Eingegangen: 29. März 2010, 12:02 (New Yorker Zeit)
warum antwortest du nicht auf meine sms? ich dreh hier noch durch. ich warte. eine umarmung.
Gesendet: 29. März 2010, 20:39 (Moskauer Zeit)
tut mir leid, ich hatte kein geld mehr fuers telefon. draussen ist es ruhiger als zu hause, denn zu hause ist das internet, und da geht’s die ganze zeit nur darum. alle, die ich kenne, sind in ordnung, nur den leiter der site, fuer die ich manchmal ueber filme schreibe, konnte ich noch nicht erreichen. sein buero liegt uebrigens ganz in der naehe der lubjanka. bis vor kurzem war auch unsere redaktion dort. ich bin auch schon die listen der todesopfer durchgegangen, aber es gibt etliche menschen, die noch gar nicht identifiziert sind …
heute hat mich nichts in die metro gekriegt, ich hatte zu viel angst: angst, dass es zu weiteren explosionen kommt, und angst, den leuten in die augen zu sehen, die jetzt in jedem menschen einen selbstmordattentaeter vermuten. erinnerst du dich noch, dass ich diese phobie hatte? es ist noch nicht lange her, dass ich sie ueberwunden habe, jetzt ist sie natuerlich wieder da, deshalb bin ich zu fuss zur arbeit gegangen. zweieinhalb stunden hin, zweieinhalb stunden zurueck. an jeder metrostation miliz, ab und an auch ein notarzt. auf dem weg zur arbeit habe ich aufgeschnappt, was die leute sagen. es gibt nur ein thema: die terroranschlaege. auf dem rueckweg konnte ich es nicht mehr hoeren und habe den player eingeschaltet. zweieinhalb stunden lang nur sakamoto und labyrinthe von aigi. in endlosschleife. da habe ich so was wie eine offenbarung gekriegt. dass ich noch lebe, dass ich noch diese musik hoere, dann aber auch alles andere, mamas krankheit usw., weshalb ich wieder einmal dachte, dass das schicksal von uns allen an einem seidenen faden haengt. krankheiten, terroranschlaege, verkehrsunfaelle – alles kann JEDERZEIT diesen faden kappen. und ich weiss nicht, wie ich dir das erklaeren soll. aber irgendwie hat mich dieser gedanke beruhigt. als ich morgens das haus verlassen habe und durch die stadt gelaufen bin, stand allen der gleiche unglaube auf die stirn geschrieben, und ich hatte den eindruck, dass alle bereit waren, einander zu helfen. vermutlich haben menschen dieses gefuehl auch, wenn ein krieg anfaengt.
mein weg zur arbeit fuehrt am dubrowka-theater vorbei, wo 2002 bei einer auffuehrung von nord-ost diese geiselnahme stattfand, dann weiter zur lubjanka, die jetzt abgeriegelt ist, zur metro puschkinskaja, wo 2000 der anschlag stattgefunden hat … irgendwann kam es mir vor, als ob die stadt bloss so tut, als sei sie gigantisch und maechtig, dass sie eigentlich aber ganz klein ist, verletzlich und schutzlos. von wunden uebersaet. und da habe ich bei mir gedacht, wie ich diese stadt doch liebe.
mir ist ein raetsel, wie man vorsaetzlich menschen umbringen kann. immerhin haben slawische frauen diese dagestanischen selbstmordattentaeterinnen zur metro gebracht. und wie viele menschen hinter diesen frauen stehen. natuerlich laesst mir auch der gedanke keine ruhe, dass die regierung von diesen anschlaegen lange im voraus wusste. man kann vermutlich ewig darueber spekulieren, warum gerade jetzt. weil ostern vor der tuer steht? weil der kaukasuskonflikt angeheizt werden muss? vielleicht braucht es auch einen vorwand, um »den kampf gegen den extremismus« zu verschärfen? vielleicht war es aber auch umgekehrt – rache fuer die antiterroristischen operationen, die neulich in dagestan durchgefuehrt wurden. egal warum, fuer die verwandten der toten duerfte das wohl die geringste sorge sein.
Eingegangen: 29. März 2010, 14:39 (New Yorker Zeit)
die ganze zeit denke ich an dich. pass auf dich auf – fuer die menschen, die dich lieben. fuer uns. ich bin bei dir. umarme dich fest. sehr fest. du geh vorerst zu fuss. falls es dir schwerfaellt, zwei stunden frueher aufzustehen, soll ich dich dann anrufen und dir etwas vorsingen? ich wuerde mich sogar auf zemfira einlassen.