Staatsräson in der DDR

Israel als kapitalistischer Klassenfeind

Der feine Morgendunst lag noch über den dicken Mauern der befestigten Altstadt von Jerusalem. Es war der Tag vor ihrer großen Rede in der Knesset. Wir saßen auf der Terrasse des King-David-Hotels, zu einem Live-Interview für das ARD-«Morgenmagazin» mit dem Blick auf dieses Zentrum von drei Weltreligionen.

Warum, so fragte ich Angela Merkel, dieses intensive Engagement für Israel?

Die Kanzlerin überlegte nicht lange.

«Vielleicht hat das ja auch ein Stück weit damit zu tun, dass ich 35 Jahre in einem Staat gelebt habe, der Israel nicht einmal anerkannt hat. Aber ich glaube, aus der gemeinsamen geschichtlichen Verantwortung, aus der Verantwortung Deutschlands für die Shoah, leitet sich immer ein besonderes Verhältnis zu Israel ab.»

Auch Joachim Gauck sprach das Thema bei seinem ersten Staatsbesuch als Bundespräsident in Israel an. Er, der wie Merkel in der DDR aufgewachsen war, habe als junger Mann versucht, einen Zugang zur Shoah zu finden. «Ich musste ihn mir selber suchen», sagte Gauck. «Die Gesellschaft, in der ich lebte, im Osten Deutschlands, auch meine Eltern haben ihn mir nicht eröffnet.» Die Bücher, die er sich dann über den Holocaust besorgte, hätten ihn fassungslos gemacht. Aber er habe dafür kaum einen Gesprächspartner gefunden. «Und ich fand auch keine verständnisvollen Worte für mein Entsetzen.»

Joachim Gauck und Angela Merkel, beide damals Deutschlands höchste Repräsentanten, berichteten über eine bittere Tatsache: Im kommunistischen Teil Deutschlands galt eine ganz andere Staatsräson, hier wurde die Anerkennung der Existenz des Staats der Juden nicht nur offiziell verweigert, es war der kapitalistische Klassenfeind, den es zu bekämpfen galt. Und das nicht nur ideologisch, sondern ganz praktisch, mit Waffenlieferungen an die arabischen Feinde Israels, mit der Ausbildung von palästinensischen Terroristen und mitten im Jom-Kippur-Krieg des Jahres 1973, der Israels Existenz erstmals bedrohte, mit einer Aktion, die spektakulär und dennoch hoch geheim war.

MiG-Jagdflieger für Syrien aus Brandenburg

Als die Piloten des Jagdfliegergeschwaders 8 im brandenburgischen Marxwalde (heute Neuhardenberg) am Morgen nach dem Angriff der Araber auf Israel das «Neue Deutschland» aufschlugen, ahnten sie nicht, dass dieser Krieg im Nahen Osten sehr bald auch sie erreichen würde. Es sollte eine der geheimsten Operationen der Nationalen Volksarmee außerhalb der DDR werden. Kurz darauf fanden sich die NVA-Flieger in Syrien wieder, als Waffenbrüder gegen die Juden.

Wie dieser Krieg einzuordnen war, der am 6. Oktober 1973, dem Jom-Kippur-Feiertag, begann, das machte die DDR-Führung nicht nur ihren Soldaten, sondern der gesamten Bevölkerung sofort eindeutig klar. Sie war gut vorbereitet. Während der Westen, dessen Geheimdienste ebenso wie der israelische Mossad die arabischen Kriegsvorbereitungen nicht ernst nahmen, war man in Ost-Berlin über den Tag des Angriffs auf Israel vorab informiert worden. Die Redaktionen wurden entsprechend angewiesen, die offensichtlichen Fakten völlig auf den Kopf zu stellen. Der Überfall Syriens und Ägyptens auf Israel las sich im SED-Organ «Neues Deutschland» so: «Schwerer Angriff Israels auf Ägypten, Syrien und Libanon». Und weiter: «Um 13.30 Uhr Ortszeit hatten israelische Truppen am Sueskanal, am Golf von Sues und gleichzeitig an der gesamten Feuereinstellungslinie zu Syrien die Kampfhandlungen begonnen.» Schlimmer kann man die Realität nicht verdrehen.

Tatsächlich rückten die ägyptischen und syrischen Truppen in den ersten Tagen weit vor, der Staat der Juden kämpfte um sein Überleben. Verteidigungsminister Moshe Dayan, der Held des erfolgreichen Sechstagekrieges 1967, geriet in Panik und sprach düster von der Gefahr der dritten Zerstörung des Tempels. In einer geheimen Sitzung brachte er den Einsatz der israelischen Atomwaffen ins Gespräch, doch Premierministerin Golda Meir lehnte ab. Es waren Tage des Chaos und der tiefen Verunsicherung. Die siegesgewohnte israelische Bevölkerung war bis ins Mark getroffen.

Die Parallelen zum jüngsten Gaza-Krieg sind offensichtlich – auch im nächsten Punkt. Israels Stärke liegt in seinem Reservistensystem, jahrzehntelang müssen die Bürger, bis auf die streng Religiösen, regelmäßig zum Militär und sind jederzeit abrufbar. Das geschah auch damals, und innerhalb weniger Tage wendete sich das Kriegsglück. Die israelischen Truppen gingen zum Gegenangriff über und stießen schnell voran, vor allem auf den Golanhöhen. Die Luftwaffe bombardierte auch Damaskus.

Wir erlebten den zunehmend verzweifelten Abwehrkampf der Syrer auf den Golanhöhen. Eine syrische MiG-17 kam im Tiefflug angerast und warf ihre Bomben auf die israelischen Stellungen gleich neben uns. Wir blieben unverletzt, anders als der britische Korrespondent Nicholas Tomalin, der in der Nähe in einem Auto von einer syrischen Rakete tödlich getroffen wurde. Anfangs von dem arabischen Angriff am Jom-Kippur-Feiertag völlig überrumpelt, standen die Israelis an diesem 17. Oktober 1973 auf den Golanhöhen bereits rund 35 Kilometer vor Damaskus.

Israelis als Kriegsgegner

Syriens Machthaber Hafiz al-Assad fürchtete um die Existenz seines Regimes. Er schickte einen dringlichen Hilferuf nach Ost-Berlin, und Erich Honecker reagierte. Er befahl dem DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann zu prüfen, wie man helfen könne. Die Wahl fiel auf die NVA-Flieger im östlichen Brandenburg.

Am 18. Oktober startete auf dem Fliegerhorst Marxwalde die erste sowjetische An-12-Transportmaschine. Mit dieser Luftbrücke wurden insgesamt zwölf MiG-21 und ihre Besatzungen verlegt. «Wir wussten beim Start in den Transportern nicht, wohin es ging», erinnert sich der damalige Pilot Hauptmann Peter Ziegert. Alles war ganz anders als sonst, die Tarnung total. «Wir mussten rechts raustreten und Abmarsch zum Bus und dann auf den Flughafen. Dort wurde befohlen umziehen, alles in einen großen Seesack und neu einkleiden mit im Prinzip Zivilklamotten.» Zur Erklärung für sie nur so viel: «In Marxwalde verabschiedete uns der damalige Chef der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der DDR, Generalleutnant Reinhold, mit den Worten: Genossen, Sie kommen in ein arabisches Land, und wenn Sie auf den Gegner treffen, dann zeigen Sie Ihren Ausbildungsstand.»

Der Gegner, das wussten die Piloten und Techniker offenbar noch nicht, das waren die Israelis. 28 Jahre nach Ende des Holocaust, so die Botschaft des Generals, sollten deutsche Soldaten gegen den Staat der Juden antreten.

Zuerst kam es zu einer Zwischenlandung in Ungarn, dann erst erfuhren die NVA-Soldaten, wohin es ging: nach Aleppo in Syrien. Bei diesem Zwischenstopp wurden die DDR-Flieger vor die Wahl gestellt, ob sie tatsächlich dorthin wollten. Eine Interflug-Maschine stand für den Rückflug bereit. «Niemand ist zurückgeflogen. Alle standen hinter dem Befehl», berichtet Peter Ziegert. «Armeeangehörige unterstehen dem Befehl, und wenn es ein geheimer Einsatz war, war uns klar, hier an dieser Stelle muss ich einfach meinem Vorgesetzten vertrauen. So waren wir auch erzogen.»

Und zur Erziehung gehörte damals auch ein klares Weltbild, das die DDR-Führung ihrer Bevölkerung und auch den Soldaten im Kalten Krieg vermittelte: Die Kriegshetzer, das war der Westen, dazu gehörte auch Israel. Die Staaten des Warschauer Paktes unter der Führung der friedliebenden Sowjetunion waren die Friedensbewahrer, auch für die arabischen Bruderstaaten. «Nie wieder Krieg, ich habe den Krieg noch teilweise als Kind mitbekommen und schuld am Krieg sind die Weltherrschaftspläne des Imperialismus unter der Führung der USA», beschreibt Ziegert den damaligen Zeitgeist.

Das bestätigt auch Thomas Seifert. Er kam 1982 als junger Technikoffizier zur NVA-Luftwaffe, wurde nach der Wende von der Bundeswehr übernommen und ist heute Brigadegeneral. «Wie ich es erlebte, das war keine Position gegen Israel, es war mehr eine Position für Palästina. Die Unterdrückten, wenn man so will. Und es war letzten Endes auch dem geschuldet, dass man das auch als Teil des Systemkrieges sah, als Teil des Ost-West-Konflikts», beschreibt General Seifert die damalige DDR-Sicht. «Die Israelis mit Unterstützung der Amerikaner, auch der Bundesrepublik, standen auf der einen Seite, die Staaten des Warschauer Paktes auf der Seite der Palästinenser und auch der arabischen Staaten, die wie Syrien und Ägypten so eine Art Sozialismus anstrebten. Wir waren geprägt vom Lagerdenken. Wir sahen uns eher als die Verbündeten, die eine andere Gesellschaft wollten.»

Und auch der erste frei gewählte und zugleich letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière erinnerte sich an die offizielle Position: «Der Staat Israel wurde nicht primär als Staat der Juden, sondern als Staat der Kapitalisten, des Faschismus und des amerikanischen Imperialismus begriffen» – eine Haltung, die auch heute so klingt, als hätte die Hamas das nahtlos in ihre Lehrbücher übernommen.

Diese Haltung verfolgte die DDR-Führung konsequent und ohne Rücksicht auf die durch die Ermordung von sechs Millionen Juden belastete deutsche Vergangenheit. Anders als die Bundesrepublik lehnte sie jegliche Wiedergutmachung ab, zynisch schrieb das SED-Zentralorgan «Neues Deutschland» zur Begründung schon Anfang der 50er Jahre, diese bundesdeutsche Wiedergutmachung sei ein abgekartetes Spiel «zwischen westdeutschen und israelischen Großkapitalisten», diene nur dem Brückenkopf der USA im Nahen Osten, also lehne die DDR ab, zur «Verwirklichung dieses den Weltfrieden gefährdenden Ziels beizutragen». Schon damals hieß es, Israel gefährde durch seine bloße Existenz den Weltfrieden.

So erging konsequent auf dieser Linie der Befehl an das JG 8 in Marxwalde. Die zwölf MiG-21 Jagdflugzeuge wurden zerlegt, alle deutschen Schriftzeichen wurden beseitigt. Die Geheimhaltung war absolut. Zwischen dem 18. und 21. Oktober startete die Luftbrücke, deren eigentliches Ziel die NVA-Flieger eben erst auf dem Weg nach Syrien erfuhren.

Dort wurden die MiG-21 wieder zusammengebaut und mit syrischen Hoheitsabzeichen versehen. «Fast jeden Tag wurde eine Maschine fertig und wurde durch uns eingeflogen», erinnert sich Ex-Pilot Ziegert. Die NVA-Piloten unternahmen diese Testflüge, um die Einsatzbereitschaft der Maschinen zu prüfen. Noch war der Krieg nicht vorbei, aber es war klar, dass Israel den Angriff nicht nur abgewehrt, sondern weit über die ursprünglichen Positionen vorgerückt war, im Süden hatten ihre Truppen den Suezkanal überquert und bedrohten nun Kairo, im Norden standen sie bereit, weiter auf Damaskus vorzustoßen.

Längst liefen, auch im Zusammenspiel zwischen Moskau und Washington, Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Der erste, am 22. Oktober, kam nicht zustande, weil die Israelis ihre Kriegsziele noch durchsetzen wollten, dann, drei Tage später, am 25. Oktober jedoch schwiegen die Waffen, der Jom-Kippur-Krieg war vorbei. Und damit blieb auch der NVA-Einsatz für die beteiligten Soldaten ohne weitere Folgen, vor allem eine direkte Konfrontation mit der israelischen Luftwaffe etwa bei den Testflügen gab es nicht.

«Wir wurden nicht zu Kampfhandlungen zugelassen bzw. eingesetzt», berichtet Ex-Pilot Peter Ziegert. «Der kommandierende General dort in Aleppo war ein sowjetischer General vom vereinten Oberkommando der Warschauer Staaten. Nach meinen nicht zertifizierten Infos von damals hatte die syrische Regierung einen Antrag an das Außenministerium gestellt, dass wir nach Eintritt des Waffenstillstandes in Aleppo bleiben sollten, um die syrische Armee zu unterstützen. Das wurde damals Erich Honecker vorgelegt, er hat befohlen, so schnell wie möglich zurück.» Die Flugzeuge blieben jedoch in Syrien. «Die MiG-21 war das Solidaritätsgeschenk der DDR an die syrische Armee», bewertet Ziegert diesen Transfer der NVA-Maschinen.

Aufgrund des schnellen Kriegsendes kamen also weder die Soldaten noch die Flugzeuge gegen Israel zum Einsatz. Auch uns Korrespondenten, die wir die syrische Luftwaffe noch im Angriff unmittelbar erlebt hatten, blieb es so erspart, von aus Ost-Deutschland gelieferten Maschinen beschossen zu werden.

Nach ihrer Rückkehr nach Marxwalde bescheinigte die NVA-Führung ihren Soldaten dann aber eine klare Haltung: «Besonders hervorzuheben war eine feste Position zum proletarischen Internationalismus und eine klare Klassenhaltung zur Aggression Israels im Oktober 1973 im Nahen Osten.» Insgesamt lieferte die DDR an Syrien zusätzlich zu den Flugzeugen 62 Kampfpanzer des Typ T-54, 300 Panzerabwehrraketen RPG-7, 74.500 Granaten und 30.000 Panzerminen.

Die DDR als Schutzengel für die Palästinenser

Und es blieb nach dem Krieg keineswegs dabei. Die DDR war der Schutzengel der Palästinenser in ihrem Kampf zur Vernichtung des Staates Israel. Besonders entwickelt waren die Beziehungen zu dem Top-Terroristen und schärfsten Israel-Hasser, der als Abu Nidal rund 90 Anschläge mit etwa 900 Toten organisierte. Im internationalen Handelszentrum an der Friedrichstraße in Ost-Berlin eröffnete er ein Büro und betrieb von dort in Kooperation mit der DDR-eigenen IMES GmbH einen schwunghaften Waffenhandel mit den arabischen Bruderstaaten.

Und die Staatssicherheit war der lange Arm der DDR auch bei der Unterstützung der palästinensischen Terroristen. So übten die Mitglieder der Abu-Nidal-Gruppe im brandenburgischen Briesen, dem sogenannten Objekt 74, und im größten Stasi-Ausbildungszentrum in Massow nahe Teupitz (Landkreis Dahme-Spreewald) waren die Waffenbrüder aus dem Nahen Osten willkommene Dauergäste.

Es war nur die konsequente Fortsetzung einer Haltung, die die DDR fast seit ihrer Gründung 1949 gegenüber der deutschen Vergangenheit und gleichzeitig gegenüber dem jungen Staat Israel an den Tag legte, der nur ein Jahr zuvor 1948 gegründet worden war – und damit verbunden auch ein gehöriges Maß an Antisemitismus, der sich unter dem Deckmantel des Anti-Zionismus tarnte.

Unter der Führung des großen Bruders Sowjetunion gab es zwar ganz am Anfang einen kurzen Frühling gegenüber dem neuen Staat, dessen Führung eindeutig sozialistisch ausgerichtet war, mit einer Kibbuz-Kultur, die dem kommunistischen Kolchosen-Modell ähnlich war. Doch das sollte nur eine kurze Episode bleiben. Schon 1950 machte ein spektakulärer Fall mehr als deutlich, wohin die Reise gehen sollte. Opfer war ausgerechnet ein führender Kommunist, der nicht Jude war. Paul Merker hatte sich schon in seinem Exil in Mexiko Gedanken über die Notwendigkeit der Wiedergutmachung an den Juden gemacht, er hatte sich sogar für eine Heimstatt für die Juden eingesetzt und sich gegen Antisemitismus gewandt. Ihn sollte nun der geballte Zorn der SED-Führung treffen.

Ausgehend von der Sowjetunion fegte eine brutale Welle der Judenverfolgung durch die östlichen Satellitenstaaten, die in Prag in dem spektakulären Prozess gegen den jüdischen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Rudolf Slánský gipfelte. Im Zuge der Affäre um den angeblichen US-Spion Noel Field wurden sowohl Slánský als auch Merker des Hochverrats angeklagt. Merker wurde aus dem SED-Politbüro entfernt, in Isolationshaft gesteckt und von seinen Stasi-Verhörern als «König der Juden» verhöhnt. Erst 1955 wurde er als zionistischer Agent zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt und ein knappes Jahr später rehabilitiert.

Merker wurde im Prozess vorgeworfen, die Finanzierung der Auswanderung jüdischer Kapitalisten nach Israel und die Verschiebung von deutschem Volksvermögen gefordert und, schlimmer noch, die aus deutschen und ausländischen Arbeitern herausgepressten Maximalprofite der Monopolkapitalisten in angebliches Eigentum des jüdischen Volkes umgefälscht zu haben.

Taube Ohren bei der Wiedergutmachung

Hier wurde ein wunder Punkt berührt: Es ging ums Geld, und bei der Frage nach der Wiedergutmachung für die Opfer des Holocausts stießen alle Forderungen Israels in der DDR auf taube Ohren. Aber auch individuelle Zahlungen an Juden, die früher auf dem Gebiet der nachmaligen DDR gelebt hatten, wurden strikt abgelehnt. Wie im Merker-Prozess so deutlich begründet, handelte es sich ja nur um angebliches Eigentum des jüdischen Volkes, das in Wahrheit vom Monopolkapital aus den Arbeitern herausgepresst worden war. Die inhaltliche Argumentation, aber auch die Wortwahl legt nahe, dass die Konfiszierung und Arisierung des jüdischen Eigentums durch die Nazis rechtens gewesen sei. Jedenfalls dachte die DDR gar nicht daran, dieses Eigentum zurückzugeben oder die inzwischen in anderen Ländern lebenden früheren Besitzer zu entschädigen. 1952 wurde ehemals jüdisches Privateigentum offiziell verstaatlicht, die entsprechenden Stellen in den Grundbüchern wurden geschwärzt, die Namen der Besitzer getilgt. Erst nach der Wende, so erzählte Lothar de Maizière, wurden die Bücher wieder aufgefunden und Chemiker beauftragt, die schwarzen Stellen zu beseitigen und die Eintragungen wieder lesbar zu machen – mit Erfolg.

Eine Reihe prominenter Parteigenossinnen und -genossen verlor 1950 im Zusammenhang mit der Field-Affäre ihre hohen Funktionen im Machtapparat der DDR und wurde aus der SED ausgeschlossen: etwa Leo Bauer, der Chefredakteur des Deutschlandsenders sowie Bruno Goldhammer im Amt für Information der Regierung, Willi Kreikemeyer, der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, sowie Lex Ende, der Chefredakteur der Parteizeitung «Neues Deutschland», und Maria Weiterer, die Ost-Sekretärin beim Bundesvorstand des Demokratischen Frauenbundes (DFD) – Juden und Nicht-Juden, die aus Sicht der von Moskau gesteuerten Parteiführung Unterstützer der zionistischen Bewegung waren und die es auszumerzen galt.

Aktive Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden in der Folge massiv drangsaliert. Die SED-Führung fasste 1952 einen förmlichen Beschluss, in dem die «Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörertum Slánskýs» gezogen wurden. Dazu gehörte die Feststellung, dass «der amerikanische Imperialismus über den Staat Israel seine Spionage- und Diversanten-Tätigkeit mit Hilfe zionistischer Organisationen in den volksdemokratischen Ländern organisiert und durchführt». Der Staatsapparat war folglich nicht nur von Titoisten und Trotzkisten, sondern auch von Zionisten zu säubern, ein Begriff für Juden in hohen Stellungen.

Juden verlassen die DDR

Das Ergebnis dieses staatlich verordneten Antisemitismus war nicht überraschend. Hunderte von Juden kehrten in dieser Zeit der DDR den Rücken und siedelten nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik über, darunter auch der Präsident der Jüdischen Gemeinde, Julius Meyer, langjähriger Kommunist, SED-Mitglied und Volkskammerabgeordneter, den man als Schieber und amerikanischen Agenten denunzierte, sowie die Oberhäupter der jüdischen Gemeinden von Leipzig, Halle, Dresden und Erfurt. Insgesamt führte der Exodus dazu, dass sich das jüdische Leben in der DDR auf Ost-Berlin konzentrierte. Von etwa 4500 sank die Zahl der Gemeindemitglieder bis zum Ende der DDR auf unter 400, die meisten davon hochbetagt. Meyer, der zusammen mit den übrigen geflüchteten Gemeindevorstehern im Januar 1953 in West-Berlin eine Pressekonferenz gab, legte den Finger in die Wunde: «Es gibt keinen Antisemitismus im deutschen Volk, es gibt nur einen Antisemitismus in der SED, der aus hochpolitischen Gründen von Moskau gesteuert wird.» Er sprach damit ein heikles Thema an. Natürlich gab es auch in der Bevölkerung der DDR in diesen Jahren Antisemitismus, aber darüber durfte nicht berichtet werden. Den gab es aus Sicht der Partei nur in der Bundesrepublik, dort aber auch reichlich. Erst nach der Wende wurde klar, dass viele dieser antisemitischen Aktionen in Westdeutschland recht wirkungsvoll von der Stasi gelenkt oder gar inszeniert worden waren, um die Bundesrepublik als braunen Sumpf international zu diskreditieren.

Stets hatte die Staatssicherheit ein waches Auge auf die Juden im Lande. Das sollte sich unter anderem 1968 während des Prager Frühlings zeigen. Die politische Aufbruchbewegung im Nachbarland setzte gerade in der DDR große Hoffnungen auf Reformen frei. Lothar de Maizière, damals als junger Mann angesteckt von der Prager Euphorie, erinnerte sich gut, wie die SED erneut jeden Veränderungsversuch den jüdischen Zionisten in die Schuhe zu schieben versuchte. «Der Prager Frühling galt nach seiner Zerschlagung als Werk des Welt-Zionismus, weil die theoretischen Grundlagen von Ota Šik stammten, der auch als Jude bezeichnet wurde.»

Wie gefährlich diese Bewegung den Machthabern in Ost-Berlin erschien, erfuhr de Maizière am eigenen Leibe. An der Humboldt-Universität bereitete er eine Doktorarbeit vor: «Ich habe damals über Literatur und Musik des Fin de Siècle, also auch über die Prager Juden gearbeitet». Aber selbst das erschien dem SED-Apparat zu gefährlich. Namen jüdischer Künstler wie Kafka, Werfel oder Schönberg waren nicht erwünscht. «Das wurde mir gestrichen mit der Bemerkung, das wäre kein Thema mehr, über das man in der DDR arbeitet.»

Die Staatssicherheit, so erinnerte sich Linken-Ikone Gregor Gysi, habe damals Listen von potentiellen Staatsfeinden erstellt, die verhaftet und in Lager gebracht werden sollten, sobald der Funke überspringen würde. Und ganz «zufällig» seien alle jüdischen Bürger auf dieser Liste gewesen.

Erst die erste frei gewählte DDR-Regierung hat anerkannt, dass auch die Menschen im Osten Deutschlands eine historische Verantwortung für das Schicksal der Juden Europas trugen. Schon bald nach der Wahl verabschiedete die Volkskammer am 12. April 1990 eine Erklärung, in der festgestellt wurde: «Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für die Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Land.»