Jerusalem am 29. Mai 2012. Es ist noch früh am Morgen, doch die Temperaturen steigen schnell. Die Ehrenkompanie vor dem modernen Amtssitz des israelischen Präsidenten tritt mehrfach an, übt das Aufstellen, geht wieder auseinander, bis der hohe Gast aus Deutschland sich endlich ankündigt und sie ihre endgültige Position einnimmt. Die Männer tragen weiße Ausgehuniformen der Marine. Ein Zeichen der Verbundenheit, wie eine Mitarbeiterin von Schimon Peres uns wartenden Journalisten erklärt. Allen ist klar, worauf sie anspielt: die deutschen U-Boote, das Symbol deutscher Unterstützung, der Beitrag zu Israels Sicherheit. Deshalb hat man für Joachim Gauck die Ehrenformation eigens in die hier oben in Jerusalem eher unüblichen Marineuniformen gesteckt. Seht her, wir wissen eure Lieferung zu schätzen. Der inzwischen greise israelische Staatspräsident Schimon Peres verweist in seiner Ansprache ausdrücklich auf die Gefahr aus dem Iran und betont, dass er der politischen Führung des Landes nicht glaubt, wenn sie versichert, keine Atombombe bauen, sondern lediglich ein ziviles Atomprogramm entwickeln zu wollen. Beim Staatsdiner am Abend wird Peres daran erinnern, wie sich alles entwickelt hat: «Ich ergreife die Gelegenheit, um Deutschland und seinen Regierungen für ihre langjährige Unterstützung im Sicherheitsbereich zu danken», sagt er.
Schimon Peres weiß, wovon er spricht: Jahrzehntelang war er der wichtigste Mann im Land, wenn es darum ging, Waffen aus Deutschland zu beschaffen – und das tat er schon ganz früh. Er machte sich den Grundgedanken von Israels erstem Ministerpräsidenten David Ben-Gurion zu eigen: Für den in seiner Existenz bedrohten Staat Israel ist die militärische Hilfe überlebenswichtig – ganz egal, wer sie einem gewährt. Dass die israelische Regierung schon wenige Jahre nach dem Holocaust Deutschland als Bündnispartner ins Auge fasste, galt vielen freilich als Skandal: «Die Bürger des jüdischen Staates hielten damals Kontakte zu Deutschland oder den Deutschen für völlig undenkbar», erinnerte sich Peres später. «Wenn es je eine gemeinsame Überzeugung in Israel oder beim gesamten jüdischen Volke gab, so war es gewiss die Gesinnung gegenüber Deutschland, das man für alle Zeiten geächtet und gemieden wissen wollte.» Doch es kam anders: Die junge Bundesrepublik leistete sowohl für den wirtschaftlichen Aufbau wie kurz darauf auch für die Sicherheit Israels einen entscheidenden Beitrag und begründete damit eine Sicherheitskooperation, die nun seit über 60 Jahren anhält. Am Anfang stand die Annäherung zweier großer Staatsmänner.
«Ben-Gurion meinte einmal, dem Staatsmann gehe es im Gegensatz zum Politiker, der an die nächsten Wahlen denke, um die kommenden Generationen. Solche Persönlichkeiten waren Ben-Gurion und Konrad Adenauer», schreibt Peres später. «Ben-Gurion erkannte, dass es diejenigen Deutschen zu ermutigen galt, die sich darum bemühten, ein anderes, demokratisches und humanes Deutschland zu gründen und der Jugend neue Werte zu vermitteln.» Hinter der feierlichen Rhetorik verbirgt sich ein ungeheurer politischer Kraftakt, der nur wenigen geglückt wäre. Für den Nazi-Gegner und rheinischen Katholiken Adenauer, der schon vor 1933 intensive Kontakte zu deutschen Juden pflegte, war es eine Frage der Moral, sich der Verantwortung für den Holocaust und seine Folgen zu stellen. Das wurde auch von seinen israelischen Gesprächspartnern anerkannt. «Die Israel-Frage war für ihn eine Frage des Gewissens und der Religion», wird Ben-Gurion später über ihn urteilen. Dass die beiden gewieften Politiker neben dem Gedanken an Versöhnung und der Moral auch ganz praktische Ziele im Auge hatten, war offensichtlich: Adenauer ging es darum, das am Boden liegende, geteilte und von den Siegermächten besetzte Deutschland wieder in den Kreis der Weltgemeinschaft zurückzuführen. Sein Verhalten, so argumentierte der spätere deutsche Botschafter in Israel, Niels Hansen, sei von der Staatsräson bestimmt gewesen. Er zitierte Adenauer mit den Worten: «Als ich im Jahre 1949 Bundeskanzler wurde, sah ich in der Ordnung der Beziehungen zu den Juden eine unserer wichtigsten Aufgaben.» Die Verpflichtung gegenüber Israel entwickelte sich im Spannungsfeld zwischen Moral und Politik. «Gewiss, Moral ist ein dehnbarer Begriff … Doch in der Beziehung mit dem Phänomen Auschwitz ist er eindeutig, und das war damals … mit richtig verstandener Realpolitik deckungsgleich», argumentiert Hansen. Adenauer hat die von ihm angestrebten und letztlich durchgesetzten Zahlungen an Israel konsequent mit moralischen Begründungen versehen. Ben-Gurion auf der anderen Seite erkannte schnell, dass der von den Arabern eingekesselte kleine Staat Israel nur dann überleben würde, wenn er Geld und bald darauf auch Waffen aus dem sich wirtschaftlich schnell erholenden Deutschland annehmen würde. Ausschlaggebend waren für ihn konkrete materielle Interessen. Ein erster Schritt der gegenseitigen Annäherung war das Luxemburger Abkommen von 1952, in dem sich die Bundesrepublik zur Zahlung von drei Milliarden Mark sowie einer Reihe anderer individueller Zahlungen an die Opfer der Shoah verpflichtete. Auf der deutschen Seite sprach man von Wiedergutmachung, in Israel neutral von «Schilumim», was übersetzt lediglich Zahlungen bedeutet. Aber auch Adenauer war durchaus klar, dass es unmöglich war, «den angerichteten Schaden an Leib und Eigentum in seiner ganzen Dimension wiedergutzumachen». Während auf dem Weg zur «seelischen Bereinigung unendlichen Leides» also noch kein Ende in Sicht war, war Adenauer seinem politischen Ziel – der Souveränität Deutschlands – durch das Abkommen einen guten Schritt näher gekommen. Auch wenn diese deutschen Zahlungen in Israel selbst heftig umstritten waren, so bedeutete dies den Durchbruch für die bilaterale Kooperation. Nach dem Geld kamen die Waffen.
Ein Auftrag ganz nach dem Geschmack des jungen, dynamischen Shimon Peres, der unermüdlich unterwegs war, für die zwar mit einer starken Kampfmoral, aber mit viel zu wenigen leistungsfähigen Waffen ausgestattete israelische Armee Ausrüstung zu beschaffen. Und er traf dabei auf deutscher Seite auf einen Mann, der ebenfalls noch jung und ambitioniert war, wie Peres voller Tatendrang, entschlossen, risikofreudig und, wo nötig, ausreichend schlitzohrig und rücksichtslos: Franz Josef Strauß.
Auf verschlungenen Wegen, so schreibt Strauß in seinen «Erinnerungen» habe ihn, den deutschen Verteidigungsminister, Ende 1957 die Nachricht erreicht, dass ihn eine israelische Delegation in Bonn besuchen wolle, zu einer Zeit, als diplomatische Beziehungen noch in weiter Ferne lagen. Strauß stimmte zu, wählte aber aus Geheimhaltungsgründen seinen Wohnort Rott am Inn aus. Schon zuvor war Shimon Peres mehrfach in Bonn gewesen, jetzt, direkt nach Weihnachten, am 27. Dezember 1957, war er im schneebedeckten Rott am Ziel, zusammen mit dem israelischen General Chaim Laskow und Asher Ben-Natan, der einige Jahre später erster israelischer Botschafter in Deutschland wurde. Und er brachte gleich ohne Umschweife eine Wunschliste mit: Transportflugzeuge, Hubschrauber, Artillerie, Panzerabwehrraketen. Strauß erwähnt nicht den Punkt, der für die Israelis damals schon ganz wichtig war: die Lieferung deutscher U-Boote. Es ist aber offensichtlich und durch israelische Quellen belegt, dass dies von Anfang an ein wesentliches Anliegen der Israelis war, wie sogar öffentliche Debatten in Jerusalem sehr bald zeigten.
Die Bundeswehr war erst zwei Jahre zuvor aufgestellt worden, sie befand sich im ersten Stadium ihres Aufbaus. Eigentlich hatten diese neuen deutschen Streitkräfte selber noch erhebliche Anlaufschwierigkeiten und nur eine allererste Ausstattung an Waffen und Gerät. Strauß bezeichnete sie zu Recht als «bescheidene Vorräte».
Franz Josef Strauß ging dabei ohne Zweifel volles Risiko. Denn vor allem der wichtigste deutsche Verbündete und Waffenlieferant der ersten Stunde, die USA, waren zu diesem Zeitpunkt strikt gegen Lieferungen an die Israelis, die sich ansonsten in Europa nur bei den Franzosen einiges an Waffen kaufen konnten. «Aber», so schreibt Strauß, «ich war bereit, von dem wenigen zu geben, weil ich es als meine Pflicht ansah, Israel in einer schwierigen und bedrohlichen Situation zu helfen.»
Schon damals wurde erkennbar, was bis heute gilt: Wenn es um die Sicherheit Israels geht, schlägt die deutsche Politik auch unkonventionelle Wege ein, lässt manches zu, was im Umgang mit anderen Staaten kaum vorstellbar wäre, bekennt sich dazu, dem Staat der Juden auch mit Waffen zu helfen, und bricht dabei Tabus.
Bald verschwanden aus Bundeswehr-Depots auf nicht nachvollziehbare Weise Waffen. Um dies zu erklären, so schilderte Strauß selber dreißig Jahre später, habe man als Ablenkungsmanöver sogar bei der Polizei in einigen Fällen Anzeige wegen Diebstahls erstattet. Die Amerikaner erfuhren davon nichts, obwohl es zum Beispiel um ihre Sikorski-Hubschrauber ging, die sie kurz zuvor erst an die Bundeswehr geliefert hatten.
Vor allem konzentrierte man sich auf Waffen und Flugzeuge französischer Herkunft, da Israel ja ohnehin Beziehungen nach Paris entwickelt hatte und es so weniger auffiel, etwa Noratlas-Transportmaschinen und Fouga-Magister-Düsentrainer. Die Hoheitsabzeichen wurden übermalt, sie wurden nach Marseille geflogen und dort auf Schiffe gebracht – Richtung Israel.
Strauß gibt in seinen Erinnerungen an, er habe Adenauer informiert, die CDU-Politiker von Brentano und Krone, mit Fritz Erler auch einen führenden Vertreter der SPD, und auch die FDP sei von ihm unterrichtet worden. «Sie alle stimmten zu», schreibt Strauß. «Die Verantwortung für diese Hilfsaktion aber blieb bei mir. So hatte ich wenig Rückendeckung für ein Vorgehen, das in allem dem Haushaltsrecht zuwiderlief.» Strauß bezifferte den finanziellen Umfang dieser ersten Hilfsaktion mit 300 Millionen Mark, für damalige Verhältnisse eine enorme Summe, «ohne Bezahlung dafür zu verlangen».
Obwohl man die Öffentlichkeit mit dem geheimen Treffen in Rott am Inn bewusst in die Irre geführt hatte, blieben diese ersten Kontakte des Jahres 1957 nicht wirklich geheim. In Israel war schon zuvor durchgesickert, dass sich die Ben-Gurion-Regierung anschickte, ausgerechnet Deutschland um Waffenlieferungen anzugehen. Das schlug auch innerhalb der Regierung hohe Wellen, und im Parlament erst recht.
Schon zwölf Tage vor dem Treffen Peres-Strauß kam es zu scharfen Auseinandersetzungen im Jerusalemer Kabinett, Strauß wurde von Gegnern der Kontakte als Kopf einer «Nazi-Armee von Mördern» bezeichnet. Der Widerstand führte im Übrigen dazu, dass der damalige Generalstabschef Moshe Dayan nicht mit nach Deutschland zu Strauß kommen konnte.
Ben-Gurion bügelte alles ab, aber die israelische Politik war aufgewacht, und der Regierungschef musste sich in diesen letzten Tagen des Jahres 1957 mehrfach der Knesset stellen. Bei der Verteidigung der Kontakte zu den Deutschen deutete Ben-Gurion an, worum es seiner Regierung vor allem ging: die Lieferung von U-Booten deutscher Konstruktion. Schon damals, ganz zu Beginn der deutsch-israelischen Rüstungskooperation, standen ausgerechnet U-Boote im Vordergrund der israelischen Wünsche – im Wesentlichen aus denselben Gründen wie heute: Diese kleinen Boote eigneten sich besonders für die israelischen Bedürfnisse, weil sie auch in flachen Gewässern operieren konnten.
Ben-Gurion umschrieb das mit dem Hinweis, man sei dabei, «gewisse Ausrüstungen von diesem Land zu erwerben, die nur in diesem Land erworben werden können – und dass dies für unsere Sicherheit lebenswichtig ist». Eine spannende Begründung, die sich Jahrzehnte später im Zusammenhang mit den neuerlichen U-Boot-Lieferungen wiederholen sollte.
Damals war diese direkte Lieferung am Ende so nicht zu machen, man musste einen Umweg gehen. Zwei U-Boote wurden nach deutschen Plänen schließlich bei einer britischen Werft gebaut und von Deutschland bezahlt.
Ben-Gurion musste rund um die ersten deutschen Waffenlieferungen in diesen stürmischen Zeiten in Jerusalem erneut Farbe bekennen, wie er mit diesem Nachkriegsdeutschland weiter umzugehen beabsichtigte. Und wie schon bei den Wiedergutmachungszahlungen hielt er erneut Kurs: «Das Wohl des Staates Israel erfordert normale Beziehungen zu Deutschland, denn wir haben nicht mit der Welt von gestern, sondern mit der von morgen zu tun, nicht mit den Erinnerungen an die Vergangenheit, sondern mit den Erfordernissen der Zukunft, nicht mit einer Wirklichkeit, die verschwunden ist, sondern mit einer konkreten Wirklichkeit, die sich ändert und erneuert und in der das heutige Deutschland eine bedeutende Rolle spielt.» Ben-Gurion hat sich hier, lange vor seinem historischen Treffen mit Adenauer in New York im Jahre 1961, deutlich bekannt und, immer der alte Fuchs, gleich politisch noch eins draufgesetzt: Er trat zurück, um acht Tage später dann erneut eine Regierung zu bilden, mit denselben Regierungsmitgliedern, aber mit der klaren Botschaft: Seht her, ich kann auch anders, wenn ihr nicht mitmachen wollt – eine Taktik, die aufging, denn die verschreckten Parteien, die bisher Widerstand geleistet hatten, stimmten der Rüstungskooperation nun zu.
Zwar war damit klar, dass Israel und die junge Bundesrepublik Deutschland, die mit ihrer Vergangenheit rang, nunmehr eine Kooperation im Sicherheitsbereich verabredet hatten. Dennoch blieben wesentliche Einzelheiten über den außerordentlich beachtlichen Umfang dieser Zusammenarbeit über Jahre geheim. Und als sie bekannt wurden, würden sie die deutsche Außenpolitik in einer tiefgreifenden Weise verändern, die die Begründer der deutsch-israelischen Sicherheitskooperation zwar befürchteten, aber zu diesem Zeitpunkt in ihrem ganzen Ausmaß nicht vorhersehen konnten.
Zuvor jedoch kam ein Element dazu, das bis heute ebenfalls fest etabliert ist: die Zweibahnstraße. Auch die junge Bundeswehr, die sich im Kalten Krieg als neuer Partner in der NATO bewähren musste, war im Aufbau, auch sie suchte dringend nach Waffen und Gerät aller Art, die sie aus zahlreichen Ländern bezog. Überwiegend aus den USA, aber auch aus Frankreich, Großbritannien, Kanada, Italien und weiteren Staaten, die in der Regel der Nordatlantischen Allianz angehörten – neben Produkten aus eigener Fertigung, wobei die deutsche Rüstungsindustrie erst sehr langsam wieder in Gang kam, unter den kritischen Augen der Alliierten.
Unter anderem brauchte die Bundeswehr eine Maschinenpistole. Franz Josef Strauß erinnerte sich, dass eine Reihe von Modellen geprüft wurde. Darunter auch eine finnische Waffe, die «der russischen aus dem Zweiten Weltkrieg sehr ähnlich war». Doch auch die Israelis hatten eine Schnellfeuerwaffe zu bieten, die «auch unter schlechtesten Bedingungen, selbst wenn sie in Schnee oder Dreck gefallen war, funktionierte».
So kam es, dass während des Kalten Krieges praktisch jeder Rekrut, der bei der Bundeswehr einrückte, direkte Bekanntschaft mit einer Waffe «Made in Israel» machte: der Uzi. Sie wurde in den ersten Jahrzehnten zur Standardausrüstung der deutschen Streitkräfte. Das war offensichtlich und ließ sich auch nicht geheim halten. Was wohl die meisten dieser Rekruten nicht wussten, war, dass auch ein Teil der Uniformen, in die sie am Morgen schnell hineinschlüpften, wenn der Unteroffizier vom Dienst auf den Fluren beim Wecken herumschrie, in Israel genäht worden war. Dabei kam es in einigen Fällen bei den Näherinnen zu Arbeitsverweigerungen. Frauen, die noch unter den Nazis als Zwangsarbeiterinnen Uniformen für deutsche Soldaten hatten nähen müssen, lehnten sich jetzt dagegen auf, dies erneut tun zu sollen.
Auch eine weitere Waffenlieferung führte in Israel zu Protesten. Aus Haifa wurden in großem Umfang Mörser und Mörsergranaten für die Bundeswehr geliefert. Strauß beziffert den Wert dieser Lieferungen auf «mehrere hundert Millionen Mark».
Wie so oft auf dem steinigen Weg der Rüstungskooperation zwischen beiden Ländern schlugen die Wellen der Entrüstung in Israel erneut hoch, und wie so oft während seiner Amtszeit musste Ben-Gurion die Bundesrepublik gegen scharfe Angriffe sowohl in seinem Kabinett wie auch in der Knesset verteidigen. Zwei Jahre zuvor war es noch darum gegangen, deutsche Waffenlieferungen nach Israel zu rechtfertigen, jetzt ging es um den umgekehrten Weg, aber die Begleittöne waren nicht weniger laut.
Jigal Allon, später Außenminister, brachte es auf den Punkt: «Die Deutschen haben diese Waffen nicht gekauft, weil sie gut sind, sondern weil sie von Juden stammen. Die Deutschen wollen sich unbedingt rehabilitieren.» Tagelang debattierte die Knesset im Sommer 1959. Knapp anderthalb Jahrzehnte nach der Shoah waren die Wunden bei vielen Überlebenden weiterhin tief, doch Ben-Gurion hielt seine eindeutige Linie durch und ließ sich auch durch die äußerst scharfen Angriffe etwa von Menachem Begin nicht beirren, der später einmal einer seiner Nachfolger als Ministerpräsident wurde. «Sollen diejenigen, die ihre Hände mit jüdischer Seife gewaschen haben, auch jüdische Waffen tragen?», rief Begin, dessen Vater von den Nazis erschossen worden war, den Knesset-Abgeordneten zu. Ben-Gurion antwortete genau so, wie er es schon viele Male zuvor getan hatte, mit seiner Grundüberzeugung: «Wenn etwas richtig ist, dann sagen mir alle meine jüdischen Gefühle und Instinkte, meine ganze Ehre als Jude und Mensch: Tue, was für Israel richtig und für seine Sicherheit notwendig ist. Wenn die Opfer der Judenkatastrophe sprechen könnten, würden sie sagen: Bleib stark und mutig!»
Und wieder setzte er sich mit dieser Haltung durch, die Knesset stimmte am Ende den Waffenverkäufen an Deutschland zu. Seine Kritiker in der eigenen Regierung konnte Ben-Gurion aber nicht besänftigen, wieder trat er förmlich zurück, führte die Amtsgeschäfte aber bis zu den Wahlen im Herbst weiter und wurde dabei erneut im Amt bestätigt.
Die innenpolitischen Probleme in Israel schienen für eine Weile beseitigt, die Lieferungen in beide Richtungen schienen nun weiterlaufen zu können. Bei ihrem historischen Treffen am 14. März 1960 im New Yorker Waldorf Astoria-Hotel bekräftigten Konrad Adenauer und David Ben-Gurion erneut den Willen, die Waffenlieferungen wie geplant umzusetzen, so wie das zwischen Peres und Strauß zuvor schon bei weiteren Gesprächen verabredet worden war. Dabei spielten erneut die U-Boote eine Rolle, wobei Ben-Gurion darauf verwies, dass Ägypten moderne sowjetische U-Boote erhalten habe. Das Protokoll der Gespräche hält kurz und bündig fest: «Der Herr Bundeskanzler sagte, er stimme mit Herrn Strauß überein.»
Adenauer setzte damit das entscheidende Signal, das im Kern bis heute in der deutschen Politik gilt: Die Sicherheit Israels war schon damals, auch wenn das Wort bei dem greisen deutschen Kanzler bei dieser Gelegenheit nicht fiel, Staatsräson.
Doch schon bald sollte sich zeigen, dass bei einem so sensiblen Thema weiteres Störfeuer nicht ausbleiben konnte. Das galt zum einen in der eigenen Regierung. Der neue Außenminister Gerhard Schröder erwies sich als klarer Gegner von Waffenlieferungen an Israel. Der Hausherr im Bonner Auswärtigen Amt und offenbar auch sein Apparat hatten dabei vor allem die arabische Welt im Blick. Die junge Bundesrepublik war Gefangene ihrer eigenen Hallstein-Doktrin. Die besagte, dass es keine Anerkennung beider deutscher Staaten geben dürfe – ein Bollwerk gegen die um genau diese Anerkennung in der Welt ringende DDR. Die arabischen Staaten sollten auf diesem Gebiet geradezu zum diplomatischen Schlachtfeld werden: Würde es gelingen, die Araber bei der bundesdeutschen Stange zu halten und sie davon abzubringen, dem Werben Ost-Berlins nachzugeben?
Auch Adenauer hatte aus diesem Grund darauf verzichtet, dem frühen Drängen Israels nach der Einrichtung diplomatischer Beziehungen zum Staat der Juden nachzugeben. Allen, auch Adenauer und Strauß, war durchaus klar, was es bedeuten würde, wenn Waffenlieferungen an Israel bekannt würden. Ägypten, das größte arabische Land, war spätestens seit der Suezkrise des Jahres 1956 im Einflussbereich der Sowjetunion angekommen, mit der Folge massiver Moskauer Waffenlieferungen an das Nasser-Regime.
Das Auswärtige Amt machte deshalb immer wieder massive Bedenken gegen die Rüstungskooperation mit Israel geltend. Das Bundesverteidigungsministerium versuchte das Problem zu umgehen, indem es die Kollegen vom Auswärtigen Amt über den tatsächlichen Umfang der Lieferungen im Unklaren ließ. Akten über die Lieferungen wurden im Strauß-Ministerium praktisch nicht geführt – die rechte Hand wusste nicht, was die Linke tat.
Strauß beschrieb das später so: «Schon als Gerhard Schröder im November 1961 Außenminister wurde, hat er mich deswegen heftig bekämpft und volle Breitseiten losgelassen gegen die deutsch-israelische Kooperation, die nach seiner Meinung die deutsche Politik gegenüber den Arabern gefährdete.» Schröder wollte nicht einmal mit Peres zusammentreffen, der diesen Wunsch dringlich geäußert hatte. Strauß machte sich dafür beim deutschen Außenminister stark, aber «der weigerte sich. Sein Ansehen als Außenminister könne beeinträchtigt werden.»
Umso erstaunlicher ist, dass die Lieferungen gegen den Widerstand der deutschen Diplomaten durchgezogen wurden. Aber am Ende kam es, wie es vermutlich kommen musste. Die Achse Strauß-Peres funktionierte blendend, und bei einem weiteren Treffen in Bonn präsentierte Peres eine zusätzliche Shoppingliste: 6 Schnellboote der Jaguar-Klasse, 3 U-Boote, 36 amerikanische Haubitzen, 24 US-Hubschrauber, 12 französische Noratlas-Transportflugzeuge, 150 US-Panzer aus deutschen Beständen, 54 schwedische Flugabwehr-Geschütze sowie Cobra-Panzerabwehrraketen – wobei weiterhin klar war, dass es für diese Shoppingtour im Wert von 240 Millionen D-Mark am Ende keine Rechnung geben würde.
Und es ging nicht nur um militärische Hardware. Bald erschienen an Bundeswehrschulen israelische Soldaten, die an diesen Waffensystemen ausgebildet wurden. An der Flugabwehrschule in Rendsburg, auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager und der Fallschirmspringerschule in Schongau wurde in diesen Anfangsjahren eine langjährige Tradition der gemeinsamen Ausbildung begründet. Hohe Bundeswehr-Offiziere flogen in diesen Jahren auch nach Israel. Nur gut anderthalb Jahrzehnte nach der Shoah hatte das zuvor völlig Undenkbare eine konkrete Gestalt angenommen: Von Juden hergestellte Maschinenpistolen, Mörser und Granaten verstärkten im Kalten Krieg die Kampfkraft der jungen Bundeswehr. Flugzeuge aus deutschen Beständen halfen Israels Armee, sich gegen potentielle arabische Aggressoren zu wappnen, die nach wie vor darauf abzielten, die Juden ins Meer zu treiben. Damit war das Fundament der deutsch-israelischen Sicherheitskooperation gelegt. Sich für Israels Sicherheit einzusetzen war durch die vom ersten deutschen Bundeskanzler Adenauer geschaffenen Fakten, mehr noch aber durch die dahinterstehende Begründung schon damals Teil deutscher Staatsräson geworden, der sich bislang keine Regierung trotz zahlreicher Belastungsproben entziehen konnte.
Zu diesen dramatischen Belastungsproben gehörte damals, dass Ägypten, zu diesem Zeitpunkt Israels mächtigster Feind, willige deutsche Techniker anheuerte, die zum Teil noch im Nazi-Regime an den V2-Raketen, Hitlers «Wunderwaffen», mitgewirkt hatten. Sie sollten für Ägypten ebenfalls Raketen und Flugzeuge zum Einsatz gegen Israel entwickeln. Ägyptens Präsident Nasser ließ am 23. Juli 1962, dem ägyptischen Nationalfeiertag, die ersten Raketen demonstrativ durch Kairo rollen.
In Israel brach ein Sturm der Entrüstung los. Das Land erlebte gerade noch einmal intensiv das Trauma des Holocaust. Der Eichmann-Prozess 1961 hatte das Massensterben in den deutschen Konzentrationslagern ins Bewusstsein der Menschen zurückgebracht. Zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit hatte sich der junge Staat der Juden mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass die Nazis ein Drittel der auf der Welt lebenden Juden ausgelöscht hatten. Und nun das: Wieder die Deutschen! Wieder arbeiten sie an Waffen, die das Ziel haben, die Juden zu vernichten. Golda Meir, damals Außenministerin und ohnehin keine Freundin dieses neuen Deutschlands, tobte in der Knesset ganz ohne Rücksicht auf Ben-Gurion. «Nach dem Fall des Hitler-Regimes, das die Vernichtung von Millionen von Juden verursacht hat, treten heute wieder Angehörige dieses Volkes mit Aktionen in Erscheinung, die dazu bestimmt sind, den Staat Israel zu vernichten.»
Die Knesset fasste einstimmig einen Beschluss, der zeigte, wie sehr die Anwesenheit der deutschen Raketentechniker in Ägypten das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel beeinträchtigte. «Die Knesset appelliert an die aufgeklärte Weltöffentlichkeit, unverzüglich ihren Einfluss darauf auszuüben, dass dieser Tätigkeit deutscher Fachleute ein Ende bereitet wird, deren Ziel es ist, Israel, in dem die Überlebenden unseres Volkes der Nazi-Hölle entronnen sind, eine gemeinsame Zufluchtsstätte gefunden haben, der Gefahr der Vernichtung auszusetzen.»
Der israelische Geheimdienst Mossad unter seinem Chef Isser Harel gab die Wissenschaftler am Nil, von denen pikanterweise auch einige aus der DDR und Österreich stammten, zum Abschuss frei. Sieben Attentate wurden registriert. Die Bundesregierung geriet unter schweren Druck, die Wissenschaftler zurückzurufen, was sich aber aus juristischen Gründen als schwierig erwies. Während im Hintergrund die deutschen Waffenlieferungen an Israel weiterliefen, zog sich die Affäre weit über zwei Jahre hin. Sie endete damit, dass sich die Mehrzahl der Techniker nach und nach aus Ägypten zurückzogen – nicht zuletzt, weil sie von der Bundesregierung mehr oder weniger still dazu ermutigt und mit neuen Jobs in Deutschland versorgt worden waren. Aus dem ägyptischen Raketenprogramm, das ohnehin mangels präziser Steuerungsgeräte militärisch eine geringe Bedeutung hatte, sollte nichts mehr werden.
Das Jahr 1963 hielt für die schwierigen deutsch-israelischen Beziehungen jedoch noch eine ganz andere Herausforderung bereit. Die beiden großen alten Männer, die diese historische Annäherung nach der Katastrophe der Shoah möglich gemacht hatten, verließen die politische Bühne. Innerhalb weniger Monate traten zuerst Ben-Gurion im Alter von 77 Jahren und dann der zehn Jahre ältere Konrad Adenauer von ihren Ämtern zurück. In Bonn hatte sich Ludwig Erhard als neuer Bundeskanzler mit diesem schweren Erbe auseinanderzusetzen. Erhard fand eine komplexe Lage vor, und er musste sich nun entscheiden, wie er vor allem mit den Kritikern im Auswärtigen Amt umgehen wollte, die sich mehr denn je gegen die Waffenbrüderschaft mit Israel stemmten. Außenminister Schröder versuchte wieder und wieder, immer mit Blick auf die Beziehungen zur arabischen Welt, den neuen Bundeskanzler davon zu überzeugen, die Waffenlieferungen zu stoppen. Doch der hielt Kurs, und die Lieferungen gingen weiter. Erstaunlich lange blieben sie mehr oder weniger geheim. Jedenfalls waren sie nicht so offensichtlich, dass sich die Araber öffentlich darüber empörten.
Ein deutscher Pfarrer sollte einen wichtigen Beitrag leisten, dieses Staatsgeheimnis endgültig ans Tageslicht zu zerren. Am 16. Juni 1963 berichtete die «New York Times» «West Germany is providing military Aid to Israel» und bezog sich dabei auf Hans Merten. Der evangelische Theologe saß für die SPD im Bundestag und im Verteidigungsausschuss. Einen Tag zuvor hatte er die Waffenlieferungen mit der Begründung öffentlich gemacht, es werde sowieso herauskommen, ob man sie von offizieller Bonner Seite nun leugne oder nicht. Aber es sollte noch mehr als ein Jahr dauern, bis die Bundesrepublik gezwungen wurde, Farbe zu bekennen. Es sollte eine Feuerprobe der Bonner Nahostpolitik werden. Plötzlich stand ein Grundpfeiler der deutschen Politik infrage: Wie stand es um die Hallstein-Doktrin, mit der man die Anerkennung der DDR durch die Weltgemeinschaft verhindern wollte? Welche Opfer war man bereit zu bringen, um die DDR international kleinzuhalten und der Bonner Republik den Alleinvertretungsanspruch zu sichern? Als Nasser trotz Bonner Proteste den DDR-Staatschef Walter Ulbricht demonstrativ nach Kairo einlud, wurde deutlich, wie hoch Adenauer in der Frage der Waffenlieferungen gepokert hatte und wie hoch der Preis für die Sicherheit Israels nun werden könnte. Vieles war ja schon geliefert worden. Von dem letzten Paket im Wert von 240 Millionen D-Mark waren Waffen im Wert von 161 Millionen bereits verschifft worden. Nun begann der Kampf um den Rest. Von den 150 zugesagten M48-Panzern fehlten noch 90, die Schnellboote waren noch nicht gebaut. In Bonn gewannen um die Jahreswende 1964/65 die Kräfte rund um Außenminister Schröder an Einfluss, die immer schon gegen die Waffengeschäfte mit Israel gewettert hatten. Das Blatt begann sich zu wenden. Nach hitzigen Debatten im Kabinett ließ sich auch Bundeskanzler Erhard umstimmen: Es wurde eine Linie festgelegt, nach der man die noch ausstehenden Waffenlieferungen an Israel nicht fortsetzen, sondern durch Geldzahlungen ersetzen wollte. Die Israelis waren von diesem Kompromiss, wenig überraschend, nicht begeistert. Nach der Krise um die deutschen Waffentechniker, die noch nicht vollständig ausgestanden war, nun das: Die Bonner Regierung bricht ihre Zusagen, sich für die Sicherheit Israels einzusetzen. Wieder entluden sich in der Knesset die Emotionen und das Misstrauen gegenüber den Deutschen. Ministerpräsident Eschkol erklärte im Februar 1965 im Parlament: «Deutschland trägt eine beispiellose schwere Verantwortung. Das ist seine Pflicht, Israel mit der für seine Sicherheit notwendigen Ausrüstung beizustehen. Eine Entschädigung und Ersatzleistungen können nicht anstelle der Erfüllung dieser Verpflichtungen treten. Wir werden keine geldliche Entschädigung als Ersatz für die Einstellung der uns zugesagten Sicherheitshilfe annehmen.» Wieder brach in der israelischen Politik, in der Öffentlichkeit und in den Medien ein Sturm der Entrüstung los. Sogar in den USA riefen die amerikanischen Juden zum Boykott deutscher Waren auf. Tatsächlich sollte am Ende auch der Schlüssel für die Auflösung dieser Krise in den USA liegen. Nur wenige Jahre zuvor, zu Beginn der geheimen Rüstungslieferungen, hatten die Deutschen auch amerikanische Produkte wie Hubschrauber und Panzer an der Regierung in Washington vorbei an die israelischen Militärs geliefert. Die US-Administration war zu diesem Zeitpunkt strikt gegen die Aufrüstung im Nahen Osten. Für Israel galt: Wirtschaftshilfe ja, Militärhilfe nein. Doch mit dem zunehmenden Einfluss der Sowjetunion in der arabischen Welt sollte sich das ändern. Israel wurde aus Washingtoner Sicht nun zu einem wichtigen Bollwerk gegen die Vorstöße aus Moskau. Deshalb drängte die US-Regierung nun die Deutschen, an der Lieferung amerikanischer Panzer aus deutschen Beständen festzuhalten. Sie waren gewissermaßen froh, dass ihnen die Deutschen die Arbeit abnahmen, damit sie sich selbst im Nahen Osten nicht allzu weit exponieren mussten. Doch auch das Bonner Kabinett hatte sich festgelegt. Die Erhard-Regierung argumentierte, schließlich handele es sich bei den M48 ohnehin um amerikanische Panzer, dann könnten die USA auch gleich direkt liefern. Man sei ja bereit, dafür zu bezahlen. Am Ende stimmten Amerikaner wie Israelis zu. Die Amerikaner erklärten sich bereit, 110 Panzer der neuesten M-48-Version nun direkt aus den USA in Richtung Israel zu verschiffen. Bonn ließ sich die Nichtlieferung der noch ausgebliebenen Waffen und den Ersatz durch andere Länder noch einmal 140 Millionen D-Mark kosten. Die Schnellboote wurden dann in Frankreich gebaut. Doch der eigentliche Preis war nicht materieller, er war politischer Natur. Walter Ulbricht reiste nach Kairo und wurde dort äußerst aufmerksam empfangen. Ein Triumph für die DDR-Außenpolitik und eine schwere Niederlage für die weiter um den Alleinvertretungsanspruch ringende Bonner Regierung.
Die Israelis bekamen schließlich alles, was sie wollten, und mehr. Die Panzerlieferungen direkt aus den USA waren der Dammbruch, sie wurden zum Startschuss für die umfassende Militärhilfe der Amerikaner für den Staat der Juden, die bis heute andauert. Neben den Waffen erhielten die Israelis nun auch die diplomatische Anerkennung, die sie seit Jahren gefordert hatten. Gegen den Widerstand im Auswärtigen Amt setzte Kanzler Ludwig Erhard auf Druck der Regierung in Jerusalem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen durch. Zehn arabische Staaten, darunter Ägypten, brachen ihre diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik ab. Die Gegner der Waffenlieferungen, die dies von Anfang an hatten kommen sehen, behielten recht. Das Treffen von Franz Josef Strauß und Schimon Peres an einem schneereichen Wintertag Ende 1957 hatte die politische Landkarte im Nahen Osten gründlich verändert.
Aber unstrittig blieb: Die Lieferung der konventionellen Waffen aus Deutschland war eine entscheidende Starthilfe für die israelischen Streitkräfte. Parallel dazu rüstete sich Israel aber längst auf einem anderen Gebiet auf, das ihm endgültig die militärische Überlegenheit bringen sollte, und dabei spielte ein Deutscher eine entscheidende Rolle.
Rabbi Judah Bergmann aus der Uhlandstraße 194a im großbürgerlichen Berliner Stadtteil Charlottenburg war mit acht Kindern, sechs Jungen und zwei Mädchen, gesegnet. Als sein erster Sohn geboren wurde, da nannte er ihn Ernst David, und der Rabbi konnte nicht ahnen, dass dieser kleine Bursche dereinst den wohl wichtigsten deutschen Beitrag für die Sicherheit Israels leisten würde, den man sich vorstellen kann – ausgerechnet ein deutscher Wissenschaftler jüdischer Abstammung würde dafür sorgen, dass sich der Holocaust, die wehrlose Vernichtung großer Teile des jüdischen Volkes, so nicht mehr wiederholen kann. Die Atommacht Israel kann sich heute wehren, der jüdische David kann heute gegen jeden Goliath die atomare Schleuder erheben.
Die Familie Bergmann war Teil jener aufstrebenden jüdischen Schicht, die dabei war, sich über Bildung fest in der deutschen Gesellschaft zu verankern, und die es in der Wissenschaft, in der Medizin, dem Rechtswesen und den Künsten weit gebracht hatte. Deutschland schien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein Dauer-Abonnement auf Nobelpreise zu haben, nicht zuletzt wegen der herausragenden Leistungen seiner jüdischen Wissenschaftler. Albert Einstein war nur einer von so vielen. Die Bergmann-Kinder machten, was wissenschaftliche Leistungen angeht, hier keine Ausnahme, die meisten studierten, brachten es zum Teil schon in jungen Jahren zu hohem Ansehen. So auch Ernst David Bergmann. Geboren 1903, entdeckte er schon während seiner Schulzeit am konservativen Berliner Mommsen-Gymnasium seine Leidenschaft für die Chemie. Seine Karriere verlief steil: Mit 21 begann er bereits seine Doktorarbeit, mit 24 schloss er sie mit «summa cum laude» ab, ein Jahr später war er bereits Privatdozent. Seine weitere Karriere im deutschen wissenschaftlichen Betrieb schien vorgezeichnet. Der Zionismus, 1897 von Theodor Herzl mit dem Ziel ausgerufen, für die verfolgten Juden der Welt eine Heimstatt zu schaffen, blieb für diese jungen aufstrebenden deutschen Akademiker eine eher idealistische Vision. Noch konnte sich niemand vorstellen, wie sehr Theodor Herzl recht hatte und wie bald die Juden in Deutschland auf eine sichere Heimstatt angewiesen sein würden, die es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab. Bis die Nazis an die Macht kamen und es praktisch über Nacht für Ernst Bergmann und Tausende anderer jüdischer Wissenschaftler an deutschen Universitäten keine Zukunft mehr gab. Bergmann wählte den Weg nach Palästina, wo er weiterhin als Wissenschaftler arbeiten konnte, mit einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs in England.
Bald nach dem Krieg kehrte Bergmann zurück nach Palästina – in die entscheidende Phase, an das Institut, das schließlich nach seinem Gründer das Weizmann-Institut heißen sollte – bis heute das führende Wissenschaftszentrum Israels.
Für die inzwischen 650.000 Juden in Palästina sollte es nun um alles oder nichts gehen – die Gründung eines eigenen Staates oder die Vernichtung durch die feindliche arabische Umwelt, die die Juden zurück ins Meer treiben wollte. Zwar beschlossen die noch jungen Vereinten Nationen im November 1947 die Teilung Palästinas und damit die Gründung eines eigenen Staates für die Juden, im Prinzip das Zweistaatenmodell, das bis heute unerreicht geblieben ist, doch weder die arabischen Palästinenser noch die umliegenden großen arabischen Staaten dachten daran, sich an diesen Beschluss zu halten.
Das war nur knapp drei Jahre nachdem es eine entscheidende Wende in der Militärtechnik gegeben hatte. Zuerst über Hiroshima, dann über Nagasaki waren die ersten amerikanischen Atombomben explodiert, und die Welt schaute fasziniert auf diese neuen, scheinbar ultimativen Waffen, deren bisher unvorstellbare Zerstörungskraft die Japaner fast sofort in die Knie zwang und den Zweiten Weltkrieg beendeten.
Für Ernst Bergmann war es keine Frage, wohin er gehörte. Seine zionistischen Überzeugungen waren durch den Holocaust stärker denn je geworden und vor allem die Einsicht, dass das jüdische Volk niemals wieder hinnehmen dürfe, sich der Vernichtung auszusetzen, ohne sich zu wehren. Von einem hoffnungsvollen deutschen Wissenschaftler, der zum deutschen liberalen kulturellen «Mainstream» gehörte, hatte er sich zu einem Menschen entwickelt, der sich jetzt vor allem als Jude verstand und mit großer Euphorie die Gründung des Staates Israel als der Heimstatt des jüdischen Volkes begleitete, mit der er sich voll identifizierte.
So war es kein Wunder, dass Bergmann, der ambitionierte und eher kühle Wissenschaftler, sich zunehmend von dem Feuerkopf David Ben-Gurion angezogen fühlte, der die Staatsgründung rücksichtslos und mit allen Mitteln betrieb und dabei auch die Flucht und Vertreibung von 750.000 Palästinensern billigend in Kauf nahm.
Ben Gurion erkannte die Talente des inzwischen 45-jährigen deutschen Wissenschaftlers und machte ihn zu seinem wissenschaftlichen Berater. Schon drei Monate nach der Staatsgründung wurde er der Chef der Forschungsabteilung der israelischen Streitkräfte. Und offenbar haben beide schon gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit, also zu einer Zeit, als der Staat Israel gegründet war, der Krieg mit den arabischen Nachbarn aber noch bis 1949 tobte, bereits über die Notwendigkeit nachgedacht, für Israel die ultimative Abschreckungswaffe zu schaffen – den Staat der Juden also zur Atommacht zu machen.
Beiden muss dabei klar gewesen sein, wie utopisch das anderen zu diesem Zeitpunkt erscheinen musste – und wie utopisch es auch tatsächlich war, wenn man die objektiven Umstände betrachtete. Der erst wenige Monate alte Staat verfügte über keinerlei Voraussetzungen, um dieses Ziel zu erreichen. Israel hatte zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen Wissenschaftler, der sich auf diesem Gebiet auskannte, und weder die technischen Voraussetzungen noch Rohstoffe, aus denen sich genügend Uran für eine Atomindustrie hätte gewinnen lassen. Man musste buchstäblich am Punkt null beginnen.
Ernst Bergmann setzte nun einen Plan um, der Israel zumindest einen Anfang bei der Erforschung der nuklearen Option bringen sollte. Eine Gruppe junger Forscher wurde nach Europa und in die USA entsandt, um dort die Grundlagen der Atomwissenschaften zu erlernen.
1952 bereits wurde die israelische Atomenergiekommission gegründet, mit Ernst David Bergmann als ihrem ersten Chef – eine Aufgabe, die er bis 1966 innehaben würde, während er gleichzeitig der Chefberater des Verteidigungsministers blieb – ein Job, den Ben-Gurion neben seiner Aufgabe als Premierminister ebenfalls versah.
Hier traf Bergmann auf einen weiteren Ben-Gurion-Vertrauten, einen noch ganz jungen, politisch ambitionierten Mann namens Shimon Peres, eine Liaison, die für Israels Weg zur Atommacht entscheidend werden sollte. Ben-Gurion, als Ministerpräsident stark gefordert, blieb zwar Verteidigungsminister, die eigentliche Arbeit überließ er aber bald seinem Vertrauten Peres, der mit 29 Jahren zum Generaldirektor dieses Ministeriums aufstieg und praktisch die tägliche Arbeit übernahm.
Ernst Bergmann weihte Peres früh in die Absicht Ben-Gurions ein, Israel zu einer Atommacht werden zu lassen. Und damit war das Dreierbündnis besiegelt, das von nun an – mit einer Reihe von Rückschlägen und auch unter massivem Widerstand bei der wissenschaftlichen Elite Israels – konsequent diesen Weg beschritt. Ben-Gurion als der politische Kopf, Ernst Bergmann als der Wissenschaftler und Shimon Peres als der energische Organisator.
Sowohl Ernst Bergmann als auch Shimon Peres hatten intensive Kontakte zu den Franzosen gepflegt, vor allem mit den Wissenschaftlern, die für Frankreich ebenfalls die Atombombe bauten. Bergmann hatte für Israel sozusagen eine Eintrittskarte in den exklusiven Zirkel der französischen Nuklearwissenschaft gelöst. Die Israelis hatten eine Methode entwickelt, wie man Uran aus Eisenerz mit geringem Anteil an spaltbarem Material gewinnen konnte, außerdem eine preiswerte Alternative zur Gewinnung von «schwerem Wasser», das von Norwegen angeboten wurde. Auch den Norwegern selbst, die ein eigenes fortgeschrittenes Nuklearprogramm hatten, wurden die Patente angeboten. Diese israelischen Entwicklungen trugen wesentlich dazu bei, dass die Israelis in beiden Ländern ernst genommen wurden und entsprechende Kontakte aufgenommen werden konnten. Das war für Bergmann die gute Nachricht. In einem anderen entscheidenden Punkt setzte sich Shimon Peres über Bergmann hinweg: Wie er später in seinen Memoiren schrieb, bestand er, anders als der Mann aus Berlin, darauf, «dass wir nicht Dinge erfinden müssen, die andere schon anderswo erfunden haben. Ich bestand darauf, falls es überhaupt möglich sein würde, dann sollten wir besser einen (Reaktor) im Ausland kaufen.»
Peres setzte sich damit bei Ben-Gurion durch, ein Glücksfall, denn nun machte das Atomprogramm den wirklich großen Schritt: Die Regierungen in Paris und Jerusalem unterzeichneten ein Abkommen über die Lieferung eines Atomreaktors.
Bald wurde die Negev-Wüste lebendig. Unter strengster Geheimhaltung entstand dort bei Dimona eine riesige Baustelle, bis zu 1500 Israelis und Franzosen bauten an dem Reaktor. Das bedeutete, dass sie kritischen Beobachtern, und das waren vor allem die Amerikaner, eine harmlose Erklärung für das emsige Treiben auftischen mussten – woraufhin sie ihnen allen Ernstes weismachen wollten, es handele sich bei dem Reaktorbau um eine Textilfabrik.
Als das nicht mehr aufrechtzuhalten war, behaupteten sie, der Atomreaktor solle die Energie liefern, um die Negev-Wüste zu bewässern. Jahrelang spielten die Israelis mit der Regierung in Washington, die vor allem unter Präsident John F. Kennedy unter keinen Umständen im Nahen Osten einen Atomstaat zulassen wollten, ein Katz-und-Maus-Spiel.
Anders dagegen verhielten sie sich gegenüber den Deutschen. Bei einem Gespräch am 12. Juni 1961 in Paris, bei dem auch Schimon Peres anwesend war, informierte Ben-Gurion Verteidigungsminister Franz Josef Strauß über die Absichten seines Landes. In einem vom «SPIEGEL» entdeckten, bis dahin streng geheimen Protokoll über dieses Gespräch heißt es wörtlich: «Ben-Gurion ist auf die Produktion atomarer Waffen zu sprechen gekommen.»
Und dann kam Ben-Gurion auf die historische Unterhaltung zurück, die er bereits im März 1960 mit Konrad Adenauer in New York geführt hatte. Damals, so berichtete er nun seinem deutschen Gesprächspartner ein Jahr später, habe ihm Adenauer versprochen, die Bundesrepublik werde sich mit 500 Millionen Mark an der Erschließung der Negev-Wüste auf dem Kreditwege beteiligen, dabei war auch von Dimona die Rede. Es bleibt offen, ob er Adenauer damals ebenfalls über den Bau des Atomreaktors informiert hat. Darüber geben die Aufzeichnungen nichts her. Fest steht, dass diese damals große Summe tatsächlich geflossen ist und die Israelis recht bald auch einen Nachschlag forderten.
Das Auswärtige Amt nahm im September 1965 zur Kenntnis, die israelische Regierung habe «nach wie vor die Absicht, bei den kommenden Wirtschaftsverhandlungen um eine finanzielle Unterstützung für die geplante Meerwasserentsalzungsanlage auf atomarer Basis zu ersuchen», nicht rückzahlbar und bei einer zinsfreien Laufzeit von acht Jahren. Das Auswärtige Amt unterstützte das Anliegen, auch wenn arabische Bedenken erwartet werden müssten. «Der atomare Vorsprung Israels ist für alle arabischen Staaten eine Quelle stetiger Beunruhigung», urteilte die Abteilung I des AA in ihrem Papier, kam aber gleichzeitig zu dem Schluss: «Bei der besonderen Bedeutung, die die Wasserfrage für Israel hat, würde andererseits eine Ablehnung des Projekts unsere Beziehungen zu Israel erneut erschweren.» Außerdem, so urteilten die Diplomaten, würde eine deutsche Beteiligung «ihren Eindruck auf das Weltjudentum nicht verfehlen».
Zumindest nach außen hin sollte die Unterstützung rein zivile Zwecke verfolgen. «Eine Hilfe unsererseits für ein atomares Projekt dürfte auf keinen Fall militärischen Zwecken zugutekommen. Auf welche Weise dies verhindert werden kann, vermag Abt. I nicht zu beurteilen.» Deutschland und die israelische Bombe – es ist eine lange Spur durch die Geschichte beider Länder, bei der vieles im Dunkeln blieb. Das galt auch wenige Jahre später für eine Aktion auf deutschem Boden, die vermutlich erneut für Israels Atomwaffenprogramm ein wichtiger Schritt war.
Im Jahre 1968 meldete sich ein orientalisch aussehender Mann bei einem Hamburger Schiffsmakler und kaufte für die in Liberia gemeldete Biscayne Trading Company ein Schiff – den Frachter «Scheersberg A». Chef dieser Firma war ein Mann namens Dan Aerbel, der Anfang der 70er Jahre in Norwegen mit einem Mossad-Killerteam festgenommen wurde.
Über einen komplizierten Deal erwarb die kleine deutsche Firma Asmara Chemie in Wiesbaden 200 Tonnen Yellow Cake, die ursprünglich aus Afrika stammten und angeblich für eine Firma in Italien bestimmt waren. Dort kam die Lieferung aber nie an. Anstatt von Antwerpen nach Genua zu fahren, verschwand das Schiff irgendwo im Mittelmeer und tauchte erst einige Zeit später in einem türkischen Hafen wieder auf, leer und ohne Besatzung. Es war unterwegs entladen worden. Yellow Cake ist ein Grundstoff für die Uranherstellung, und es steht zu vermuten, dass dieser über Deutschland gelaufene Handel ein ganz wesentlicher Baustein für das israelische Atomwaffenprogramm war. In der deutschen Regierung will freilich niemand etwas von dieser Aktion gewusst haben. Auch der Bundesnachrichtendienst hat sich nie bemüht, Israels nukleare Ambitionen nachzuverfolgen. «Wir haben das israelische Atomprogramm ganz sicher nicht aufgeklärt», versicherte uns ein BND-Mann.
Ernst David Bergmann, der junge aufstrebende Wissenschaftler aus der Uhlandstraße 194 a in Berlin, sollte all dies noch erleben, er starb 1975. Ohne seine unermüdliche Hartnäckigkeit, seinen grenzenlosen Glauben an die Machbarkeit, wäre der Staat der Juden möglicherweise nicht zur Atommacht geworden. Und er hatte bis zuletzt keinen Zweifel daran, dass dieses Ziel richtig war. Der deutsche Jude, der den Nazis entkommen war, schrieb 1966 an einen israelischen Kritiker: «Es gibt keine Person in diesem Land, die einen nuklearen Krieg nicht fürchtet, und es gibt keinen Mann in diesem Land, der nicht hofft, dass trotz allem die Logik die Welt von morgen regieren wird. Aber es ist uns nicht gestattet, präzise Kenntnisse und realistische Einschätzungen gegen Hoffnungen und Illusionen einzutauschen. Ich kann nicht vergessen, dass der Holocaust als Überraschung über das jüdische Volk gekommen ist. Das jüdische Volk kann sich eine solche Illusion nicht ein zweites Mal erlauben.»