»Okay, wir werden besser«, sage ich bei der Probe am Freitag. »Wir machen noch mal einen Durchlauf von Gabrielles Auftritt bis zum Ende – nach einer kurzen Pause.«
»Gott sei Dank!«, sagt Skye, die andere Elftklässlerin neben Hannah. Alle lachen, aber es ist ein erschöpftes Lachen. Die meisten Tänzerinnen gehen zu ihren Wasserflaschen.
Hannah nimmt einen Schluck und wischt sich über den Mund. »Hey, ich würde sagen, nach der Probe machen wir einen Ausflug zu Pizza Barn«, ruft sie. »Heute gibts da zwei zum Preis von einer.« Die meisten willigen ein.
»Was ist mir dir, Charlotte?«, fragt Sofia Bodenrader, während sie sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn tupft.
»Tut mir leid, ich kann nicht.« Ich zögere, den Grund zu nennen, aber es wäre komisch, wenn ich es nicht täte. »Ich gehe zum Abendessen ins Whitney Inn. Mit Seb.«
»Ach ja!«, sagt Hannah. »Es ist genau vier Monate her, dass Seb Charlotte zum Sommertanz eingeladen hat!«
Alle johlen und ich werde knallrot. »Schhh!«, sage ich. »Los, kommt, wir machen noch einen Durchlauf von Felipes und Gabbys Pas de deux bis zum Ende in voller Besetzung.«
Das Thema zu wechseln funktioniert, nur Sofia sieht mich weiter an, während die anderen ihre Positionen einnehmen. Hannah huscht auf dem Weg zu ihrem Platz an mir vorbei. »Da ist wohl jemand eifersüchtig«, flüstert sie mit einem Blick auf Sofia.
Hannah und ich sehen uns an und ich weiß, dass sie damit sagen will, Sofia sei meine anonyme »Freundin«. Ich schüttele kaum wahrnehmbar den Kopf und kehre in meine Choreografinnenrolle zurück. »Also dann, los!«, rufe ich. Gerade will ich auf Play drücken, als auf meinem Display eine Nachricht von Seb erscheint.
Hey, ich muss das mit dem Whitney Inn leider verschieben. Tut mir leid! Wir können morgen gehen.
Ich blinzele mehrmals schnell hintereinander, als hätte er mich mit Sand beworfen. Ich lese die Nachricht noch mal, aber die Worte verändern sich nicht. Am liebsten würde ich ihm schreiben: Neeeein! Ich habe doch schon ein hippiemäßiges Sabrina-Outfit auf dem Bett bereitgelegt! Aber ich reagiere einfach gar nicht.
Vor mir stehen die Tänzerinnen in Position, warten darauf, dass die Musik einsetzt. Gabby hat einen großen Ausfallschritt gemacht, Kinn und Blick zur Decke gerichtet. Die anderen Mädchen sehen an die Stange gelehnt zu. Ich kann doch die Probe nicht unterbrechen, nur wegen einer Nachricht von … ach, scheiß drauf – meinem Freund . Dass er mich hier mit einer so blöden Botschaft unterbrochen hat, macht mich unerwartet wütend. Wie rücksichtslos! »Tanz es weg, Charlotte«, flüstere ich. Ich werde mich später darum kümmern.
Also drücke ich auf Play.
Gabby wirbelt los, gefolgt von Felipe und dann den zwei Trios, wie die Wasserfälle, die ich immer vor Augen hatte. Zum hundertsten Mal stelle ich mir vor, wie meine Eltern und Grace im dunklen Zuschauerraum des Osher-Kulturzentrums sitzen. Ich bin selbst ganz ergriffen. Gabrielle stürzt sich in Felipes ausgestreckte Arme. Die anderen Tänzerinnen sinken in einen Knicks und bilden eine Art Rahmen um das Paar. Felipe hält Gabby ein winziges Stück über dem Boden. »Drei Sekunden halten!«, rufe ich. »Und fin !« Ich klatsche. »Schon sehr schön!« Schwer atmend lösen sie sich aus ihrer Position. »Ihr seid richtig gut.«
Erschöpft und glücklich ziehen sie sich Straßenkleidung an.
»Ich kann euch alle in zehn Minuten beim Kreisverkehr vor Haus Longfellow einsammeln«, sagt Hannah.
»Uns alle?«, fragt Lily.
»Das ist der Vorteil eines Minivans!«
Mir wird bewusst, dass ich jetzt mitgehen könnte. Ich würde gerne, aber als Sofia lächelnd sagt: »Ich hoffe, Seb und du habt einen schönen Abend«, weiß ich nicht, ob sie nur nett tut oder es wirklich so meint, und bringe es nicht über mich, ihnen allen – aber vor allem Sofia – gegenüber zuzugeben, dass Seb mich versetzt hat. Also lächele ich bloß und sage das, was man von mir erwartet. »Danke.« Dabei weiß ich gar nicht genau, warum.
Als das Studio leer ist, klicke ich wieder auf die Nachricht. Er hat noch hinzugefügt:
Ist ne Teamsache. Wenn es nicht zu spät wird, komm ich nachher noch vorbei.
Ich fange eine Antwort an:
Was für eine Teamsache?
Zu misstrauisch. Allerdings bin ich ja auch misstrauisch!
Och nö! Doch nicht an unserem Monatstag!
Zu enttäuscht. Oder bedürftig. Ein Viermonatstag ist jetzt auch keine so große Sache.
Ich werde auf keinen Fall die ganze Nacht auf dich warten.
Zu unfreundlich. Stimmt außerdem nicht.
Okay, kein Problem. Das bringe ich nicht über mich.
Ich starre wütend an die Studiodecke und schleudere das Handy in meine Tasche.
Schließlich antworte ich gar nicht. Dann kann er mein Schweigen selbst deuten.