27. 5. 2042, Spaceliner 1
Das war ja so klar.
Wo verstopft zuallererst eine Toilette? In einem Quartier der zahlenden Gäste. Anscheinend hat denen niemand erklärt, wie so ein Weltraum-Klo funktioniert. Oder es wurde erklärt, aber es ist ihnen egal. Und wer muss den Dreck wegräumen? Er, Rick Summers, studierter Ingenieur mit bestem Abschluss.
Er wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Die Lebenserhaltung hat die Temperaturen wohl auch noch nicht so richtig unter Kontrolle. Hoffentlich ist die Schweinerei nicht gar so groß. Der Flight Manager, der FM, quasi der Schichtleiter des Spaceliner 1, hat ihn vor fünf Minuten mit der Reparatur beauftragt. Natürlich war ihm klar gewesen, dass er zwar Triebwerkstechniker ist, aber da die Triebwerke die meiste Zeit während des Flugs gar nicht in Betrieb sind, ist er eben Handwerker. Ein Mars-Raumschiff braucht keine die meiste Zeit arbeitslos herumsitzenden Passagiere, es sei denn, sie haben entsprechend für ihr Ticket bezahlt. Auch die Pilotin ist die meiste Zeit ihres Aufenthalts an Bord primär Ärztin.
Rick greift in seine Hosentasche. Seine Finger ertasten den münzgroßen Minispion. Der Auftrag gibt ihm immerhin die Gelegenheit, eine seiner Wanzen zu platzieren. Die FM hat ihm nur die Nummer der Kabine genannt, nicht den Namen des Passagiers, aber der sollte sich ja herausfinden lassen. Rick hat von vornherein darum gebeten, bei der Arbeit alleingelassen zu werden, vorgeblich wegen der möglichen Geruchsbelästigung.
Ein Weltraum-Klo kann er im Schlaf auseinandernehmen, das hat er auf der Erde oft genug trainiert. Für ein Raumschiff haben sie eine ungewöhnlich große Zahl davon an Bord, da alle zahlenden Passagiere ein eigenes Bad haben. Ihnen kann man es nicht zumuten, diesen doch recht intimen Bereich mit anderen zu teilen. Die normale Crew hingegen, immerhin je zwanzig Männer und Frauen, teilt sich vier Toiletten und ebensoviele Duschen. Außerdem ist die Nutzung der Duschen auf jeden dritten Tag beschränkt, es sei denn, man hat gerade eine Außenbordmission, eine EVA, hinter sich.
Rick schwebt die Reihe der Kabinen entlang. Die Türen tragen hier – angeblich zur Wahrung der Privatsphäre – nur Nummern, die allerdings keinem System zu folgen scheinen. Vermutlich konnten sich die Passagiere gegen Aufpreis ihre Wunsch-Nummer sichern. Die Firma hat ein glückliches Händchen beim Verkauf solcher Upgrades, deren Umsetzung nichts kostet. Da ist sie, die 313. Was das wohl zu bedeuten hat? Drei Mal geschieden, ein Kind, drei Geliebte? Rick kann immer noch nicht fassen, dass jemand ein paar Millionen ausgibt für so eine Reise. Er kommt aus einer Familie aus dem Rust-Belt der USA, die sich immer alles hart erarbeiten musste. Richtigen Urlaub gab es nie, allenfalls Verwandtenbesuche an Feiertagen, wo man sich mal kostenlos durchfuttern konnte.
Er klopft an der Tür, erhält aber keine Antwort. Das ist gut. Die Kabinen der Gäste sind abschließbar. Er muss seine eigene Crew-ID am Codeschloss eintippen. Die FM sollte ihm für heute den Zugang freigeschaltet haben. Es klappt, das Türschloss vibriert. Wer mag hinter der Tür wohnen? Rick hat früher schon gern nächtliche Spaziergänge gemacht und dabei durch Fenster in die beleuchteten Wohnungen gesehen. Er hat wohl eine voyeuristische Ader.
Die Kabine gehört eindeutig einem Mann. Sie ist nur wenig größer als seine eigene. Über dem Bett hängt ein ordentlich gebügeltes Jackett. An der Wand neben dem Bett ist eine abstrakte Grafik in einem kunstvoll geschwungenen Rahmen befestigt. Das Bett selbst ist ordentlich gemacht. Nichts liegt herum. Die Kabine wirkt nicht, als hätte der Mann extra seinetwegen aufgeräumt, nein, hier sieht es immer so aus. Das bestätigt sich, als Rick das Schubfach unter dem Bett aufzieht. Hier befinden sich ordentlich Kante auf Kante abgelegt auch ein paar Schriftstücke, die an Senator Rick Ballantine adressiert sind. Ein ehemaliger Senator also, und er trägt seinen Vornamen. Rick holt schnell den Spion aus der Hosentasche und klebt ihn unter dem Bett fest. Inzwischen hat er da schon Routine. Er darf sich auch nicht zu viel Zeit lassen, wer weiß, wie schlimm das Problem mit der Toilette wirklich ist.
Rick erhebt sich und dreht sich zur Badtür neben dem Fußende des Bettes. Das ist anscheinend der einzige echte Komfort, den die Gästekabinen bieten. Vorsichtig öffnet er die Tür und erschrickt, denn er sieht in sein eigenes, verzerrtes Gesicht. Was ist denn hier passiert? Eine kopfgroße Wasserkugel schwebt mitten in dem winzigen Toilettenabteil. Vermutlich hat der Passagier zunächst selbst versucht, das Problem mit der Toilette zu lösen, und hat dazu die Dusche zweckentfremdet. Aber eigentlich hätte die Entlüftung alles Wasser absaugen sollen. Ob das die Wurzel des Übels ist? Rick nimmt seinen Handsauger aus der Tasche und saugt damit die Wasserkugel ab.
Dann betrachtet er das Klo. Er drückt den Knopf, der wie ein Spülknopf aussieht, aber nicht mit Wasser spült, sondern das Absaugen fester und flüssiger Ausscheidungen in Gang setzt. Es passiert nichts. Bei den Crew-Toiletten sind die Pumpen für fest, flüssig und Duschwasser getrennt. Bei den Gäste-WCs hingegen hat man aus Platzgründen nur eine Pumpe samt Ventilator einbauen können. Und die muss ausgefallen sein. Rick kniet sich auf den Boden. Das Gerät befindet sich unter dem Sitz. Er nimmt eine Verkleidung ab, die praktischerweise nur magnetisch haftet. So muss er nicht erst Schrauben lösen. Wer das Ding entworfen hat, hat wohl geahnt, dass hier regelmäßig jemand reparieren muss. Ein dicker und zwei dünnere Schläuche treffen kurz vor der Pumpe zusammen. Er muss den Verschluss lösen. Hier ist die Schwerelosigkeit mal ein Vorteil, denn was sich noch im Schlauch befindet, bleibt an Ort und Stelle und tropft nicht von allein heraus. Nur die Geruchspartikel folgen dem Brownschen Gesetz, nutzen ihre Freiheit und tanzen auch in seine Nase.
Jetzt hat er einen Blick auf Pumpe und Ventilator. Er leuchtet mit der Taschenlampe hinein. An den Rotorblättern glänzt etwas weiß bis gelblich. Hat er das Problem schon gefunden? Er will gerade hineingreifen, da fällt ihm ein, dass ein Handschuh ganz praktisch wäre. Also zieht er einen über die rechte Hand und greift beherzt nach dem Ding im Ventilator. Es ist weich und glitschig. Rick zieht es heraus und erkennt sofort seinen Zweck: Der saubere Herr Senator hat ein Kondom in der Toilette entsorgt. Das gibt es doch gar nicht! Am liebsten würde er dem Mann selbst die Meinung sagen. Aber das überlässt er am besten dem FM. Die Frage, die sich für ihn nun stellt, ist: Mit wem hatte der Mann Sex? Er reist ja offensichtlich allein. Vielleicht sollte er dem Flight Manager gar nicht verraten, was er gefunden hat? Er entnimmt dem Werkzeugkoffer eine kleine Tüte und befördert das Kondom hinein. Wer weiß, vielleicht kann er es irgendwann als Beweisstück gebrauchen, der Mann führt schließlich offiziell gar keine Beziehung. Es kann nie schaden, einen Senator auf seiner Seite zu haben.