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Kapitel 31

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Ich blieb bei meiner Mutter im Krankenhaus, während der Arzt ihren Finger richtete. Röntgenaufnahmen zeigten, dass der Finger gebrochen war, wie ich vermutet hatte. Nachdem der Doktor in der Notaufnahme den Knochenbruch gerichtet hatte, schrieb er ihr ein Rezept für Schmerzmittel aus und sagte meiner Mutter, dass sie den Finger alle zwanzig Minuten mit Eis behandeln sollte, um die Schwellung zu reduzieren. Ich nickte und lächelte, während ich neben meiner Mutter stand, aber mir brach der Angstschweiß aus.

Ich kann Krankenhäuser überhaupt nicht ausstehen. Neben dem offensichtlich überarbeiteten Personal, den verängstigten Patienten und dem unangenehmen Geruch von Desinfektionsmitteln sind sie voller Objekte, die schmerzhafte Visionen erzeugen. Ich steckte die Hände in die Taschen, hatte die Kapuze und meinen Jackenkragen hoch und ließ die Schultern hängen. Als der Arzt sagte, dass meine Mutter nach Hause gehen konnte, rannte ich fast zum Ausgang.

Auf dem Weg zur Tür begegnete ich einer Banshee. Sie heulte und stöhnte und zog Strähnen ihres Haars von ihrem Kopf, während sie neben einer Familie stand, die im Warteraum saß. Aus dem Augenwinkel sah sie wie eine besonders verzweifelte Frau in ihren Achtzigern aus, mit grauem Haar, Perlenkette und einem weißen Freizeitkleid, das sich über einem Hängebusen und einem Bauch spannte. Als ich aber die Banshee direkt anblickte, hatte sie die typischen Anzeichen eines Todesomens.

Sie trug ein langes, fließendes Gewand, das mit dem Blut der bald Verstorbenen befleckt war. Die nette alte Frau wurde durch eine wilde Feenhexe ersetzte, die langes, unordentliches graues Haar und rote Augen hatte. Eine Banshee ist oft einer Familie treu und sagt den Tod des ältesten Sohns durch ihre schrillen Schreie voraus. Nach dem Benehmen der Banshee zu schließen, würde diese Familie bald sehr schlimme Nachrichten erhalten.

Da eine Banshee den Tod nicht verursacht, sondern nur ankündigt, konnte ich nichts für die Familie tun. Ich umging den Wartebereich und rannte zum Ausgang. Die Glastüren zischten auf, und ich atmete die mit dem Geruch von fettigem Essen und Autoabgasen gemischte Stadtluft ein. Nach dem antiseptischen Geruch des Krankenhauses roch das himmlisch.

Mein Magen knurrte und erinnerte mich, dass ich das Frühstück ausgelassen hatte, weil ich es so eilig hatte, meiner Mutter Fragen zu stellen. Ich ging Mercy Avenue entlang, und dann in Richtung Congress Street, wobei das Schmuckkästchen bei jedem Schritt gegen meine Seite schlug. Ich musste von der Straße runter und einen sicheren und abgelegenen Ort finden, wo ich mir den Inhalt des Kästchens ansehen konnte. Außerdem könnte ich auch etwas Essbares und Koffein gebrauchen.

Ich wusste, wo dieser Ort war. Im Westen der Stadt, nicht weit von Fountain Square. Auf Congress Street nahm ich eine Abkürzung durch eine Parkgarage zu Temple Avenue. Ich hielt den Atem an, um den Gestank von Schweiß und Urin nicht wahrnehmen zu müssen und nickte dem Oger zu, der als Parkwächter arbeitete. Ganz gleich, ob es ihr bewusst war oder nicht, diskriminierte die Stadt Harborsmouth als Arbeitgeber nicht gegen Feenwesen.

Auf Temple Avenue eilte ich ins Viertel Old Port und folgten den Straßen auf Ziegeln und Pflastersteinen zum Emporium. Ich musste mich bei Kaye bedanken, dass sie mich nach dem Kampf im Friedhof zusammengeflickt und wieder gesundgepflegt hatte. Ich konnte ja nichts dafür, dass auf meine Danksagung weitere Fragen über meinen Vater folgen würden. Ich hoffte nur, dass Hob eine Tasse Tee und etwas Toast übrig hatte.

Humphrey bewachte von seinem Sitz auf einer alten Regenrinne aus Stein aus den Eingang. Ich winkte dem Gargoyle zu und ging rasch hinein. Es war während der Geschäftszeiten, und Madam Kaye’s Magic Emporium war geöffnet. Deshalb war weder eine spezielle Einladung noch eine Sicherheitseskorte nötig.

„Hallo, Ivy“, sagte Arachne.

Die nette Lehrlingshexe stand hinter einer Theke und entfernte die Plastikverpackung von verknoteten Seilen. Das Haar des blonden Mädchens hatte rote Strähnchen, statt lila wie in den letzten Monaten, und sie trug ein farblich passendes Hemd mit Puffärmeln.

„Hallo, Arachne“, sagte ich. „Wenig los heute Morgen?“

„Du hast ja keine Ahnung“, sagte sie. Arachne legte sich eine der Dekorationsschlingen um den Hals, ließ den Kopf zur Seite hängen und streckte die Zunge heraus. Das Bild war gruselig und beunruhigend. Ich hoffte, dass ich die junge Hexe nie wieder so sehen würde. Das Bild erinnerte mich zu sehr an die Illustrationen in Kayes Büchern über die Hexenverfolgungen. „Heute ist es hier total tot. Kapiert? Tot.“

Ich zwang mir ein Lächeln auf und versuchte, heiter zu klingen, aber ich bin mir sicher, dass mir das nicht gelang. Der Tod war nichts zum Lachen, vor allem was meine sterblichen Freunde betraf. Ich seufzte. Vielleicht nahm ich die Dinge zu ernst. Nachdem ich nun mehrmals dem Tode nahe gewesen war, konnte ich ihn nicht mehr achselzuckend abtun.

„Ist Kaye da?“, fragte ich.

„Sie ist hinten“, sagte Arachne.

Arachne ließ das Seil fallen und trug die Schlinge wie eine makabre Halskette. Ich wendete meinen Blick von ihrem Hals ab und konzentrierte mich auf die Waren unter meinen Füßen. Es gelang mir, einen Weg durch das sich dauernd ändernde Labyrinth aus magischem Krimskrams im hinteren Teil des Ladens zu finden.

An der Tür zu Kayes Zauberküche atmete ich zur Beruhigung tief ein und hob die Hand, um zu klopfen. Aber ein Geräusch drinnen ließ mich zögern. Ich lauschte an der Tür und hörte etwas, das wie eine undeutliche Zauberformel klang. Kaye konnte ziemlich reizbar werden, wenn man einen ihrer Zauber unterbrach, ganz abgesehen von den unbekannten Auswirkungen, die mein plötzliches Erscheinen auf einen mächtigen Zauber haben konnte. Ich beschloss, in ihrem Büro auf Kaye zu warten. Ich warte nicht gerne herum, aber das ist immer noch besser, als in eine Kröte verwandelt zu werden.

Ich trabte den Korridor entlang und ging in ihr Büro. Der Raum war klein und mit Kayes Sammlung okkulter Bücher vollgestopft, aber dort könnte ich auf sie warten und ungestört das Schmuckkästchen meiner Mutter untersuchen.

Ich kletterte über verstreute Zettel und diverse Zauberkomponenten, wobei ich darauf achtete, nichts zu berühren. Ich platzierte meine Stiefel sorgfältig auf die wenigen freien Stellen im Raum, so dass die Reise zu dem einen Stuhl im Büro ein wahreres Twister-Verrenkungsspiel wurde. Mab sei Dank musste man bei diesem Spiel keine Jell-O-Shots zu sich nehmen, oder ich wäre bis zum Hintern in jahrhundertealten Visionen versunken. Und nicht nur irgendwelche Visionen, sondern die Visionen von Wahnsinnigen.

Ich war immer sehr vorsichtig, wenn ich eines der Bücher in Kayes okkulter Bibliothek benutzte. Das ging auf eine gesunde Dosis an Paranoia und den Wunsch zurück, meinen Verstand nicht zu verlieren, was den ursprünglichen Besitzern dieser Schriftrollen und Zauberbücher oft nicht gelungen war. Magie, vor allem mächtige Magie, hat ihren Preis. Unsterbliche sind nicht die einzigen, die im Laufe der Zeit überschnappen. Hexen, die zu viel Magie einsetzen oder sich mit den Dunklen Künsten versuchen, werden oft total wahnsinnig.

Ich sah mir den aufgetürmten Bücherstapel an und erschauderte. Die Informationen in diesen Dokumenten waren für meine Untersuchungen extrem wertvoll, aber Kayes Archivierungssystem ließ zu wünschen übrig. Ich wünschte, dass sie eine sichere Methode verwenden würde, wie Bücherregale mit Glastüren, die an die Wände geschraubt waren. Die Bücher waren aufeinander gestapelt, manche horizontal und manche vertikal, so dass das Herausnehmen einem potenziell tödlichen Jenga-Spiel ähnelte. Zum Glück war ich nicht zu Forschungszwecken hier. Ich brauchte nur einen Platz, um mich hinzusetzen und das Kästchen in meiner Tasche zu untersuchen.

Ich quetschte mich hinter Kayes Schreibtisch, wobei ein Bücherstapel gefährlich hinter meinem Rücken wackelte. Ich hielt die Vorderseite meiner Jacke vorsichtig eng an meinen Körper, als ich mich um diese Engstelle bewegte. Leider hatte ich vergessen, die Pflöcke aus meinem Gürtel zu entfernen.

Das Holz kratzte gegen etwas und verfing sich, und der ganze Bücherstapel wackelte. Ich erstarrte und hielt den Atem an. Ich drehte meinen Kopf, um zu sehen, wo ich feststeckte. Die Spitze eines Pflocks hatte sich in die Wölbung eines Ledereinbands verkeilt. Ich ging in die Knie und machte langsam einen Halbschritt, so dass der Holzpflock sich löste. Ich atmete keuchend aus und stützte meine behandschuhten Hände auf dem Schreibtisch vor mir. Das war knapp gewesen, zu knapp.

Ich lehnte mich vor und zog die Pflöcke aus meinem Gürtel. Ich zog meinen Bauch ein, um mich möglichst klein zu machen und drückte meinen Körper gegen den Schreibtisch. Diesmal kam ich heil am Bücherturm vorbei.

Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und wischte mir die Stirn mit der Rückseite meines Handschuhs ab. Ich hatte keine Ahnung, wie meine Hexenfreundin mit all ihren Röcken und Schals durch das Büro kam. So wie ich Kaye kannte, verwendet sie wahrscheinlich Magie.

Ich zog das Schmuckkästchen aus meiner Tasche und leerte die Plastiktüte aus, in die meine Mutter es gesteckt hatte. Das Kästchen war aus Silber, und auf dem Deckel waren Blumen und Ranken eingraviert, die sich um die Ecken wickelten, so dass sie ein Bild in der Mitte einrahmten. Unter einer Glasscheibe lächelte ein glückliches Paar mich an. Es war ein Bild meiner Mutter und meines Vaters.

Meine Eltern waren so jung gewesen. Oder sie erschienen zumindest jung. Mein Vater, ein unsterbliches Feenwesen und der König der Wisps, war wahrscheinlich schon Jahrhunderte alt, als die Aufnahme gemacht wurde. Aber er sah wie ein Mensch Anfang zwanzig aus.

Blaue Augen blickten aus einem Gesicht mit vielen Sommersprossen. Will-o’-the-Wisp sah beeindruckend aus, mit blasser Haut, langem, roten Haar, das bis über die Schultern fiel, und vollen Lippen, für die die meisten Frauen alles geben würden.

Auf dem Foto hatte mein Vater den Arm um meine Mutter gelegt und den Kopf zurück geneigt. Meine Mutter lehnte ihr Gesicht an seine Brust. Sie hatte Blumen im Haar, das zur Zeit des Fotos blond war, nicht grau, und sie sah aus, als ob sie sich für Ritterspiele oder eines der Shakespeare-Festivals gekleidet hatte, das die Stadt jedes Jahr im Park veranstaltet.

Ich fuhr mit einem behandschuhten Finger über ihre lächelnden Gesichter. Ich hatte so wenige Erinnerungen an meine wahre Familie. Mein Vater hatte meine Erinnerungen an diese Zeit durch seinen Zauber weggeschlossen. Ich wusste, dass er uns dadurch schützen wollte, aber ich sehnte mich nach den verlorenen Jahren.

Ich fuhr mit behandschuhten Fingern an den Seiten des Kästchens entlang und fand eine Blume, deren Blüten größer als die der anderen waren. Ich drückte auf die Mitte der Blume, und das Kästchen öffnete sich mit einem hörbaren Klicken. Ich wusste nicht, woher ich das Geheimnis zum Öffnen des Kästchens kannte. Vielleicht war es meine durch die Nähe des Kästchens angeregte Magie, oder die Überreste einer verblassten Erinnerung.

Ich biss mir auf die Lippen und hob den Deckel. Das Kästchen war mit lila Samt verkleidet und enthielt nur einen Gegenstand: einen wunderschönen Silberschlüssel.

„Anscheinend hat dir dein Vater den Schlüssel zum Königreich hinterlassen“, sagte Kaye.

Ich zuckte zusammen und biss mir auf die Zunge. Ich hatte weder gesehen, noch gehört, dass Kaye den Raum betreten hatte, aber jetzt stand sie hinter mir und blickte über meine Schulter. Entweder war ich zu sehr von meiner Untersuchung des Kästchens und seines Inhalts fasziniert gewesen, oder Kaye hatte Magie verwendet, um unbemerkt herein zu kommen. Ich blickte ihren vielschichtigen Röcke an, an deren Saum sich Glöckchen befanden, sowie die metallenen Armreife an ihren Handgelenken. Es war unwahrscheinlich, dass meine Freundin das Büro auf normale Weise betreten hatte, ohne ein Geräusch zu machen. Ich würde wetten, dass sie einen Tarnzauber verwendet hatte.

„Was?“, fragte ich.

„Der Schlüssel, den du da hast“, sagte Kaye und deute auf das Kästchen. „Den hat dir doch dein Vater hinterlassen, oder?“

„Äh, ja“, sagte ich. Ich musste schwer schlucken und machte den Deckel des Kästchens zu. Kaye blickte das Kästchen an, als ob sie ein Supermodel und der Schlüssel ein Sandwich wäre. „Was meinst du denn mit dem Schlüssel zum Königreich?“

„Ich meine das sowohl direkt als auch im übertragenen Sinn“, sagte sie. „Wenn ich mich nicht irre, führt dieser Schlüssel zum Reich des Wisp-Königs in der Anderwelt.“

„Du meinst, dass dieser Schlüssel mir den Zugang zum FEENLAND ermöglicht?“, fragte ich.

Die Worte meiner Freundin hatten mich total überrascht. Die Pfade zum Feenland waren verschlossen, oder nicht?

„Ja, meine Liebe“, sagte sie. „Anscheinend war sich dein Vater nicht sicher, ob er zurückkehren würde und ließ den Schlüssel aufbewahren, bis du erwachsen warst und deine Fähigkeiten entwickelt hast. Da dein Vater verschwunden ist, regierst du jetzt die Wisps, und dieser Schlüssel bietet dir Zugang zu seiner Machtbasis. Du bist jetzt die stolze Besitzerin des Hofs der Wisps.“

Mein Vater hatte den Schlüssel meiner Mutter zur Aufbewahrung gegeben, für den Fall, dass er nicht zurückkehren würde. Das sagte mir zwei Dinge: mein Vater hatte den Dämonenfluch noch nicht gebrochen, und er wollte, dass ich an seiner Stelle regierte.

„Warte“, sagte ich und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, dass alle Wege ins Feenland versiegelt wären.“

Als ich Kaye erstmals Fragen über meine Feenabstammung gestellt hatte, hatte ich überlegt, ob eine Reise ins Feenland nötig wäre, um Antworten zu erhalten. Sie hatte das Gesicht verzogen und gesagt, dass das Feenland für alle Besucher geschlossen war, selbst für solche, die wie ich, Feenblut besaßen. Ich war erleichtert gewesen, dass eine Reise ins Feenland, wo es angeblich alle möglichen Monster gab, unmöglich war.

Jetzt hatte ich einen Weg in den Kaninchenbau hinab, ob ich es wollte oder nicht.

„Ja, das stimmt zum Teil“, sagte Kaye. „Als Mab, Oberon und Titania ihre Höfe verließen, blockierten sie die Wege ins Feenland. Der König und die Königinnen des Feenlands verschlossen das Land gegen eine Invasion durch Außenseiter, und dann verschwanden sie. Manche sagen, dass sie auf der Suche nach wahrer Macht sind, während andere behaupten, dass sie weiterhin aus der Ferne regieren, da sie eine weniger direkte Rolle spielen wollen. Aber ganz gleich, ob sie auf der Suche waren oder sich versteckten, ließen Mab, Oberon und Titania ihre Grenzen während ihrer Abwesenheit nicht ungeschützt. Sie hatten das Feenland von den anderen Ebenen getrennt, aber sie hatten Tore gelassen, die nur mit einem speziellen Schlüssel geöffnet werden konnten. Diese Schlüssel überreichten sie bestimmten Königen und Königinnen, die ihnen untergeben waren.“

„Und ich habe einen dieser Schlüssel“, sagte ich.

„In der Tat“, meinte sie.

Ich besaß einen Schlüssel zum Feenland. Kein Wunder, dass Kayes Augen geleuchtet hatten, als sie ihn ansah. Ich nahm das Kästchen und begann unter Kayes intensivem Blick zu schwitzen, aber ich konnte noch nicht gehen. Ich brauchte weitere Informationen. Nachdem ich jetzt wusste, wozu der Schlüssel diente, nagte eine Frage wie ein verhungerter Zombie an meinem Gehirn.

Wenn der Schlüssel ins Feenland führte, wo war dann das Tor?

„Wie kann ich mit dem Schlüssel ins Feenland kommen?“, fragte ich. „Weißt du, wo der Eingang ist?“

„Das, meine Liebe, ist ein streng gehütetes Geheimnis“, sagte sie. „Ich würde vorschlagen, dass du mit deinen Kontaktpersonen in der Feengemeinschaft sprichst, wenn du herausfinden willst, wo in der Welt der Sterblichen sich das Tor befindet.“

Ich seufzte, sackte im Stuhl zusammen und ließ meinen Kopf hängen. Natürlich würde das nicht leicht sein. Wenn es um Feen ging, war es nie leicht.

„Okay, danke, ich werde mich umhören“, sagte ich.

Ich steckte das Kästchen wieder in die Plastiktüte und verstaute diese in einer mit einem Reißverschluss gesicherten Jackentasche. Ich atmete tief ein und richtete mich mühsam auf. Es war an der Zeit, meine Feenverbündeten auszufragen, und ich wusste schon, wo ich anfangen musste. Ich ging zum Ausgang, während die Bücher sich aus meinem Weg bewegten. Mit Hilfe von Kayes Magie konnte man sich in diesem Büro viel leichter bewegen. Ich drehte mich um und wollte mich verabschieden, aber die Hexe hob eine tätowierte Hand.

„Ein Ratschlag?“, fragte sie. „Sei bei deinen Erkundigungen vorsichtig. Wenn du den Ort der Tore der falschen Person verrätst, wie einer menschlichen Freundin und Geschäftspartnerin, könnte das als Hochverrat interpretiert werden, und selbst die Existenz der Schlüssel ist streng geheim. Wenn du jemanden findest, der darüber reden will, solltest du bedenken, dass der Schlüssel, den du besitzt, extrem wertvoll ist. Es gibt manche, sowohl Sterbliche wie Feenwesen, die skrupellos genug sind, um für den Zugang zum Feenland zu töten.“

Toll, das würde gerade mir passieren. Ich musste den Schlüssel vor Jinx geheim halten, da ich sonst eventuell als Verräter betrachtet werden würde. Das war alles, was ich brauchte: noch ein Grund für die Feenhöfe, meine Hinrichtung zu befehlen.

Und wenn es schon nicht schlimm genug war, meine beste Freundin anzulügen, könnten meine Nachforschungen über das Tor zum Feenland mich in Teufels Küche bringen. Wenn ich der falschen Person gegenüber erwähnte, dass ich einen Schlüssel hatte, war ich so gut wie tot. Und ein Artefakt herumzutragen, das einen hohen Preis auf dem Schwarzmarkt erzielte, war wohl die perfekte Einladung für einen Dolchstich in den Rücken. Ich hätte genauso gut eine Zielscheibe an mir anbringen können.

Als ich aus dem Büro stampfte schlug eine Uhr im Rhythmus meiner Schritte. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter, da das Geräusch mich an Kirchenglocken bei einem Begräbnis erinnerte.