Leseprobe
Irgendetwas stimmt nicht mit dem Fall! Der sympathische Polizist Frank Liebknecht beginnt auf eigene Faust zu recherchieren …
Brigitte Pons
Celeste bedeutet Himmelblau
Kein Vogel sang, kein Auto war zu hören, nicht einmal ein entferntes Flugzeug erfüllte die Luft mit leisem Motorengeräusch. Vielleicht lag es nur am geschlossenen Fenster, dass die Welt in einer Lautlosigkeit verharrte, die friedlich hätte wirken können, aber ganz im Gegenteil in diesem Augenblick etwas ungemein Beängstigendes mit sich brachte.
Wieder einmal fragte sie sich, wann sie den Mann zuletzt gesehen hatte, der hinausgegangen war, hinter die Mauer, auf die Straße, die am Grundstück vorbei- und nach einer lang gezogenen Rechtskurve weiter ins nächste Dorf führte.
Sie öffnete den Wasserhahn, der, begleitet von einem dünnen braunen Rinnsal, nur ein tiefes Röcheln ausstieß, ehe die Rohre in ein dumpfes Vibrieren verfielen, das sich durchs ganze Haus zog und den Fußboden erzittern ließ. Eine Weile erfreute sie sich an den Lauten und der Bewegung, gab sich ihrer tröstlichen Gesellschaft hin. Sie legte die Hand an das pulsierende Wasserrohr, strich beinahe zärtlich darüber, drehte dann den Hahn zu und ging hinaus auf den Flur.
Voll Unbehagen zog sie den Kopf zwischen die Schultern, als ihr Blick die Kellertreppe streifte und weiter zu der Leiter glitt, die aus einem viereckigen Loch in der Decke ragte. Lange war die Klappe geschlossen gehalten worden, und die Stange mit dem Haken, mit dessen Hilfe sie sich öffnen ließ, hatte im Wandschrank gestanden.
Jedes Mal, wenn sie nach oben kletterte, beschlich sie dieses eigentümliche Gefühl, sie könnte nie wieder hinuntersteigen und wäre gezwungen, oben zu bleiben für alle Zeit, oder würde ganz verschwinden, ohne ein Zeichen zu hinterlassen, dass es sie je gegeben hatte. Dennoch spürte sie den Drang immer wieder, vermochte sich ihm nicht zu entziehen, sosehr sie es auch wünschte.
Das Atmen fiel ihr schwer in der aufgeheizten Luft des Dachbodens, zwischen Erinnerungen, die sie nicht fassen konnte, und verhüllten Möbelstücken, die wie Spukgestalten halb lebendig, halb tot nach ihr zu greifen schienen.
Sonnenschein tropfte wie flüssiger Honig durch das kleine Fenster mit dem verrosteten Metallbügel, das zwischen zwei Sparren klemmte und sich nicht mehr öffnen ließ. Filigrane Staubpartikel tanzten im einfallenden Licht einen stummen Reigen, bald hinauf zur Glasscheibe, dann abwärts zu den hölzernen Dielen. In den Spinnweben am Fenstergriff baumelten Fliegen, wehrlos gefangen, tot wie die einstige Jägerin, die mit eingerollten Beinen noch am eigenen Faden neben ihnen hing.
Ein muffiger Geruch schlich sich aus den alten Schränken, in denen die Vergangenheit eingelagert darauf wartete, wiederauferstehen zu dürfen.
In einem sinnlosen Anflug von Mitgefühl zerriss sie das Netz, befreite die längst vertrockneten Kreaturen und weinte tränenlos um das vergeudete Dasein.
Rückwärts bewegte sie sich in Richtung der Leiter, stieß den Stuhl um, von dem eine Staubwolke emporstob, berührte dabei versehentlich den Rest des Seils, das vergessen bleiben sollte. Sie hastete die Stiege hinab, rannte blindlings ins Freie, keuchend und getrieben von dem Gefühl, das einzige lebende Wesen zu sein. Überall umgaben sie nur Sterben und Stille, der Atem verflossener Jahre, des Todes und des Verfalls.
Begierig sog sie die frische Luft in ihre Lungen und hustete den Nachgeschmack des Dachbodens aus sich heraus. Endlich, als der Anfall vorüber war, vernahm sie ein tiefes, zunächst leises, dann lauter werdendes Brummen, das jäh verstummte, als ein grün schillernder Käfer auf ihrem Arm landete. Federleicht berührte er ihre Haut und reckte die Fühler zur Sonne. Der unerwartete Kontakt mit diesem lebendigen Geschöpf löste ihre lähmenden Fesseln.
Sie drehte dem Haus den Rücken zu, ließ die Finger durch die Blätter der Hecken gleiten und trat durch das Tor auf die Straße. Ein Falter erhob sich taumelnd aus einem Gebüsch, und sie folgte seinem Weg, der sie immer weiter fort führte.