KAPITEL 23

Um mich herum wurde es totenstill.

Ich konnte den Sand unter meinen Füßen knirschen, in der Ferne einen Vogel kreischen hören – aber den Menschen auf dem Marktplatz hatte es die Sprache verschlagen.

Alphia starrte mich an. Unsere Blicke trafen sich über das Meer aus Köpfen hinweg und für den Bruchteil eines Atemzuges sah ich, wie sich ihre Augen weiteten. Wie ihre Lippen sich überrascht einen Nagel breit teilten. Doch dann glitt die süßlich-kühle Maske der grässlich sympathischen Prinzessin zurück auf ihr Gesicht.

Sie reckte das Kinn und ließ die Arme sinken, die sie noch immer zum Himmel erhoben hatte. »Bringt sie zu mir«, rief sie laut und dennoch klang es nicht, als hätte sie ihre Stimme erhoben. Die hohen, weichen Töne wehten wie wunderschönes Vogelgezwitscher zu mir hinüber und erfüllten den leeren, durch meine Worte kalt gewordenen Raum mit Wärme.

Ich wusste nicht, ob sie Magie benutzte, um diesen Effekt zu erzielen, oder ob es einfach ihre Ausstrahlung war. Doch die kleinen Härchen in meinem Nacken richteten sich auf, während die Menge erleichtert aufseufzte, weil die Spannung gelöst worden war. Die Masse vor mir teilte sich, um die zwei Wachen hindurchzulassen, die mit den Händen an ihren Schwertheften auf mich zustapften. Sie sahen zu mir auf, offenbar unschlüssig, ob sie mich vom Podest reißen oder freundlich bitten sollten, herunterzukommen. Ich tat ihnen den Gefallen, zuckte mit meinem Zeigefinger und erschuf sandige Stufen, die zu Boden führten. Sollten die Menschen doch erfahren, dass ich, eine einfache Lügendiebin aus dem grauen Ring, rote Magie beherrschte. Sollten sie doch wissen, dass in jedem Menschen Magie steckte, dass das Königshaus uns nur schwach halten wollte.

Die Wachen packten mich an den Oberarmen, schleiften mich nach vorn und ich sah davon ab, ihnen zu erklären, dass das gar nicht nötig war. Dass ich nicht vorhatte wegzulaufen. Dass ich genau dort war, wo ich sein wollte.

Mein Atem war ruhig, und obwohl Abertausende Blicke auf mir lagen und auch Alphia jeden meiner Schritte mit verengten Augen beobachtete, zirkulierte das Blut weiter gemächlich durch meine Adern. Es staute sich weder in meinem Kopf noch nahe meinem gleichmäßig schlagenden Herz. Ich hatte keine Angst. Ich war wütend. Darüber, dass die Leute sich derart von einem warmen Lächeln hinters Licht führen ließen.

Mein Blick glitt über die Bühne und blieb an einem bekannten Gesicht hängen. Es war der Prinz, der mir aus der königlichen Bibliothek noch sehr gut in Erinnerung geblieben war. Er sah mich steinern an, seine Miene unbewegt. Doch ich konnte seinen rechten Fuß zucken sehen, als mache ich ihn nervös. Alphia jedoch strahlte eine kühle Gelassenheit aus, die mich mit tiefer Genugtuung erfüllte. Solange sie sich keine Sorgen machte, hatten wir einen Vorteil. Solange sie nicht wusste, was wir wussten, lag das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Also verkniff ich mir ein Lächeln und schluckte mein aufbrodelndes Temperament herunter, das verlangte, dass ich ihr sofort sagte, dass ich das größte Geheimnis des Landes gelüftet hatte.

Doch ich hatte endlich gelernt, meine scharfe Zunge zu kontrollieren. Es hatte ja auch nur ein paar Angriffe auf mein Leben gebraucht, um mich davon zu überzeugen, dass überlegenes Schweigen manchmal der richtige Weg war.

Die Wachen schoben mich die Stufen zur Bühne hinauf und stießen mich unsanft vor. Doch ich hatte damit gerechnet und stolperte nicht einmal. Stattdessen blieb ich drei Fuß vor Alphia stehen und wandte mich kaum merklich den Zuschauern zu, die hinter vorgehaltener Hand tuschelten. Dennoch zeigte ich ihnen mein Gesicht im Dreiviertelprofil, um sicherzugehen, dass auch noch der Letzte von ihnen mich erkannte. Sie mochten über mich denken, was sie wollten. Mochten jedes Wort geglaubt haben, dass das Wochenblatt über mich verbreitet hatte. Doch all das änderte nichts daran, dass ich mehr Macht besaß, als ich haben dürfte. Dass sich Hunderte Geheimnisse um mich rankten, die das Königshaus versäumt hatte zu lüften. Und falls doch noch unentdeckte Wissensjäger unter ihnen waren, dann würden sie wissen, dass ich auf ihrer Seite stand.

Die hölzernen Stufen knarrten, als Alphia die Wachen mit einem Schlenkern ihres Handgelenks zurück auf ihren Posten verwies und schließlich mich fixierte.

»Hatte ich dich nicht umgebracht?«, fragte sie freundlich, ihre Stimme gerade leise genug, sodass nur ich sie hören konnte.

»Du hast es versucht«, erwiderte ich kühl und der Hass, den ich sonst immer bei ihrem Anblick empfunden hatte, blieb aus. Stattdessen fühlte ich mich stumpf. War merkwürdig leer, während ich die nächsten Worte aussprach: »Aber du hast mir nicht beim Sterben zugesehen. Das war ein Fehler.«

»Ein Fehler, den ich sicherlich kein zweites Mal machen werde.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, bemerkte ich zweifelnd. »Schließlich hast du in den letzten Wochen doch auch immer wieder ein- und denselben Fehler begangen.«

Sie ging nicht auf meine Provokation ein. Sie fragte nicht, was für ein Fehler das gewesen sein sollte – so wie ich gewusst hatte, dass sie reagieren würde. Sie war zu arrogant, um mir auch nur einen Funken Glauben zu schenken. Stattdessen wandte sie sich an ihr Volk und sagte laut: »Ich präsentiere euch Fawn Tresten. Das kleine Mädchen aus dem grauen Ring, das uns alle belogen und betrogen und hintergangen hat. Ein Mädchen, das offenbar glaubt, stärker zu sein als ich.« Sie lachte und einige der Anwesenden fielen in ihr Lachen ein. Doch andere traten unsicher einen Schritt zurück und zogen die Schultern hoch, als fürchteten sie, ich könne sie schon im nächsten Moment angreifen.

»Es stimmt, ich habe eine Menge Menschen belogen«, sagte ich leichthin. »Ich bin eine Diebin und vielleicht auch eine Betrügerin. Doch Ihr seid es ebenso, Ihr gebt den Leuten nur Bruchteile der Dinge wieder, die in den letzten Wochen geschehen sind. Es wird auch dem letzten Bewohner Mentanos aufgefallen sein, dass das Wochenblatt einige gehörige Lücken aufweist. Wir sollten also ebenbürtige Gegnerinnen sein. Lügnerin gegen Lügnerin.« Ich machte eine Pause, damit die Menge über meine Worte nachdenken konnte, bevor ich hinzufügte: »Also, nehmt Ihr meine Herausforderung an?«

Ein nervöses Lachen drang hinter meinem Rücken hervor. Es stammte von dem Mann, der die Königin angekündigt hatte und jetzt mit blassem Gesicht auf uns zutrat. »Eure Majestät, von der Möglichkeit, am Tag des Friedens mit einem hochrangigen Bewohner um seinen Platz innerhalb der Gesellschaft zu kämpfen, hat seit Jahrhunderten niemand mehr Gebrauch gemacht. Ihr zieht doch nicht ernsthaft in Erwägung, dieser albernen Scharade zuzustimmen. Wenn sie gegen Euch gewänne, würde sie Eure Krone bekommen. Sie wäre die neue Königin Mentanos.«

Der Marktschreier wusste innerhalb weniger Augenblicke, dass er einen Fehler gemacht hatte. Ich wusste es auch – und war ihm dankbar dafür.

»Wenn sie gegen mich gewänne?«, wiederholte die Königin kalt und der Mann wich erschrocken vor ihr zurück. »Eure Sorge um mich rührt mich, aber eine kleine Lügendiebin kann nicht gegen mich gewinnen. Ich habe die Wissensjäger eigenhändig zu Fall gebracht … und ich werde auch sie zu Fall bringen, wenn sie unbedingt danach verlangt. Abgesehen davon ist es eine Tradition und Traditionen sollten aufrechterhalten werden. Also ja.« Die nächsten Worte rief sie über die Menge. »Ich nehme die Herausforderung an. Welch bessere Chance hätte ich bekommen können, mich vor meinem geliebten Volk zu beweisen?«

Erneut breitete sie die Arme aus, nahm den Applaus entgegen, der aufbrandete, doch ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass nicht jeder klatschte. Dass einige der Anwesenden mich mit offenem Mund anstarrten. Womöglich für meinen Mut bewunderten – oder für meine Dummheit bemitleideten.

»Die Herausforderin darf Zeit und Ort bestimmen«, fuhr sie fort und lächelte mich an, bevor sie leise hinzufügte: »Also, Fawn. Du bekommst zumindest das Recht zu bestimmen, wann und wo du stirbst. Das nenne ich Gnade.«

»Ich bin entzückt«, erwiderte ich trocken und sagte lauter: »Der Kampf soll jetzt stattfinden. Draußen vor dem Südtor, auf dem Getreidefeld.« Denn dort würden eine Menge Menschen Platz finden. Mehr als innerhalb der Mauern Mentanos.

»Schön. So sei es. Wachen? Hättet ihr die Güte, die kleine Diebin vor das Südtor zu geleiten … Wir wollen ja nicht, dass sie es sich auf halbem Wege anders überlegt.«

»Das werde ich nicht«, bemerkte ich ruhig, während mich wieder zwei Männer an den Seiten packten.

Alphia lächelte und beugte sich zu mir vor. »Das ist in Fehler, Fawn«, flüsterte sie nah an meinem Ohr. »Ein großer Fehler.«

»Du machst deine Fehler, ich meine«, wisperte ich zurück. »Möge der kleinere Fehler gewinnen.« Und dann bugsierten die Wachen mich die Bühne hinunter.

Während des Wegs zur äußersten Stadtmauer hielt ich das Kinn stur erhoben. Aber nicht etwa, weil ich stolz erscheinen wollte, sondern, weil ich mich aktiv davon abhalten musste, mich zu den Seiten umzusehen und nach Caeden Ausschau zu halten. Die Wachen hielten mich fest, flüsterten mir zu, keine Dummheiten zu machen, aber selbst ihnen musste klar sein, dass die größte Dummheit bereits hinter mir lag. Also ignorierte ich sie und bekam nur aus den Augenwinkeln mit, wie immer mehr Menschen aus ihren Häusern strömten, laut fragten, was denn los sei, sich der Karawane anschlossen, die angespannt und teils freudig, teils besorgt hinter uns herlief. Ich konnte die Königin nicht sehen, doch ich wusste, dass sie in der Nähe war. Konnte es spüren. Ihre aufgeregte Magie, die sich darauf freute, mich vor dem ganzen Land vorzuführen.

Die gelben Fassaden verblassten, wurden durch blaue ersetzt und das Getuschel der mitlaufenden Leute schwoll zu einem allumgebenden Summen an, das uns folgte wie ein Schwarm Wespen.

Meine Handflächen wurden feucht, als wir den grauen Ring erreichten und ich das Tor, das zu den Weizenfeldern führte, bereits von Weitem erkannte. Jetzt sah ich mich doch um. Blickte ein letztes Mal zu den grafitfarbenen Häusern mit den rostroten Fugen, die für so lange Zeit Zuhause bedeutet hatten. Hoffte, dass Cora den Tumult hörte oder vielleicht sogar schon auf dem Marktplatz anwesend gewesen war. Dass sie wissen würde, dass ich nicht umsonst gestorben war. Dass ich endlich das Richtige tat, so wie sie es mir so oft versucht hatte beizubringen.

Der dreckige Boden wirbelte Staub auf, hüllte uns alle in eine diesige Wolke und ich vernahm einzelne Gesprächsfetzen von den Männern und Frauen hinter uns.

»Es sieht furchtbar hier aus. Kein Wunder, dass die Bewohner des grauen Rings immer dreckig sind.«

»Dort wohnen sie? Ich würde mich umbringen, wenn ich auch nur eine Nacht hier verbringen müsste.«

Ich lächelte müde. War überrascht darüber, dass ich überhaupt überrascht war, dass es anscheinend Menschen gab, die noch nie einen Fuß in diesen Teil ihres Landes gesetzt hatten. Die sogar zu ignorant waren, um sich das Leid anzusehen, auf das sie sich bereits ihr ganzes Leben lang stützten. Dass ihnen ihre seidenen Gewänder und ihre warmen Mahlzeiten überhaupt ermöglichte.

Wir passierten den eisernen Bogen, der vor einer halben Ewigkeit mal das Ziel von einem dummen Wettrennen gewesen war, das ich mit Finch veranstaltet hatte, und dann hatten wir die Sicherheit der Ringe verlassen.

Vor uns lagen die braunen Weizenfelder, die vor ein paar Monaten noch golden und dicht bewachsen gewesen waren. Doch mittlerweile waren ihre Halme vertrocknet, aus der Erde gerissen oder von den Erntearbeitern zertrampelt worden. Die Erde, die unter ihnen zum Vorschein kam, war von der Sonne getrocknet und gehärtet worden. Gab kaum unter meinen Schritten nach und würde keinen Sturz abfedern. Sie war unbarmherzig so wie die Königin. So wie Mentano.

Die Wachen blieben stehen, hielten mich an den Armen zurück und drehten mich um, sodass ich beobachten konnte, wie etliche Menschen auf das Feld strömten. Die Stadtmauer schien aus allen Nähten zu platzen, Mentanos Bewohnerinnen und Bewohner strömten wie Blut aus einer klaffenden Wunde aus ihr hinaus. Mütter zogen ihre Kinder hinter sich her. Jugendliche starrten mich neugierig an. Alte Männer humpelten auf ihren Stöcken über die trockene Erde. Niemand wollte das Spektakel verpassen, was mich euphorisch stimmte. Doch auch Unruhe überfiel mich.

Was, wenn ich versagte? Wenn mir nicht die Zeit blieb, ihnen die Wahrheit zu erzählen? Wenn die Königin mich schlachtete wie ein Tier und ich für nichts und wieder nichts sterben würde?

Die Masse vor mir teilte sich, um der Königin Platz zu machen, die flankiert von einer weiteren Wache und ihrem Bruder über das Feld schritt. Sie trug das Lächeln, das ich so oft auf den Bildern gesehen hatte, die von ihr im Wochenblatt gedruckt wurden. Und automatisch fragte ich mich, ob sie überhaupt ein echtes Lächeln besaß.

Ich starrte sie an, versuchte, ihr Gesicht mit dem von Robyn zu vereinbaren, versuchte, irgendetwas dort zu finden, was mich an meine beste Freundin erinnerte … doch ich fand nicht viel. Nicht mehr als den wachsamen Blick, den Robyn immer gehabt hatte, wenn sie auf den Dächern auf Finch und mich gewartet hatte. Nicht mehr als den stolzen und selbstsicheren Gang, von dem ich immer geglaubt hatte, dass jeder aus dem weißen Ring ihn haben müsste.

War sie nicht einsam? Musste es nicht furchtbar sein, allen Menschen nur etwas vorzumachen? Keine wahren Freunde zu haben? Kein anderes Ziel zu haben, als mehr und mehr Macht anzusammeln und seinem Bruder zu beweisen, dass man besser war als er? Weinte sie womöglich manchmal, weil ihr Leben leer war? Und was wollte sie jetzt tun, da sie ihr Ziel erreicht hatte? Da sich all ihre harte Arbeit ausgezahlt und sie an der Spitze angekommen war? Sie war nur ein paar Friedensjahre älter als ich und bereits auf der Höhe ihrer Macht. Musste ihr nicht klar sein, dass es jetzt nur noch bergab gehen konnte?

Und auf einmal erfüllte mich Mitleid. Schwappte wie lauwarmes Wasser über mich. Trotz allem. Obwohl sie den Tod meiner Mutter veranlasst hatte. Obwohl sie Crow getötet hatte. Doch Alphias Leben würde niemals echt sein. Sie hatte dafür gesorgt. Menschen würden vorgeben, sie zu lieben, aber niemand würde sie wirklich kennen. War das nicht ein schrecklicheres Schicksal, als für seine Überzeugung zu sterben? War es nicht schlimmer, einsam zu leben, als diese Welt geliebt zu verlassen?

Zumindest wusste ich, wer ich war. Wer ich ohne Magie und Kraft sein würde. Wenn ich meinen letzten Atemzug tat, würden mich die glücklichen Erinnerungen an meine Freunde, meine Familie, an Caeden in ihre Arme schließen. Wenn Alphias Ende kam, würde sie von den Gesichtern verfolgt werden, die gelernt hatten, sie zu hassen.

Die Wachen ließen abrupt meine Arme los und traten von mir zurück, als die Königin sich uns näherte. Um uns herum hatte sich ein weitläufiger Kreis gebildet. Niemand wagte es, sich uns auf fünfzig Manneslängen zu nähern. Selbst der Prinz blieb jetzt stehen, ließ seiner Schwester den Vortritt, während seine Zähne sichtbar übereinanderschabten. War er froh, von ihr um seine Krone betrogen worden zu sein? Oder erging es ihm wie Afilo? Plante er bereits, Alphia zu hintergehen?

War es nicht merkwürdig, dass die Menschen innerhalb Mentanos sich derart in Rang und Macht und Reichtum unterschieden … und sie doch alle mit denselben Gefühlen leben mussten? Mit Neid und Missgunst. Mit Angst und Furcht. Wie konnte jemand denken, dass er besser als der Rest war, wenn er doch ebenso von seinen erbärmlichen Emotionen getrieben wurde wie jeder andere.

»Ich muss dir danken, Fawn«, murmelte Alphia, sobald sie mich erreicht hatte. »Für die Möglichkeit, unter den Bewohnern weitere Angst schüren zu können. Sie sehen zu lassen, was mit den Leuten passiert, die sich mir widersetzen.«

»Dank mir erst, wenn der Kampf vorbei ist«, erwiderte ich tonlos.

Sie lachte einmal kurz und hoch auf. »Hast du unsere letzte Begegnung denn schon vergessen?«

»Nein. Es ist eine meiner schönsten Erinnerungen«, meinte ich trocken.

»Weißt du, Fawn, das ist eine Eigenschaft, um die ich dich schon immer bewundert habe. Egal, wie schrecklich es um dich steht … du verlierst deinen Humor nicht.«

Ich lächelte erschöpft. »Ich bin eben einfach etwas Besonderes. Aber das weißt du ja bereits.«

»Besonders oder nicht … Sobald dein Kopf auf dem Boden aufschlägt, wirst du in Vergessenheit geraten.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

Einen kurzen Augenblick lang konnte ich sehen, wie Ungeduld und Verärgerung über ihre Miene huschten. Es regte sie auf, dass ich keine Angst vor ihr hatte. Dass ich sie nicht anflehte, doch nicht gegen mich zu kämpfen.

»Schön«, sagte sie knapp. »Es lohnt sich nicht, das Ganze weiter aufzuschieben, findest du nicht? Aber bevor wir anfangen, möchte ich sicher sein, dass jeder sehen kann, wie töricht es ist, gegen mich zu kämpfen …«

Mit diesen Worten wandte sie mir den Rücken zu, drehte sich einmal im Kreis und sah scheinbar jedem einzelnen Zuschauer ins Gesicht.

»Die Tage des Schwarzen Krieges sind längst gezählt. Wir mussten seit Jahrhunderten keinen Kampf mehr ausfechten. Wir sind geschützt und befinden uns in Sicherheit. Und wenn ich selbst meine Macht demonstrieren und gegen die Widersacher des Systems angehen muss, damit dies so bleibt, dann werde ich es tun. Möge das ganze Land wissen, dass ich hinter ihm stehe. Dass ich das Bündnis niemals gewinnen lassen werde. Und jeden Wissensjäger, der versucht, ihm zu helfen, eigenhändig vernichte.« Ihre letzten Worte wurden von einem ohrenbetäubenden Rauschen unterlegt, während sie ihre Hände einen großen Bogen über ihrem Kopf beschreiben ließ und mit dieser gezielten Bewegung den Boden zum Leben erweckte. Stufen wuchsen aus ihm empor. Entstanden unter den Füßen der zuschauenden Menge, die überrascht aufkreischte und ein Stück in den Himmel hinauffuhr. Im Kreis um uns herum angeordnet entstanden Ränge. Dutzende Podeste aus Erde und Stroh, die über uns aufragten.

»Wir wollen doch nicht, dass irgendjemand etwas verpasst?«, wisperte Alphia gefährlich.

Ich nickte nur, auch wenn ich eigentlich erleichtert auflachen wollte. Nein. Das wollten wir nicht.

»Du kannst nun nicht mehr zurück, Fawn«, flüsterte sie. »Du hättest dich retten können. Ich habe dir so viele Chancen gegeben. Dies hier wird meine letzte Lehreinheit für dich sein.«

»Du hast recht. Du hast mir eine Menge beigebracht«, murmelte ich. »Ohne dich hätte ich nie herausgefunden, dass ein Leben ohne Vertrauen erbärmlich ist. Ich danke dir dafür. Auch dafür, dass du lange Friedensjahre meine Freundin gespielt hast. Ich mochte Robyn. Sehr. Und irgendwann wird dir aufgehen, dass das Leben, das du als sie geführt hast, besser war als das, was du im Palast je bekommen wirst.«

»Du irrst dich«, zischte Alphia. »Es hat mich ermüdet, Robyn zu spielen. Das süße missverstandene Mädchen, das sich herumschubsen lassen hat.«

»Dann tut es mir leid für dich. Denn du hast etwas verpasst. Es lässt sich viel leichter leben, wenn man bedeutungslos ist.«

»Das sagen nur die Menschen, die zu schwach sind, sich Bedeutung zu geben.«

»Woher willst du das wissen?«, hakte ich leise nach. »Du hast doch erst Bedeutung bekommen, weil du und deine Familie sie definiert haben.«

»Und wir werden fortführen, es zu tun. Wir sind die Guten in diesem Land, Fawn. Du bist das Böse.«

»Gut, böse. Wahrheit, Lüge. Das ist doch alles nur Ansichtssache. Warst du es nicht, die mir das erklärt hat? Oder war es jemand anderes aus deiner Familie?«

Alphia verzog gehässig das Gesicht »Du faselst, Fawn. Das tust du immer, wenn du nervös bist.«

Ich lächelte milde. »Lies es mir von den Lippen, Alphia: Ich bin nicht nervös.«

Der Blick der Königin huschte wie automatisch zu meinem Mund, von dem die weiße Wahrheit staubte. Sie runzelte die Stirn, doch bevor sie etwas sagen konnte, unterbrach eine weitere, männliche Stimme sie.

»Die Regeln eines Duells sehen vor, dass Herausforderer und Verfechter zu Beginn dreißig Schritt voneinander entfernt stehen müssen«, rief der Mann, der Alphia auf dem Markt angekündigt hatte, während er hektisch zwischen uns hin und her sah und ein paar Wachen anfingen, die gegebene Entfernung auszumessen. »Bitte begebt Euch auf den Startposten.«

Ich wandte der Königin den Rücken zu, ballte meine Hände zu Fäusten und löste meine Finger wieder. Pumpte Blut durch sie hindurch, ließ den Nacken kreisen. Ich hatte noch nie einem offiziellen Kampf beigewohnt, aber ich hatte das Gefühl, dass ich meine Hände und meinen Nacken noch gebrauchen könnte.

Ich schritt auf die Wache zu, die die Stelle markierte, an der ich den Kampf beginnen würde, und tastete nach dem Dolch an meinem Gürtel. Ich trug ihn seit Wochen mit mir herum und hatte ihn noch kein einziges Mal benutzt. Und im Kontrast zu meiner oder Alphias Magie wirkte er noch viel zerbrechlicher und nutzloser. Aber dennoch war es ein beruhigendes Gefühl, ihn bei mir zu haben. Obwohl ich die Königin nicht töten wollte.

Egal, wie sehr ich sie hasste. Egal, wie sehr ich sie dafür bestrafen wollte, dass sie Menschen getötet hatte, die ich liebte. Aber der Tod war nicht genug. Alphia sollte sehen, wie das Land unter ihrer Herrschaft zerbrach. Wie sie ihre Macht verlor, während die Menschen die Wahrheit erfuhren.

Die Wache sah mich nachdenklich an … und ich lächelte ihr zu. Sie stolperte vor mir zurück, als hätte ich sie angeschrien.

»Bitte dreht Euch um und macht Euch bereit«, verkündete der Marktaufseher und ich fragte mich, wer ihn zum Richter dieses Kampfes erklärt hatte. Dennoch folgte ich seinen Worten und wandte mich um. In dreißig Fuß Entfernung, mir direkt gegenüber, stand Alphia. Ein überlegenes Lächeln auf ihrem Gesicht.

Vielleicht sollte ich mir eine Strategie zurechtlegen. Vielleicht sollte ich darüber nachdenken, was mein erster Schritt sein würde. Wie ich sie hinhalten konnte. Mein Blick flackerte zum leeren Himmel. Ich wartete auf das Zeichen, das es mir erlaubte, endlich die Wahrheit sagen zu dürfen. Doch solange es noch nicht zu sehen war, solange würde ich kämpfen müssen.

Aber mein Kopf war leer. Es wäre töricht zu denken, dass ich mich vorbereiten könnte. Alles, woran ich dachte, war, dass ich zwar sterben … aber sie nicht gewinnen lassen konnte. Nicht heute.

»Alles ist erlaubt«, dröhnte der Kampfrichter über das nun fast leere Feld. »Jede Magieart, jede Waffe darf verwendet werden. Niemand darf in den Kampf eingreifen. Ihr kämpft bis auf den Tod oder bis jemand aufgibt.« Stille legte sich über das Feld, während Alphias und mein Blick sich trafen. Wir hielten einander fest. Mein Feuer traf auf ihr Eis.

Dann hallte ein einziger Satz in meinen Ohren wider: »Möge der Kampf beginnen.«

Ich atmete tief durch, hob die Hände … helles Licht blitzte auf und blendete mich.