Moses kommt mit dem Pflegewagen um die Ecke. Der Familienbereich liegt im Dunklen, und gerade als er den Lichtschalter betätigen will, sieht er Meta, die auf der Couch eingeschlafen ist.
Moses parkt den Wagen vorsichtig an der Seite, aber die Lade löst sich und knallt gegen die Wand.
„Sorry“, sagt Moses. „Wollte dich nicht erschrecken.“
Meta reibt sich die Augen. „Schon gut.“
„Schön“, sagt Moses, „gut geschlafen?“
„Erwischt. Ich konnte nicht schlafen. Am Tag, meine ich. Keine Ahnung, wie du das machst, aber ich schlafe nicht gut, wenn es draußen hell ist.“
„Ich kann jederzeit schlafen, no problem.“
Meta steht auf. „Ich glaube, ich sollte wieder zu Herrn T. Wie spät ist es?“
„Sicher noch viel zu früh“, sagt Moses und sieht auf die Uhr. Es ist eine Plastikuhr, die mit einem Clip an der Brusttasche seines Shirts befestigt ist. „Ich glaube, ich brauche eine Pause.“ „Du siehst auch recht müde aus.“
„Und wie gehts dir mit T.? Muss schwierig sein wachzubleiben, wenn du bei ihm bist.“
„Es geht“, sagt Meta, „und die Schwierigkeiten mit dem Wachbleiben haben wir ja gerade gesehen.“ Sie grinst. „Es geht uns – mir – gut, glaube ich.“ Sie macht eine Pause. „Ich habe ihm die Hand gehalten. Und eine Playlist gemacht.“
„Eine Playlist?“
„Ja. Wusstest du, dass er die Beach Boys mag?“ „Ehrlich gesagt, nein. Du kümmerst dich ja echt intensiv um ihn.“
„Ist ja selbstverständlich. Den Cognac hat er übrigens auch gemocht. Ich finde das schön, weißt du? So etwas Gutes tun, ganz einfach.“
„Okay ...“
„Du wirkst nicht begeistert.“
„Schau mal“, sagt er, „es ist echt gut, wie du dich kümmerst, und ich mag deine Energie ...“
„Aber?“
„Nichts. Sorry. Ich bin einfach müde.“
„Du wolltest doch etwas sagen?“
Moses rückt auf der Couch herum. „Sag mal ... haben die dir nichts erzählt? Über T., meine ich, hat die Chefin beim Vorstellungsgespräch nichts gesagt?“
„Keine Ahnung, was du meinst.“
„Die haben ihr nichts gesagt“, sagt er und lacht kurz auf. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“ Meta schüttelt den Kopf.
„Oh shit.“ Moses vergräbt das Gesicht in den Händen. „Seriously.“
„Jetzt sag schon.“
„Es gibt da ein paar Gerüchte.“
„Gerüchte? Was soll das heißen?“
„Er war wohl mal Unternehmer. Recht erfolgreich, irgendwas mit Teppichen, Vorhängen, Inneneinrichtung halt.“ Und Gerald hat gehört ...“
„Gerald?“
„Ein Kollege, hat vor Monaten gekündigt. Na, jedenfalls hat Gerald über eine Bekannte ein paar Sachen über T. gehört. Und letztens war ein Sanitäter hier, der auch ein paar Andeutungen gemacht hat, als er seinen Namen an der Zimmertüre gesehen hat.“
„Und was?“
„Na ja, er dürfte Schnaps schon immer recht gerne gehabt haben, und es gab da wohl immer wieder Notrufe bei ihm zu Hause. Wegen seiner Frau vor allem.“
„Seiner Frau?“
„Na ja.“
„Hat er –“
„Sie geschlagen? Kann sein. Wahrscheinlich. Hör mal“, sagt er, „ich erzähle dir das jetzt nicht, um dich irgendwie zu beunruhigen oder so.“
Meta betrachtet ihre Hände. „Und wie ist er hierhergekommen?“
„Er war im Krankenhaus, Neurologie. Und dann hat er den Platz hier bekommen. Normalerweise wartet man monatelang. Aber er, sofort den Platz, ganz schnell. Angeblich als Selbstzahler. Und was auch seltsam ist: In all den Monaten war nie jemand zu Besuch.“
„Und seine Frau?“
„Keine Ahnung.“
„Oh Gott. Ist sie noch am Leben?“
Moses zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wir haben nichtmal den Namen. Aber irgendjemand bezahlt wohl jeden Monat seine Rechnung, sonst wäre er schnell hier raus.“
„Seltsam.“
„Ja, ganz sonderbare Sache. Feiner Typ war er jedenfalls offenbar keiner. Was ich wirklich nicht weiß“, sagt er, „warum sie dich da reinsetzen, Nacht für Nacht, ohne dir irgendwas zu sagen. Finde ich nicht in Ordnung.“
Meta zupft an ihrem Armband. „Ich –“, beginnt sie, dann verstummt sie wieder.
Moses schüttelt den Kopf. „Tut mir leid“, sagt er, „echt. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich dir das alles erzähle. Ich wollte dich wirklich nicht beunruhigen.“ Meta schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht –“
„Ich glaube, ich wäre gerne kurz alleine“, sagt sie, dann steht sie auf und stellt ihren Becher auf den Tisch.
„Ich wollte dich echt nicht beunruhigen.“
„Ich –“
„Sorry.“