Diese Regel resultiert aus der Erkenntnis: »Die Mehrheit hat nicht immer recht.« Man ist aber leider geneigt, der Masse einfach blind hinterherzulaufen, denn dann kann man den eigenen Kopf zumindest mal kurzfristig ausschalten. Dieses Phänomen kann man nicht nur fast immer und überall beobachten, man kann es sogar in den Geschichtsbüchern nachlesen …
»Äh, Mama, warum stehen die alle da und nicht hier?«, will mein Sohn an der Supermarktkasse wissen.
»Ich weiß es, um ehrlich zu sein, nicht«, antworte ich ihm. Wir beide hatten eine völlig leere Kasse entdeckt, aber dort standen wir alleine. Denn alle anderen stellten sich brav in die längste Reihe. Erst als die Kassiererin lautstark auf sich aufmerksam machte, trauten sich die Kunden an ihre Kasse. Manchmal sind wir Menschen wie Lemminge.
Ich habe es mir mittlerweile zum Hobby gemacht, ein Querschläger zu sein. Mein Lieblingsort zum Querschlagen: der Straßenverkehr. Das Prinzip, sich im Reißverschlussverfahren einzufädeln, mag sich zwar schon rumgesprochen haben, aber an der mutigen Umsetzung fehlt es dem Durchschnittsautofahrer doch sehr. Dabei ist es so einfach: bis zum Hindernis vorfahren und dann zügig einordnen. Wer unsicher ist, guckt sich noch mal seinen Hosenstall an, der ist nämlich prominenter Namensgeber dieses Systems. Es gibt verschiedene Verhaltensweisen, die ich als Vielfahrerin beobachtet habe:
Die Variante: »Ich husch mal ganz schnell hier rein, dann bin ich schon mal drin.«
Die Variante: »Ich ordne mich lieber schon jetzt ein, und das mache ich am besten, indem ich einfach stehen bleibe und den Blinker setze.«
Die Variante: »Ich bin todesmutig bis vorne hingefahren, aber jetzt warte ich auf eine persönliche Einladung, damit ich auch reindarf.«
Es kommt aber keiner mit einer persönlichen Einladung um die Ecke. Weder auf der Autobahn noch im Büro in Gestalt des Chefs mit einer Gehaltserhöhung. Das müssen Sie sich schon selbst holen. Zügig, freundlich, entschlossen und bestimmt. Versuchen Sie es mal im Straßenverkehr. Fahren Sie bis vorne hin, halten Sie nicht an, setzen Sie den Blinker, ordnen Sie sich ein und fahren Sie weiter. Tut nicht weh. Sie kommen schneller ans Ziel. Nur weil alle ein bisschen schwerfällig sind, müssen Sie es nicht auch sein. Seien Sie kein Lemming. Sie haben einen Kopf – benutzen Sie ihn. Der freut sich. Sie hinterlassen keine eigenen Spuren, wenn Sie anderen hinterhertrotten. Versuchen Sie was Neues. Und hören Sie dabei auf den besten Berater, den es gibt und der obendrein kostenlos und immer mit dabei ist: Ihr Bauch!
Ich glaube, dass unser Bauchgefühl, unser Instinkt, unsere innere Stimme – nennen Sie es, wie Sie wollen – uns ganz problemlos durchs Leben leitet. Nur hat der Bauch es so unglaublich schwer, gehört zu werden, wenn es drum herum so laut ist. Da sind die Stimmen der Erziehung, der Gesellschaft, der Medien … alles Geräusche, die uns sagen wollen, wie wir dieses oder jenes zu tun haben. Und wenn der Bauch dann doch mal einen Ton von sich gibt, meldet sich Ihr Newsticker zu Wort mit Tipps zu: »Wie Sie lästige Magengeräusche loswerden!«
Cassandra Steen und Adel Tawil bringen diese Reizüberflutung in ihrem Lied Stadt auf den Punkt. Es ist zu viel, zu laut, zu grell, und es ist überall. Das finde ich auch. Die Kunst, zu sich zu kommen, zur Ruhe zu kommen, ganz ohne Medien, Ablenkung und sonstige Beeinflussungen. Je älter ich werde, desto größer spüre ich diesen Wunsch nach Ruhe, damit ich meinen Bauch hören kann. Damit wir es selber beurteilen können. Die Kunst, einen Schritt zurückzutreten und zu sagen: Ich habe alles gesehen und gehört, und jetzt muss ich mir mein eigenes Bild machen. Und wenn dieses Bild dafür sorgt, dass Sie ganz alleine links statt rechts herum gehen, dann ist das so!