Punkt. Eigentlich gibt es zu dem Kapitel nichts weiter zu sagen. So ist es halt. Und ja, natürlich bin ich über die Maßen dankbar und glücklich, wieder gesund zu sein. Aber das wäre ich ein bisschen schlanker auch.
Dieses Kapitel beschäftigt sich also mit dem ewigen Scheitern in Bezug auf die eigene Figur.
Ich war noch nie eine Elfe. Niemand hätte mich wahrscheinlich jemals in meinem Leben als »zart« beschrieben. Weder als Baby noch als Kleinkind und auch nicht als junge Erwachsene. Aber ich war immer knackig. Stabil, aber stramm. Und ich gehörte schon immer zu den Personen, die aufpassen mussten. Ich will nicht sagen, dass die Drüsen oder der starke Knochenbau für das Desaster verantwortlich sind, es gilt bei jedem und so auch bei mir: Jedes Pfündchen geht durchs Mündchen. Aber ich gehörte halt nie zu den klassischen guten Futterverwertern. Um einigermaßen ansehnlich zu bleiben, musste ich schon immer hart arbeiten. Und da hatte ich mal mehr und mal weniger Lust drauf.
Seit der Entnahme der Eierstöcke und dem Start der Hormontherapie kann ich allerdings ackern wie ein Gaul: Es tut sich nichts! Gar nichts! Irgendwann hat sich mein eh schon nie so dolles Bindegewebe still und heimlich verabschiedet und hat Platz für den Schwabbel gemacht. Und dabei hat es noch etwas mitgenommen: den funktionierenden Stoffwechsel. Dafür hat es mir Hitzewellen, Dellen am Hintern und Winke-Arme hinterlassen, die noch Stunden später von alleine schwingen.
»Sag mal, bist du das auf dem Foto hier?«, will ein Bekannter von mir wissen.
»Nee, ich stelle mir wildfremde Hochzeitsbilder hin«, antwortete ich zugegebenermaßen leicht gereizt auf die für mich völlig überflüssige Frage. Ich war zu diesem Zeitpunkt mitten in der Chemotherapie. Mit aufgedunsenem Gesicht und ohne Haare empfand ich diese Bemerkung als ziemlich unpassend.
Es gab Tage, da habe ich den Blick auf die Fotos von früher wirklich kaum ertragen. Da war zum einen der Verlust meiner Unbeschwertheit von damals, aber es war auch in aller Deutlichkeit zu sehen, dass ich mich optisch verändert hatte. An ganz schlechten Tagen habe ich die Fotos mit dem Gesicht nach unten gelegt. Aus den Augen, aus dem Sinn.
»Es kommt doch alles wieder«, tröstete mich meine Familie, und sie sollten recht behalten. Die Haare, Wimpern, Augenbrauen kamen alle wieder. Die Figur leider nicht. Noch mal: Natürlich bin ich dankbar, und die Frauen, die ich habe gehen sehen, wären froh, sie dürften sich noch einmal über einen zu dicken Hintern Gedanken machen. Aber ich möchte ganz ehrlich zu Ihnen sein: Es gibt Tage, da ertrage ich den Blick auf die alten Fotos immer noch nicht.
»Frau Doktor, ich habe mir sogar eine Personal Trainerin gegönnt, und mein megatolles Fitness-Trampolin habe ich auch. Und ich sehe immer noch so aus«, erzähle ich meiner Ärztin bei einer Nachsorge.
»Es ist gemein, ich weiß.«
»Aber sagen Sie mir bitte, dass es besser wird.«
Sie sagte gar nichts und lächelte nur. Ja, es ist für mich eine Art des Scheiterns. Nicht mehr in meine wunderschönen Sachen zu passen, mit dem Blick in den Spiegel nicht so wirklich einverstanden zu sein und – und das vor allem – dagegen fast machtlos zu sein. Ich sage bewusst »fast«, denn es ist bestimmt noch Luft nach oben. Wenn ich mich selbst noch mehr kasteien, jedem Genuss entsagen und noch mehr Sport machen würde, dann wäre bestimmt noch mehr drin. Aber dem steht mein dringender Wunsch nach Lebensfreude entgegen. Und ich gebe zu, ein gutes Essen, ein guter Wein – das bedeutet für mich mehr Lebensfreude als eine Stunde Joggen im Wald.
»Ich wäre gerne noch mal so schlank wie damals, als ich dachte, ich sei fett«, denke ich, als mich Facebook mit dieser blöden Erinnerungsfunktion an eine Party von vor fünf Jahren erinnert. Damals hatte ich echte, weiche und gefühlvolle Brüste, lange, blonde Haare und Hosengröße 38.
Ich bin Weltmeisterin im Thema Selbstliebe, ist sie doch die Basis von Schlagfertigkeit, und dennoch gebe ich zu, dass mich das Thema Figur mal mehr, mal weniger beschäftigt. Weniger, wenn ich in einer terminfreien Zeit und nur von porträtgroßen Spiegeln umgeben bin, mehr, wenn ich mich selber im Fernsehen sehen darf beziehungsweise muss.