Hautfarbene Paste auf meinem Handrücken, hautfarbene Paste auf meinen Fingerspitzen. Auf Nase, Wange, Stirn. In den feinen Fältchen unter den Augen. In den Porenöffnungen am Kinn. Eine Schicht, zwei, dazwischen weißer Seidenpuder, ich halte den Atem an, die feinen Partikel tanzen in der Luft, wirbeln neben dem gekippten Fenster, vor dem Spiegel, über den grün gesprenkelten Bodenkacheln.

Was macht Mark jetzt? Irgendetwas anderes.

Und was mache ich? Ich verwandle mich in eine Braut.

Ich will nicht aussehen wie ein Clown, ich will aussehen wie eine Schönheit, trotz der ungewaschenen Haare, meiner breiten Schultern, der abgerissenen Nagelhaut. Trotz der nie gezupften Augenbrauen, der schmucklosen Ohrläppchen.

Bräute stelle ich mir wie Puppen vor.

Ich will versuchen, eine Porzellanpuppe zu sein.

Haut wie gemalt, ebenmäßig, ich drehe mein Gesicht nach rechts, nach links, führe den Puderpinsel über die Ohren, über den Hals. Die Tür steht einen Spalt offen, ich lausche in den Gang hinaus, irgendetwas surrt, irgendetwas surrt hier immer, eine Lüftung, eine Lampe, ein Wasserspender, sonst aber, außer dem Surren, nichts. Eine ruhige Nacht, nur ich bin wach, wälze mich aber nicht in meinem Bett, sondern stehe hier, aufrecht, im Badezimmer vor dem Spiegel, male mir ein neues Gesicht, das Gesicht einer Braut, das weder zu meinem Nachthemd noch zu meinen strähnigen Haaren passt, ich hätte sie vorher waschen sollen, aber das hätte man gehört, auch die Leitungen surren, wenn man heißes Wasser aufdreht, man hört das Wasser am Gang, man hört es in einigen Zimmern.

Ich öffne die Knöpfe des Nachthemds, ziehe es vorsichtig, um nichts zu verschmieren, über den Kopf.

Auf meinen nackten Armen, auf meinem nackten Bauch, auf meinen Schenkeln bildet sich Gänsehaut.

Noch etwas Puder auf den Hals, auf die Schultern, auf die Brüste, auf den Bauch, mehr sehe ich im Spiegel nicht, mehr wäre zu viel, ich lege den Pinsel auf die Ablage, krame im Kosmetikbeutel, ziehe mit feinen Strichen meine Augenbrauen nach, umrahme die Augen mit grauem Kajal. Tupfe Lippenstift auf die Wangenknochen, verblende die Farbe mit kreisenden Bewegungen, male mir einen roten Mund.

Eine Schicht, zwei Schichten, ich drücke zu fest, der Lippenstift bricht ab. Mein Herz beginnt zu rasen, die rechte Hand zittert, ich versuche, die abgebrochene Spitze wieder auf den Rest des Lippenstifts zu drücken, doch das sieht noch schlimmer aus, ich werfe die Spitze in den Mülleimer, reibe den Lippenstift an einem Handtuch, das jemand vergessen haben muss, rot auf grau, das wird auffallen, das wird eine Aufregung geben, ich forme eine neue Spitze, glätte sie mit meinen Fingern, das wird eine Aufregung geben, denke ich, lege trotzdem die Schminksachen in das Kosmetiktäschchen zurück, wie sie gewesen sind: unten Make-up und Puderdose, dann Kajal, Augenbrauenstift, Rougedöschen, Lippenstift. Der Reißverschluss war nicht ganz zu. Zwei Zentimeter, genau so. Ich stelle das Täschchen am Rand des Waschbeckens ab, sie kann es hier vergessen haben, das kann ohne Weiteres passieren, das Handtuch hat auch jemand vergessen, Handtücher sollen hier nicht bleiben, man könnte sie verwechseln, Handtücher hängen an den Haken in den Zimmern, mit Kosmetikbeuteln ist man nicht streng, der eine hat Blumen, der andere Streifen, sie sind wie Fingerabdrücke, spätestens dann, wenn man sie öffnet.

Einmal hat die Sonne ihre Schminksachen gesucht, hektisch, panisch, in ihrem Zimmer, in der Besuchernische, am Gang, dann ist sie hysterisch ins Bad gerannt, hat sich den Ellenbogen am Türrahmen gestoßen, hat geschrien, hat geflucht. Man sieht sie niemals ungeschminkt, nicht einmal beim Frühstück, sie kann das Täschchen also durchaus wieder hier vergessen haben, warum denn nicht, am besten am Waschbeckenrand.

Ich blicke in den Spiegel, starre mir in die Augen. Ich nehme mein Nachthemd in die Hand, trete barfuß, wie ich gekommen bin, in den Gang hinaus. Wie es sich anfühlt, nackt, zwischen all den geschlossenen Türen, es fühlt sich verboten an, aufregend, das Barfußgehen in den Gängen ist untersagt, Nacktheit hat nie jemand erwähnt.

Die ungeschützte, pudrige Haut, das neue Gesicht, die Fußsohlen auf dem kalten Boden.

Ferse, Ballen, Zehen.

Ferse, Ballen, Zehen.

Das Kinn erhoben.

Ich trage das Gesicht unter dem gedämpften Strahlen der Deckenleuchten hindurch, nichts flackert, schön wäre ein Flackern wie Kerzenschein, ich flackere mit den Augenlidern, trage das gemalte Gesicht durch den kühlen, langen Gang, an den hellgelben, geschlossenen Kunststofftüren vorbei, an den Schlafenden vorbei, ich strecke die Füße durch, gehe auf den Zehenspitzen wie auf hohen Schuhen, ich klacke leise, leise mit der Zungenspitze: tocktock, tocktock. Ich sollte tanzen auf dem kalten Boden, ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links, ich spüre kaum noch die Zehen, spüre nicht die Gänsehaut auf meinen Armen, sehe sie wie die Gänsehaut einer fremden Frau, winzige Hügelketten, abstehende Härchen, vereinzelte Muttermale. Ich tanze an der Obstecke vorbei, frage mich, warum die Äpfel immer weg sind und die Orangen liegengelassen werden, bis sie schimmeln.

Obstschale, Wasserkocher, Zuckerdose.

Tocktock, tocktock.

Auf mein Zimmer zu, in mein Zimmer hinein, langsam, leise, leise, damit die Sonne nicht erwacht, doch die Sonne atmet ruhig, hat ihre Decke bis zur Stirn hochgezogen.

Und schon ist die Aufregung vorüber, und niemand war Zeuge, niemand hat mich gesehen, mich Porzellanpuppe, mich Braut, das fremde Gesicht im Badezimmerspiegel ist jetzt schon nicht mehr als eine Erinnerung.

Ich betaste meine Wangen, meine Lippen, sie sind klebriger als sonst, meine Fingerspitzen bekommen einen rötlichen Glanz. Ich werfe das Nachthemd auf mein Bett, lege mir die Bettdecke über die Schultern, steige in meine Hausschuhe, kippe das Fenster, um die Nachtluft zu riechen.

Eine Fremde lehnt an meinem Fensterbrett. Blickt erstaunt auf die beiden Betten, auf das zerknitterte Laken des einen, auf die schlafende Sonne im anderen. Wundert sich, dass der Raum nach keinem Zuhause aussieht, obwohl ich schon so lange hier bin, obwohl die Sonne ihre Strahlen in die kleinsten Ritzen schickt. Wo sind all die unnützen Dinge, wo sind die Staubflusen, wo ist die Unordnung? Das Ladekabel, die ausgedrückte Zahnpastatube, die gelesene Zeitung? Die ungebügelte Wäsche, die letzten Einkäufe, die man erst noch auspacken muss? Zu Hause würde niemand einen hellgrauen Streifen abwischbarer Latexfarbe neben sein Bett malen. Keiner hätte hellgelbe Bettwäsche, ein hellgelbes Laken und hellgelbe Vorhänge, ein Fenster, das sich nur kippen, nicht öffnen lässt, hellgrauen Linoleumboden, ein zweites Bett für jemanden, den man nicht in seiner Nähe haben will, und ein zweites Nachtkästchen aus Buchendekor. Einen Mohnblumendruck ohne Glasabdeckung an der Wand. Einen freundlichen, orangen Streifen neben der Tür. Eine Hausordnung an einer Seite des Schranks. Zwei Klebehaken an der anderen. Ein Zimmertelefon. Eine neu lackierte Heizung unter dem Fenster. Eine gesicherte Steckdose.

Die Fremde am Fenster fühlt sich hier nicht willkommen, aber sie hat keine Wahl. Sie trägt einen Fleck auf der Wange, den man unter der Schminke kaum noch sieht. Er schmerzt, wenn man ihn berührt, wird blau werden, ein Abdruck der Wut, der Fäuste, die gegen die Tür getrommelt haben, gegen das eigene Kinn, gegen die Stirn, die Wangen.

Lasst mich, ich tu euch schon nichts!

Ich will eine Porzellanpuppe sein.

Dann dürfte ich nicht aus dem Bett fallen, gebeutelt von bilderlosen Träumen, die nach dem Erwachen nicht mehr als ein Gefühl hinterlassen, das Gefühl auszurutschen, zu fallen, und ich falle tatsächlich, wie ein Kind, eine Erschütterung im Rumpf, ein Gepolter in den Ohren oder ein Kratzen an der Wand.

Rasender Herzschlag.

Feuchte, verschwitzte Haut.

Die Fremde verwandelt sich zurück, binnen Sekunden, ich lehne mich so nah wie möglich ans Fenster, als könnte ich so mehr sehen, doch der Dachvorsprung raubt mir die Sicht in die Tiefe. Ein Flachdach und eine Antenne heben sich vom Nachthimmel ab. Baumkronen. Man könnte an Ahorn denken, doch es sind Platanen, junge Platanen mit dreieckigen Kronen, mit noch festen Stämmen und glatter Borke. Erst bei genauem Hinsehen zeigen sich feine Risse, man kann die Rindenplatten erahnen, die später abplatzen, auf dem kurzgeschnittenen Gras liegen, dem Gärtner Arbeit machen werden wie auch die brüchigen Äste, die bei jedem Starkwind abzubrechen und auf die Kieswege zu stürzen drohen. Ihr Holz ist zu nichts zu gebrauchen, höchstens als Furnier oder für Besenstiele oder Obstkisten. Doch ihr Schatten ist beliebt und sie wachsen schnell.

Im Park wollen sie Schatten und drin ist alles hellgelb und orange.

Platanenkronen vor einem anthrazitfarbenen, schillernden Nachthimmel. Er ist nicht richtig dunkel, eine eigenartige Mischung aus Mondlicht und Stadtbeleuchtung, nicht silbrig, nicht orange.

Die Bettdecke auf meinen Schultern wird schwer, ich lasse sie ein stückweit herunter, entblöße meine Schultern, starre aus dem Fenster, folge blinkenden Lichtern am Himmel, zähle die feinen Äste der Antenne. Die Luft, die durch den Fensterspalt dringt, riecht nach feuchter Erde, der Park hält die Gerüche der Stadt von hier fern, auch die Geräusche. Ich folge den blinkenden Lichtern mit den Augen, frage mich, ob die da oben schlafen oder Videos schauen, ob man wirklich Bloody Mary trinkt oder einfach nur Wasser und Bier, ob man Müsliriegel aus der Hosentasche zieht, weil man sich auf die Menüs nicht verlassen kann, ob man vor Vorfreude auf dem Sitz herumzappelt oder den Kopf schwer auf die hohe Rückenlehne legt.

Genug. Ich habe die Bettdecke fallen lassen, mir ist kalt, mir, nicht der Braut, ich habe vergessen, Braut zu sein, was hat eine Braut auch so lange aus dem Fenster zu starren, was hat sie sich ablenken zu lassen von Antenne und dreieckigen Platanenkronen und blinkenden Lichtern am Nachthimmel, Dingen, die auch morgen noch da sind, übermorgen, eine lange Zeit. Lasse ich das Fenster gekippt, dann zieht die Nachtluft genau über meine Stirn, ich drücke es zu, hebe die Bettdecke auf, lege mich auf die Matratze, wickle die Füße gut ein, sie sind immer noch kalt. Mein Gesicht, das Gesicht einer Braut, das Schminktäschchen, die Aufregung, ich wische mit den Handflächen über die Lippen, die Wangen, die Augenbrauen, wische im Dunkeln, wische mit der Bettdecke, wie sehe ich aus, habe ich schwarze Augen, Flecken auf der Stirn, verschmierte Lippen, sieht man den Fleck an der Wange, der sich bald blau verfärben wird. Sehe ich wieder aus wie die, vor der man Angst hat, in der Besucherecke, am Gang, im Speisesaal.

Werden meine Augen, wenn ich wütend bin, wirklich schwarz?, ist meine Stirn von Furchen durchzogen, rolle ich die Lippen von den Zähnen, sind die Wangen erhitzt und rot, ist die Haut glühend und feucht, spucke ich, ziehe ich die Schultern nach oben, wird jeder meiner Muskeln hart wie Stein?

Ich werfe nicht mit Steinen nach Katzen.

Das Herz rast, immer noch, schon wieder, stärker sogar, hat den Rhythmus des Aufschreckens geändert, hat den Rhythmus des Erinnerns angenommen, ich lege eine Hand auf meine Brust, fest, noch fester, zwei Hände, eine über der anderen. Eine Zwinge, meine Haut ist das Furnier, ich drücke, ich presse, ich warte, es braucht Geduld. Wenn es gut werden soll, dann braucht es Geduld.