Menschen tun, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, ziemlich fiese, eklige oder gar peinliche Dinge. Ich befürchte, alle Menschen, auch wir Frauen. Aber nur manchmal.
Ich war gerade siebzehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal bei meinem neuen, festen Freund zu Hause eingeladen war. Seine Mutter hatte mich zum Essen eingeladen, und ich habe mich besonders schick gemacht, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Ich schwebte auf Wolke sieben, denn ich fand den Typ echt mega. Ein bisschen älter als ich, schon in der Ausbildung, mit Führerschein und eigenem Auto. Mittags holte er mich oft von der Schule ab, und das machte natürlich wahnsinnig Eindruck bei meinen Klassenkameraden. Er sah gut aus, und der Rest interessierte mich – Asche auf mein Haupt – irgendwie recht wenig. Zu tief greifenden Gesprächen kamen wir gar nicht, denn meist wurde nur geknutscht. Daher war jetzt die Einladung zu ihm nach Hause ein absoluter Meilenstein, und ich fand es so romantisch.
Am frühen Abend klingelte ich an seiner Tür mit einem kleinen Strauß Blumen für meine zukünftige Schwiegermutter in der Hand. Sie war auch diejenige, die mir die Tür öffnete und mich überaus freundlich und herzlich begrüßte.
»Wie schön, dass du da bist. Mario hat schon so viel von dir erzählt, da freue ich mich, doch endlich mal ein Gesicht zu sehen zu bekommen.«
»Ja, danke, ich freue mich auch sehr, Frau Lessing.«
Sie nahm mich mit in den Flur, und wir waren uns auf Anhieb sympathisch.
»Mario ist noch im Keller, etwas für mich in den Kühlschrank bringen, er wird gleich hochkommen«, erklärte sie mir.
Als ob der fesche Feger das gehört hätte, erklangen in diesem Moment Geräusche aus dem Keller. Sagen wir mal so, es waren durchaus männliche Geräusche. Und keine von der Sorte, die man hören möchte, bevor man vierzig Jahre zusammengelebt hat.
Nicht ahnend, dass ich bereits oben im Flur stand, kam Mario langsam, Schritt für Schritt die Treppe hoch. Bei jedem Schritt baute er inneren Druck ab. Also, nennen wir es beim Namen: Er ließ bei jeder Stufe einen fahren.
Seine Mutter und ich standen wie erstarrt im Flur. Ihr war es sichtlich noch peinlicher als mir. Immerhin hatte sie ihn ja erzogen. Ich wusste nicht, wo ich hingucken sollte, bis Mario – umhüllt von einer wirklich alles durchdringenden Duftmarke – vor mir stand.
»Ach, hi. Ich hab gar nicht mitbekommen, dass du schon da bist«, sagte er freudig ohne die Spur einer Peinlichkeit in seiner Stimme.
»Ich glaube, das Essen ist auch schon fertig, ne, Mama?«, grinste er seine Mutter an, die ein knallrotes Gesicht hatte. Mario hingegen verlor kein Wort über seine lautstarken Flatulenzen, und es schien ihm auch nicht im Ansatz peinlich zu sein.
Ganz im Gegensatz zu uns beiden Frauen. Der Abend war eine Katastrophe, denn wir waren so beschämt, dass eine ungezwungene Konversation nicht mehr möglich war.
Was war passiert? Weder Frau Lessing noch ich sind »gefallen«, aber wir haben uns zutiefst fremdgeschämt. Und die Krönung des Ganzen war, dass der, dem es hätte peinlich sein müssen, noch nicht mal mit der Wimper gezuckt hat!
Das wirft doch einige Fragen auf: Scheitern Männer anders? Sind ihnen Sachen weniger schnell peinlich als uns Frauen?
Da wir Frauen ja nicht pupsen, kann ich mir dazu eigentlich kein Urteil erlauben. Ich beobachte nur und ziehe meine eigenen Schlüsse.
So auch an diesem Abend. Denn ich sah Mario in einem ganz anderen Licht oder, besser gesagt, in einer ganz anderen Wolke. Er war weder cool noch süß – er war ein Olchi. Ich war mir relativ schnell im Klaren darüber, dass das zwischen uns beiden nicht von Dauer sein konnte. Zwei Tage später machte ich Schluss.
Was haben Sie für Möglichkeiten, wenn Sie sich fremdschämen?
Mit siebzehn Jahren wusste ich es nicht besser, aber heute hätte ich es wahrscheinlich mit
Humor genommen.
Und vor allem:
Das ist ja nicht mein Schuh!
Bei Personen, die mir nicht nahestehen, da schäme ich mich nicht mehr mit. Ist mir viel zu anstrengend. Wenn sich die betreffende Person noch nicht mal selbst schämt, dann ich doch bitte erst recht nicht!