„Unser schöner Hof“, sagt Frau Else im Familienbereich. Meta nimmt Platz. „Was meinen Sie damit?“ „Na, den Hof“, sagt Else, die in ihrer Tasche kramt. „Unser schöner Hof. Den hätten Sie mal sehen sollen, bevor die ganzen Bagger angerückt sind. Wir haben viel erlebt in dem Hof.“
„Was denn?“ Meta streckt die Finger aus. An zwei Fingern ist der Nagellack ein wenig abgeblättert, der rote und der blaue. Sie verschränkt die Hände und legt sie in den Schoß. Ihr wird ein wenig übel, auch schwindlig, als würde sich der Boden unter ihr bewegen.
„Ist Ihnen nicht gut? Sie atmen so schnell.“ Frau Else holt eine rote Plastikdose mit dem Logo einer Bank aus der Tasche. „Wollen Sie etwas essen? Wahrscheinlich haben Sie den ganzen Abend nichts gegessen.“
„Nein, danke.“
„Wie Sie wollen.“ Frau Else öffnet die Dose. Sie ist voll mit Walderdbeeren. Sie nimmt eine heraus und steckt sie in den Mund. „Herrlich“, sagt sie. „Tun Sie mir einen Gefallen? Können Sie mir den Hof beschreiben? Ich wüsste gerne, wie Sie ihn sehen.“
„Was meinen Sie?“, sagt Meta.
„Glauben Sie nicht, dass ich dumm bin“, sagt Frau Else, „ich weiß genau, was Sie jetzt denken. Sie fragen sich, ob die Alte irgendeiner alten Pracht nachtrauert. Und dann sagen Sie sich, dass man mir beibringen müsse, dass hier nichts ist als Gras und Steine und Dreck. Aber sehen Sie“, sagt Else, „der Hof hier war wahrscheinlich überhaupt nie anders als jetzt, nicht, seit Sie und ich leben, jedenfalls. Immer dieselbe Wiese und Erde, derselbe Unrat.“
„Ich verstehe, dass Sie den Hof vermissen.“
„Gar nichts verstehen Sie. Ich will auch Ihr Mitleid nicht. Sprechen Sie lieber mit mir. Erzählen Sie, beschreiben Sie mir, was Sie sehen.“
„Da sind Baumaschinen“, sagt Meta, „und ein Kran.“
„Nicht die Baumaschinen“, sagt Else, „beschreiben Sie mir den Hof, wie er früher war.“
„Da kannte ich ihn ja noch nicht.“
„Das macht nichts.“
Meta steht auf, geht zur Terrassentüre und rüttelt am Knauf, aber der bewegt sich nicht.
„Der Boden ist ganz dunkel“, sagt sie, „trockene Erde, sieht aus wie Asche. Und dort in der Ecke ein kleines Wiesenstück.“
Frau Else kaut. „Eine wunderbare Wiese. Und Bäume.“
„Da sind keine Bäume mehr.“
„Schade. Was sehen Sie noch?“ „Und Scherben“, sagt Meta.
„Die Scherben. Erzählen Sie mir davon“, sagt Else.
Meta sieht genauer hin. Es sind Scherben, dunkelgrüne Scherben, jedenfalls sehen sie im Mondlicht dunkelgrün aus.
Für einen Moment fühlt sie sich alleine, und das auf keine schlechte Art, so als seien Frau Else, Moses und der schreiende Herr T. weit weg, eine halbe Welt weit.
„Und?“
„Scherben“, sagt Meta, „in der Erde stecken Scherben.“ „Wie sehen sie aus?“
„Sie sind grün, dunkelgrün.“
„Wie eine Bierflasche.“
„Zu groß“, sagt Meta. „Eher wie ein Apothekerglas. So eines, das ganz oben in den Regalen steht, diese dicken, dunklen Flaschen mit handgeschriebenen Etiketten.“
„Sehen Sie, jetzt haben Sie einer alten Dame eine Freude gemacht. Schön, wirklich schön“, sagt Frau Else, „danke. Aber jetzt, meine Liebe, müssen Sie wahrscheinlich zurück zu Ihrem Bewohner.“
„Meinem Bewohner?“
„Na, irgendwo haben Sie ja Ihre Nachtwache zu machen, nicht?“ Else kichert.
„Ja“, sagt Meta, „ja klar.“
„Was tun Sie eigentlich, wenn Sie bei ihm sind?“
„Ich bin einfach da.“
„Klingt ja spannend.“
Meta setzt sich wieder hin. „Er hat Angst, glaube ich, wenn er alleine ist. Ich leiste ihm Gesellschaft. Vorhin habe ich ein Lied vorgesungen, als er Angst hatte.“
„Und?“
„Er hat sich beruhigt, ist eingeschlafen.“
„Schön. Für mich hat niemand gesungen.“
„Das ist schade. Ich hätte es gemacht.“
„Jetzt werden Sie mir aber nicht pathetisch, Kind.
Was mag er denn sonst noch, Ihr Patient?“
„Das weiß ich nicht, er kann nicht sprechen.“
„Junge Dame“, sagt Frau Else und klappt ihre Plastikbox zu, „vielleicht sollten Sie einfach genauer hinhören.“