Sol 159, NASA-Basis
»Mike? Jemand hat uns auf den Anrufbeantworter gesprochen«, sagt Sharon.
»Wie meinst du das?«
»Mars Express 2 hat eine Botschaft aufgefangen, die eindeutig für uns bestimmt ist.«
»Und von wem?«
»Der Absender scheint sich noch weit entfernt zu befinden, wenn ich mir die Sendeleistung ansehe.«
»Die Chinesen?«
»Möglich, aber woher sollten sie die Relaisfrequenz des Mars-Satelliten haben?«
»Dann muss es vom Spaceliner 1 kommen. Der müsste in elf Tagen hier landen. Aber warum kontaktieren sie uns nicht wie immer, und wieso senden sie mit so geringer Leistung?«
»Ich schlage vor, wir hören es uns an«, sagt Sharon.
»Das müssen wir den anderen vorlegen«, sagt Mike, als Isaacs Stimme verklungen ist.
»Dieser Administrator war mir von Anfang an unsympathisch«, sagt Sharon. »Aber glaubst du, er hat es geschafft, bei uns einen Spion anzuwerben?«
Mike schüttelt den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht bei der MfA.«
Hoffentlich irrt sich Mike nicht, denkt Sharon. Wie gut kennt sie ihre Kollegen, die sie doch längst als Freunde betrachtet? Aber sie wird sich nicht mit Verdächtigungen beschäftigen.
Sarah, Ewa und Lance finden sich in der Zentrale ein. Ewa ist eben erst aufgewacht. Lance ist verschwitzt, weil er gerade vom Training kommt. Sarah braucht am längsten; sie hat im Garten gearbeitet.
Mike spielt ihnen die Botschaft vor.
»Das gefällt mir gar nicht«, sagt Sarah danach. »Ich habe das Gefühl, dass wir hier in etwas hineingezogen werden, das uns nichts angeht.«
»An Bord des Spaceliner 1 sind hundert Menschen, die bald auf dem Mars eine Kolonie gründen werden. Sie verfügen über weitaus mehr Ressourcen als wir«, erklärt Lance. »Wir werden auf die eine oder andere Art mit ihnen auskommen müssen, also gehen uns ihre Probleme durchaus etwas an.«
»Ja, aber gerade weil wir im Vergleich zu ihnen so wenige sind, müssen wir uns möglichst heraushalten. Stell dir vor, dieser Administrator entscheidet, dass es keine Siedlungen neben seiner geben soll. Er kommt mit 25 Getreuen an und macht uns platt. Wir haben keine Chance«, sagt Sarah.
»Gerade deshalb dürfen wir nicht den Kopf in den Sand stecken«, widerspricht Lance, »und müssen uns Verbündete suchen. Die MfA-Leute gehören sicher dazu, aber auch diejenigen, die sich gegen den Administrator stellen.«
Sharon beobachtet Sarah und Lance bei ihrem kleinen Streit. Die beiden haben öfter mal unterschiedliche Meinungen, aber sie werden nie persönlich, das gefällt ihr.
»Ich gebe Lance recht«, sagt sie. »Diesem Rick Summers ist nicht zu trauen. Also brauchen wir etwas in der Hinterhand. Aber wir sollten auf Zeit spielen. Wir haben jetzt Wasser, das verschafft uns einen wichtigen Vorteil. Von offener Feindschaft sollten wir auf jeden Fall absehen.«
Mike nickt dazu. Seine Stimme stockt erst, dann sagt er: »Sie werden den Bohrer und den Radlader zurückhaben wollen. Wie stehen wir dazu?«
»Wir gehen darauf ein«, schlägt Sarah vor. »Unser Wasserbedarf ist gedeckt und die Fahrzeuge gehören ja eindeutig ihnen. Würden wir sie behalten, gäbe das Summers einen Anlass, gegen uns vorzugehen.«
»Da stimme ich meiner Frau zu«, sagt Lance uns sieht Sarah lächelnd an. Sarah lächelt zurück. Sharon fällt auf, dass Lance sie vorher noch nie 'seine Frau' genannt hat, jedenfalls nicht, wenn sie dabei war.
»Ewa, was meinst du dazu?«, fragt Mike. »Du hast die Fahrzeuge immerhin zu uns gebracht.«
»Ich? Dazu habe ich keine Meinung. Ich habe euch die Fahrzeuge gebracht, ihr könnt damit machen, was ihr wollt. Natürlich übernehme ich gegenüber dem Administrator die Verantwortung. Vielleicht überlässt er euch die Fahrzeuge ja, wenn ihr dafür mich ausliefert.«
»Das kommt gar nicht in Frage«, sagt Mike. Sharon hat ihn noch nicht oft wütend gesehen, aber jetzt ist er es. »Was denkst du denn überhaupt von uns? Du bist jetzt Teil dieser Crew, und kein Mensch wird unter meiner Führung für eine Sache, ein Ding geopfert.«
Gut gebrüllt, Löwe, denkt Sharon.
»Entschuldige, Mike«, sagt Ewa. »Ich ... vielen Dank. Bitte nehmt keine Rücksicht auf mich, wenn es um euer Schicksal geht.«
»Mensch, Ewa!« Jetzt wird Mike laut. »Du hast es wohl noch immer nicht verstanden? Es gibt kein 'euer', es gibt nur 'unser'. Wir alle nehmen auf uns gegenseitig Rücksicht, niemand ist ausgeschlossen.«
»Ich ... danke«, sagt Ewa. Auf Sharon wirkt sie etwas verwirrt. »Dann bin ich dafür, die Fahrzeuge zurückzugeben. Aber vorher nutzen wir sie noch, um die Basis mit einem Schutzring zu umgeben.«
»Das ist eine gute Idee«, sagt Lance. »Ich überlege mir da gern etwas, das wir so schnell wie möglich umsetzen können.«
»Mach das, Lance«, sagt Mike. »Dann sind wir alle für das Zurückgeben, eine eher abwartende Haltung und eine heimliche Kontaktaufnahme mit der Opposition an Bord des Spaceliner 1?«
»Das hast du gut zusammengefasst«, sagt Sharon.