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Ich rieb mir die Arme, als ich Joysen Hill hoch lief, und die Klingen unter meiner Lederjacke fühlten sich beruhigend an. Jenna hatte versucht, mich zum Waffentraining zu überreden, seit ich sie letzten Sommer getroffen hatte, aber ich nahm ihr Angebot erst kurz vor Weihnachten an. Ich hatte an einem Auftrag gearbeitet, der sehr schnell zu einer Katastrophe hätte werden können. Trotz der fähigen Unterstützung von Jenna war es den Feenwesen, die wir verfolgten, gelungen, uns in einen Hinterhalt zu locken. Ich hatte Glück gehabt und überlebt, aber selbst jetzt hatte ich noch Alpträume darüber.
Ich wachte manchmal und glaubte, das verkohlte Fleisch zu riechen, da die Erinnerung an diese schreckliche Nacht sich in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Nach diesen Szenen fühlte ich mich immer schwach und verletzlich. Das passiert eben einem Mädchen, das einer Horde blutrünstiger Redcaps begegnet.
Also hatte ich Jinx und mir selbst einen Monat Kampftraining mit Jenna geschenkt. Vier Monate später gingen wir immer noch zu ihrer Klasse. Jinx war eine adrenalinsüchtige Perfektionistin, und ich war entschlossen, die Fähigkeiten zu erlernen, die ich zum Schutz dieser Stadt und meiner Freunde benötigte. Ich freunde mich nicht schnell an und wollte nicht, dass meine wenigen Freunde, die mir so viel bedeuteten, verletzt würden, weil ich nicht vorbereitet war.
Ich beherrschte grundlegende Taktiken der Selbstverteidigung und übte jeden Abend Methoden, um Gegner zu entwaffnen und bewegungsunfähig zu machen, während Jinx das Abendessen kochte, aber das war keine normale Selbstverteidgungsklasse. Eine erfahrene Jägerin als Lehrerin zu haben war sowohl interessant als auch peinlich. Jenna hatte unsere Schwächen entdeckt, bevor unsere Hintern auf der Matte aufprallten.
Ich hatte erfahren, dass meine Abneigung gegenüber Berührungen im Nahkampf ein gefährliches Manko darstellte. Ich kannte zwar die Taktiken, hielt mich aber bei der Ausführung von Stößen, Drehungen und Schlägen zurück. Beim Nahkampf kann eine Sekunde des Zögerns den Tod bedeuten. Tritte und Fußfeger waren weniger schwierig, aber wenn es darum ging, meine Hände einzusetzen, war ich ein totaler Versager. Haltegriffe und Würfe konnte man vergessen. Wenn es darum ging, dass ich nahe an den Gegner herankommen und eine Vision riskieren musste, erstarrte ich. Ganz gleich, wie energisch ich diese Taktiken übte, hatte ich einfach nicht die Fähigkeit dazu.
Jinx hingegen setzte zwar ihre Taktiken voll ein, aber es mangelte ihr an Stärke und Erfahrung. Zudem war sie die unbeholfenste Person auf der Welt. Das hielt sie allerdings nicht auf. Jinx gibt nicht so leicht auf. Schließlich findet sie sich noch mit mir ab.
Zum Glück konnte Jenna sowohl unsere Stärken als auch unsere Schwächen feststellen. Deshalb überzeugte sie mich schließlich, Waffen zu verwenden. Sie nutzte meine körperliche Stärke und Wendigkeit und die Begeisterung von Jinx voll aus.
Überraschenderweise hatte Jinx ein Talent für Projektilwaffen. Dank ihrer ruhigen Hand und ihrer Hartnäckigkeit wäre ich nicht überrascht, wenn meine Partnerin alle bis zum nächsten Weihnachten beherrschen würde, aber momentan war die Armbrust ihre Lieblingswaffe.
Leider hatte sie jetzt keine dabei. Ich würde mir weniger Sorgen machen, wenn ich wüsste, dass meine Mitbewohnerin bewaffnet wäre. Stattdessen strengte ich mich an, den Hügel schneller hochzukommen. Die Nacht war nicht mehr weit.
Ich erreichte den Laden des Cluricauns und war schockiert, im Fenster das Schild „Geschlossen“ zu sehen. Hinter dem Schild sah ich den dunklen, unwirtlichen Laden. Hatte das Feenwesen den Laden geschlossen und dann Jinx in sein Schlupfloch gebracht? In dem Fall würde es schwierig sein, meine Geschäftspartnerin zu finden. Wenn jemand ein Geheimversteck hat, ist dies meistens sehr schwer auffindbar. Meine einzige Chance, Jinx zu finden, bestand darin, den Laden zu betreten, wo ich den Cluricaun zuletzt gesehen hatte.
In meiner Eile, das Leben meiner Freundin zu schützen, hatte ich sie in die Hände eines notorischen Trunkenbolds gegeben. Das sah allmählich wie eine Fehlentscheidung aus. Ich lief vor dem Laden auf und ab und versuchte nachzudenken. Ich musste in den Laden kommen.
Ich trat vorwärts und konzentrierte mich auf die Tür. Die Buchstaben auf dem Schild verschwammen, und dann sah ich, dass es gar nicht umgedreht worden war. Auf dem Schild stand „Offen“, und die Ladenbeleuchtung wurde sichtbar und verbannte die Dunkelheit. Ich stieß erleichtert den Atem aus, den ich anscheinend angehalten hatte. Das Schild und der Mangel an Innenbeleuchtung waren ein komplexer Glamourzauber. Das wurde wahrscheinlich von vorhandenen Schutzzaubern ausgelöst, die aktiviert wurden, als der Cluricaun sein Schlupfloch öffnete. Wenn der Laden nicht wirklich geschlossen war, war vielleicht auch die Tür nicht zu. Ein Mädchen konnte wenigstens hoffen.
Ich berührte die Tür mit zitternden Fingern. War der Glamourzauber die einzige Schutzmaßnahme, die aktiviert worden war, als der Cluricaun den Laden verließ? Das würde ich bald herausfinden. Ich atmete tief ein und der Türknopf drehte sich leicht unter meiner behandschuhten Hand. So weit, so gut. Ich drückte die Tür nach innen und zuckte zusammen, als ein Glöckchen über mir klingelte.
Und jedes Mal, wenn ein Glöckchen klingelt, bekommt ein Engel seine Flügel. Das Filmzitat kam mir unwillkürlich in den Sinn, und ich musste ein Kichern unterdrücken. Zum Glück hatten die Schutzzauber des Ladens nicht den Schlossmechanismus an der Tür aktiviert – oder potenziell tödliche Zauberfallen, zumindest noch nicht. Ich räusperte mich und betrat das Geschäft.
„Hallo?“, fragte ich.
Der Laden war leer. Ich atmete das starke Aroma von Leder ein und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Jinx war in Sicherheit. Ich musste nur den Cluricaun rufen, oder? Ich drehte mich langsam herum und sah das gut beleuchtete Innere des Ladens an. Ich zögerte mehr als einmal, als ich eine ausgestellte Lederjacke aus dem Augenwinkel für eine Gestalt hielt. Und die Schaufensterpuppen möchte ich gar nicht erwähnen. Ich konnte schwören, dass ihre leeren Augen mir folgten, als ich durch den Raum lief. Die verdammten Dinger waren unheimlich.
Ich unterdrückte ein Zittern und versuchte, etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Für einen Säufer hielt der Cluricaun seinen Laden sehr gut in Ordnung. Die Lederwaren waren im ganzen Raum auf attraktive Weise angeordnet. Soweit ich sehen konnte, war alles an seinem Platz. Sogar die Schachteln und Einkaufstüten, die ich fallen ließ, waren ordentlich aufgereiht.
Ich durchsuchte die Tüten, hob Schuhschachteln und zusammengefaltete Kleidung hoch, um einen Zettel oder sonstigen Hinweis auf den Aufenthaltsort von Jinx zu finden. Aber dort waren nur die Reste unserer heutigen Einkaufstour. Ich steckte alles in die Tüten zurück und knurrte wie ein Barghest. Es gab keine Hinweise darauf, wohin der Cluricaun Jinx gebracht hatte.
Ich verließ den Hauptraum und untersuchte die Theke hinten im Laden. Etwas schien zu fehlen. Eine Erinnerung an meinen vorherigen Besuch nagte an mir. Ich versuchte, ein Bild der Theke aufzurufen, wie ich sie vorher gesehen hatte, aber die Erinnerung entglitt mir wie Rauch. Ich hatte mich zu sehr auf Melusine und die durch sie dargestellte Bedrohung konzentriert.
Ich sah mir die Ladentheke und dann die Kasse an. Kaye hatte eine geheime Taste an ihrer Kasse, die die hintere Tür des Ladens öffnete. Vielleicht hatte der Cluricaun ein ähnliches System. Ich drückte jede Taste mit einem behandschuhten Finger, aber nichts passierte.
Ich riskierte einen Blick nach draußen. Die Sonne ging unter und es wurde allmählich dunkel. Schatten und Nebel schienen die Lichter der Stadt zu verschlucken, so dass nur die Dunkelheit und die in ihr lauernden Wesen verblieben.
Ich drehte mich wieder zur Kasse hin und schlug mit der Faust auf die Theke. Ich musste etwas übersehen haben. Es musste eine Methode geben, mit dem Cluricaun Kontakt aufzunehmen. Ich lehnte mich vor und senkte meinen Kopf, so dass ich mich hinter einem Vorhang aus Haar versteckte. Wenn ich keinen Weg ins Schlupfloch des Feenwesens finden konnte, musste ich versuchen, eine Vision zu sehen. Ich starrte meine behandschuhte Faust an und sah plötzlich etwas.
Ich strich mit der Hand über die Ladentheke und spürte einen ins Holz gekratzten Kreis. Die Spuren waren schwach, als ob etwas jahrelang dort gestanden hätte. Plötzlich erinnerte ich mich daran, was hier fehlte. Als ich vorhin hier gewesen war, hatte ich eine glänzende silberne Klingel gesehen – wie eine Rezeptionsklingel.
Ich spürte, wie langsam ein Lächeln auf meinem Gesicht erschien. Ich wusste, was ich suchen musste. Wo hatte der Cluricaun die Klingel versteckt? Ich wühlte hinter der Theke herum und drehte Papierkörbe und Schubladen um.
„Komm schon, Klingel, wo versteckst du dich?“, murmelte ich.
Ich ging im Laden herum, und etwas schimmerte in meinem zweiten Gesicht. Ich konzentrierte mich, und die Klingel erschien auf dem Kopf einer unheimlich wirkenden Schaufensterpuppe. Ich sprang vorwärts und schnappte mir die Klingel. Sie fühlte sich unter meinen behandschuhten Fingern fest an.
Ich eilte zur Ladentheke und stellte die Klingel auf den eingekratzten Ring. Ich hob meine Hand, hielt sie mit der Handfläche nach unten und schlug auf die Klingel. Ein lautes Läuten ertönte im Laden. Sollte ich erneut klingeln, vielleicht dreimal? Kaye erklärte oft, dass drei bezüglich der Magie eine sehr mächtige Zahl war ...
„Hall-o“, rülpste eine Stimme hinter mir.
Ich wirbelte herum und sah, wie der Cluricaun mir zuwinkte und in meine Richtung wankte. Jinx lag hinter ihm auf dem Boden. Jinx.
Ich rannte zu meiner Freundin und kniete neben ihr auf dem polierten Holzboden. Ich bereitete mich darauf vor, meinen Handschuh auszuziehen und nach dem Puls zu tasten – ich hatte Jinx noch nie berührt, und ihre Geheimnisse waren ihre eigene Angelegenheit, in die ich mich nicht einmischen wollte – als ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht erschien. Jinx öffnete die Augen und grinste noch mehr.
„Hey, Mädchen“, sagte sie. „Komm, wir gehen, hicks, tanzen!“
„Tanzen“, sagte ich. „Im Ernst? Ich bezweifle, dass du überhaupt laufen kannst.“
Ich stellte mir vor, wie ich Joysen Hill hinunter stolpern würde, während ich meine große Freundin nach Hause trug. Old Port war weit weg von hier, und wenn ich Jinx tragen musste, würden meine Arme und Beine in einem Kampf nutzlos sein. Es wäre auch unmöglich, zu rennen. Ich müsste langsam und wehrlos den Hügel hinunter straucheln. Ich grunzte und ging in die Hocke.
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und schob es aus dem Gesicht, während ich meine Freundin untersuchte. Es war nicht das erste Mal, dass Jinx zu viel intus hatte, aber meistens war sie nicht so besoffen. Ach du Scheiße.
„Ich habe dich gebeten, sie zu schützen“, sagte ich. Ich blickte über meine Schulter, starrte den Cluricaun mit zusammengekniffenen Augen an und deutete auf Jinx. „Was hast du ihr gegeben?“
Dann drehte ich mich wieder zu Jinx hin und schubste sie mit dem Knie an.
„He, wach auf“, sagte ich. „Hast du Feenwein getrunken?“
Ich hatte Jinx immer wieder drei Dinge eingehämmert, seit ich mehr über Feenwesen, Dämonen und die Untoten erfahren hatte. Gib nie einem Vampir dein Blut. Verkaufe nie einem Dämon deine Seele. Wenn du dich in der Anderwelt befindest, darfst du nichts essen oder trinken. Und trinke vor allem NIE Feenwein.
Okay, das waren vier Dinge. Was soll‘s.
Es ging darum, dass es schlimmer als der Tod wäre, gegen diese Grundregeln zu verstoßen. Wenn man einem Vampir von seinem Blut trinken ließ, egal wie attraktiv er aussehen mochte – und vertrauen Sie mir, unter dem Glamourzauber sind Vampire alles andere als sexy – führte das zur Sucht. Das Erlebnis ist aufgrund einer Kombination vom Vampir-Pheromonen und Chemikalien in ihrem Speichel so angenehm, dass viele Menschen nach nur wenigen Bissen süchtig wurden. Dadurch wurden sie zu unglückseligen Blutsklaven, die in der Vampirgemeinschaft wie Flaschen mit billigem Bier herumgereicht wurden.
Seine Seele ein Dämon zu verkaufen war noch schlimmer. Egal, wie gut der Handel schien, würde man früher oder später in die Hölle kommen. Die H-ö-l-l-e. Das ist kein sehr schöner Ort für einen Besuch, und sie werden dort eine Ewigkeit bleiben – als Sklave von Dämonen. Und Dämonen? Bei denen sind nicht nur die Hörner spitz.
Wenn man in der Anderwelt etwas isst oder trinkt, erleidet man ein ähnliches Schicksal. Menschen, die genug Feennahrung zu sich nahmen, wurden süchtig und blieben im Feenreich gefangen. Selbst wenn sie entkämen, würde Essen aus unserer Welt auf ihrer Zunge zu Asche werden. Feenwein ist stärker als jedes menschliche Getränk, und selbst ein kleines Glas kann sehr süchtig machen. Jeder, der Feenwein trinkt, wird ein Sklave an einem der Feenhöfe – ein Spielzeug für gelangweilte Unsterbliche.
Man hatte gesagt, dass die Grenzen des Feenlands geschlossen waren, aber es gab immer Hintertürchen, und Jinx war unglücklicherweise durch eine gefallen. Wenn das Schlupfloch des Cluricauns ein Tor zum Feenland war, könnte Jinx Feenwein getrunken haben, ohne das zu wissen. Würde sie dann eine Süchtige werden, die im Feenland leben musste?
Ich stand mit zitternden Händen auf und stupste Jinx wieder mit meinem Stiefel an.
„Hast. Du. Den. Feenwein. Getrunken?“, fragte ich.
„Bier“, murmelte sie. „Ganz, ganz viel Bier.“
„Stimmt das?“ fragte ich und starrte den Cluricaun an.
„Es stimmt“, sagte er und nickte.
Ich lehne mich vor und roch an der Kleidung von Jinx. Sie roch nicht nach Wein. Bevor ich mich wieder aufrichten konnte, rülpste Jinx mir ins Gesicht.
„Bei Oberons Augen“, sagte ich und rümpfte die Nase. „Du riechst wie eine Brauerei.“
Jinx kicherte. Ich wollte sie treten, aber stattdessen verschränkte ich meine Arme und starrte nach unten.
„Weil wir in einer Brauerei waren“, sagte sie. „Sein Versteck ist im Keller der Old-Shoal-Brauerei.“
Es klang wie „Kellä de Old-Schöl-Brarai“, aber ich verstand sie. Meine Freundin war in ihrer Version des Himmels gewesen, umgeben von Fässern voll Bier aus einer Mikrobrauerei. Sie hatte im Keller einer örtlichen Brauerei gezecht, nicht im Feenland. Ich schüttelte den Kopf und stupste sie erneut mit meinem Stiefel an.
„Komm schon“, sagte ich. „Steh auf. Wir müssen dich nach Hause bringen, bevor es ganz dunkel wird.“
Ich zögerte, griff dann nach unten und zog Jinx hoch. Ich biss die Zähne zusammen und schob einen Arm unter ihre Schulter, um sie zu stützen. Ein Großteil meiner Haut war mit Leder bedeckt, aber ein kleiner Fleck nackter Haut würde reichen, um eine Vision auszulösen. Das machte es nicht gerade ideal, meine Mitbewohnerin zu tragen. Wenn ich von einer Vision aus der Vergangenheit von Jinx heimgesucht würde, wäre das ihre Schuld, aber ich hoffte, das zu vermeiden. Wir konnten uns keine Verzögerung mehr leisten.
„Was ist mit meinen Sachen?“, fragte sie.
Jinx wirkte traurig und verwirrt, so dass ich etwas nachgab.
„Kannst du laufen?“, fragte ich.
Jinx schob mich weg und ging vorwärts. Sie wackelte etwas, blieb aber aufrecht.
„Siehst du, mir geht es gut“, sagte sie.
Sie stolperte und begann, nach hinten zu fallen. Scheiße.
„Hier, nimm die“, sagte ich. Ich reichte Jinx einige Einkaufstüten für jede Hand, wobei ich auf das Gleichgewicht achtete. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Hände brauchen würde. „Fertig?“,
Jinx gelang es, zu nicken ohne umzufallen. Wir machten Fortschritte.
„Na ja, dann danke, dass du sie beschützt hast“, sagte ich zu dem Cluricaun.
Ich versuchte, nicht zu mürrisch zu wirken. Ich hatte keine Klausel eingefügt, dass Jinx keinen Alkohol trinken durfte, also hatte er nicht gegen unsere Abmachung verstoßen. Das Feenwesen hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt. Ich konnte spüren, wie die Verpflichtung schwer auf meinen Schultern lastete. Ich hoffte fast, dass er mich bald um einen Gefallen bitten würde. Ich müsste zwar umsonst an einem Fall arbeiten, aber das war besser als dieses Gefühl.
„Sichere Reise“, sagte der Cluricaun.
Er winkte mit seiner dicken Hand, und seine lächelnden Augen wurden über der auf der roten Knollennase sitzenden Brille sichtbar.
„Sichere Reise“, sagte ich.
Ich seufzte und schob Jinx zur Tür hinaus in die Nacht.
„Oh, verdammt“, sagte Jinx und blieb stehen.
„Was?“, fragte ich. „Hast du etwas im Laden gelassen?“
„Ich habe meine Verabredung mit Hans vergessen“, sagte sie. Jinx starrte ihre Füße an und schwankte vorwärts. „Dann werde ich wohl nicht tanzen gehen.“
Ihr Worte waren so verschwommen, dass das wie „dann weriwel nischt tanschn gehn“ klang, weshalb ich mir ziemlich sicher war, dass sie das diese Nacht nicht tun würde. Jinx war schon unbeholfen, wenn sie stocknüchtern war. Betrunken war sie eine echte Bedrohung.
„Welche Nummer hat Hans?“, fragte ich. „Ich rufe ihn an und sage ihm, dass du nicht kommen kannst.“
Sie blinzelte mich an und steckte dann ihre Zunge in die Backe.
„Die ist auf meinem Handy“, sagte sie.
Jinx ließ die Einkaufstüten auf den Gehsteig fallen und suchte nach ihrem Handy. Ich wollte es nicht berühren, aber ich wollte das auch alles hinter mich bringen. Ich griff mit Daumen und Zeigefinger nach dem Handy und scrollte Ihre Kontaktliste durch. Ich fand die Nummer von Hans und rief ihn an.
„Du bist früh dran, Frau“, sagte Hans.
Frau? Bei Mabs Knochen, ich wollte schon jetzt das Handy in den übergroßen nordischen Hals des Jägers stopfen.
„Äh, hier ist Ivy Granger, die Freundin von Jinx’“, sagte ich. „Jinx muss ihr Date heute Abend absagen.“
„Warum würde sie das absagen, und warum rufst du an?“, fragte er. „Ich weiß, dass sie keine Überstunden machen muss. Jinx hat sich den Nachmittag frei genommen. Das habe ich nachgeprüft.“
Sie waren nur einige Male miteinander ausgegangen, und der Typ prüfte schon nach, was meine beste Freundin tat? Ich hielt das Handy so fest, dass ich überrascht war, dass es nicht in tausend Stücke zerbrach.
„Also, Hans, sie hat ein paar Drinks zu viel mit einem Cluricaun geschluckt.“, sagte ich. „Lass das Mädchen in Ruhe.“
„Sie hat mit einem Cluricaun getrunken?“, fragte er. Hans atmete heftig ein, und sein Ton klang drohend. „Mit einem FEENWESEN? Diese verdammte Schla ...“
„Schluss damit“, sagte ich.
Hans machte ein würgendes Geräusch und spuckte. Der Kerl hatte das Temperament eines Berserkers und war für seine Wut in der Hitze des Gefechts bekannt. Aber er war jetzt nicht im Gefecht, und er sprach über meine Freundin.
Anscheinend dachte Hans, dass nur ein totes Feenwesen ein gutes Feenwesen war. Manche Jäger sind eben so. Das sollte ich lieber nicht vergessen. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass Kaye und Jenna meinen Status als Halbblut akzeptierten, aber es wäre töricht zu glauben, dass alle Jäger Wesen wie mir gegenüber so tolerant waren.
Wenn ich gewusst hätte, dass der Typ Feenwesen so hasst, hätte ich den Cluricaun nie erwähnt. Aber ich konnte nicht sagen, dass mir das wirklich leid tat. Der Jäger war ein übler Kerl. Wenn er schon so wütend darüber wurde, dass Jinx mit einem Cluricaun getrunken hatte, was würde er dann tun, wenn er herausfand, dass ihr beste Freundin, Mitbewohnerin und Geschäftspartnerin eine Wisp-Prinzessin war?
„Richte der Feenliebhaberin aus, dass sie meine Nummer löschen kann“, sagte er.
Hans legte auf, und ich gab Jinx das Handy zurück.
„Hat er das cool akzeptiert?“, fragte sie.
Jinx lächelte, und ich brachte es nicht über Herz, ihr zu sagen, dass ihr Freud ein rassistisches Schwein war. Ich solle lieber warten, bis sie wieder nüchtern war, bevor ich ihr etwas über den Anruf erzählte. Das konnte warten.
„Klar, das hat er“, sagte ich, während Jinx die Einkaufstüten aufhob und wir den Hügel hinab gingen.
Hans war cool. Sein Herz war so kalt wie die eiserne Klinge, mit der ich ihn aufspießen wollte.