Es ist der 7. November 2023. Die israelischen Streitkräfte sind in den Gaza-Streifen eingerückt. An diesem Dienstag teilen sie mit, es seien bisher 14.000 Ziele angegriffen worden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt an, es seien allein mehr als 160 Mitarbeiter des Gesundheitswesens bei den Angriffen getötet worden, das Komitee zum Schutz von Journalisten beklagt den Tod von 37 Journalisten und Medienmitarbeitern in den palästinensischen Gebieten. Insgesamt soll es rund 10.000 Tote geben, darunter etwa 4000 Kinder. Die Medien sagen dazu wie jeden Tag schon routiniert, das seien Zahlen des Gaza-Gesundheitsministeriums, das von der Hamas kontrolliert werde, die Zahlen seien also nicht wirklich zu verifizieren. Unbestreitbar aber ist, dass das Leid der Zivilbevölkerung groß und die Zahl der Opfer hoch ist. Sie sollte sich einige Wochen später mehr als verdoppeln. Israel gerät weiter unter heftigen Druck, einer Waffenruhe zuzustimmen. Premierminister Netanjahu lehnt das an diesem Tag erneut ab: Ohne Freilassung der Geiseln werde es keinen Waffenstillstand geben.
An diesem Morgen geht Ingo Gerhartz in das Sheba Medical Center in Tel HaShomer und spendet Blut. Ein starkes Symbol. Das Bild wird in den sozialen Medien gepostet. Der Mann trägt ein hellblaues Uniformhemd mit drei goldenen Sternen. Es ist der ranghöchste Soldat der deutschen Luftstreitkräfte. Generalleutnant Ingo Gerhartz ist der Inspekteur der Luftwaffe.
Er ist schon oft in Israel gewesen. 2021 hat er selber einen deutschen Eurofighter gesteuert, der zusammen mit israelischen F-16-Jagdflugzeugen über die Knesset in Jerusalem geflogen ist. Die Luftwaffe war zu einer großen internationalen Übung dort. Im April 2023 wiederholt sich das, und wieder ist der Luftwaffenchef auf dem Flug dorthin am Steuerknüppel mit dabei. Erneut fliegen deutsche Eurofighter über Jerusalem – in einer Sonderbemalung in deutsch-israelischen Farben. Israelische Kampfflugzeuge haben auch schon an Manövern in Deutschland teilgenommen. Nun ist der General erneut da. Diesmal ist Krieg. Der «Jüdischen Allgemeinen» wird Gerhartz hinterher sagen, jetzt vor Ort zu sein sei «ein Signal der Solidarität».
Schon immer habe er den Eindruck gehabt, dass die israelische Luftwaffe «äußerst professionell ist». Jetzt sei der Kriegseinsatz besonders schwierig, da die Zivilbevölkerung in Gaza von der Hamas als Schutzschild genutzt werde. «Ich sehe, dass die israelische Luftwaffe hier sehr, sehr genau vorzugehen versucht, so präzise wie sie eben nur kann», meint Gerhartz und schwächt dann etwas ab, er habe «jetzt auch nicht alle militärischen Details mitbekommen». Der Besuch hat einen hohen symbolischen Wert, gerade jetzt. Er zeigt, dass es bei den deutschen Militärs offensichtlich keine Distanz zu diesem Einsatz der israelischen Truppen gibt in einem Krieg, der so viele Opfer auf beiden Seiten fordert.
Vor ihm war bereits Verteidigungsminister Boris Pistorius da, neben dem Zeigen der Solidarität ging es auch darum zu prüfen, wie man Israel helfen könnte. Staatsräson diesmal konkret sozusagen. «Die Solidarität, die unverbrüchliche Unterstützung Deutschlands für Israel darf nicht infrage stehen», wird Pistorius später sagen. Das, so würde sich noch zeigen, sind keine hohlen Worte, es würden Taten folgen. Der hohe deutsche General weiß also seinen Minister hinter sich, wenn er klarstellt: «Die israelische Seite hat nach medizinischen Hilfsgütern gefragt, die wir auch geliefert haben. Dann haben wir zwei der Aufklärungsdrohnen aus der hier stationierten Staffel an die israelische Luftwaffe abgegeben. Das ist genau das, was unser Minister damit meint», sagt Gerhartz. Dann jedoch kommt er zu einem entscheidenden Punkt, der in der deutschen Bevölkerung Ängste auslöst, bei vielen heftige Ablehnung: Wird es angesichts dieser Solidarität auch zum Einsatz deutscher Soldaten kommen? Boots on the ground, wie die Militärs das nennen, also deutsche Kampfstiefel in Gaza? Wird jetzt die in den vielen Reden in Berlin wieder und wieder zugesicherte Staatsräson als Garant für die Sicherheit Israels nun auch praktisch umgesetzt werden? Nein, sagt Gerhartz, für seinen Bereich: «Wenn wir irgendwie helfen können, geschieht dies. Ansonsten ist die israelische Luftwaffe so stark, dass es hier keine militärische Option gibt, uns zu fragen, sie jetzt zum Beispiel mit Eurofightern zu unterstützen.»
Das gilt keineswegs nur für die Luftwaffe. Deutsche Soldaten, oder genauer, irgendwelche ausländischen Soldaten, das wollen vor allem die Israelis selber nicht. Sie vertrauen nur auf ihre eigenen Bürger in Uniform, sie wollten nie irgendeine Einmischung von außen in ihren Kriegen zulassen. «Absolut nicht», versichert Arye Shalicar, einer der Pressesprecher der israelischen Streitkräfte. «Wir haben in den letzten 80 Jahren Krieg nie ausländische Truppen gefordert, auch keine amerikanischen, und das wird auch hier nicht der Fall sein.» Diese Botschaft übermittelt auch der israelische Botschafter Ron Prosor intern den außenpolitischen Experten des Bundestages.
Und doch wird sich hier zeigen, dass die so oft zitierte Staatsräson als Verpflichtung für die Sicherheit Israels ganz konkret wurde. Denn im Hintergrund haben die israelischen Streitkräfte präzise Vorstellungen, wie die Deutschen helfen könnten: vor allem mit Munition. Und bald würde die Bundesregierung darauf eingehen.
Die Bundeswehr wird zwar nicht mit eigenen Soldaten in die Kampfhandlungen eingreifen. Aber sie bleibt von dem Konflikt nicht unberührt. Ganz im Gegenteil, sie startet einen der größten schnellen Einsätze in ihrer Geschichte im unmittelbaren Umfeld des Krisengebietes.
Nicht nur die amerikanischen Streitkräfte verlegen demonstrativ zwei Flugzeugträger, ein Atom-U-Boot und zahlreiche Kampfflugzeuge in den Nahen Osten. Das Signal aus Washington ist klar: Es soll andere in der Region, und hier besonders den Iran und seinen verlängerten Arm, die Hisbollah, abschrecken, ebenfalls in den Krieg einzutreten und einen Flächenbrand auszulösen. «Don’t», hat US-Präsident Joe Biden wieder und wieder öffentlich gemahnt, «Lassen Sie das!»
Auch die Bundeswehr mobilisiert über 1000 Soldatinnen und Soldaten und schickt sie in die Krisenregion. Dabei sind Eliteeinheiten, das Kommando Spezialkräfte (KSK) etwa, und auch die Grenzschutzgruppe 9 der Bundespolizei, die überwiegend in Zypern stationiert werden. Auch Sanitätssoldaten sind dabei. Aber nicht nur dort: Kleine Kontingente sind auch im Libanon, in der Türkei und Jordanien unterwegs, um vor Ort mögliche Fluchtrouten zu erkunden. Die Marine beordert ein zusätzliches Schiff, den Einsatzgruppenversorger «Frankfurt am Main», ins östliche Mittelmeer, der eigentlich zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität unterwegs war.
Ist das auch Teil der Abschreckung des Westens gegen ein Übergreifen des Krieges etwa auf den Libanon oder gar ein Eingreifen des Iran? Oder gar eine stille Reserve für den Fall, dass man doch in Israel militärisch eingreifen muss? Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius betont, es sei eine vorbeugende Maßnahme, bei der es darum gehe, im Falle einer Eskalation in Israel oder seiner Umgebung «unsere Staatsbürger herauszuholen».
In auffallender Weise bemüht sich die Berliner Politik zu unterstreichen, dass sie keine Kriegspartei werden will. «Unsere Leute stehen ausschließlich bereit, um gegebenenfalls deutsche Staatsbürger aus Israel zu evakuieren», sagt Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, dessen Obleute von der Bundesregierung über den Einsatz unterrichtet worden waren.
Das begrüßt auch die Opposition im Bundestag. «Es ist gut, dass die Bundesregierung aus früheren Lagen etwa im Sudan und der Situation in Israel gelernt hat», sagt ihr außenpolitischer Sprecher Roderich Kiesewetter (CDU). In der ersten Phase des Krieges hatte es gehakt, das gab viel böses Blut, als die Lufthansa ihre Flüge eingestellt und sich geweigert hatte, diese Aufgabe zu übernehmen. Die Luftwaffe schickte schließlich A400M-Transporter, um deutsche Bürger aus Israel abzuholen.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, bewaffnete, sogenannte «robuste» Einsätze im Ausland müssen vom Bundestag genehmigt werden. Doch im Parlament ist man sich einig, dass diese vorbeugenden Einsätze unterhalb dieser Schwelle bleiben und die Unterrichtung ausreicht. Schließlich wird der größte Teil dieses Kontingents wieder abgezogen.
Deutsche militärische Besuche im Staat der Juden sind seit Jahren beinahe Alltag. Das Auffallende dabei ist, dass es überhaupt nicht auffällt. Nicht mehr, jedenfalls nicht in Israel. Das zeigte sich etwa im Oktober 2015. 50 Jahre zuvor hatte die Bundesrepublik nach langem Zögern diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen. Damals gab es noch wütende, beinahe gewalttätige Proteste, als mit Rolf Friedemann Pauls, einem ehemaligen Berufsoffizier und Ritterkreuzträger der Wehrmacht, der erste deutsche Botschafter in Israel ankam.
An einem der Oktobertage ein halbes Jahrhundert später landeten zwei riesige Antonov-Transporter mit schwerer Fracht. Fünf Fuchs-Spähpanzer wurden ausgeladen und fuhren dann selbständig auf Israels Straßen Richtung Süden. Das Eiserne Kreuz auf der gepanzerten Karosserie machte sie als Kampffahrzeuge der Bundeswehr klar erkennbar. Auch dies eigentlich ein historischer Tag, denn 110 Soldaten des Jägerbatallions 1 der 1. Panzerdivision aus Schwarzenborn in Hessen fuhren in ihren Uniformen und mit ihren Waffen zur bislang größten gemeinsamen Übung deutscher und israelischer Streitkräfte, und das gleich für drei Wochen.
Niemand nahm dort daran Anstoß, es blieb praktisch unbemerkt. Für die israelischen Medien war das kein Thema, über das man sich erregen würde. Die Israelis hatten damit kein Problem, das deutsche Verteidigungsministerium dagegen schon. Dort schlug eine überängstliche Bürokratie zu, als ich plante, die Übung aus der Nähe zu erleben und darüber zu berichten.
Offensichtlich sah man in Berlin darin ein heißes Eisen, denn nun versuchte man alles, um unsere Berichterstattung über dieses gemeinsame Manöver zu blockieren. Die deutsche Botschaft wurde angewiesen, dies auch den Israelis mitzuteilen. Die magere Erklärung des Ministeriumssprechers: «Es gibt berechtigte Gründe für die Restriktionen.» Worin diese «berechtigten» Gründe bestanden, erläuterte er nicht. Der Kompromiss bestand dann darin, dass es außerhalb des Übungsgeländes in Tel Aviv zu einem Treffen mit Offizieren und beteiligten Soldaten kam.
Es war, trotz aller gelebten Normalität in den militärischen Beziehungen auf beiden Seiten, eben doch ein heikler Einsatz, wie sich noch herausstellen sollte. Denn schon damals war durchaus schon erkennbar, was sich dann am 7. Oktober 2023 auf so brutale Weise steigern sollte. Denn das Ziel der Bundeswehrkolonne auf israelischen Straßen war eine Geisterstadt mit menschenleeren Häuserkulissen: das sogenannte Urban Warfare Training Center (UWTC) im Norden des Negev, nahe dem Kibbuz Tze’elim. Die Schilder und Straßennamen tragen arabische Schriftzüge, es gibt Moscheen, und wer hier zum Üben herkommt, der weiß schnell, worum es geht: Trainiert wird der Einsatz in einem arabischen Umfeld. Das also war es: Deutsche Soldaten üben in Israel den Kampf mit einem imaginären arabischen Feind. Und davon sollte man am besten gar nichts sehen, lesen oder hören!
Für die israelische Armee ist das ein im wahrsten Wortsinne naheliegendes Übungsziel. Gaza liegt nur gut zwölf Kilometer entfernt, und dort griffen die Israelis zuletzt im Sommer 2014 an und zerstörten in den 50 Tage andauernden Gefechten an die 18.000 Gebäude. Rund 2000 Palästinenser und 70 Israelis verloren dabei ihr Leben, nachdem die Hamas immer wieder Raketen auf israelische Städte abgefeuert und dabei selbst den Flughafen von Tel Aviv, Israels Tor zur Welt, vorübergehend lahmgelegt hatte.
Im israelischen UWTC bei Tze’elim gibt es auch Tunnel, die nach den Erfahrungen im Gaza-Krieg ein Jahr zuvor, als sich Hamas-Kämpfer Richtung Israel durchzugraben versucht hatten, besondere Bedeutung bekommen haben. Häuserkampf, das war die Erfahrung auch der Bundeswehr bei ihren Einsätzen im Nahen Osten, das war zunehmend eine militärische Herausforderung, um die man sich kümmern sollte. Auch deshalb wollte man von den Erfahrungen der Israelis profitieren.
Willkommene Gelegenheit also für den Übungseinsatz in der Negev-Wüste, wie Brigadegeneral Ernst-Peter Horn, der damalige stellvertretende Kommandeur der 1. Panzerdivision, während der Übung in Israel erläuterte: «Es ist ein wichtiges Thema für uns, weil wir festgestellt haben, dass wir uns gerade in den Einsätzen in den letzten Jahren sehr oft in bebautem Gelände bewegen mussten und wir schon glauben, dass auch künftige Konflikte und Operationen sehr stark und sehr oft in bebautem Gelände stattfinden. Gerade auf diesem Gebiet hat die israelische Armee Erfahrungen gesammelt, und die gilt es jetzt auszutauschen.»
Dass auch die Bundeswehr hier eigene Erfahrungen gesammelt hatte und sie im Auslandseinsatz bereits weitergab, lernten dabei nicht nur die Israelis. Während ihre Soldaten im Negev noch übten, besuchte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den benachbarten Irak und ließ sich in Erbil von den Bundeswehrausbildern demonstrativ vor Fernsehkameras zeigen, wie sie die deutschen Kenntnisse im Häuserkampf an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer weiterreichten.
Auf dem Manövergelände bei Tze’elim blieb es bei dem geplanten Übungseinsatz. Aber während die deutschen Soldaten dort trainierten, krachte eines Abends, weit abseits des Manövergeländes, eine aus Gaza abgefeuerte Rakete in den Negev, die israelische Luftwaffe schlug drei Stunden später zurück. Verletzt wurde niemand, aber es war eine deutliche Erinnerung daran, dass der Konflikt schon damals weiter schwelte.
Im Rückblick wird noch deutlicher, dass der 2023 ausgebrochene Krieg nur der Höhepunkt einer Entwicklung war, die sich über Jahre aufbaute. Als die deutschen Soldaten 2015 nach monatelangen Vorbereitungen landeten, da hatte sich die Lage dramatisch entwickelt: In den besetzten Gebieten, in Jerusalem und selbst im israelischen Kernland kam es beinahe täglich zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit überwiegend jungen Palästinensern, die zumeist mit Messern auf Zivilisten und Sicherheitskräfte losgingen, auch mehrere Soldaten kamen dabei ums Leben – Zeichen einer tiefsitzenden Hoffnungslosigkeit und Frustration über einen völlig festgefahrenen Friedensprozess, den beide Seiten schon damals abgeschrieben hatten.
Im Norden tobten die Kämpfe in Syrien, auf dem unmittelbar dem Negev benachbarten Sinai lieferten sich radikale Islamisten immer wieder Scharmützel mit der ägyptischen Armee. Aber die Übung sollte auf der militärischen Seite eben auch der Höhepunkt dieses Jubiläumsjahres werden: 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und dem Staat der Juden wurden gefeiert, und damit auch Jahrzehnte einer intensiven Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich.
Bereits am 12. Mai 2015, dem offiziellen Jubiläumstag, hatte die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen Israel besucht. Im Hafen von Haifa hatte die deutsche Fregatte «Karlsruhe» festgemacht. Auf dem Flugdeck und auch schon zuvor in Jerusalem hatte die Ministerin erneut Deutschlands Verpflichtung für die Sicherheit Israels betont. «Deutschland und Israel können sich unbedingt aufeinander verlassen.» Beide Länder hätten 70 Kooperationsprojekte in der Sicherheitspolitik, 700 sogar im Forschungsbereich. «Mit keinem anderen Land der Welt haben wir so viele, so vielfältige intensive Beziehungen in der Sicherheitspolitik wie mit dem israelischen Verteidigungsministerium.» Und das zeigte sich auch ganz real: Während ihres Besuches brachte von der Leyen sozusagen als Gastgeschenk den Vertrag über die Lieferung der vier Korvetten von ThyssenKrupp Marine Systems mit, deren Kosten Deutschland zu einem Drittel übernehmen würde.
Während es zu Beginn eher eine Einbahnstraße war, lief die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich zwischen Deutschland und Israel bald in beide Richtungen. Zunächst mit den schon erwähnten Mörsergranaten, Uniformen und Maschinenpistolen für die Bundeswehr, bald jedoch auch bei komplexen Vorhaben.
Ein besonders spektakuläres und zugleich besonders geheimes Rüstungsprojekt trug den Namen eines griechischen Höllenhundes: Cerberus. Noch unter dem damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt begannen Anfang der 70er Jahre Überlegungen, wie man die sowjetischen Flugabwehrsysteme überwinden könnte, um im Kriegsfall mit Jagdbombern in den Luftraum des Warschauer Paktes einzudringen. Die israelische Entwicklungsfirma Elta sollte das mit Cerberus schaffen. Im Bonner Verteidigungsministerium ging die Geheimniskrämerei so weit, dass nur derjenige Zugang bekam, der das Codewort «Caligula» kannte. Die ersten Zahlungen wurden über die Geheimdienste abgewickelt, indem BND-Leute das Geld für die Entwicklung von Cerberus in Koffern an den israelischen Geheimdienst Mossad übergaben. Auch später wurden die Zahlungen über ein BND-Konto weitergeleitet. Insgesamt gelangten so 1,2 Milliarden DM an die Firma Elta, die bis heute unter dem Dach von Israel Aerospace Industries (IAI) zu einem der führenden Hersteller im Radar- und Elektronikbereich gehört und erst 2023 einen Kooperationsvertrag mit der deutschen Rüstungsfirma MBDA im Bereich der elektronischen Kampfführung abgeschlossen hat. Eltas Mutterkonzern IAI wiederum verlegte in diesem Jahr seine europäische Vertretung von Paris nach Berlin. Begründung: «Wir betrachten Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen als großen potentiellen Markt.»
Schon früh zeichnete sich also ab, dass deutsche und israelische Rüstungsfirmen die so belastete Vergangenheit nicht als Hindernis sahen, im sensiblen Bereich der Waffenentwicklung und -herstellung zu kooperieren und die Produkte auch gemeinsam zu vermarkten. Selbst politisch hoch brisante Dreiecksgeschäfte wurden so ausgehandelt. 1971 etwa wurden von der Firma Diehl, im Rüstungsgeschäft seit Jahrzehnten erfolgreich tätig, 92.000 Mörsergranatenzünder und rund 10.000 Doppelzünder nach Israel geliefert, die in Haifa verschraubt und dann von den Israelis an den Iran weiterverkauft wurden, mit dem die Israelis zu diesem Zeitpunkt beste Kontakte im Sicherheitsbereich unterhielten – mit ausdrücklicher Genehmigung der Bundesregierung. Lakonisch hieß es dazu in einem internen Papier des Wirtschaftsministeriums: «Nach dem 6-Tage-Krieg (Juni 1967) sind von uns ähnliche Lieferungen nach dem Iran und nach Singapur über Israel unter den gleichen Voraussetzungen genehmigt worden.»
Und das funktioniert bis heute, wie das Beispiel Spike zeigt, ein leichtes Lenkflugkörpersystem, das nicht nur gegen Panzer, sondern auch gegen andere bewegliche Ziele eingesetzt werden kann. Es wurde in Israel entwickelt. Die Bundeswehr hat es in hoher Zahl eingeführt. Aber es ist geradezu ein Vorzeigeprojekt für das Ziel, nicht nur die eigenen Streitkräfte zu beliefern. An dem Joint Venture mit der eigens dafür gegründeten Firma Eurospike, auch mit mehreren Produktionsstandorten in Deutschland, sind eine ganze Reihe von Topfirmen im Rüstungsbereich beteiligt: bei den Israelis Rafael, bei den Deutschen Diehl und Rheinmetall. Spike ist ein Verkaufsschlager auf der ganzen Welt, bei zahlreichen NATO-Staaten, aber auch von Aserbaidschan bis Chile.
Wie sehr zwischen deutschen und israelischen Firmen kooperiert wurde, zeigte sich auch bei der Entwicklung von Kampfpanzern. Selbst Laien beteiligen sich hier im Internet an der Diskussion. So zum Beispiel bei der Frage, welcher denn nun der bessere Kampfpanzer sei – der israelische Merkava IV oder der deutsche Leopard 2.
«Ich würde auf den deutschen Panzer setzen. Er ist ein Panzerjäger», schwärmt ein Forenteilnehmer. Und ein anderer selbsternannter Panzerexperte sucht Vorteile auf beiden Seiten: «Der Merkava ist ein wunderbarer Panzer mit einer exzellenten Armierung, während der Leopard ein Alleskönner ist mit einem hervorragenden Feuerleitsystem.»
So geht es seitenweise. Einig sind sich die Diskutanten jedoch in einem Punkt: Beide Panzer gehören zur Weltklasse, vielleicht kann man gerade noch den amerikanischen Abrams-Panzer als dritten Wettbewerber aufs Treppchen stellen. Alle drei Panzer haben dieselbe 120-Millimeter-Glattrohrkanone, und ihr Design ist «Made in Germany» – entwickelt wurde sie von der deutschen Waffenschmiede Rheinmetall.
Und wer sich den Merkava IV näher ansieht, wird feststellen können, dass auch viele andere entscheidende Komponenten von deutschen Ingenieuren erdacht worden sind. Allerdings: Bei den meisten dieser Teile steht nicht «Made in Germany» drauf, sie kamen zum Teil über Umwege nach Israel.
Das mechanische RK-325-Getriebe etwa kommt von der Augsburger Firma Renk, der 1500-PS-12-Zylinder-Dieselmotor MT883 ist die Top-Entwicklung des Motorenbauers MTU aus Friedrichshafen und wird über die amerikanische Firma General Dynamics nach Israel exportiert, und auch die elektronische Stabilisierungseinrichtung, die wie im Leopard-Panzer dafür sorgt, dass der Merkava IV auch bei voller Fahrt schießen kann, stammt ursprünglich von der deutschen AEG – auch wenn die Herkunft so verfremdet wurde, dass diese Komponente nun unter dem Namen Geadrive als israelisches Produkt gilt. Und schon ganz zu Beginn der Eigenentwicklung eines Kampfpanzers in Israel war ein deutscher Fachmann mit dabei, der seine Kenntnisse beim Leopard-Hersteller Krauss-Maffei erworben, dann ein eigenes Konstruktionsbüro eröffnet hatte und schließlich sein Knowhow vor Ort an die Israelis weitergab.
Auch hier sollte sich zeigen, dass beide Seiten von den Erfahrungen des jeweils anderen profitieren, und auch das bis heute. So kauft die Bundeswehr von der israelischen Waffenschmiede Rafael das Trophy-Panzerschutzsystem für die neueste Generation des Leopard-2-Kampfpanzers. Trophy kann anfliegende Geschosse rechtzeitig erkennen, mit eigenen Sprengkörpern abwehren und zugleich die Quelle des Beschusses ermitteln. 90 Prozent der Geschosse, so zeigten Tests, konnten so abgefangen werden.
Und auch ein weiteres Waffensystem aus Israel soll beim deutschen Heer landen und einen Modernisierungsschub bringen. Der PULS-Raketenwerfer soll das alte MARS-System ersetzen und die Fähigkeiten der Artillerieeinheiten deutlich verbessern. Dabei wird das Heer dieses Waffensystem zusammen mit den niederländischen Streitkräften nutzen. Es soll mit GPS-gesteuerten Geschossen Ziele in einer Entfernung zwischen 10 und 300 Kilometern bekämpfen können. In Berlin erwartet man bei der Munition eine Zusammenarbeit auch mit den USA. So werde es möglich, mit Hilfe dieses von den Israelis gelieferten PULS-Systems auch zu einem strategischen Schulterschluss mit den Amerikanern zu kommen, hofft man im Verteidigungsministerium. Auch die von der Bundeswehr für Litauen vorgesehene deutsche Brigade in unmittelbarer Nähe zu Russland soll damit ausgestattet werden.
Im endlosen Wettlauf um immer effektivere Waffensysteme erschloss Israel für die Bundeswehr schon eine weitere Dimension. Anlass war der 2002 begonnene Einsatz in Afghanistan. Anfangs wurden für die Aufklärung deutsche Tornado-Flugzeuge eingesetzt, deren Kameras noch mit Filmen bestückt waren, die nach der Landung erst entwickelt werden mussten, im Kern also wie im Ersten Weltkrieg. Zu dem Zeitpunkt schickten Partnernationen längst Live-Bilder. Daher beschaffte die Bundeswehr im Eilverfahren vier Hightech-Aufklärungssysteme Reccelite von den Israelis und die dafür notwendigen Bodenstationen. Die Bestellung ging zwar nach Israel, aber es steckte auch deutsche Technik darin – Sensoren der Firma Zeiss Optronik.
Aber dann wurden die Tornados abgezogen, und ein neues Zeitalter für die deutschen Soldaten begann, das bis heute andauert: die Ära der Drohnen. Zwar hatten sie bereits kleinere, die eher Spielzeugen ähnelten, aber diese neue Generation hatte eine ganz andere Größenordnung – und sie war «Made in Israel», ein Exportschlager von IAI, die sie erfolgreich in der ganzen Welt verkaufte.
Die Heron-1-Drohnen haben 16,6 Meter lange, dünne Flügel und einen 8,5 Meter kurzen Rumpf, sie können über 24 Stunden in der Luft bleiben, sie werden nie müde, denn sie sind unbemannt, sie sind sparsam, ihr 4-Zylinder-Boxermotor Rotax 914 aus kanadischer Produktion mit nur 115 PS schluckt beim Antrieb des Druckpropellers nur 15 Liter Benzin in der Stunde, und wenn der Einsatz vorbei ist, dann finden sie, falls es zum Beispiel zu einer Funkstörung kommt, ganz alleine wieder nach Hause, setzen auch mitten in der Nacht absolut pünktlich und sicher wieder auf.
Ihre Sensoren und Kameras arbeiten ebenfalls Tag und Nacht und können auch aus Höhen von bis zu 10.000 Metern noch Bilder live an die Bodenstation liefern. Die Bundeswehr leaste drei Maschinen, die jahrelang die Augen für die Soldaten am Boden waren, die ihre Bilder auch direkt vor Ort auf ihren Laptops empfangen konnten. Sie wurden auch in Mali eingesetzt.
Aber längst hatte in Berlin eine neue Diskussion eingesetzt, und diesmal ging es auch politisch zur Sache. Denn die Bundeswehr wollte nun die nächste Generation, und die hat eine Fähigkeit, die zunächst heftig umstritten war: Sie kann bewaffnet werden. Hier meldete sich die alte pazifistisch orientierte DNA, vor allem in der SPD. Die Sorge war, hier könnten in einer kriegerischen Auseinandersetzung autonome Roboter losfliegen und sich selbst ihre Ziele suchen. Aber auch dieses Tabu fiel. Wieder fiel die Wahl, anfangs gegen Widerstände in der deutschen Generalität, die die amerikanische Predator-Drohne wollte, auf ein israelisches Modell: die Heron TP, deutlich größer, deutlich leistungsfähiger als das unbewaffnete Vorgängermodell.
Der nächste politisch aufgeheizte Stolperstein war dann die Stationierung in Deutschland. Das Argument der Kampfdrohnen-Gegner war nun, die unbemannte Heron-Drohne habe keine Zulassung für den deutschen Luftraum. Also wurde erst einmal entschieden, sechs Drohnen in Israel mit einem Leasing-Vertrag zu bestellen und dort stationiert zu lassen. Kampfdrohnen mit dem Eisernen Kreuz der deutschen Luftwaffe auf den Tragflächen im Staat der Juden. Und nicht nur das: Jetzt wurden erstmals deutsche Soldaten in Israel stationiert – zur Ausbildung an dem neuen Waffensystem.
Die deutschen Soldaten wurden während des neuen Gaza-Krieges vorübergehend abgezogen, auch weil zwei Heron-Drohnen, wie erwähnt, an die Israelis zurückgegeben wurden. An der eigentlichen Absicht, die Heron-TP auch in der bewaffneten Version einzuführen, wurde ausdrücklich festgehalten. Und auch an ihrer Stationierung in Deutschland. Zumindest ein Exemplar soll auf den Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein zum Taktischen Luftwaffengeschwader 51 «Immelmann» verlegt werden, um die Möglichkeiten für eine Nutzung im deutschen Luftraum zu testen.
Im Sommer 2022 hielt Bundeskanzler Olaf Scholz eine Grundsatzrede in Prag. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs forderte er eine Verstärkung der militärischen Zusammenarbeit in Europa und schlug vor, mit den europäischen Nachbarn zusammen ein neues Flugabwehrsystem aufzubauen. Es war klar, worum es dabei gehen müsste: die Abwehr von ballistischen Raketen aus Russland, das gerade dabei war, die Ukraine mit Dauerangriffen auch aus der Luft mit Drohnen und Hyperschallraketen zu verwüsten und zugleich mit nuklearem Säbelrasseln den gesamten Westen einzuschüchtern.
Ein Jahr später wurde es konkret, und wieder hatte Israel eine Schlüsselrolle. Das kleine Land wird von mehreren Seiten auch aus der Luft bedroht: vergleichsweise einfache Raketen aus dem Gaza-Streifen, weit über 100.000 Raketen kurzer und mittlerer Reichweite von der Hisbollah im Norden und ballistische Raketen aus dem Iran, die auch zu Trägerwaffen für potentielle Atomsprengköpfe des Mullah-Regimes werden könnten. Dafür hat sich Israel auf drei Ebenen gerüstet, mit dem Iron Dome gegen Kurzstreckenraketen, mit David Sling (David-Schleuder) für Raketen mittlerer Reichweite und Flugzeuge und mit dem technischen Parade-Projekt Arrow 3 gegen ballistische Langstrecken-Raketen, die auch hoch aus dem Weltall anfliegen könnten – ein Schutzschild, der für Israels Überleben entscheidend ist.
Im Sommer 2023, wenige Wochen vor dem Hamas-Überfall, wurde in Israel ein Abkommen unterzeichnet, das die in Prag vorgeschlagene Idee von Kanzler Scholz real werden ließ. Deutschland kauft für knapp vier Milliarden Euro drei Arrow-3-Raketenabwehrsyteme, die von der Israel Aerospace Industries (IAI) zusammen mit dem amerikanischen Boeing-Konzern entwickelt wurden. Arrow 3 kann mit einer Reichweite von 2400 Kilometern anfliegende Raketen bis zu einer Höhe von 100 Kilometern, also bereits tief im Weltall, abwehren. Es soll, wie von Olaf Scholz vorgeschlagen, Teil eines europäischen Schutzschildes werden. Die drei Abschussvorrichtungen sollen in Bayern, Schleswig-Holstein und an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg stationiert werden. Dort, auf dem Fliegerhorst Schönwalde/Holzdorf, soll das erste Abwehrsystem bereits Ende 2025 eintreffen. Wie schon bei der Drohne Heron TP sollen auch wieder deutsche Luftwaffensoldaten zur Ausbildung an Arrow 3 nach Israel kommen.
Die politische Dimension im Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist dabei mindestens so bedeutend wie die militärische. Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X: «Zum ersten Mal wird ein israelisches System den Himmel über Deutschland und ganz Europa schützen.»
In der Tat: Nie war diese Zusammenarbeit zwischen den Deutschen und den Israelis so intensiv und für die wechselseitige Sicherheit so wichtig. Die deutschen U-Boote als Trägerwaffen für die israelischen Atomwaffen ermöglichen dem Staat der Juden eine glaubwürdige Abschreckung, der Raketenabwehrschirm durch Arrow 3 hält dem atomaren Säbelrasseln durch Wladimir Putin ein Stoppschild entgegen.
Wenn sie über die Rüstungszusammenarbeit beider Länder reden, dann kommen sie geradezu ins Schwärmen. Vizeadmiral Carsten Stawitzki, im Verteidigungsministerium zuständig für die Ausrüstung der Bundeswehr, sagt: «Noch nie war die Zusammenarbeit so zuverlässig und intensiv wie jetzt.» Und Israels Verteidigungsminister Joaw Galant ging noch deutlich weiter, als er im Sommer 2023 den Abschluss des Arrow-3-Deals so verkündete: «Wir sind stolz, dass die Deutschen sich für unser System entschieden haben.» Dieser Deal ist der größte in der Geschichte der israelischen Rüstungsindustrie. Aber die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich ist nur ein Teil der umfassenden Kooperation in allen Bereichen der Sicherheit.