14. 6. 2042, Spaceliner 1
»Administrator,
ich habe endlich Antwort vom Mars«, sagt eine weibliche Stimme. Rick kann sich die Namen nicht merken, aber er freut sich, dass sich sein neuer Titel allmählich durchsetzt. Er hat so einen seriösen Klang, findet er, und zugleich verspricht er nichts, was er nicht halten wollte. Anders als ein Präsident muss ein Administrator nicht gewählt werden, und Rick hat keineswegs die Absicht, sich jemals zur Wahl zu stellen. Soll er sich von Populisten mit Redetalent die Ergebnisse seiner harten Arbeit stehlen lassen?
An den ersten Tagen hatte es noch eine gewisse Skepsis gegeben. Rick ist froh, dass er auf seine Abhörchips zurückgreifen kann. Sie haben ihm verraten, wer abschätzig über ihn sprach, aber auch, wer ihn unterstützte. Er kann zwar nicht die komplette Crew abhören, doch es hat genügt, ein paar Exempel zu statuieren. Wer sich erkennbar loyal verhielt, den hat er belohnt, und wer sich gegen ihn stellte, hat Privilegien eingebüßt. Rick arrangiert es dabei stets so, dass er die Öffentlichkeit auf seiner Seite hat. Wenn die leitende Forscherin zum Beispiel bei einem fehlgeschlagenen Experiment die Stromversorgung des Schiffes gefährdet, dann ist doch klar, dass der Administrator sie zurückstufen muss. Die Beweise sind so eindeutig, dass nur die Forscherin und er selbst wissen, was wirklich abgelaufen ist. Bei den meisten Menschen sollte das doch ein Umdenken bewirken.
»Schicken Sie mir die Nachricht in die Kabine.«
Rick setzt sich auf sein Bett, das breiter ist als vor einer Woche. Er wohnt immer noch in derselben Kabine. Aber er hat ausgenutzt, dass sich zwei Paare gebildet hatten und diesen als freundliche Geste gemeinsame Kabinen zugewiesen. So hat er die Räume neben seinem leerbekommen, um sie mit seiner eigenen Kabine zu verbinden. Von außen sieht jedoch alles genauso bescheiden aus wie zuvor. Rick will der Mann aus dem Volk bleiben, er hat sonst nicht so viele Vorzüge, aber das gehört definitiv dazu.
Sein Computer gibt ein »Pling« von sich. Er ruft die Videodatei auf. Im Vorschaubild ist ein Mann mit kurzen, schwarzen und sich leicht kräuselnden Haaren zu sehen, der die für Raumfahrer europäischer Herkunft typische bleiche Haut hat. Der Mann wirkt sehr jung, Rick schätzt ihn auf unter 25. Er startet das Video.
Der Mann stellt sich als Mike Benedetti vor und als Commander der NASA-Mission. Rick ist wirklich überrascht. Wenn er Glück hat, hat Benedetti nur wenig Lebenserfahrung und lässt sich leicht manipulieren. Andererseits kann er es auch mit einem dieser Übergenies zu tun haben, die sich von niemandem etwas sagen lassen, weil sie natürlich alles besser wissen.
Rick muss sich eingestehen, dass die NASA-Leute ihm Sorgen machen. Er kennt ihre Denkweise. Sie betrachten sich nicht als Angestellte ihrer Organisation, was sie de facto sind, sondern eher als staatlich gesponserte Helden. Sie nehmen Lebensgefahr und Entbehrungen auf sich in dem Wissen, die Menschheit voranzubringen – und nach der Rückkehr bis ans Lebensende dafür verehrt zu werden. Es muss ein ganz besonderer Schock gewesen sein, als diese beiden Sicherheiten plötzlich wegfielen. Sie handeln nicht mehr im Namen der Menschheit oder wenigstens ihrer großartigen Heimat, und es wird für ihre Entbehrungen keine Belohnung nach der Rückkehr geben. Sie sind nur noch für sich selbst da. Vielleicht kann er sie an dieser Stelle packen. Etwas nur für sich selbst zu tun, damit kennt er sich aus.
Jetzt wird es spannend. Benedetti geht auf seinen Vorschlag ein.
»Was Ihre Idee einer Zusammenarbeit betrifft, sind wir grundsätzlich offen«, sagt der NASA-Astronaut und reibt sich dabei das Kinn. »Sicher gibt es Bereiche, in denen wir voneinander profitieren können oder in denen ein Austausch von Wissen und Technologie hilfreich ist. Es besteht bei uns Einigkeit, dass formelle Strukturen, wie sie Ihnen vorschweben, nicht notwendig sind. Wir sehen uns als unabhängige Operation, wie es unsere Auftraggeber vorgesehen haben, und nicht als Teil der Privatwirtschaft, die Sie vertreten.«
Rick lehnt sich zurück. Das ist eine deutliche Absage, aber damit hat er gerechnet. Er muss einen Schritt nach dem anderen setzen. Er wird ihnen Zeit lassen. Noch ist sein Schiff ja nicht einmal auf dem Mars gelandet. Aber es dürfte nicht schaden, den Keim des Zweifels frühzeitig zu säen. Er wird allen Crewmitgliedern ein Angebot machen, das sie nicht ausschlagen können.
Er startet eine neue Aufnahme. Die persönliche Begrüßung schneidet er später davor, jetzt kümmert er sich erst einmal um den Köder, den er an die NASA-Leute und an die MfA schicken wird..
»Vielleicht interessiert Sie ja das Angebot, das ich Ihnen machen möchte. Wenn Sie sich zur Unterstützung unserer Mission verpflichten, ernenne ich Sie unkündbar zu meinem Stellvertreter. Sie brauchen diese Entscheidung – wenn Sie nicht wollen – niemandem zu verraten, sie bleibt unter uns. Alles, woran mir liegt, ist Ihre Loyalität, und Sie werden diese Entscheidung nicht bereuen. Lassen Sie sich bitte alle Zeit der Welt mit Ihrer Reaktion. Allerdings werden Sie verstehen, dass ich dieses Angebot nur so lange aufrechterhalten kann, bis ich die erste zustimmende Antwort erhalten habe.«
Wie wird die Crew darauf reagieren? Werden sie darüber sprechen? Rick stellt sich vor, wie sie sich entrüstet die vier personalisierten Nachrichten vorspielen. »Ich? Nie und nimmer!«, werden sie sagen, doch wenn sie nachts in ihrer Kabine nicht einschlafen können, werden sie sich sein Angebot wieder und wieder ansehen und mit ihren Zweifeln an den anderen auf den Entschluss hinarbeiten, irgendwann auf »Antworten« zu tippen. Rick hat Zeit.