image
image
image

Kapitel 2

image

Der Nebel rollte vom Hafen her, überdeckte Old Port und nahm Joysen Hill in seinen Würgegriff. Ich schleppte mich neben Jinx durch den kalten Dunst und meckerte über die Einkaufstüten voller Schuhe, die an jedem behandschuhten Finger hingen. Ich hasse das Shoppen. Die Drohung, eine unerwünschte Vision zu erhalten, ohne etwas dafür zu bekommen, war zu hoch. Aber meine Mitbewohnerin und Geschäftspartnerin wollte unseren Erfolg in letzter Zeit feiern, und ich gebe immer nach, wenn sie auf die Tränendrüse drückt.

Jetzt diente ich als Sherpa einer Shoppingsüchtigen, während Jinx in Schuhen mit fünfzehn Zentimeter hohen Plattformabsätzen auf Joysen Hill kletterte. Ich dachte mir, dass es etwas besser war, die Einkaufstüten zu tragen, als eine verletzte beste Freundin. Jinx war die unfallträchtigste Person, der ich je begegnet war. Meine Knöchel schmerzten und meine Zähne taten weh, wenn ich nur zusah, wie sie auf diesen Schuhen stakste und über Pflastersteine stolperte.

Ich versuchte, meinen Kiefer gegen die Schulter zu reiben, gab aber mit einem Grunzen auf. Mein Hals und meine Schultern waren verspannt, und ich würde mir wahrscheinlich eine Muskelzerrung einholen. Auf Joysen Hill herumzulaufen machte mich immer nervös, selbst am helllichten Tage. Die bedrückende Dämmerung des einströmenden Nebels ließ meine Ohren jucken, als ob mich jemand beobachten würde.

Ich wirbelte herum und war mir plötzlich sicher, dass sich jemand aus der Dunkelheit näherte, aber als ich die Straße hinter uns absuchte, sah ich nur harmlose Einkäufer, die an einem kühlen Frühlingsnachmittag unterwegs waren. Ich starrte in die Erbsensuppe weiter unten am Hügel, und mein Blick wanderte von dunklen Türöffnungen zu Hintergassen, konnte aber die Quelle meiner Unruhe nicht ausmachen.

Die Alarmsirene in meinem Kopf könnte nur eine gute alte Paranoia sein, aber die Vorstellung, dass in diesem Teil der Stadt jemand nach mir jagte, war nicht unbedingt reine Fantasie. Die größten Bösewichte von Harborsmouth, sowohl übernatürliche als auch menschliche, haben sich seit Jahrzehnten im Gewirr der Gassen von Joysen Hill versteckt. In Harborsmouth gehört es zum Alltag, dass auf dem Hügel etwas Schlimmes passiert. Vampir-Miethaie saugen ihren Vermietern das Blut aus, Dschinns tun jenen Gefallen, die ... ihre Lampen reiben, und blutrünstige Feenwesen locken Menschen auf kreative Arten in ihr Versteck.

Das war der andere Grund, aus dem ich mich zu dieser Einkaufstour bereit erklärt hatte. Jinx könnte zwar Feensalbe verwenden, um durch einen einfachen Feen-Glamourzauber zu sehen, aber das Zeug war teuer. Sie wollte lieber ihr Geld für Schuhe als für Salben der mit mir befreundeten Hexe ausgeben. Also trabte ich mit, um sicherzustellen, dass Jinx nicht in Schwierigkeiten geriet. Jinx sah vielleicht nur Ladeninhaber, die ihre Waren anpriesen, während ich die Reißzähne und Mandibeln hinter dem öligen Lächeln erkannte.

Ich steuerte Jinx von einer Auslage mit Keramikschüsseln weg, da diese unter dem schimmernden Glamourzauber in Wirklichkeit ausgehöhlte Schädel waren und brachte sie in den Laden daneben. Die Luft roch nach Leder, und hinter der Theke war ein Schluckauf zu hören. Ich lächelte und ließ die Spannung aus meinem Nacken und meinen Schultern fließen. Wir hatten das Lederwarengeschäft eines Cluricauns betreten.

Meine Hände steckten momentan in von Cluricauns gefertigten Handschuhen, die mir Marvin zu Weihnachten geschenkt hatte. Ich lächelte und streckte meine Finger, wobei ich versuchte, die Einkaufstüten nicht fallenzulassen. Marvin hatte sich viel Mühe gegeben und mit einem der dauernd beschwipsten Feenwesen gefeilscht, aber ich war froh, dass er das getan hatte. Die Handschuhe waren wunderschön, passten wie angegossen und hatten keine schrecklichen Visionen ausgelöst.

Cluricauns, die mit den berüchtigten Schuster-Feenwesen verwandt waren, blieben dauernd betrunken. Anders gesagt, sind die kleinen Säufer zu fröhlich und ihr Bewusstsein ist zu unscharf, als dass sie unangenehme Visionen weitergeben könnten. Marvin hatte das perfekte Geschenk für mich gefunden. Ich lächelte und dachte daran, was für ein Glück es gewesen war, dass der junge Troll in mein Leben gestolpert war. Ich musste dem Jungen Honig kaufen, bevor ich nach Hause ging.

Ich verschob meine Tüten, und der Cluricaun hinter der Theke schnaubte und fiel krachend von seinem Hocker. Jinx atmete hörbar ein, und ich eilte nach vorn, um mir das anzusehen. Das Feenwesen mit der roten Nase rappelte sich auf, schüttelte den Kopf, rieb sein Gesicht und grinste von einem großen Ohr zum anderen. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, wie so eine triefäugige Kreatur so wunderschöne Lederwaren anfertigen konnte. Ich zuckte mit einer Schulter. Ein weiteres Feenrätsel.

Jinx, die sich keine Sorgen mehr um den Ladenbesitzer machte, durchwühlte eine Kiste mit Ledergürteln.

„Der sieht fantastisch aus“, sagte sie und hielt einen roten Gürtel hoch. „Haben Sie farblich dazu passende Schuhe?“

Jinx wendete sich dem Mann hinter der Theke zu, und ich zuckte zusammen. Leprechauns machen Schuhe, Cluricauns fertigen alles andere. Das war ein Streitpunkt zwischen diesen beiden Feenrassen.

Das Rot auf der Nase des Cluricauns verbreitete sich auf sein ganzes Gesicht und über seinen Hals. Ich erwartete fast, dass Dampf aus seinen Ohren kommen würde. Natürlich war das albern. Er war kein Phönix.

Der Cluricaun stolperte hinter der Theke hervor und schüttelte die Faust.

„Also, ich muss schon sagen ...“, rief er.

Der kleine Mann hielt vor Jinx an und sein Mund stand offen. Sein albernes Grinsen erschien wieder, und die Hitze in seinem Gesicht verlagerte sich auf seine rosigen Bäckchen. Cluricauns bleiben nicht lange wütend, und der hier war anscheinend von meiner Mitbewohnerin fasziniert. Natürlich schaute er ihr bei seiner Größe unter den Rock.

„Cluricauns sind meisterhafte Schneider und Lederverarbeiter, keine Schuster“, sagte ich, um das peinliche Schweigen zu beenden. Ich griff nach dem Gürtel, den Jinx hielt, und zog sie von dem überwältigten Feenwesen weg.

„Keine Schuhe?“, fragte sie.

„Nein, keine Schuhe“, sagte ich.

Jinx seufzte und ließ den Gürtel los. so dass dieser wieder in die Kiste fiel. Mit gefährlich wackelnden Schritten brachte der Cluricaun ein schulterfreies Top aus weinrotem Leder herbei. Ich ignorierte die Unterhaltung, da das Feenwesen versuchte, sie zu bezaubern. Der Cluricaun verwendete seine Ware als Vorwand, um den Busen meiner Mitbewohnerin anzustarren. Jinx lehnte sich vor und begann, um den Preis zu feilschen.

Ich rollte meine Schultern, verschob Tüten und Kartons und drehte mich um, so dass ich auf die Straße sehen konnte. Dort, neben einem Laternenpfahl am gegenüberliegenden Gehsteig, stand Melusine aufrecht auf ihrem zusammengerollten Schlangenschwanz. Hier auf trockenem Land konnte ich sehen, dass ihr Unterleib mit Schlangenhaut bedeckt war, statt der Fischschuppen, die ich angenommen hatte, als ich die Lamia in meiner Vision beobachtet hatte.

Sie starrte mich direkt an.

Der Hass brannte in Melusines Augen, und eine gespaltene Zunge schoss aus ihrem Mund und wieder zurück. Ihre Reißzähne verlängerten sich, als sie ihren Körper mit einer wiegenden Bewegung von Seite zu Seite schlug und mir zwischen den vorbeifahrenden Autos böse Blicke zuwarf.

Ich keuchte, ließ die Tüten von Jinx fallen und rannte zur Tür. Ich wollte nicht unbedingt mit einer wütenden Seeschlange kämpfen, aber meine Überlebenschance wäre höher, wenn ich mehr Spielraum hätte. Wenn Melusine durch das Ladenfenster käme, wären wir so gut wie erledigt.

„Schütze sie“, schrie ich über meine Schulter. Ich wühlte in meinen Taschen und warf dem beschwipsten Ladeninhaber ein Bündel Banknoten und unsere Visitenkarten zu. „Wende einen Glamourzauber auf meine Freundin an und bringe sie in dein Schlupfloch, bis ich zurückkehre. Wenn du das tust, stehe ich in deiner Schuld. Die Detektei Private Eye wird gratis einen Fall deiner Wahl übernehmen.“

Soweit das eine Abmachung mit Feenwesen betraf, war das nicht sehr fest, aber in der Eile konnte ich nicht anders. Ich hoffte nur, dass ich keine Hintertürchen in unserer Abmachung gelassen hatte, die ich bereuen würde.

Der Cluricaun schnappte sich die Sachen und blickte unsere Visitenkarte neugierig an. Das Geld verschwand in eine seiner vielen Taschen.

„Abgemacht“, sagte er und nickte.

Ich stolperte und alles wurde kurz verschwommen, als die Verpflichtung zwischen uns sich auf meine Seele legte. Feeneide waren verbindlich, vor allem zwischen Feenwesen. Mein Wisp-Blut reagierte auf die Abmachung, und auf das Gewicht der vielfachen Verpflichtungen, die ich aufgehäuft hatte. Ich sollte wahrscheinlich ein anderes Feenwesen nicht so bereitwillig um Hilfe bitten. Leider hatte ich keine andere Wahl.

Ich schüttelte den Kopf, um besser sehen zu können. Ich war daran gewöhnt, doppelt zu sehen, aber das war mehr als nur einen Hinweis auf den Glamourzauber wahrzunehmen, der die wahre Gestalt eines Ungeheuers verbarg. Ich blinzelte schnell, um besser sehen zu können und sprang zur Tür.

Ich unterdrückte die aufsteigende Übelkeit und rannte nach draußen, wobei ich die Lamia im Auge behielt. Melusines Gesicht mit den Reißzähnen verschwamm erneut. Das Schwindelgefühl endete und ich konnte wieder klar sehen, als sich die Vereinbarung mit dem Feenwesen permanent mit mir verbunden hatte. Was ich sah, war aber nicht viel besser. Melusine war anscheinend stinksauer.

Als das Bild jetzt klarer wurde, hatte die Lamia jetzt wenigstens nur einen Kopf. Mab sei Dank dafür. Leider hatte ich keine Zeit, mich zu entspannen und die bessere Sicht zu genießen.

Melusine sprang vom Gehsteig und schlängelte sich extrem schnell auf die Straße, so dass sich nur die Autos des Berufsverkehrs zwischen mir und ihren tropfenden Reißzähnen befanden. Ich rannte zur Bordsteinkante und zog ein Glasfläschchen mit Eisenspänen aus einer meiner vielen Taschen.

Es war an der Zeit, zu sehen, wie diesem Miststück unser örtliches Wetter gefiel. Ich verzog höhnisch den Mund. Ich würde einen Sturm aus Eisen über ihren Kopf regnen lassen. Ich hob meinen Arm, um das Fläschchen zu werfen, sobald sich eine Lücke zwischen den Fahrzeugen zeigte.

Ich näherte mich der Fahrbahn, aber ein Stadtbus hupte zweimal gefährlich nahe an meinem Ohr. Ich sprang einen Schritt zurück und vermied gerade noch, flach wie ein Pfannkuchen auf der Straße zu enden. Die Absätze meiner Stiefel trafen auf dem Beton des Gehsteigs auf, aber ich behielt ständig Melusine im Auge, die nur darauf wartete, mich anzugreifen. Mit einem Schwall heißer Luft und Dieselabgase fuhr der Bus nur Zentimeter vor meinem Gesicht vorbei. Ich packte das Fläschchen fest in meiner behandschuhten Faust und blinzelte in den Staubwirbel.

Sobald der Bus vorbei war, machte ich einen Schritt vorwärts, aber Melusine war verschwunden.

Ein Auto kurvte um mich herum, und nur das Dröhnen in meinen Ohren übertönte de Flüche des Fahrers. Mein Herz versuchte, sich aus meiner Brust in meinen Hals zu hämmern.

Wo zum Teufel war Melusine?

Ich wirbelte herum, sah aber keine Spur der Lamia. Mein Arm zitterte durch die Anstrengung, das Fläschchen hochzuhalten, während ich nach meinem Ziel suchte. Es hätte nicht schwierig sein sollen, eine Seeschlange auf einer belebten Straße zu finden, aber Melusine war völlig im zunehmenden Nebel verschwunden.

Nebelschwaden umgaben meine Füße und verdeckten die Eingänge benachbarter Gassen. Hatte vielleicht die Lamia den Nebel herbeigerufen, um ihre Flucht zu decken? Das schien mehr als ein unglücklicher Zufall zu sein.

Aber warum hatte sie die Flucht ergriffen? Wenn Melusine aus Groll darauf zurückgekehrt war, dass ich mit ihrem Mann liiert war, warum hatte sie sich dann nicht gerächt? Ich war allein, leicht bewaffnet und nur einige Meter von ihrem Klauen entfernt gewesen. Ich atmete tief ein und seufzte. Das führte nur zu weiteren Fragen.

Ich senkte meinen Arm und schob das Fläschchen mit Eisenspänen wieder in meine Tasche. Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Ich trat auf den Gehsteig und drehte mich zum Laden des Cluricauns hin. Erst in diesem Moment bemerkte ich die Gruppe von Leuten, die flüsterten und deuteten. Ich blicke über meine Schulter und erwartete schon, dass Melusine aus dem Nebel erscheinen würde, aber der Verkehr floss weiter. Als ich mich der Menge zuwandte, fühlte sich mein Magen wie Eis an. Sie starrten nicht auf etwas in der Straße.

Sie starrten alle mich an.

Ich zuckte zusammen und zog meine Schultern ein. Ich wollte am liebsten in den Nebel gehen und dort warten, bis sich diese Menschenmenge aufgelöst hatte. Ich könnte später nach meiner Flucht zurückkehren und mich um Jinx kümmern. Ich machte einen Schritt nach rechts und wich einem Laternenpfahl aus, aber der Gehsteig war voller neugieriger Einkäufer.

Leider waren die Nachmittagseinkäufer nicht allein. Ein Mann in Uniform blickte mich unter seiner dunkelblauen Mütze grimmig an. Toll, ich hatte die Aufmerksamkeit der Polizei von Harborsmouth erregt. Könnte dieser Tag noch schlimmer werden?

Was für eine dumme Frage, natürlich konnte es das. Mein Brustkorb verengte sich, und ich atmete zitternd ein. Über ein Dutzend Augenpaare starrten mich an, so dass mir richtig heiß wurde. Ich wollte nur noch davonlaufen, um mich vor ihren missbilligenden Blicken zu verstecken. Würde ich die Straße heil überqueren können, wenn ich mich in den herannahenden Verkehr stürzte?

Der Polizist schüttelte leicht den Kopf, um meine Frage zu beantworten. Mein Fluchtwunsch musste von meinem Gesicht abzulesen sein. Seine Hand berührte seine Hüfte, wo ein Schlagstock und eine Pistole an seinem Gürtel hingen. Ihm entkommen zu wollen war eindeutig keine Option.

„Bleiben Sie, wo Sie sind, Ma‘am“, sagte der Polizist und straffte seine Schultern. „Ich habe mehrere Zeugen, die behaupten, dass Sie direkt vor den fließenden Verkehr getreten sind und dadurch sowohl Fahrer als auch sich selbst in Gefahr gebracht haben. Manche sagen, dass sie Ihre Hand gehoben haben, als ob sie etwas werfen wollten. Ein Zeuge behauptet, dass Sie etwas geworfen haben. Können Sie Ihr Verhalten erklären, Miss?“

Der Polizist, der laut dem Namensschild an seiner Uniform Hamlen hieß, sagte das alles sehr freundlich, aber seine Hand blieb in der Nähe seines Pistolengriffs. An seiner anderen Seite hingen glänzende Handschellen, die mich mit der Drohung ihrer kalten Umarmung verhöhnten. Ich musste eine glaubhafte Erklärung dafür finden, dass ich vor einen Bus getreten war, wobei ein Selbstmordversuch, öffentlicher Vandalismus oder die Jagd auf eine Seeschlange ausgeschlossen waren. Zudem musste ich den Polizisten überzeugen, dass ich weder gefährlich, zerstörerisch noch verrückt war. Wenn mir nicht bald etwas einfiel, würde ich hinten im Streifenwagen sitzen, mit den glänzenden Handschellen an meinen Handgelenken.

Ich war mir sicher, dass mir die Handschellen mir eine gehörige Vision versetzen würden. Es wäre schwer, einen Richter davon zu überzeugen, dass ich sowohl bei Verstand war als auch keine Bedrohung für die Gesellschaft darstellte, wenn ich gerade von einer Vision geschüttelt würde.

Ich versuchte zu schlucken, aber meine Zunge klebte am Gaumen fest. Ich zwang Speichel in meinen Mund, und die Worte kehrten zurück, aber dann konnte ich nur quietschen, als etwas gegen mein Bein streifte.

Ich blickte nach unten und sah die allzu intelligenten Augen eines Katzen-Sidhe. Dieses Feenwesen sah wie ein rauflustiger streunender Kater aus, aber die Augen und die Tatsache, dass Teile seines Körpers aus Rauch und Schatten zu bestehen schienen, verrieten die Feennatur. Natürlich konnte keiner der Umstehenden das erkennen.

„Wirke einen Glamourzauber auf dich“, zischte der Kater.

Die Worte schienen aus dem Katzen-Sidhe zu kommen, obwohl sich das Maul nicht bewegte. Da die Menge um mich herum nicht über das Spektakel einer sprechenden Katze erstaunt war, ging ich davon aus, dass das Wesen ein Telepath war. Das hatte mir gerade noch gefehlt – eine arrogante Feenkatze in meinem Kopf.

Verschwinde. Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin? Ich dachte die Worte zu dem Kater hin. Hoffentlich würde die Telepathie in beide Richtungen funktionieren.

Mein Puls schlug schneller, als das Tier seinen pelzigen Körper gegen meinen Stiefel presste. Da nur eine dünne Lederschicht den Katzen-Sidhe von meiner Haut trennte, schien das Feenwesen ein weiteres Problem darzustellen. Der Polizist räusperte sich und wartete offenbar darauf, dass die verrückte Frau seine Frage beantwortete. Ich musste mich später um den Kater kümmern.

„Du leuchtest“, sagte der Katzen-Sidhe. „Und, Prinzessin, ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass das gegen die Feengesetze verstößt. Den Menschen unsere Existenz zu offenbaren wird mit dem Tode bestraft. Schalte die Lichteffekte aus, bevor diese Leute merken, dass das nicht nur eine Wirkung von Licht und Nebel ist.“

Ich kann das nicht. Und nenne mich nicht Prinzessin.

Ich leuchtete vor einem menschlichen Publikum? Toll. Echt toll. Mein Wisp-Vater, der König der Irrwische, hatte sich nicht die Mühe gegeben, mir etwas Nützliches beizubringen, beispielsweise wie man einen lebensrettenden Glamourzauber wirkt, bevor er mich und meine Mutter verließ und einen Erinnerungszauber verwendete, durch den ich seine Existenz völlig vergaß. Ich konnte kaum atmen, und Sterne erschienen mir vor den Augen.

Etwas kratzte an meinem Stiefel, und ich blickte nach unten und sah, wie die Feenkatze mit den Augen rollte.

„Beruhige dich, Prinzessin, und folge meinem Beispiel“, sagte sie. „Tu so, als ob du dich freuen würdest, mich zu sehen, und schmuse dann mit mir.“

Mit dir schmusen? Ich wette, das sagst du zu allen Mädchen.

„Schon besser“, sagte der Kater. „Dein Leuchten lässt nach. Atme tief ein, lächle und tu so, als ob du dich freuen würdest, mich zu sehen. Ich bin dein weggelaufener Kater – FÜR DEN DU MITTEN IN DEN VERKEHR GESPRUNGEN BIST.“

Oh, das ergibt Sinn. Und das stimmte sogar. Ich setzte ein Lächeln auf, das meinen Backen weh tat und klatschte meine behandschuhten Hände in falscher Freude zusammen.

„Mieze!“, sagte ich.

„Wenn du sie wirklich überzeugen und die Polizei loswerden willst, musst du mich aufheben“, sagte er.

Ich blickte kurz die Menschenmenge an und sah, dass das Feenwesen recht hatte. Finstere Blicke wurden durch angehobene Augenbrauen und dann zögerndes Lächeln ersetzt, aber niemand würde glauben, dass das mein weggelaufener Kater war, wenn ich nur hier stand und wie eine Puka grinste. Wenn Ihr Kater auf einer Hauptstraße fast überfahren worden war, würden Sie ihn dann einige Zentimeter vor dem fließenden Verkehr sitzen lassen? Nein, die meisten Leute würden das liebe Tierchen umarmen und dafür sorgen, dass es in Sicherheit ist.

Natürlich war das nicht mein Kater. Er war nicht einmal eine richtige Katze, und die meisten Besitzer von Katzen gehen nicht das Risiko ein, eine Vision zu erleben, wenn sie ihre kuscheligen Tierchen halten. Der Fluchttrieb war überwältigend, aber ich zwang mich, zu grinsen, und den Katzen-Sidhe in meine Arme zu nehmen.

Wenn du das Leder zerkratzt, mache ich ein Paar Hausschuhe aus dir. Der Mantel war neu, einer der Vorteile eines florierenden Geschäfts, aber ich wusste, dass das eine leere Drohung war. Ich würde nie einer Katze das Fell über die Ohren ziehen, nicht einmal einen Katzen-Sidhe, aber ich hoffte, dass ich dadurch verhindern konnte, dass die Krallen des Feenwesens meinen Ärmel durchlöcherten. Die Klauen des Wesens konnten Leder wie weiche Butter durchschneiden, so dass nichts zwischen meiner Haut und einem unsterblichen Feenwesen stünde. Das könnte eine schreckliche Vision auslösen.

„Das kannst du versuchen“, sagte er und lächelte wie ein faules Krokodil. Er streckte eine Pfote aus, und die Spitzen seiner Krallen drückten gegen meinen Arm. Jede nadelscharfe Klaue schob sich in das Leder, berührte aber bisher noch kein Fleisch. Die Klauen waren auf die Klinge gestoßen, die ich an meinen Unterarm geschnallt hatte.

Ich unterdrückte ein Zittern, hob meinen Kopf und blickte den Polizisten an.

„Tut mir leid“, sagte ich. Ich hielt den Kater auf meinen Armen, hob aber flehend meine behandschuhten Hände. „Das ist alles ein Missverständnis. Ich wollte nur meinen Kater finden und ihn nach Hause bringen.“

Der Polizist sah den Kater auf meinen Armen an, und dann wieder mich. Ich hatte offensichtlich die Katze nicht aus dem Nichts herbeigezaubert, aber er schien immer noch zu zögern, mich gehen zu lassen.

„Und weshalb standen Sie mitten im Verkehr?“, fragte er.

„Als ich endlich meinen Kater fand, hat er in der Straße gespielt“, sagte ich. Die Klauen des Feenwesens drückten gegen meinen Arm, so dass mir die Tränen kamen, wenn auch kein Blut floss. Der Kater schnurrte glucksend. Dieses verdammt Biest freute sich darüber. Ich musste blinzeln, damit mir nicht die Tränen kamen und knirschte mit den Zähnen. Falls ich den Tag überlebte, das schwor ich, würde ich nie mehr eine der verdammten Kreaturen aufheben, außer um ihr den Hals umzudrehen. „Ein Bus fuhr heran, und ich habe einfach nicht nachgedacht ... und trat auf die Straße. Ich konnte doch nicht zulassen, dass mein süßer Butterball überfahren wird. Ich musste ihn retten.“

Aus der Menschenmenge waren mehrere Ahhhhhhs zu hören. Jemand weiter hinten klatschte, und eine andere Person jubelte.

„Butterball?“, fragte der Katzen-Sidhe.

Das kriegst du dafür, dass du Löcher in meine Jacke machst. Ich habe dich davor gewarnt, das Leder zu zerkratzen. Außerdem könntest du ein paar Pfund abnehmen. Was fressen Katzen-Sidhe denn, Bleiklumpen? Ich versuchte, mir nicht vorzustellen, wie die Katze mit einer Maus spielte, die doppelt so groß wie sie war. Gab es in unserer Stadt auch riesige Ratten-Feenwesen? Aber wenn ich mir das so überlege, will ich es lieber nicht wissen.

Während der Katzen-Sidhe und ich uns telepathisch stritten, löste sich die Menschenmenge langsam auf. Eine Frau mit Schlabberpullover und passendem Schal nannte mich einen Engel, und ich hoffte, dass sie meine leuchtende Haut nicht bemerkt hatte. Meine Haut wirkte jetzt normal, und ich sah keine glitzernden Funken mehr hinter meinen Augenlidern, so dass mein Irrlicht hoffentlich ganz erloschen war. Ich würde lernen müssen, meine Feenkräfte zu beherrschen, aber das bedeutete, dass ich mich mit meiner Herkunft als Wisp auseinandersetzen musste. Das konnte warten.

Eine Person in der Menge hatte sich immer noch nicht bewegt. Ich starrte die uniformierte Gestalt an und seufzte. Der Polizist war relativ klein und schlank, aber manchmal trügt der Schein. Ich sollte das wissen. Ich wertete aus, was für eine Bedrohung er darstellte – Pistole, Schlagstock, Handschellen, breitbeinige Haltung – genau, wie Jenna mir das beigebracht hatte. Ich ließ mir mehrere mögliche Kampfszenarien durch den Kopf gehen und fand in jedem Vorteile. Aber ich war nicht hier, um mich mit der Polizei herumzuschlagen. Technisch gesehen waren wir auf der gleichen Seite, und so sollte das auch bleiben.

Ärger mit den örtlichen Autoritäten war nicht nur dumm – das war auch schlecht fürs Geschäft. Wenn ich im Gefängnis landete, würde ich meine Lizenz als Privatdetektiv verlieren. Wenn ich nicht mehr legal an meinen Fällen arbeiten könnte, würde Jinx mir den Kopf abreißen.

„Tut mir leid, falls sich Leute Sorgen gemacht haben”, sagte ich. „Ich werde von jetzt an Butterball im Haus behalten.“

Der Katzen-Sidhe hörte auf, seine Pfote zu lecken und warf mir einen bösen Blick zu.

„Noch etwas, Ma‘am“, sagte der Polizist. „Wie wäre es, wenn Sie Ihre Taschen ausleeren und mir zeigen, was Sie auf die Straße werfen wollten?“

Scheiße! Ich hatte einige sehr ungewöhnliche Dinge in meinen Taschen. Wie könnte ich Flaschen mit Tränken und Tüten voller Kräuter erklären? Verdammt, der Polizist würde die Kräuter wahrscheinlich für Drogen halten. Auch wenn sie nach einem Test erkennen würden, dass es harmlose Kräuter waren, müsste ich noch immer in Handschellen im Streifenwagen mitfahren.

Auch wenn ich nicht die Familienallergie gegen Eisen geerbt hatte, wollte ich nicht unbedingt meinen Abend in Handschellen in einer Metallkiste verbringen. Und im Polizeirevier würden sie mich nach Waffen durchsuchen. Ich konnte mich zwar herausreden, was die Kräuter und Amulette betraf, und die Pflöcke hinten im Gürtel waren für alle außer den Untoten nur Bleistifte, aber die verborgenen Wurfmesser aus Silber, die ich an beide Arme geschnallt hatte, ganz abgesehen von dem Eisendolch in meinem Stiefel, würden mich echt in Schwierigkeiten bringen.

Ich blickte dem Polizisten ins Gesicht und bemühte mich, ruhig zu bleiben. Seine Augenbraue zuckte, und seine Hand bewegte sich zu seiner Pistole. Ich versuchte, nicht die Handschellen anzustarren, die an seinem Gürtel hingen, als ich meine Hände verschob, um die Katze zu halten. Wenn ich wieder zu leuchten begann, würde er mich wahrscheinlich erschießen.

Bei Mabs elenden, blutigen Knochen.

„Du überraschst mich, Prinzessin“, sagte der Katzen-Sidhe. „Du fluchst wie ein Lubberkin.“

Sei ruhig. Ich verschob die Katze auf meinen linken Arm und griff langsam in meine rechte Tasche. Ich zog mit zitternden Fingern das Fläschchen mit Eisenspänen aus meiner Manteltasche. Ich hielt es dem Polizisten hin, aber da fiel etwas anderes aus meiner Tasche auf die feuchte Straße.

„Was ist das?“, fragte der Polizist und griff nach dem Fläschchen.

„Glitzerstaub, äh, für die Feiertage“, sagte ich.

Er hob eine Augenbraue an, als er sich den „Glitzerstaub“ näher ansah, aber das Glasfläschchen enthielt nur Metallspäne.

„Und das?“, fragte er.

Der Polizist bückte sich und starte das Tütchen vor meinen Füßen an. Verdammt, verdammt, verdammt.

„Katzenminze“, sagte ich und hoffte, dass die Kräuter nicht offensichtlich giftig waren. „Ich wollte damit Butterball anlocken.“

„Butterball“ sprang mit seinen kräftigen Hinterbeinen aus meinen Armen und überraschte dadurch den Polizisten. Der Katzen-Sidhe packte das Tütchen mit Kräutern zwischen seinen Zähnen und ließ es vor unseren Füßen fallen. Dann begann das Wesen, sich über die Tüte zu rollen.

„Sehen Sie“, sagte ich nervös. „Er mag das wirklich.“

Die Glocken von St. Marys läuteten zur Stunde, was mich daran erinnerte, dass der neblige Tag bald in die Nacht übergehen würde. Ich wollte nicht, dass Jinx noch viel länger hier blieb. Joysen Hill war nach Einbruch der Dunkelheit kein guter Ort für Menschen. Der Polizist lehnte seinen Kopf zurück, blickte nach oben und grunzte.

„Dann gehen Sie und nehmen Sie Ihre Katze mit“, sagte er. „Auf diesen Straßen sollte man nachts nicht herumwandern.“

Da ich einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen wollte, setzte sich ein Lächeln auf und drehte mich zum Gehen um. Meine beste Hoffnung bestand darin, außer Sichtweite zu kommen, bevor der Polizist es sich anders überlegte. Ich hob den Katzen-Sidhe auf, steckte die Tüte mit Kräutern in meine Tasche und ging nach Süden in Richtung Congress Street. Klauen gruben sich in meine Lederjacke, und ich fluchte leise. Ich ließ das Lächeln auf meinem Gesicht und bewegte mich steif Joysen Hill hinunter, während ein keuchendes Lachen durch meinen Kopf hallte.