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D er Landrover rumpelte über den mit Schlaglöchern übersäten Weg zum Reitstall. Der Himmel war schwarz, keine Sterne zu sehen. Schien so, dachte Femke, als würde der für morgen angekündigte Orkan bereits seine Vorboten senden. Wie es hieß, sollte der Sturm erst gegen Nachmittag auf die Küste treffen. Der Wetterbericht rechnete allerdings nicht mit einer durch den Wind bedingten Sturmflut, zum Glück. Auch waren keine Unwetter mit Hagel angekündigt. Es sollte lediglich höllisch windig werden, weswegen ab Mittag sicherheitshalber der Fähr- und Schiffsverkehr eingestellt wurde.

Das Licht der Scheinwerfer schnitt durch die Nacht und traf schließlich auf die Scheunen und die Stallgebäude. Der Hof war mit Autos zugeparkt. Alle Reiter schienen damit beschäftigt zu sein, die Pferde von der Weide in die Boxen zu bringen oder sie zu versorgen. Klar, morgen würde man die Tiere kaum auf die Weide lassen. Solches Wetter machte die Pferde kirre, und fraglos waren sie jetzt schon nervös.

Volker war damit beschäftigt, das Abendessen vorzubereiten. Er brauchte noch etwas Zeit.

Das Kochen hatte sich in den letzten Monaten zu seinem neuen Hobby entwickelt. Gemüse schnippeln sei wie Zen, hatte er gesagt, und entspanne ihn. Na dann, davon wollte Femke ihn nicht abhalten – zumal sie vom Resultat seiner Entspannungsübungen profitierte. Sie hatte ihm gesagt, dass sie noch mal am Stall vorbeischauen wollte und sehen, ob irgendwer dabei Hilfe brauchte, alles sturmfest zu machen. Volker hatte ihr die Schlüssel des Geländewagens gegeben und viel Spaß gewünscht. Denn was für Volker das Kochen und das Gemüseschnippeln war, war für Femke der Stallduft, war das Gefühl ihrer flachen Hand auf dem warmen Körper eines Pferdes, wenn sie ihm den Nacken tätschelte, und das Geräusch des Schnaubens aus den Nüstern.

Das hatte sie nötig, denn nachdem Tjark sie über das bevorstehende Treffen im Klubhaus der Bad Coyotes informiert hatte, hatte sie sofort Ceylan verständigt. Ceylan war ausgerastet, woher Tjark denn das wisse, was der da anstelle …

Femke hatte keinerlei Antworten auf irgendetwas und fragte, ob sie umdrehen solle. Aber Ceylan hatte abgewinkt. Sie würde alles Nötige vorbereiten, und Femke solle mal ruhig Feierabend machen. Sie würden sich dann recht früh zum Briefing treffen müssen.

Femke parkte gerade, als ihr Handy klingelte. Ein Videoanruf. Fred. Sie stellte den Motor aus, griff in die Mittelkonsole und nahm das Telefonat an.

»Hey«, sagte Femke. »Hat Ceylan dich erreicht?«

»Nein. Warum?«

Femke seufzte. Offenbar war Ceylan noch nicht dazu gekommen, also erklärte sie Fred, was los war und dass für den nächsten Tag ein Einsatz am Klubhaus der Bad Coyotes vorbereitet werde, dass morgen das ganze Spektakel vermutlich ein Ende haben dürfte.

»Heißt das also im Klartext«, fragte Fred, »dass Attaman in Deutschland ist? Dass er am Klubhaus sein wird?«

»Tjark hat es angedeutet«, erwiderte Femke. »Aber ob das auch wirklich passiert, das müssen wir abwarten.«

Fred brummte. Er trank Bier und schien an einer Theke zu sitzen. »Verdammter Tjark Wolf. Immer der gleiche Scheiß mit dem, oder?«

Femke nickte lediglich und dachte: ja, immer der gleiche Scheiß. Es schien, als tue es ihm wirklich nicht gut, keine Grenzen mehr zu haben. Auf der anderen Seite hatten sie und Ceylan ja gewusst oder zumindest geahnt, worauf sie sich einlassen würden, wenn sie Tjark zu den Ermittlungen baten. Von daher …

»Andererseits«, sagte Fred, »habt ihr ihn reaktiviert.«

»Fred, er benimmt sich wie ein Arsch und zieht mal wieder einen Alleingang durch. Manchmal frage ich mich, ob wir ihn nicht hätten in Ruhe lassen sollen. Er kommt mir vor wie – wie ein Fremdkörper.«

»Vielleicht hat er seine Gründe.«

»Welche sollten das sein?«

»Musst du ihn selbst fragen. Aber weswegen ich mich eigentlich melde«, sagte Fred und leerte sein Bierglas. »Hinnerk Rikens.«

»Was ist mit dem?«

»Ich habe mich bei Ippen kundig gemacht.«

»Dem Trödler?«

Fred nickte. »Dem Trödler und gut vernetzten Hehler. Er schwört zwar Stein und Bein, nicht mehr im Geschäft zu sein, aber ich habe ihn mir dennoch zur Brust genommen. Er hat kürzlich jede Menge alte Möbel aus diesem Tütken-Hof gekauft, den Rikens ausgemustert hat. Das muss zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als die Baumaßnahmen vor dem Abschluss standen, die Videoüberwachung aber noch nicht installiert war. Er könnte einen Tipp gegeben haben, dass dort ein Einbruch lohnen würde. Die Info geht dann an Vural Attaman, der schnell noch einen Bruch macht, bevor ihm in Rotterdam der versuchte Juwelenraub um die Ohren fliegt.«

»Deswegen das kaputte Fenster bei Rikens?«

»Genau. Bleibt die Frage, warum der Einbruch dann nicht angezeigt worden ist. Möglicherweise, weil Rikens Trubel vermeiden wollte, darüber sollte keine Information an die Medien gelangen. Der kann das überhaupt nicht gebrauchen zurzeit. Das wäre der eine Grund.«

»Ja, aber man würde doch eine Straftat anzeigen?«

»Kommt drauf an, was dir wichtiger ist. Vielleicht ist auch nichts Wichtiges gestohlen worden. Das ist die eine Theorie. Die andere wäre: Es ist doch etwas sehr Wichtiges gestohlen worden, das Rikens unbedingt zurückhaben will. Dabei handelt es sich aber auch um etwas, von dem niemand etwas wissen soll, weswegen er den Einbruch nicht anzeigt …«

»… und einen Biker-Klub beauftragt, ihm das zu besorgen? Willst du darauf hinaus?«

»Wie gesagt, das ist die andere Theorie. Ich meine: Es ist Hinnerk Rikens. Der wird Minister werden. Kaum vorstellbar, dass der sich die Hände so schmutzig macht, aber …«

»… aber es ist nicht auszuschließen. Natürlich kann es auch sein, dass er überhaupt nichts damit zu tun hat.«

»Aber das mit dem kaputten Fenster, mit Ippen, mit Attaman und dem Schließfach und den Kojoten passt schon ganz gut zusammen.«

»Ja, in gewisser Weise schon. Aber wie passen dann Rikens und die Bad Coyotes zusammen?«

»Deswegen rufe ich dich an. Ich habe ein wenig Hausaufgaben gemacht und mir einige alte Fälle von Mitgliedern des Biker-Klubs angesehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass Django vor einigen Jahren vor Gericht gestanden hat. Es ging um den Konflikt mit den Northern Riders und die Toten von damals, du erinnerst dich?«

Bei Femke klingelte es nur leise. Sie war damals noch als Inspektionsleiterin in Werlesiel bei der Polizei tätig gewesen und hatte noch nichts mit der organisierten Kriminalität zu tun gehabt. An einer Tankstelle waren tote Biker gefunden worden, die zu den Northern Riders gehörten, einer mit den Bad Coyotes rivalisierenden Gang. An Details konnte sie sich nicht erinnern – nur daran, dass es ziemlich viel Aufsehen erregt hatte.

»Rate«, fragte Fred, »wen Django damals als Anwalt organisiert hatte?«

»Nein.«

»Doch. Hinnerk Rikens.«

»Wie kommt der an so einen Anwalt?«

»Viel Geld?«

Wie auch immer, es gab nun eine Verbindung. Rikens kannte Django. Er wusste, mit was sich die Bad Coyotes befassten. Es wäre denkbar, dass er sie beauftragt hatte, das zu besorgen, was ihm gestohlen worden war. Für Django wiederum würde auf der Hand gelegen haben, wer bei Rikens wahrscheinlich eingebrochen war. Als Krimineller würde er Ippen kennen, Cem Demirkan, Vural Attaman …

»Mist«, sagte Femke. »Aber wir werden daraus niemals einen Schuh machen können. Und es ist hochsensibel, Fred, Rikens ist mit allen Wassern gewaschen und Anwalt und außerdem im Wahlkampf und …«

»Ja«, Fred winkte ab, »ja, ja und ja, ich weiß, ich weiß. Aber vielleicht macht ihr morgen ein paar Verhaftungen, bringt ein paar Leute zum Reden, und dann sehen wir weiter. Nur einer muss auf Rikens aufpassen. Wenn der mitbekommt, was da am Klubhaus abgeht, wird der möglicherweise die Flatter machen wollen.«

»Mag sein.«

»Also werde ich ihn im Blick behalten. Es juckt mich zwar in den Fingern, am Klubhaus dabei zu sein, aber wie sagt man so schön: ladies first. Macht ihr das mal. Ich werfe derweil ein Auge auf den feinen Anwalt und klebe ihm an den Hacken, falls er abschwirren will. Falls er wirklich etwas damit zu tun hat, wird er ja vielleicht von dieser angeblichen Übergabe etwas wissen und darauf hoffen, so schnell wie möglich Informationen zu bekommen. Wenn die dann ausbleiben, weiß er Bescheid, dass etwas nicht stimmt – und wird entsprechend reagieren, weil er Angst hat, aufzufliegen.«

»Richtig. Alles klar, Fred. Ich gebe Ceylan Bescheid.«

»Nee, mache ich schon selbst, keine Sorge. Also – wir bleiben in Kontakt. Schönen Feierabend und entspann dich. Davon wirst du morgen profitieren. Ich jedenfalls trinke jetzt noch ein Bier. Aus der eigenen Zapfanlage. Wenn der Partykeller fertig ist, lade ich euch alle mal ein!«

»Deal«, sagte Femke und lächelte.

Sie beendeten das Gespräch. Femke stieg aus, blähte die Backen und warf die Autotür hinter sich zu. Dieser Fall blähte sich gerade gewaltig auf. Sie hoffte, dass er ihnen nicht um die Ohren fliegen würde. Das Potenzial dazu hatte er jedenfalls.