Pomp hat es sich auf der Liege in der Ordination bequem gemacht. Die beiden alten Damen, die heute für ihre Schmerzinfusionen und Rezepte gekommen sind, sind längst weg.
Die werden auch niemanden mehr haben, denkt Pomp, wenn das Heim erst geschlossen ist. Vielleicht wird er eine neue Praxis eröffnen, irgendwo unten in der Stadt, und dort weitermachen, solange es ihn noch freut. Er drückt den Knopf auf der Fernbedienung und schaltet den Fernseher an. Jedenfalls würde er Satellitenfernsehen haben, nicht nur die beiden Sender hier oben.
Pomp ist müde. Vielleicht wird er auch keine Praxis eröffnen, sondern einfach gar nichts mehr tun, die letzten anderthalb Jahre bis zur Pension.
Heute wird er zu Hause schlafen, endlich wieder in seinem Bett, durchschlafen und sich keine Gedanken über die Menschen hier machen.
Als sich plötzlich die Türe öffnet und Moses vor ihm steht, die Zigarettenpackung schon in der Hand, wäre Pomp vor Schreck beinahe von der Liege gefallen.
„Sorry, wusste nicht, dass du noch hier bist.“ Er wartet keine Antwort ab, geht an Pomp vorbei und öffnet das Fenster. „Zigarette?“
Pomp erhebt sich mit einem Ächzen von der Liege und streckt sich. „Gern.“
Moses mustert Pomp von oben bis unten. „Gut siehst du aus“, sagt er.
„Du mich auch. Kaffee? Ich habe noch eine Kanne hier. Ist halt bloß Filterkaffee. Weiß nicht, ob dein sensibler Gaumen das aushält.“ Er schenkt sich nach.
„Ich muss mal ernsthaft mit dir reden“, sagt Moses.
Pomp sagt: „So schlimm ist der Kaffee auch wieder nicht.“
„Nicht der Kaffee. Die Sache mit Meta gestern.
Darüber wollte ich reden, you know?“ „Und?“, fragt Pomp.
Moses lehnt an der Fensterbank und mustert die Diplome an der Wand, die hinter halbblinden Glasscheiben verstauben. „Ich fühle mich schlecht“, sagt er, „obwohl ich nichts dafürkann. Oder?“
„Für was?“
„Dass man ihr nichts gesagt hat, also vorher, bevor sie angefangen hat.“
„Wäre besser gewesen, es wäre so geblieben“, sagt Pomp und nimmt einen Schluck von dem kalten Kaffee. Er verzieht das Gesicht.
„Findest du?“
Pomp nimmt noch einen Schluck und stellt die Tasse ab. „Weißt du, was euch alle kaputt macht hier drin?“
„Jetzt bin ich gespannt.“
„Es sind die Geschichten der Leute. Was bringt es denn, wenn man zu viel über sie weiß? Was bringt es, die ganze traurige Geschichte von T. zu kennen, jetzt, wo er so krank ist, dass er sie wahrscheinlich selbst nicht mehr kennt? Macht das irgendwas leichter?“
„Na ja“, sagt Moses, „ich finde, man sollte seine Bewohner halt kennen.“ „Wozu?“
„Ich glaube, es hilft mir, sie als Menschen zu sehen. Denk mal an Frau E. und die anderen Bewohner von früher. Das war doch gut, oder?“
„Stimmt auch wieder. Andererseits ist es bei einem Typen wie T. halt auch nicht so hilfreich, zu viel zu wissen.“
„Und auch wenn, professionell pflegen muss ich ihn ja ohnehin. Bringt ja auch nichts, ihn jetzt irgendwie moralisch zu beurteilen. Weißt du, was ich meine? Wenn wir hier nur die richtig guten Menschen pflegen würden, was dann?“
„Hast ja recht. Aber hast du Mitleid mit ihm?“ Pomp nimmt noch einen Schluck. „Ganz ehrlich jetzt, hast du Mitleid? Ich nicht.“
Moses setzt sich in den zweiten Polstersessel. „Pomp, hast du überhaupt noch mit irgendjemandem Mitleid?“
„Jetzt weichst du aus.“
„Du auch.“
Die beiden schweigen eine Zeitlang, Pomp trinkt den letzten Schluck Kaffee und Moses blickt auf seine Schuhspitzen.
Pomp schnalzt mit der Zunge. „Fragst du dich bei einem Typen wie T. nicht, ist das nützlich? Zahlt sich der Aufwand für ihn überhaupt aus?“
„Welcher Aufwand?“
„Für T. organisiert man extra eine Sitzwache und auf der anderen Seite – auf der buchstäblich anderen Seite – reißt man das Heim nieder, damit man es verkaufen kann.“
„Ich glaube schon“, sagt Moses, „dass man Herrn T.
ordentlich versorgen sollte, egal, was er gemacht hat.“
Moses dämpft seine Zigarette aus und geht zur Türe, bleibt davor stehen und sagt: „Was machen wir jetzt, wenn Meta nicht mehr kommt?“
„Die interessantere Frage ist“, sagt er, „was du machst, falls sie wiederkommt.“