zu lassen, nur um immer und immer wieder einen weiteren Blick auf sie zu werfen, egal wie sehr es ihm widerstrebte.
Jedes Mal wenn er hierherkam, erwartete er, festzustellen, dass sein Verstand und Trieb ihm nur Streiche gespielt hatten. Sie konnte auf keinen Fall so heiß sein, wie er sie beim letzten Mal wahrgenommen hatte.
Doch jedes Mal war sie es doch.
Sie war zwar immer verdammt heiß, aber sie war nicht immer perfekt. Manchmal sah sie sehr erschöpft und müde aus. Aber immer dann, wenn ihr Make-up nicht einwandfrei und ihr Lächeln nicht strahlend war, waren das die Momente, in denen er sie am liebsten ficken wollte. Wenn sie so verletzlich aussah, wollte er nichts mehr, als sie hochzuheben, ihre Beine um seine Taille zu schlingen und tief in sie hineinzustoßen.
Er sollte es nicht mögen sie so müde zu sehen, aber er konnte nicht ändern, dass er es trotzdem tat. Denn immer dann, wenn sie merklich müde war, waren das die einzigen Momente, in denen sie einen Ausrutscher beging und sich tatsächlich erlaubte, einen Blick auf ihn zu werfen. Die meiste Zeit ignorierte sie ihn jedoch.
Ihrem Kleidungsstil zufolge würde man bei ihr von einer extrovertierten und offensiven Persönlichkeit ausgehen, das war sie aber nicht. Ihrer Erscheinung widersprechend, waren von ihr keinerlei aufdringliche Schwingungen wahrzunehmen. Sie versuchte nicht einmal, mit ihm zu flirten, wie es die meisten Frauen taten.
Stattdessen ignorierte sie ihn, als würde er nicht existieren. Dieses Verhalten ließ den Jäger in ihm aufhorchen, den er immer wieder bremsen und unter Kontrolle halten musste. Wenn sie jedoch müde war und er sie dabei erwischte, wie sie ihn unter ihren langen Wimpern ansah, brannte sein Inneres vor Hitze, seine Adern füllten sich mit Lust und seine Fantasie lief auf Hochtouren. Er stellte sich vor, wie er durch den Raum lief, sie ergriff und hochhob, wie seine Hände in das weiche Fleisch ihres Hinterns versanken und wie er sie in das Hinterzimmer trug. Er würde sie ausziehen, bis sie splitternackt war, und dann würde er sie im Stehen ficken. Er würde in ihr kommen, und sie würde um ihn herum zerfallen, ihr Inneres heiß und nass, während sie in Ekstase explodierte und ihn dabei noch fester umschlang.
Die Fantasie, sie zu ficken, überkam ihn jedes Mal, wenn er hier war, und sie verfolgte ihn auch noch, wenn er wieder ging. In seinem Kopf hatte er sie schon auf jede erdenkliche Weise gefickt und noch andere unanständige Dinge mit ihr angestellt. Er hatte sie im Stehen gefickt, er hatte sie auf allen vieren kniend gefickt, er hatte sie in seinem Büro gefickt, während er sie auf seinen Schreibtisch drückte.
Er biss die Zähne zusammen und schluckte schwer, er versuchte, das Bild zu vertreiben, aber es gelang ihm nicht. Er hatte böse, böse Fantasien mit diesem Mädchen gehabt. Noch nie zuvor in seinem verdammten Leben hatte er vergleichbare Fantasien mit jemandem gehabt.
Wenn er normalerweise an Sex dachte, ging es nur um Sex. Es ging um Befriedigung. Aber nicht mit diesem Mädchen. Er wollte sie bändigen. Er wollte Kontrolle.
Er atmete tief ein, um seine Nerven zu beruhigen, und ließ seinen Blick an ihr herauf und wieder herunter wandern. Er versuchte, sich auf die Realität zu konzentrieren und die Fantasien aus seinem Kopf zu verdrängen. Aber sie drängten sich immer wieder auf. Mit jedem Mal, wenn er sie sah, wollte er sie noch mehr haben. Und sein analytisches Gehirn kannte den Grund dafür. Es war, weil sie die für ihn absolut unpassende Frau war.
Sie war genau das Gegenteil von der Art Frau, auf die er normalerweise stand. Das genaue Gegenteil von der Art Frau, die er irgendwann einmal heiraten wollte. Eine, die ihren Platz an seiner Seite einnehmen und seinem Zuhause Leben einhauchen würde. Die Art von konservativer Erdung, die er brauchte, indem sie sich im Hintergrund hielt, während er das Familienunternehmen ausbaute. Ob es ihm gefiel oder nicht, er war gezwungen, seine Gäste bei zahlreichen Veranstaltungen zu unterhalten, und diese Anlässe würden nur mit dem Wachstum und der steigenden Vielfalt der Rule Corporation zunehmen.
Er wusste, was er brauchte; er brauchte eine Frau, die perfekt frisiert war, die sich konservativ kleidete, die sehr gebildet war und seine Gäste auch unterhalten konnte, wenn dies erforderlich war. Jedoch nicht die Frau, die seine Mutter für ihn vorgesehen und in letzter Zeit auffällig häufig erwähnt hatte. Sie würde es niemals werden. Zwischen ihm und der Frau, die er letztlich heiraten würde, musste eine gewisse Anziehungskraft bestehen, und Courtney Powell ließ seinen Schwanz nicht einmal zucken, auch wenn sie noch so hübsch war. Sie war wirklich sehr nett und sympathisch. Aber er kannte sie, seit sie ein kleines Kind war, und die enge Beziehung, die ihre Mütter miteinander hatten, hatte in ihm ein eher familiäres Gefühl für sie hinterlassen.
Auch wenn er Courtney – die Frau, die seine Mutter ihm immer wieder aufdrängte – nicht wollte, wusste er, dass er jemanden brauchte, der mit seiner Welt vertraut war. Nicht jemanden wie diese Grufti-Hexe auf der anderen Seite des Raumes, die Stachelmanschetten an den Handgelenken trug, einen Gürtel, an dem Ketten herunterhingen, und einen Rock, der so kurz war, dass man fast ihren Hintern sehen konnte. Er brauchte jemanden mit Stil, nicht jemanden, der schwarzen Lidschatten und lila Lippenstift trug. Sie musste kultiviert sein und nicht so aussehen, als würde sie den dunklen Lord der Unterwelt anhimmeln und nichts weiter von ihm wollen, als sein Blut zu trinken.
Nein, das Mädchen, von dem er seine Augen nicht lassen konnte, war nichts von dem, was er sich für seine Zukunft vorstellte, also ließ er besser gleich die Finger von ihr. Mit schmerzhaftem Bedauern ließ er seinen Blick wieder an ihrem Körper auf und ab gleiten. Er brauchte eine Frau, und sie war so verdammt ungeeignet.
Aber so perfekt für das sexuelle Vergnügen, das er ihr bereiten wollte.
* * *
Nachdem Angie die Haarfarbe, die sie soeben gemischt hatte, an Rita übergeben hatte, stieß sie mit einer offensichtlich in Panik geratenen Janice zusammen. Das Gesicht der Frau war blass, und sie hielt ihr Handy an die Brust gepresst. »Ich muss gehen. Sofort. «
Ein unmittelbarer Schub der Besorgnis machte sich in Angies Magen breit. »Was ist los?«
»Die Schule hat angerufen. Bethany hat hohes Fieber und übergibt sich.«
»Oh, armes Baby. Okay, kein Problem, ich übernehme deine Kunden.«
»Ich gehe sie holen und rufe dann von zu Hause aus meine letzten beiden Kunden für heute an, und sage die Termine ab. Aber könntest du dich bitte um ihn hier kümmern?« Janice’ Augen wurden noch größer, als sie ihren Kopf in Richtung des Mannes neigte, den Angie in Gedanken inzwischen als Damian, der leibhaftige Teufel bezeichnete.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie zu ihm herübersah. Ihr Magen überschlug sich vor Aufregung, aber um ihre Freundin nicht zu beunruhigen, versuchte sie, es sich nicht anmerken zu lassen und stattdessen selbstsicher zu wirken, was sie gerade bei weitem nicht war. »Klar, ich übernehme ihn. Geh ruhig und kümmer dich um Bethany.«
»Danke. Seine Haare hab ich schon gewaschen. Ich pack meine Sachen und mach mich auf den Weg, okay?«
»Jap, kein Problem«, antwortete Angie, während sie Janice in eine kurze Umarmung zog und die Anspannung in Janice’ Körper förmlich spüren konnte. »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
Janice schüttelte den Kopf, und plötzlichen flossen die Tränen wie Wasserfälle aus ihren Augen. Sie schaute Angie an, als hätte sie ein großes Geständnis abzulegen. »Ich bin finanziell am Ende. Meine Kreditkarten sind so überzogen, dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll. Als Danny uns verlassen hat, hat er alles mitgenommen und meinen Kredit in Schutt und Asche gelegt. Allein das Aufbringen der Zuzahlung für den Arzt stresst mich so sehr, dass ich mich krank fühle.«
»Hast du denn genug Geld für den Arzt?«, fragte Angie besorgt.
Ihre Freundin atmete aus. »Gerade so.«
»Was ist mit den Rezepten? Brauchst du Geld für sie?«, fragte sie.
»Nein, ich denke, dafür reicht es noch.«
Angie verspürte tiefe Wut auf den abwesenden Vater. Danny war ein Riesenarschloch, das fand sie schon immer. Aber Janice hatte ihre finanziellen Probleme so gut versteckt, dass Angie nicht das Geringste ahnte. »Versuch dir keine Sorgen zu machen, okay? Konzentrier dich darauf, dass Bethany gesund wird, und dann überlegen wir uns etwas. Ich hab ein paar Ersparnisse, ich kann dir aushelfen.«
»Ich kann dein Geld nicht annehmen, Angie.«
»Sehen wir dann, uns wird ganz bestimmt etwas einfallen. Zumindest bin ich verdammt gut darin, jeden Cent zusammenzukratzen.« Die beiden Frauen umarmten sich noch einmal, bevor Janice verschwand. Danach ging Angie ins Hinterzimmer und zählte langsam bis zehn. Sie atmete ein paarmal tief ein und wieder aus, in der Hoffnung, sich etwas zu beruhigen, bevor sie wieder nach draußen gehen musste, um sich der Situation zu stellen, aus der es nun leider keinen Ausweg mehr gab. Als sie sich im Spiegel betrachtete, atmete sie ein letztes Mal tief durch und versuchte, ihre zitternden Hände zu beruhigen, ehe sie sich entschlossen der Tür zuwandte.
* * *
Damian schaute an seinem Spiegelbild vorbei und beobachtete fasziniert, wie das Grufti-Mädchen hinter ihm auftauchte und sofort zu plappern begann: »Also, Janice musste gehen, weil ihr Kind krank ist. Ich bin Angie, und ich werde Ihnen heute die Haare schneiden, wenn das okay ist?«
Ihre Stimme war weiblich und heiser. Bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie gleich sein Haar berühren würde, erlitt er einen vorübergehenden Kurzschluss, da alles Blut in seinem Körper in seine Leistengegend zu strömen schien. Er biss die Zähne zusammen und krallte sich an den Sitzlehnen fest, um sich daran zu hindern, nach ihr zu greifen und an sich zu ziehen. War er in der Lage, bei ihrer Berührung weiterhin stillzusitzen, sie nicht hochzuheben und von hier wegzutragen? Er spannte seine Bauchmuskeln an, nickte einmal als Antwort auf ihre Frage und sah fasziniert zu, wie sie einen schwarzen Kamm über seinen Kopf streichen ließ.
Ihre Hände sahen zart und weich aus, mit schönen schlanken Fingern, die in spitz zulaufenden Fingernägeln endeten – schwarz lackierte Fingernägel. Sein Inneres krampfte sich vor Erregung zusammen, aber sein Verstand bekämpfte die unwillkürliche Reaktion auf seine unangebrachten Gedanken.
Ihre schwarz gespitzten Finger zitterten leicht, und ohne darüber nachzudenken hob er reflexartig eine Hand und schlang sie um ihr Handgelenk. »Ist alles in Ordnung?«, presste er heraus.
Sie hob ihren Blick zu seinem Spiegelbild, leckte sich ihre trocken gewordenen Lippen und atmete noch einmal tief ein. Der Puls schlug sichtbar in ihrem Hals, aber sie antwortete ihm nicht. Er würde seinen letzten Dollar darauf verwetten, dass sie unfähig war, ihm zu antworten. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er die gleiche Wirkung auf sie hatte wie sie auf ihn.
Nun, Scheiße .
Viel Glück bei dem Versuch, sich jetzt noch von ihr fernzuhalten, Rule.
* * *
Der Typ war heiß, keine Frage, und so aus der Nähe war er sogar noch heißer. Aber Himmel, das bedeutete doch nicht, dass sie zittern musste, oder? Sie sah ihn im Spiegel an und schaffte es immerhin sich zu räuspern und ihre Stimmbänder so weit in Gang zu bringen, dass sie seine Frage beantworten konnte. »Ja, mir geht’s gut. Sie wollen nur die Spitzen geschnitten haben, richtig?« Auf ihre Worte hin verstärkte sich sein Griff um ihr Handgelenk, was ein heißes Gefühl zwischen ihren Schenkeln auslöste, dann ließ er seine Hand jedoch wieder auf die Armlehne des Stuhls zurückfallen.
»Nur die Spitzen.« Seine Stimme war tief und schroff, und Angie spürte, wie sein Tonfall in einem elektrisierenden Strom durch ihren Körper hallte.
Wie ferngesteuert fuhr sie mit den Fingern durch sein Haar, als ob sie die Länge messen wollte. Sie beobachtete ihn weiter, während sie langsam zu schneiden begann. Wahrscheinlich war er Anfang dreißig. Er trug immer einen Maßanzug und hielt sein Haar sehr kurz. Er war sehr konservativ, das war nicht zu übersehen. Sie hatte ihn schon so oft dabei erwischt, wie er sie beobachtete, dass sie es gar nicht mehr zählen konnte. Es war offensichtlich, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Und sie war sich sicher, dass er diese Tatsache absolut hasste .
Von so einem Typen begafft zu werden störte sie allerdings nicht. Er erinnerte sie an ihren Vater. Angie wusste, dass sie ihren Vater tief im Innern liebte, aber sie hatten nie eine wirklich enge Beziehung zueinander, obwohl er ein anständiger Vater gewesen war. Er hatte ihr mehr über Geld und Finanzen beigebracht, als sie jemals brauchen konnte, und er hatte dafür gesorgt, dass sie auf eigenen Füßen stehen konnte, bevor er abgehauen war und quer durchs Land reiste. Der Grund, wieso sie nie eine enge Beziehung aufgebaut hatten, war die Sucht ihres Vaters, von der er nie Abstand gewinnen konnte, nicht einmal für sie. Diese Sucht waren Frauen . Ihre Mutter war gestorben als sie noch klein war, und seitdem hatte Angie mehr Stiefmütter gehabt, als ihr lieb gewesen war, denn ihr Vater langweilte sich sehr schnell.
Und Damian der Teufel hatte den gleichen Blick drauf. Verurteilte sie ihn, und das wahrscheinlich zu Unrecht? Ja, das tat sie definitiv, aber es war ihr egal.
Janice hatte ihr vor Wochen erzählt, dass er sich nach Angies Kleidung erkundigt hatte und dass in seinem Tonfall Missbilligung zu hören war. Er mochte ihren Kleidungsstil nicht, das fand Angie super. Angie gab sowieso nicht viel auf die Meinung anderer. Das Letzte, was sie wollte, war, von einem verdammten Kontrollfreak wie diesen Typen beachtet zu werden. Es war ihr egal, wie überaus gut er aussah, es war ihr egal, wie schnell er ihr Herz zum Rasen brachte, es war ihr egal, wie schnell sie jedes Mal in seinem Schlafzimmerblick zu ertrinken drohte, würde sie nicht aufpassen.
Sah er so aus, als wüsste er, was er im Bett zu tun hatte? Definitiv! Aber Angie hatte keine Zeit für so einen Typen. Keine Zeit und keine Lust, überhaupt erst in Versuchung zu geraten. Also fand sie sich damit ab, dass allzu konservative Männer wie er sie meist einfach etwas zu lange anstarrten, bevor sie letztlich wieder wegschauten. Von Geschäftsleuten seiner Sorte in Ruhe gelassen zu werden war ein Nebeneffekt des Grufti-Looks, den sie für sich geschaffen hatte.
Eigentlich war dieser Grufti-Look gar nicht ihr Stil, sie spielte den Leuten nur etwas vor. Sie hatte angefangen, sich schwarz zu kleiden, als sie im Einkaufszentrum ein paar schöne Outfits gefunden hatte und die Reaktion ihrer männlichen Kunden auf diese Kleidung mehr als positiv gewesen war. Denn ihr Trinkgeld hatte sich jedes Mal, wenn sie Schwarz trug, fast verdreifacht. Sie hatte den Dreh ziemlich schnell heraus, und wegen des unerwarteten Zuflusses des zusätzlichen Geldes hatte sie die Rolle mit Freude angenommen, kaufte tonnenweise Accessoires und entwickelte eine ausgefeilte Technik für das Auftragen des Make-ups. Ihr Haar schwarz zu färben war ihr am schwersten gefallen, aber es musste ja nicht dauerhaft sein, und sie wusste, dass jeder Schaden, der durch die Chemikalien verursacht wurde, irgendwann herauswachsen würde.
Während Angie ihm die Haare schnitt, vermied sie es, eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen. Und nachdem sie ihn dabei erwischt hatte, wie seine Augen von ihrem Gesicht hinunter zu ihren Brüsten wanderten und dort verharrten, während er die Stirn runzelte, weigerte sie sich, ihm ein weiteres Mal im Spiegel anzusehen. Ihre winzigen, kaum vorhandenen Brüste, versteckt unter einem dünnen BH und ihrem engen, schwarzen Lieblings-T-Shirt von Nine Inch Nails .
Bei genauerem Betrachten ihres Oberteils bildeten sich erneut Falten auf seiner Stirn. Als Angie das sah, schickte dieser raue Ausdruck auf seinem Gesicht ihr einen Hitzeschauer durch den Körper. Daraufhin wagte sie es nun wirklich nicht mehr, Blickkontakt zu ihm zu suchen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, ihm den perfekten Haarschnitt zu verpassen, und schon bald verlor sie sich in dem Gefühl seines feuchten Haares unter ihren Fingern. Es war wirklich verrückt, sie schnitt den ganzen Tag lang hauptsächlich Männern und Jungen – die Art von Kundschaft, die der Salon eben anzog – die Haare. Doch nie zuvor kam ihr das Schneiden von Haaren so intim vor wie diesmal. Warum wurde ihr gerade jetzt, bei diesem einen Mann, bewusst, wie nahe sie bei ihm stand, wie sich sein Haar anfühlte, das zwischen ihren Fingern hindurchglitt, und wie seine Augen auf ihr haften blieben, als wolle er ihr die Kleider vom Leib reißen?
Sie war vollkommen in ihre verwirrenden Gedanken versunken, als seine tiefe Stimme in sie eindrang. »Sie sind sehr hübsch«, sagte er in einem tiefen und rauen Ton, der ein bisschen so klang, als wären die Worte gegen seinen Willen aus seinen Stimmbändern gerissen worden.
Seine Worte allein reichten aus, um eine lustvolle Hitzewelle in ihr hervorzurufen, die sie jedoch zu ignorieren versuchte. Sie traf seine Augen im Spiegel, schaute aber schnell wieder weg, bevor sie knapp antwortete: »Danke.«
Ohne ihn direkt anzusehen, bemerkte sie, dass seine Blicke noch prüfender wurden. »Wie alt sind Sie?«
Ohne es verhindern zu können, landete ihr Blick über den Spiegel wieder auf seinem. »Wie alt sind Sie?«, gab sie die Frage zurück, ohne selbst auf sie einzugehen.
»Vierunddreißig.« Seine Lippen wurden flacher. »Und Sie?«, verlangte er zu wissen während seine dunkelbraunen Augen die ihren gefangen hielten.
»Siebenundzwanzig«, sagte sie kurz und wünschte, er würde sich um seinen eigenen Kram kümmern.
Nach ihrer Antwort herrschte Schweigen zwischen ihnen, und Angie konnte nur mit Mühe das Zittern ihrer Hände unterdrücken.
Endlich war der Haarschnitt fertig, und sie reichte ihm einen Spiegel, damit er ihre Arbeit begutachten konnte. Er nahm ihn, hielt ihn hoch und stieß ein halbherzig anerkennendes Brummen aus. Sie zog ihm die Schürze von den Schultern und schüttelte sie aus, während er sich aufrichtete.
Ohne viel Aufhebens zog er einen Geldschein aus seiner Brieftasche. Während sie auf den großen Geldschein starrte und versuchte, ihr zermürbtes Gehirn zum Funktionieren zu bringen, nuschelte er: »Stimmt so«, drehte sich um und ging zur Tür hinaus.
* * *
Ein paar Wochen später stand Damian mit einem Drink an der Theke im Wohnzimmer seiner Mutter, als ihre Worte endlich in seinen Kopf vordrangen.
»Du willst, dass ich was tue?«, fragte er mit dröhnender Stimme und erstarrte auf der Stelle.
Seine Mutter stellte ihre Kaffeetasse ab, stand nervös auf und schloss die Tür, damit sie nicht belauscht werden konnten. Sie lief ihm entgegen, bevor sie leise antwortete: »Ich möchte, dass du in Betracht ziehst, deine Beziehung zu Courtney voranzubringen, und ich denke, dass meine Dinnerparty am Samstagabend ein guter Zeitpunkt wäre, damit anzufangen.«
In purer Frustration schloss Damian für einen Moment die Augen, bevor er sie wieder öffnete und sie entschlossen ansah. »Das soll wohl ein Witz sein. Es gibt keine Beziehung zwischen uns, und tu nicht so, als wärst du dir dieser Tatsache nicht bewusst.« Wie zum Teufel konnte sie denken, dass er etwas anderes als eine familiäre Art von Liebe für Courtney empfand? Als seine Mutter das Mädchen nach dem Tod ihrer Eltern mit nach Hause gebracht hatte, stand Damian bereits auf eigenen Beinen, und Courtney war fast wie eine zweite kleine Schwester für ihn geworden. Er hasste es, das zuzugeben, aber die meiste Zeit hatte er sie einfach ignoriert und sie mit Erin, seiner kleinen Schwester, zusammengesteckt. Und wenn er jetzt an sie dachte oder über sie sprach, dann meistens auch nur als eine Einheit, als die Mädchen .
»Sie ist perfekt, Damian. Du hast dich lange genug ausgetobt. Du bist das dem Andenken deines Vaters und der Firma schuldig, die er dir und deinen Brüdern hinterlassen hat.«
Damian biss die Zähne zusammen und unterbrach sie. Er liebte seine Mutter, aber dieses Mal war sie zu weit gegangen. »Mutter, du musst mir jetzt genau zuhören, okay? Ich will dich nicht verletzen, aber du musst anfangen, die Situation, wie sie ist, zu verstehen. Verstehen, wie es war.«
Seine Mutter starrte ihn mit leicht feuchten Augen an. »Okay.«
»Ich liebe dich, und ich habe Papa geliebt. Das weißt du.« Er räusperte sich. Das war echt schwer für ihn, er liebte seine Mutter, und er und seine Geschwister hatten immer versucht, sie vor Leiden jeglicher Art zu schützen. Auf ihr Nicken hin fuhr er fort: »Ich weiß, du liebst Courtney wie eine Tochter, und sie ist ein süßes Mädchen, aber ich fühle nicht so, wie du willst, dass ich für sie fühle, und du musst aufhören zu versuchen, mich über Schuldgefühle zu manipulieren.« Er achtete auf ein Zeichen, dass sie seine Worte registriert hatte. »Selbst wenn das Unternehmen schwarze Zahlen geschrieben hätte und Millionen wert wäre, solltest du mich nicht ständig daran erinnern.« Seine Augen verengten sich. »Aber Mutter, das Unternehmen war in den roten Zahlen, und das weißt du auch. Das Einzige, was Nick, Garrett und ich geerbt haben, war eine Wagenladung an Schulden. Es waren keine Vermögenswerte mehr vorhanden. Null verdammtes Vermögen, Mutter. Das Unternehmen war am Rande des Bankrotts. Du hast keine Ahnung, wie viel einfacher es gewesen wäre, wenn wir das alles einfach hinter uns gelassen hätten.« Er beobachtete seine Mutter, die ihm schweigend zuhörte. »Aber das haben wir nicht getan. Wir haben die Schulden unseres Vaters beglichen, wir haben dich in demselben Haus leben lassen, in dem du seit deiner Hochzeit mit ihm lebst, und wir haben uns anstandslos um die Studiengebühren von Erin und Courtney gekümmert. Wenn es irgendetwas gibt, das wir falsch gemacht haben, dann, dass wir dich und die Mädchen zu sehr vor der wirklichen Welt geschützt haben.«
Er holte tief Luft und beobachtete sie genau, um zu sehen, ob sie die Wahrheit diesmal akzeptieren würde. Seine Mutter lebte in ihrer eigenen kleinen Märchenwelt, und wenn er zwei Dinge mit Sicherheit über sie wusste, dann, dass sie ihre Kinder mehr als alles andere liebte – und dass sie ihren Kopf immerzu in den Wolken trug.
Sie griff nach oben und berührte sanft seine Wange, die Geste gefüllt mit so viel Liebe und Zärtlichkeit, dass er beinahe aufseufzte. Wie sollte er seinen Standpunkt vertreten, wenn sie die liebste und mitfühlendste Person war, die er kannte? Sie sah ihn ein bisschen traurig an. »Ich weiß, Schatz, ich hätte ohne euch Jungs nicht überleben können, und es tut mir so leid, dass uns nicht mehr Geld zur Verfügung stand, als dein Vater starb.« Aber dann legte sie ihren Kopf zur Seite und schaute ihn an, als wäre er derjenige, der nicht ganz verstanden hatte. »Aber da war diese Lebensversicherung, und das Unternehmen selbst war noch intakt und im Geschäft. Ihr habt das Geschäft geerbt … und sieh nur, wo es jetzt steht.« Sie lächelte und tätschelte seine Hand, als ob die Welt und alles in ihr perfekt wäre.
Sich seiner vorläufigen Niederlage bewusst, schloss Damian für einen Moment die Augen. Die Lebensversicherung, von der sie sprach, hatte gerade einmal ausgereicht, um die Kredite abzuzahlen, die am Tag nach dem Tod seines Vaters eingefordert worden waren. Der Rest der Schulden konnte damit nicht mehr beglichen werden. Sie hatten kaum genug Geld gehabt, um die Beerdigung zu bezahlen. Und die Höhe der Geschäftsschulden, die übrig geblieben waren, nachdem die Versicherung ausgetrocknet war, war für ihn und seine Brüder niederschmetternd. Es wäre so viel einfacher für sie gewesen, hätten sie dem Ganzen den Rücken gekehrt und von Grund auf ein neues Unternehmen gegründet. Aber sie hatten sich zusammengerauft und gemeinsam beschlossen, die Schulden zu übernehmen und das Familienunternehmen neu aufzubauen.
Seine Mutter würde das allerdings nie begreifen. Sie glaubte weiterhin, dass man ihnen ein Vermögen hinterlassen hatte, und das würde sie wahrscheinlich bis zu ihrem Todestag tun. Es war seine Schuld, und die seiner Brüder. Sie hatten sich den Arsch aufgerissen und anfangs alles dafür getan, dass ihre Mutter und die Mädchen keine Not leiden mussten.
Wenn sie sich nicht durch Worte überzeugen ließ, dass er kein romantisches Interesse an Courtney hatte, dann war es wohl an der Zeit, eine neue Herangehensweise auszuprobieren. Wenn sie es partout nicht wahrhaben wollte, dann musste er die großen Geschütze auffahren und es ihr auf andere Weise eintrichtern.
Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als es ihr vorzuführen.
* * *
Nachdem sie einen langen und stressigen Tag hinter sich gebracht hatte, verließ Angie den Salon und ging über den Parkplatz zu ihrem Auto. Sie sehnte sich gerade nach nichts mehr, als nach einem heißen Schaumbad. Ihre Muskeln schmerzten, und ihre Füße schrien danach, sich endlich auszuruhen.
Während sie sich den Riemen ihrer Tasche quer über die Brust hängte, suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel. Fast schon bei ihrem Auto angekommen, blickte sie auf. Sie sah einen Mann, der sich direkt bei ihrer Fahrertür gegen das Fahrzeug stützte, das neben ihrem Auto parkte, und erkannte ihn sofort. Ihre Schritte verlangsamten sich. Ein über zwei Meter großer, muskelbepackter Mann lehnte an dem glänzenden schwarzen Mercedes, als ob ihm die Welt und alles darin gehören würde.
Die Luft blieb ihr im gleichen Moment im Hals stecken, als sie merkte, dass die Schmetterlinge in ihrem Bauch verrücktspielten.
Als sie sich weigerte, ihm noch näher zu kommen, stellte sich der leibhaftige Teufel zu seiner vollen Größe auf und hob herausfordernd eine arrogante Augenbraue: »Na, was hast du jetzt vor?«
Angie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. »Was meinen Sie damit?«
»Sieh dich um, Schätzchen. Es ist stockdunkel und es ist niemand in der Nähe. Was wäre, wenn ich ein Fremder wäre, der dir schaden will?« Seine Augen loderten und schossen Pfeile aus Flammen. »Was zum Teufel würdest du tun? Diese lächerlich kleinen Rasierklingen an deinen Ohrringen würden dir nicht helfen.«
Angie nahm sich einen Moment Zeit, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen, während sie ihn weiter beobachtete. Es war zwar Abend, aber noch lange nicht stockdunkel. Der Parkplatz war gut beleuchtet, und obwohl der Grund seines Hierseins fragwürdig war, glaubte sie nicht, dass er ihr etwas Böses wollte. »Vielleicht habe ich eine Pistole«, forderte sie ihn mutig heraus.
Er hob den Blick gen Himmel, als hätte sie keine einzige funktionierende Gehirnzelle im Kopf, und schaute sie dann wieder an. »Hast du eine Waffe?«
Natürlich hatte sie keine Waffe. »Bist du ein Fremder, der mir schaden will?«, schoss sie zurück, indem sie seine Worte wiederholte und nur herausfinden wollte, warum er sie so anpöbelte.
»Wenn es so wäre, Süße, wärst du bereits im Kofferraum meines Autos.«