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Ceff und ich eilten zum Loft zurück. Dabei gingen wir so schnell wie es möglich war, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Ich war nicht mehr mit fauligem Blut und Fetzen von Leichenfleisch bedeckt, aber wenn ein Polizist zu nahe käme, könnte er den Geruch bemerken und feststellen, dass ich klitschnass war und ein Arsenal an Waffen trug. Es ist schwer, seine Waffen zu verbergen, wenn die Kleider wie eine zweite Haut an einem kleben.
Aufgrund des schnellen Gehens in nassen Jeans war die Haut an meinen Oberschenkeln und den Kniekehlen ganz aufgescheuert. Die wunde Haut brannte in der Dusche. Es war gut, dass ich nicht zu lange unter dem heißen Wasser blieb. Wir hatten heute Abend verdammt viel zu tun, was keine Zeit für lange Duschen ließ. Ich schüttete mir eine ganze Flasche Shampoo über den Kopf und spülte es schnell weg.
Dann zog ich ein sauberes T-Shirt und trockene Jeans an. Beim Gehen brannten meine Beine, aber das war schon in Ordnung. Der Schmerz würde mir helfen, wach und konzentriert zu bleiben. Ich föhnte mein Haar und ließ es über meine Schultern hängen, so dass es weiter auslüften konnte.
Bevor ich duschte, hatte ich meine Stiefel abgewischt, die Einlegesohlen herausgenommen und sie mit trockenen Handtüchern ausgestopft. Nun zog ich die feuchten Handtücher heraus und richtete den Föhn in den Schaft des Stiefels. Die Hitze würde dem Leder schaden, aber momentan machte ich mir mehr über meine Füße Sorgen. Ich zog die Stiefel mit einem festen Ruck an und wackelte mit den Zehen. Sie waren feucht, aber wenn ich es mit einer wütenden Lamia, einem Pfeifer mit einer verzauberten Dämonenflöte und einem Ring der tanzenden Toten aufnehmen musste, brauchte ich Stahlkappen und einen Ort, wo ich meinen Dolch verstecken konnte.
Dann kamen meine Waffen. Ich schnallte eine Messerscheide um jeden Unterarm und schob meine Wurfmesser hinein und heraus, um zu prüfen, ob sie sicher saßen, aber leicht herausgezogen werden konnten. Wenn ich meine Klingen benötigte, durfte ich keine Zeit verschwenden. Jede verlorene Sekunde könnte meinen Tod bedeuten, oder den Verlust einer Person, die mir viel bedeutete. Ich steckte einen Dolch in meinen Stiefel und schlüpfte in die Lederjacke.
Anschließend stellte ich mich vor den Spiegel. Das Gesicht, das mich dort anblickte, wirkte gar nicht wie das einer Prinzessin, aber es musste reichen. Wenigstens stank ich nicht mehr nach verwestem Fleisch.
Ich ging in unsere Loft-Wohnung und blieb plötzlich stehen. Während ich in der Dusche war hatte sich Jinx verwandelt. Ich war vielleicht eine Feenprinzessin, aber in Jeans und Lederjacke sah ich wie ein Schlägertyp aus. Bei Jinx, meiner besten Menschenfreundin, fehlte nur noch die Krone.
Jinx stand in einem kurzen, mit Pailletten besetzten Shiftkleid. welches das Licht in Hunderten funkelnder Regenbogen reflektierte. Ihr schwarzes Haar war mit hölzernen Haarnadeln hochgesteckt, die als Pflöcke einsetzbar waren, und sie hatte die passende Pailetten-Handtasche gegen einen Samtbeutel ausgetauscht, den sie über die Schulter geworfen hatte. Der Beutel war groß genug für eine Armbrust und einen Hüftköcher voller Eisenbolzen.
Jinx hatte passende Accessoires für Waffen aufgegeben? Das konnte nur einen Grund haben. Jinx würde mit uns zu Club Nexus gehen.
Mein Herz überschlug sich vor Freude und Furcht. Insgeheim war ich froh, dass meine Freundin mit mir gehen wollte, aber sie war nur ein Mensch. Ich wusste nicht, was mit ihr passieren würde, sobald wir den Club betraten, oder ob man sie überhaupt einlassen würde. Ich fing an, den Kopf zu schütteln, aber Jinx hob eine Hand und stemmte die andere fest gegen ihre Hüfte.
„Ich gehe mit dir“, sagte sie.
„Aber ...“, sagte ich.
„Nein“, erwiderte sie und schüttelte einen Finger. „Ich werde dich diesmal unmöglich allein lassen. Ich werde mir die Einführung meiner besten Freundin in die Feengesellschaft nicht entgehen lassen.“
Ich blickte kurz Ceff an, der schlau genug war, einen Schritt rückwärts zu gehen.
„Tut mir leid“, sagte er. „Ich dachte, dass Jinx wissen sollte, wohin wir gehen, falls sie mit uns Kontakt aufnehmen muss. Ich hatte keine Ahnung, dass sie bei deiner Einführung in die Gesellschaft dabei sein wollte.“
Ich kniff die Augen zusammen. Ich hatte Ceff erwischt. Jinx würde nie eine Party verpassen. Ich war mir ziemlich sicher, dass mein Freund das sehr wohl wusste und ihr trotzdem erzählt hatte, wohin wir gehen würden. Leider hatte ich keine Ahnung, weshalb.
Das machte mich noch nervöser als die Vorstellung, gegen Melusine oder den Rattenfänger zu kämpfen. Wenn Ceff glaubte, dass ich Jinx zur Rückendeckung brauchte, dann war dieser ganze Status als Feenprinzessin komplizierter, als ich gedacht hatte. Aber hatte ich denn sonst eine Wahl?
Die Kinder waren immer noch irgendwo da draußen. Ich musste diese Kinder noch in dieser Nacht finden, aber es gab zu viele Kirchhöfe und Friedhöfe, in denen der Rattenfänger sich verstecken konnte. Wir mussten den Suchbereich einengen.
Und ich brauchte Hinweise, um Will-o’-the-Wisp zu finden. Ich musste meinen Vater aufspüren, falls ich weiterhin Fälle übernehmen wollte, bei denen ich meine Wohnung verlassen musste. Bisher hatte ich Glück gehabt, aber ich erwartete nicht, dass das so weitergehen würde. Wenn ich meine Wisp-Kräfte nicht irgendwie kontrollieren und einen Glamour erzeugen konnte, um mich zu verbergen, würden die Feenhöfe mich wegen Hochverrat hinrichten lassen – ganz gleich, ob ich eine Prinzessin war oder nicht.
Ich seufzte.
„Okay, aber ich kann nicht garantieren, dass man dich in den Club lässt“, sagte ich.
„Ja!“, rief Jinx.
Sie drückte die Augen zu und führte einen kleinen Freudentanz auf. Selbst ihr Augen-Makeup wäre eine Prinzessin würdig. Jinx hatte Feensalbe aufgetragen, so dass sie die meisten Feen-Glamourzauber durchschauen konnte.
Im Gegensatz zu Jenna, die das Zeug meistens wie Vaseline aufschmiert, hatte Jinx einen Makeup-Pinsel verwendet. Jinx fügt der Salbe normalerweise etwas dunkles Pigment hinzu, um ihre Augen zu betonen, aber heute wollte sie ein dramatisches Aussehen – eines, mit dem sie sehen und gesehen werden konnte. Sie hatte Glitzerstaub in das dunkle Pigment und die Salbe gemischt und das mit breiten Strichen auf ihre Augenlider aufgetragen.
Sie roch stark nach Klee, als sie Glückstränen wegblinzelte und dabei Lider zeigte, die wie ein sternenbesäter Nachthimmel aussahen. Ich hielt mich am Türstock fest, da mir plötzlich schwindelig wurde.
*****
Ich sank in die Erinnerung einer lange vergessenen Nacht, in der ich den starken Geruch von Klee in der Nase hatte und zu den Sternen blickte. Ich lag in einem Kleebeet und starrte in den sternenübersäten Nachthimmel. Mein Vater, Will-o’-the-Wisp, lehnte sich in mein Blickfeld hinab.
Ich lächelte und streckte meine Arme aus, damit er mich umarmte. Er hob mich in seine starken Arme und küsste mich auf die Stirn. Dann setzte er mich auf seine Schultern, wo ich nach den Glühwürmchen griff, die um seinen Kopf tanzten. Er trug mich über den Rasen und zum Haus hin. Es war das Haus, in dem ich mit meiner Mutter und meinem Stiefvater aufgewachsen war, aber es sah heller, sauberer und größer aus als in meiner Erinnerung. Selbst unter dem Nachthimmel war das Haus von blühenden Blumen umringt.
Wir trafen meine Mutter auf der Veranda und ich quietschte, als mein Vater mich von seinen Schultern zog. Er tat so, als ob ich flog, während er mich auf die frisch gestrichene Veranda herab senkte.
Das Haus war nicht der einzige Aspekt, der frischer wirkte. Meine Mutter war völlig anders. Bis jetzt hatte ich mich nicht daran erinnert, sie je so glücklich gesehen zu haben. Die ständigen Falten auf ihrer Stirn waren verschwunden, und sie hatte Lachfältchen an den Augenwinkeln. Und diesmal verzog meine Mutter das Gesicht nicht. Ihr Lächeln war strahlend.
Dann verschwammen ihr Gesicht und das meines Vaters allmählich. Ich versuchte, zu bleiben, die Erinnerung länger zu behalten, aber der glückliche Moment wurde durch eine zweite Erinnerung ersetzt. Diese neue Erinnerung stammte von einem ganz anderen Tag.
„Geh bitte nicht“, schluchzte meine Mutter.
Sie war auf der Veranda, und ich kauerte im Haus, hinter der halb geöffneten Tür. Ich hörte, dass ihre Stimme zitterte, aber von meinem Versteck aus konnte sich sie nicht richtig sehen. Ich konnte nur ihre Hände klar erkennen.
Mein Vater stand auf dem Rasen vor dem Haus. Er hielt eine Laterne, die seltsam leuchtete und unheimliche Schatten auf sein Gesicht warf. Seine Schultern hingen herunter, und er schien Schmerzen zu haben. Ich wollte zu ihm laufen und fragen, ob alles in Ordnung war, aber irgendwie machte die Laterne in seiner Hand mir Angst.
Ich hielt meinen Atem an und lauschte.
„Ich muss gehen“, sagte er.
Er hob die Hand mit der Laterne zu seinem Kopf und senkte sie wieder mit einem frustrierten Stöhnen. Er hob die andere Hand, strich sich mit den Fingern durchs Haar und stieß einen langen Seufzer aus.
„Du ... du kannst sie nicht loslassen, oder?“, fragte meine Mutter.
Sie faltete ihre Hände vor sich, aber sie zitterten. Ich würde wohl nie mehr die Hände meiner Mutter sehen können, ohne daran zu denken. Die Frau, die ich kannte, war hart und ernst. Sie hatte vorher nie so schwach oder aufgeregt gewirkt, aber diese Hände, die zitterten und einander immer wieder umklammerten, sagten alles. Meine Mutter war entsetzt.
Mein Vater zeigte, dass er die Laterne weglegen wollte, aber es gelang ihm nicht. Die Laterne blieb in seiner Hand, ganz gleich was er versuchte.
„Ich kann das verfluchte Ding nicht loswerden“, sagte er. „Solange ich diese abscheuliche Laterne halte, kann ich dem Auge des Teufels nicht entkommen. Ich muss euch verlassen, da ich sonst die Aufmerksamkeit der Hölle riskieren würde. Ich will das dir und Ivy nicht antun. Ich würde lieber sterben.“
Er sah erschöpft und abgehärmt aus, als sei er über Nacht gealtert.
„Es muss einen anderen Weg geben“, sagte meine Mutter. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Was ist mit den Feenwesen? Du bist ein König. Es muss andere geben, die helfen können.“
„Tut mir leid, Schatz“, sagte er. „Wisps sind Einzelgänger und bleiben unter sich. Wir haben keine mächtigen Verbündeten. Nein, ich muss gehen. Aber ich verspreche zurückzukommen, sobald ich einen Weg finde, diesen törichten Handel rückgängig zu machen. Bis dahin verbiete ich dir, mich zu erwähnen. Vergiss.“
Die Hände meiner Mutter flatterten und erschlafften, und die Erinnerung verschwamm. Ich glaubte noch, meinen Vater flüstern zu hören: „Tut mir so leid, Sarah. Vergib mir, bitte.“ Aber ich war mir nicht sicher. Die Erinnerungen, und die Antworten, die sie vielleicht enthielten, waren weg.
*****
Ich blinzelte schnell und lehnte mich gegen den Türstock. Jinx stand mit großen Augen nahe bei mir.
„Mensch, ist alles in Ordnung?“, fragte Jinx. „Was hast du berührt?“
Was hast du berührt? Es dauerte einen Moment, bis die Worte Sinn ergaben. Jinx glaubte, dass ich eine Vision gehabt hatte, aber das war nicht das Ergebnis meiner übersinnlichen Begabung gewesen. Es war eine Erinnerung, die die magische Barriere durchdrungen hatte, die mein Vater in meinem Bewusstsein erzeugt hatte. Der Zauber hatte seit Monaten nachgelassen, so dass meine Wisp-Fähigkeiten sichtbar wurden. Jetzt hatte ich dadurch einen Blick in die Vergangenheit geworfen.
„Ivy?“, fragte Ceff.
Ceff stand steif da, und die Knöchel seiner Fäuste waren weiß, da er sich so anstrengen musste, sich zurückzuhalten. Er war immer noch nicht an meine Ausflüge aus der Realität gewöhnt, und er machte sich offensichtlich Sorgen. Er sah aus, als wolle er mich in seine Arme nehmen, aber er wusste genug, um seinen Abstand zu halten. Stattdessen sah er mein Gesicht gespannt an.
„Alles in Ordnung“, sagte ich. „Es war keine Vision. Ich ... ich habe mich an etwas aus meiner Kindheit erinnert. Eine Erinnerung an meinen Vater.“
Ich biss mir leicht auf die Lippen und lächelte. Ceff atmete lang aus und warf mir seinerseits ein Lächeln zu.
„Eine schöne Erinnerung?“, fragte er.
„Ja und nein“, sagte ich. Ich bemühte mich, die richtigen Worte zu finden. „Mein Vater hat uns nicht verlassen. Er ging weg, um uns zu schützen.“
Ich erklärte, was ich in beiden Erinnerungen gesehen hatte.
„Ahaaaaa“, sagte Jinx. Sie hob eine Hand und zählte jeden Punkt mit einem Finger mit glitzerndem Nagellack ab. „Dein echter Vater hat einen Teufelspakt abgeschlossen, der schiefgelaufen ist. Er wurde verflucht, eine schreckliche Höllenlaterne zu tragen, und jetzt wandert er auf der Welt herum und sucht eine Lösung. Und wenn er sie findet, wird er zu dir und deiner Mutter zurückkehren und vielleicht den Erinnerungszauber aufheben.“
„Ja“, sagte ich.
„Was passiert dann mit deinem Stiefvater, wenn dein wirklicher Vater zurückkehrt?“, fragte sie.
„Ich habe keine Ahnung“, sagte ich. „Ich weiß nicht, ob mein Vater je zurückkommen wird, oder eine Methode finden wird, den Fluch zu brechen. Aber jetzt weiß ich, dass er kein elendes Feenwesen war. Er hat meine Mutter nicht nur als Sexobjekt benutzt und sie verlassen, sobald sie ihn langweilte. Nichts für ungut.“
Das war für Ceff gemeint.
„Schon gut“, sagte Ceff und lächelte ironisch.
Ich war die letzten Monate überzeugt gewesen, dass ich einen nachlässigen Vater besaß, der meine Mutter mit seinen Feenkräften verführt hatte. Aber jetzt wusste ich die Wahrheit. Meine Eltern hatten einander geliebt. Wir waren eine glückliche Familie gewesen, bevor mein Vater einen Teufelspakt schloss. Ich wusste nicht, ob der auf meinem Vater liegende Fluch gebrochen werden konnte. Aber eines war mir ganz klar.
Ich würde alles tun, um meine Familie zurückzubekommen.