14. 11. 2042, Spaceliner 1
»Ich möchte Ihnen Senator Rick Ballantine vorstellen«, sagt Rick zu den beiden Besuchern. Der Senator wirkt müde. Er hatte sich zunächst geweigert, an diesem Gespräch teilzunehmen, aber Rick hatte darauf bestanden. Er muss den NASA- und MfA-Vertretern zeigen, wer hier der Herr im Hause ist.
Er.
Der Senator gibt Ellen und Mike die Hand. Sie haben gleich am Eingang vereinbart, sich beim Vornamen zu nennen. »Um eine Vertrauensbasis zu schaffen«, hatte Rick es begründet. Die beiden waren einverstanden gewesen.
Während sie mit dem Senator Smalltalk machen, beobachtet er sie. Beide wirken sehr jung, trotzdem sind sie die Chefs ihrer jeweiligen Siedlungen. Er darf sie nicht unterschätzen. Sie haben etwas Komplizenhaftes an sich. Manchmal sehen sie sich kurz an, wenn sie glauben, dass es niemandem auffällt, und schenken sich ein Lächeln. Rick würde wetten, dass sie miteinander im Bett waren. Er erkennt sofort, wenn zwei Menschen etwas miteinander hatten, so wie sein Freund Terran und der Senator.
»Ich schlage vor, wir stärken uns erst einmal«, sagt er. Zuvor hat er den Tisch an der Wand des Besprechungsraums mit einem kleinen, aber exklusiven Buffet decken lassen. Er zieht die weiße Tischdecke herunter, die es verbirgt. Das Essen riecht wirklich gut, der Koch hat sich wohl wieder selbst übertroffen.
Rick liest neugierig die kleinen Schilder, auf denen der Koch den Inhalt der Töpfe notiert hat. Er hat ihm keine konkreten Anweisungen gegeben – nur eine: Die Speisen sollen die Besucher beeindrucken. Dieses Ziel hat er erreicht, das wird sofort klar. Ellen und Mike zeigen sich gegenseitig Rindfleisch, Sushi und gegrillte Garnelen. Nur der Senator scheint gelangweilt, aber das ist Rick egal.
»Greifen Sie gern zu«, sagt er, »bevor alles kalt wird.«
Nach dem Essen machen sie es sich auf einem Sofa und zwei Sesseln gemütlich. Ellen und Mike setzen sich nebeneinander. Rick ist nicht überrascht. Er bietet Zigaretten und kubanische Zigarren an, doch alle lehnen ab. Der Senator entschuldigt sich; er müsse zu seiner Tante. Rick ist das sehr Recht. Der Mann hat seinen Zweck erfüllt.
»Vielen Dank für den freundlichen Empfang zunächst einmal«, beginnt er das entscheidende Gespräch. Ellen und Mike sehen ihn aufmerksam an. Rick freut sich, weil ihnen klar zu sein scheint, wie wichtig diese Unterhaltung für sie alle ist.
»Da ihr«, er nickt in Mikes Richtung, »den Mars 170 Marstage vor uns erreicht habt, gebührt euch die Ehre, die neue Zeitrechnung gestartet zu haben. Soviel ich weiß, seid ihr bei Sol 170. Wir werden uns dieser Tageszählung anschließen. Ich hoffe, ihr versteht das als Geste dafür, dass wir uns als Neuankömmlinge konstruktiv in die Gestaltung der Zukunft der Menschheit einbringen wollen.«
Das hat er schön gesagt, findet Rick. Er hat sich seine ersten Sätze schon vor Tagen zurechtgelegt und sie immer wieder geübt.
»Bitte versteht deshalb das Angebot nicht falsch, das ich euch machen möchte. Ich erkenne absolut an, was ihr hier schon alles geleistet habt, wenn auch zum Teil unter Nutzung unserer Ressourcen. Angesichts der Ausstattung, die unsere beiden Schiffe an Bord haben, und der schieren Zahl unserer Expeditionsmitglieder wäre es jedoch völlig ineffizient, würdet ihr weiter mit euren begrenzten Mitteln wirtschaften. Ich möchte euch deshalb einladen, Teil der Mars City zu werden. Ihr braucht eure Basen dazu nicht zu verlassen, eine Diversifizierung ist sowieso klug. Ihr könntet sogar all eure internen Strukturen fortführen. Ihr wärt dann einfach Außenposten einer großen, starken Gemeinschaft, und euch beide würde ich zu meinen Stellvertretern erheben.«
Ellen und Mike sehen sich an. Ihre Blicke verraten Skepsis. Ellen zeigt beinahe Abscheu. Sie sagen aber nichts, und das ist für Rick eine gutes Zeichen. Er hat gar nicht erwartet, dass die beiden schon bei der Präsentation des Zuckerbrots zustimmen.
»Denkt doch mal an die vielen Geräte und Messinstrumente im Bauch unserer beiden Schiffe. Das Leben eurer Crews würde sich absolut zum Besseren verändern«, sagt Rick. »Aber bedenkt bitte auch, was geschehen könnte, wenn ihr die Zusammenarbeit verweigert. Die Ressourcen dieses Planeten sind nicht unendlich. Ich müsste euch und eure Leute ab sofort zu Feinden erklären. Ihr hättet keinerlei Hilfe von uns zu erwarten, und was der Mars an Ressourcen bietet, wird von uns vorsorglich beansprucht. Ihr seid wie viele? Zwanzig, verteilt auf zwei Standorte? Welche Chancen malt ihr euch da realistischerweise aus?«
Rick lehnt sich auf seinem Sessel zurück. Auch die Peitsche liegt jetzt auf dem Tisch, wie es sich gehört. Er hält nicht viel von unausgesprochenen Drohungen.
Ellen und Mike sagen noch immer nichts. Es wird ganz still, nur die Lebenserhaltung rauscht.
»Wir müssen dieses Angebot zuerst in unseren Basen besprechen«, antwortet Ellen schließlich. Mike nickt.
Genau das hat Rick erwartet. Wie leicht Menschen doch zu manipulieren sind. Es fehlt aber noch etwas, das seinem Angebot den nötigen Druck verleiht.
»Ich könnte zwar nicht verstehen, wenn ihr mein Angebot ausschlagen würdet, weil es ineffizient wäre, aber ich kann es nachvollziehen. Veränderungen machen manchmal Angst. Falls ich jedoch bis in einer Woche kein 'Ja' höre, muss ich auf sofortiger Rückgabe der beiden gestohlenen Fahrzeuge bestehen. Außerdem fordere ich in diesem Fall die Auslieferung der Diebin, einer gewissen Ewa Kowalska, damit wir ihr einen fairen Prozess machen können.«
Mike schluckt. Das hat gesessen, denkt Rick.
»In einer Woche schaffe ich es nicht bis zur Basis«, sagt Mike.
»Das habe ich nicht bedacht, entschuldige«, sagt Rick sanft. »Ich verlängere die Frist deshalb auf zwei Wochen. Aber keinen Tag länger!«