Ja, ich nehme mir regelmäßig vor, die Berge erst zu besteigen, wenn sie da sind. Und ich nehme mir für jeden Tag vor, ihn grenzenlos zu genießen. Das Unwichtige auszublenden und den Blick auf die schönen Dinge zu lenken. Dankbar zu sein und die dunklen Wolken wegzuschieben. Es gelingt mir gut, meistens. Aber dann gibt es Tage, da leide ich unter enormen Angstattacken.
Es gibt Tage, da weine ich wie ein kleines Kind und bin umgeben von tiefschwarzen Gedanken: Ich will das alles nicht! Ich will keine zweifache Krebspatientin sein! Ich will auch nicht aussehen wie Frankenstein. Umgeben von tiefen Narben, innerlich wie äußerlich. Ich will auch nicht alle drei Monate in ein Wartezimmer und beten, dass bloß nichts gefunden wird. Und Angst haben, meine Kinder nicht groß werden zu sehen, das will ich auch nicht! Ich will meine Unbeschwertheit wieder zurück.
Vergessen sind in diesen Momenten all die schlauen Vorsätze und Stehauf-Regeln.
Zu Beginn der Diagnose und auch nach der abgeschlossenen Behandlung waren diese Tage sehr schlimm. Es war, als würde mir etwas von jetzt auf gleich die Kehle zuschnüren, und ich litt unter Luftnot. Ein ganz schreckliches Gefühl, das dazu führte, dass ich völlig bewegungsunfähig irgendwo saß und hoffte, dass es vorbeiging. Anfangs überkam mich dieses Gefühl oft in Wartezimmern oder auch wenn ich vom Tod anderer Frauen erfahren habe, wie zum Beispiel Miriam Pielhau. Das warf mich enorm zurück, und ich lag tief getroffen am Boden. Bis heute bleibt mir oft nichts anderes übrig, als diese Attacken anzunehmen. Natürlich, man hat mir Atem- und Klopftechniken beigebracht, die auch kurzfristig helfen. Aber das, was mir am meisten geholfen hat, sind tröstende Worte von Fachleuten oder von meiner Familie in den Arm genommen zu werden.
Meine Therapeutin sagte einmal: »Sie sind wie ein kleines Kind, das sich jetzt schon wieder traut, alleine zu laufen. Sie sind mutig und entdecken Ihre Welt. Aber zwischendurch kommen Sie zurück in Abrahams Schoß und nuckeln an Worten oder an Liebe wie an einem Schnuller.«
Was für ein schönes Bild, nicht wahr? Und wissen Sie, was mir dabei am meisten gefällt: die Art, wie man dabei selber mit sich umgeht. Ich würde niemals eines meiner Kinder ausschimpfen, wenn es ängstlich oder verunsichert ist. Natürlich nehme ich es in den Arm, tröste es und versuche, eine logische Erklärung für seine Sorgen zu finden. Dann ist es beruhigt, drückt mich fest und läuft wieder zurück in seine Welt. Kennen Sie Andreas Bouranis Lied Hey, in dem er uns dazu auffordert, nicht zu hart zu uns zu sein – und singt, dass es völlig in Ordnung ist hinzufallen? Ja, es ist okay, wenn Sie fallen! Selbst wenn Sie schon dachten, das Schlimmste hinter sich zu haben.
Von meiner Umwelt habe ich sehr häufig zu hören bekommen: »Du bist ja so stark.« Das mag stimmen, weil ich ja, genauso wie Sie, gar keine Wahl habe und hatte, aber glauben Sie mir, es gibt Tage, da würden Sie mich nicht wiedererkennen.
Dank der Stehauf-Regel »Sei nicht so hart zu dir selbst« gelang es mir, meine Angstattacken anzunehmen. Ich suchte mir meine Schnuller, die mich beruhigen oder ablenken. Und langsam, wenn Sie mich fragen, ein bisschen zu langsam, wächst Gras über die Sache.
Ihre STEHAUF-Regel: